Über dieses Tabuthema sprechen Männer fast nie
Häusliche Gewalt kann auch Männer treffen, doch Scham und fehlende Hilfsangebote erschweren den Ausweg. Warum das Problem unterschätzt wird – und welche Lösungen nötig sind.
Aloys O., damals als Lkw-Fahrer im Nahverkehr tätig, war gerade frisch nach Lingen im Emsland umgezogen, als er seine spätere Partnerin über Facebook kennenlernte. Der 28-Jährige hatte noch keinen Anschluss gefunden, stand ohne soziales Netzwerk da. Sie arbeitete als Hilfskraft im örtlichen Krankenhaus, ihre Wohnung lag in der Nähe seiner. Schnell verliebten sich die beiden.
Die Beziehung schien anfangs harmonisch. »Aber so nach und nach wurde sie gröber zu mir. Beleidigungen, die zuerst neckisch waren, wurden immer ernster – und waren irgendwann an der Tagesordnung. Sie schubste mich, ich musste mehrere Ohrfeigen über mich ergehen lassen. Am schlimmsten wurde es, als sie versucht hatte, mich sexuell zu missbrauchen«, sagt
Aloys O. ist Opfer partnerschaftlicher Gewalt geworden. Und er ist kein Einzelfall.
Wohin können sich Männer wenden, die von Gewalt betroffen sind?
Angst, vom Opfer zum Täter gemacht zu werden
»Gewalt gegen Männer ist sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Gesellschaft immer noch ein Tabu«, sagt Becker. Fälle wie der von Aloys O. begegnen dem Sozialpädagogen häufig. »Bei vielen herrscht eine Unfassbarkeit, selbst betroffen zu sein. Da ist die Angst: Ich werde infrage gestellt, nicht nur als Person, sondern auch in meiner Männlichkeit.« Vielen Männern wird fragend vorgeworfen, wieso sie sich nicht gewehrt hätten. Darauf bekomme Becker häufig dieselbe Antwort: »Ich habe als Mann gelernt, dass man Frauen nicht schlägt.« Zudem sei da die Angst, als Täter hingestellt zu werden.

»Wenn eine Frau handgreiflich wird, heißt es oft: Was hat er wohl gemacht, dass sie sich gewehrt hat? Die Schuld wird bei ihm gesucht«, resümiert Becker. Viele hätten Angst, dass ihnen nicht geglaubt werde. Einmal hatte er einen Fall, bei dem eine Frau auf ihren Ehemann einschlug und mit dem Messer auf ihn losging. »Er hielt sie fest, drückte sie auf den Boden. Danach hatte sie Hämatome an den Handgelenken und zeigte ihn an«, erinnert sich Becker. »Nun sagen Sie mir, wer ist hier Opfer und wer ist Täter? Und vor allem: Wie wollen Sie das beweisen?«
Von Schnittwunden über Bisse bis hin zu Schlägen habe Becker alles schon erlebt. Doch nicht immer handele es sich um körperliche Gewalt. Oft seien es Psychoterror, Stalking und Drohungen, Eifersucht und soziale Isolation. Besonders, wenn Kinder im Spiel sind.
Dann fällt schon mal der Satz: Trenn dich und du wirst dein Kind nie wieder sehen. Es gibt Internetforen, in denen sich Frauen informieren und gegenseitig beratschlagen, wie sie ihrem Partner den Kontakt zu seinem Kind unterbinden können. Nicht selten wird vorgeschlagen, den Vorwurf sexuellen Missbrauchs oder körperlicher Gewalt in den Raum zu stellen.
Becker erlebe häufig den Fall, dass Frauen und Männer zu ihren gewalttätigen Partnern zurückgingen. Warum? »Man erhofft sich die guten Zeiten zurück. Die Anfangszeit, die Verliebtheitsphase«, erklärt Becker. Man habe die Hoffnung, dass es besser werde, jetzt, da man doch wisse, wo die Fehler lägen. Die Erfahrung zeige aber: »Das funktioniert in den allermeisten Fällen nicht.«
Auch bei Aloys O. liefen alle Versuche, die Situation zu verbessern, ins Leere. »Meine Bedürfnisse hat sie ignoriert und mir mehrmals meine Männlichkeit abgesprochen«, sagt er. Er zog die Konsequenzen und verließ sie nach einem Jahr Beziehung – doch der emotionale und finanzielle Schaden blieb. »Da sie einen teuren Lebensstil pflegte und ich ihr immer wieder mit Geld aushelfen musste, war ich auch finanziell nicht mehr in guter Verfassung. Ich habe mir damals keine weitere Hilfe geholt«, sagt der heute 42-Jährige. Er sei sich nicht der Tatsache bewusst gewesen, dass er Opfer häuslicher Gewalt geworden sei. »Infomaterial, egal welcher Art, gab es nicht und Männer wurden als Opfer häuslicher Gewalt eher ausgelacht, als dass ihnen Hilfe angeboten wurde. Erst mit der Zeit habe ich verstanden, was da passiert ist.«

Da es regional zu wenig Angebote gibt, wurde vor einigen Jahren das
»Die Männer, die hier anrufen, berichten mir häufig von psychischer Gewalt rund um Psychoterror, Erpressung und Stalking, aber auch von massiven körperlichen Übergriffen«, sagt Süfke. Die Anrufer möchten oft anonym bleiben. Gewalt gegen Männer sei nach wie vor ein sehr schambehaftetes Thema, sagt der Psychologe. Seiner Meinung nach liege das an der gesellschaftlichen Prägung. »Wir haben alle dieses Geschlechterstereotyp in den Köpfen«, sagt Süfke. Dieses sehe Männer als Täter und Frauen als Opfer. »Es fällt uns generell schwer, Ausnahmen davon zu denken.« Mitgefühl für Männer, die unter Gewalt litten, gebe es kaum.
Dabei sei Gewalt gegen Männer – abseits von häuslicher Gewalt – nicht die Ausnahme, sondern die Regel, sagt Süfke. »Überall, wo wir hinsehen, sei es die Familie, Krieg und Flucht, Schlägereien auf dem Schulhof, sind es immer wieder auch Männer, die von Gewalt betroffen sind.« Süfke appelliert an Betroffene, sich frühzeitig beraten zu lassen.
Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich Hilfe zu suchen. Im Gegenteil: Es ist ein Zeichen von Mut.
Im Februar dieses Jahres beschloss der Bundesrat
Gewalthilfegesetz
Das kürzlich verabschiedete Gewalthilfegesetz stärkt den Schutz von Frauen und Kindern vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Es garantiert einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung. Einheitliche Grundsätze und Mindeststandards für Hilfeeinrichtungen werden eingeführt, um die Qualität der Unterstützung zu sichern. Das Gesetz wurde am 31. Januar 2025 vom Bundestag verabschiedet und erhielt am 14. Februar 2025 die Zustimmung des Bundesrats. Familienministerin Lisa Paus betonte die Bedeutung dieses Meilensteins im Kampf gegen Gewalt an Frauen.
Wie schätzt Experte Süfke diese Tatsache ein? »Natürlich ist es aus Sicht des Männergewaltschutzes schade, dass nichtweibliche Opfer zunächst nicht im Gesetz mitberücksichtigt werden. Aber wie ich die politischen Abläufe verfolgt habe, wäre ohne diesen Ausschluss der Männer und non-binären Menschen das Gesetz in dieser Legislaturperiode gar nicht verabschiedet worden«, erklärt der Psychologe. Dies wäre die deutlich schlechtere Alternative gewesen. Er habe jedoch auch Hoffnung. »Ich denke, dass in den kommenden Jahren, wenn der Ausbau der Frauengewaltschutz-Infrastruktur hoffentlich plangemäß voranschreitet, die Belange von männlichen und non-binären Opfern sowohl mitgedacht als auch konkret hinzugefügt werden.«
Diese Hoffnung teilt Aloys O. Vor allem wünscht er sich mehr Aufklärung. »Es braucht mehr niederschwellige Info- und Hilfsangebote. In einigen Frauenklos hängt ein Plakat, das über häusliche Gewalt informiert, bei Männern hängt da höchstens ein Kondomautomat«, kritisiert Aloys O. Auch den Ausbau von Schutzeinrichtungen hält er für wichtig.
Experten betrachten die Statistiken des BKA kritisch

Wie hoch ist die Zahl der von häuslicher Gewalt betroffenen Männer wirklich? Traut man den Zahlen des BKA, so handelt es sich um etwa 20%. Der Psychotherapeut und -analytiker Prof. Dr. Christian Roesler geht sogar noch einen Schritt weiter. Auf Grundlage internationaler Studien kommt er zu dem Ergebnis, dass Partnerschaftsgewalt gleichermaßen Männer und Frauen betrifft. Das führt er auch in seinem
Auch die Gewaltforscherin und Politologin Dr. Monika Schröttle sieht die Statistik des BKA zu häuslicher Gewalt gegenüber Männern kritisch – jedoch aus einer anderen Perspektive. »Bei polizeilichen Einsätzen behaupten männliche Täter immer wieder, sie seien die Opfer und die Frau sei gewalttätig gewesen. Das geht dann auch in die Statistik mit ein«, gibt Schröttle zu bedenken. Insofern könne es auch sein, dass männliche Täter fälschlicherweise als Opfer erfasst würden.
Die Leiterin des Forschungsbereichs »Gender, Behinderung, Menschenrechte und Gewalt« am Institut für empirische Soziologie (IfeS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat den Aufbau des Hilfetelefons für Männer wissenschaftlich begleitet und evaluiert. »Es wurde deutlich, dass viele Männer keine Zufluchtsstelle benötigen, da es sich in den meisten Fällen nicht um schwere Gewalt handelt«, sagt die Nürnberger Politologin. Stattdessen sei eher psychosoziale Beratung gefragt gewesen. »Insofern glaube ich nicht, dass wir mehr Schutzeinrichtungen benötigen.«
Aloys O. ist mittlerweile seit 8 Jahren verheiratet und hat zusammen mit seiner Frau 2 Söhne. Inzwischen habe er eine glückliche, intakte Beziehung. Die Erinnerungen an die Gewalterfahrungen hätten ihn dennoch nie ganz losgelassen.
Maßnahmen gegen häusliche Gewalt gegen Männer

Es gibt verschiedene Stellschrauben, an denen Politik und Gesellschaft ansetzen können, um Gewalt gegen Männer vorzubeugen, Betroffenen zu helfen und der Stigmatisierung entgegenzuwirken. Hier sind einige davon:
- Mediation in Anspruch nehmen: Eine Mediation kann helfen, Konflikte zu entschärfen und eine konstruktive Kommunikation zwischen den Beteiligten zu ermöglichen. Dies kann besonders wichtig sein, wenn Gewalt in der Partnerschaft eskaliert und ein sicherer Ausweg gesucht wird.
- Schutzräume und Notunterkünfte für Männer ausbauen: Bisher gibt es nur wenige Schutzeinrichtungen für männliche Opfer häuslicher Gewalt. Der Ausbau solcher Angebote ist essenziell, damit Betroffene eine sichere Anlaufstelle haben. Gleichzeitig müssen bestehende Hilfsangebote stärker beworben werden, damit Männer wissen, dass es Unterstützung gibt und sie sich nicht allein fühlen.
- Spezialisierte Beratungsstellen stärken: Viele Beratungsangebote richten sich primär an weibliche Opfer häuslicher Gewalt. Es ist wichtig, dass es auch gezielte Anlaufstellen für Männer gibt, die Unterstützung in Form von psychologischer Betreuung, rechtlicher Beratung und sozialer Hilfe bieten.
- Sensibilisierung in der Gesellschaft und Medienkampagnen: Häusliche Gewalt gegen Männer wird oft tabuisiert oder ins Lächerliche gezogen. Öffentlichkeitskampagnen können dazu beitragen, dieses Thema sichtbar zu machen und Vorurteile abzubauen. Aufklärung in Schulen, sozialen Netzwerken und den Medien ist entscheidend, um Betroffenen Mut zu machen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
- Schulungen für Polizei und Justiz: Männer, die häusliche Gewalt erleben, stoßen oft auf Vorurteile, wenn sie Anzeige erstatten oder Hilfe suchen. Spezielle Schulungen für Polizei, Sozialarbeiter und Justizbeamte können dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und sicherzustellen, dass männliche Opfer ernst genommen und angemessen unterstützt werden.
- Niedrigschwellige Hilfsangebote und Hotlines: Viele Männer zögern, sich Hilfe zu holen, da sie Angst vor Stigmatisierung haben. Anonyme und leicht zugängliche Hilfsangebote wie Telefon- und Onlineberatungen sind essenziell, um eine erste Anlaufstelle zu bieten. Diese Angebote sollten speziell auf die Bedürfnisse männlicher Opfer zugeschnitten sein.
- Prävention und Aufklärung in Partnerschaften: Ein respektvoller und gewaltfreier Umgang sollte von Anfang an in Partnerschaften gefördert werden. Beziehungsberatungen und Workshops zu Konfliktbewältigung können helfen, Eskalationen zu vermeiden. Auch Programme zur Förderung emotionaler Kompetenz und gewaltfreier Kommunikation sind wichtig, um Gewalt frühzeitig entgegenzuwirken.
- Rechtliche Gleichstellung und Schutzmaßnahmen verbessern: Männliche Opfer häuslicher Gewalt sollten denselben Zugang zu Schutzmaßnahmen haben wie weibliche. Das betrifft beispielsweise die Möglichkeit, einstweilige Verfügungen zu erwirken oder sicheren Wohnraum zu erhalten. Gesetzliche Regelungen sollten geschlechtsneutral formuliert sein, um sicherzustellen, dass alle Betroffenen gleichermaßen geschützt werden.
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