Das Comeback der Biber: Über die Bedeutung einer Schlüsselart
Einst für ihren Pelz und ihr Fleisch fast ausgerottet, werden Biber heute von Natur- und Klimaschützern bejubelt. Andere sehen in ihnen einen Schädling. Was sie uns wohl erzählen würden, wenn sie sprechen könnten? Ein fiktives Interview zum Welttag des Bibers.
Ganz schön anstrengend, dieser Weg durch Sträucher und Pfützen hindurch. Insbesondere, da es bereits dämmert. Fast hätte ich einen Gummistiefel verloren. Kleine Teiche wechseln sich mit Biberdämmen ab. Mühsam klettere ich über einen umgefallenen Baum, die Fraßspuren am Baumstumpf sind noch ganz frisch. Während ich so durch den Auenwald stapfe, sehe ich immer wieder Bäume mit Bissspuren. Sie stammen vom größten in Deutschland lebenden Nagetier.
Seine Namen sind so vielfältig wie seine Aufgaben für die Ökologie von Gewässern: Im Volksmund wird er Meister Bockert genannt, auf Latein Castor fiber und in der Alltagssprache Biber. Ganz korrekt wäre es, Europäischer oder Eurasischer Biber zu sagen.
In den letzten Jahren hat er ein echtes Comeback hingelegt.
Anfang des Jahres wurden die Tiere einer tschechischen Biberfamilie zu Medienstars: Sie hatten bei Brdy in der Nähe von Prag einen Bewässerungsgraben renaturiert, was Behörden jahrelang an der gleichen Stelle geplant hatten, und damit viel Geld gespart. Das begeisterte die Menschen auch in Deutschland, nicht zuletzt deshalb interessieren sich viele nun für ihre Lebensweise und Talente.
Was uns Biber wohl erzählen würden, wenn sie sprechen könnten?
Im Hintergrund plätschert es, ich höre ein Rascheln im Gebüsch und eine piepsige Stimme, die fragt: »Mama? Papa? Was ist denn das? Es ist fast so klein wie wir. Aber ein Biber ist es nicht.« Das Plätschern kommt näher und ein ausgewachsener Biber, von Kopf bis Schwanzspitze ungefähr 1,40 Meter groß, tritt aus dem Gebüsch. Er hält einen Weidenast in seinen Vorderpfoten.
Das folgende fiktive Interview basiert auf Informationen des NABU und BUND Naturschutz sowie einem Gespräch mit dem Biologen und langjährigen Bibermanager Gerhard Schwab.
Biber:
Hallo, was machst du denn in unserem Biberrevier? Gibt es schon wieder Ärger mit Landwirt:innen? Oder haben wir in den Augen von euch Menschen den falschen Baum gefällt?
Andrea Schöne:
Hallo, Meister Bockert! Dich habe ich tatsächlich gesucht, um dir ein paar Fragen zu stellen. Es war gar nicht so einfach, dich zu finden, weil ich mit meinen kurzen Beinen (Anmerkung der Redaktion: die Reporterin ist kleinwüchsig) schwer durch Pfützen waten kann. Keine Sorge, es gibt keinen Ärger. Biber waren in den letzten Wochen große Medienstars und die Menschen wollen nun mehr über eure Landschaftsgärtnerei erfahren.
Biber:
Oh, das wundert mich. Im Bibergedächtnis ist noch lange nicht vergessen, wie ihr uns fast ausgerottet habt. Im Mittelalter wolltet ihr eure eigenen Fastenregeln nicht einhalten. Offenbar ist es euch zu langweilig geworden, nur Fische zu essen. Deshalb habt ihr uns zu Fischen erklärt, weil wir ebenfalls im Wasser leben. Unsere Pelze fandet ihr auch toll und nicht zuletzt unser Sekret, genannt Bibergeil. Ich markiere damit nur mein Revier.
Ihr habt uns so stark bejagt, dass wir in Bayern im Jahr 1866 ausgerottet waren. Im Rheinland gab es unsere Ahnen zum letzten Mal 1877. Vor 70 Jahren waren wir fast in ganz Europa ausgerottet. Nur in Mitteldeutschland, Südfrankreich, im südlichen Norwegen und in Russland und Belarus gab es uns noch.
Was die Menschen euren Vorfahren angetan haben, tut mir leid. Heute isst kaum jemand mehr Biber, Pelze sind verpönt und euer Sekret können wir inzwischen synthetisch herstellen. Dafür haben es sich Naturschützer:innen und Biolog:innen zum Ziel gesetzt, dass es wieder mehr Biber gibt. Durch Auswilderungsprogramme zum Beispiel.
Im tschechischen Brdy, in der Nähe von Prag, baute eine Biberfamilie Dämme genau an der Stelle, wo die Menschen 6 Jahre planten, den Bach zu renaturieren. Die Biberfamilie war schneller und die Gemeinde spart nun 1,2 Millionen Euro. Das finden alle toll.
Biber:
Das gibt’s ja nicht? Unser Sohn Rudi ist also eine kleine Berühmtheit geworden. Es ist die Familie von meinem Sohn, die die Dämme in Tschechien gebaut hat. Da ihr Menschen euch in Deutschland so breit macht, müssen wir unsere erwachsenen Kinder kreuz und quer durch die Bäche und Flüsse in ganz Europa schicken, damit sie ihr eigenes Revier finden.
Da hast du recht. Die Städte sind gerade für Jungbiber, die ein eigenes Revier suchen, eine große Hürde. Trotz großer Bemühungen gibt es immer noch viele Landstriche in Deutschland, wo es keinen einzigen Biber gibt.
Was genau fresst ihr eigentlich?
Biber:
Wir fressen am liebsten die Rinde, kleinen Äste und Blätter von Bäumen und Sträuchern. Ein bisschen Mais, Getreide oder Zuckerrüben von den Feldern der Landwirt:innen verschmähen wir aber auch nicht. Das finden aber nicht alle lustig. Die Angler:innen denken wiederum, wir würden ihre Fische fressen. Dabei sind wir Vegetarier:innen.
Ich habe gehört, ihr seid richtige Workaholics. Fällt ihr wirklich 200 Bäume im Jahr?
Biber:
So große Workaholics sind wir nicht. Wir arbeiten hier alle zusammen. Dammbau und die Pflege der Dämme ist Familiensache. Ich verstehe nicht, warum das so viele stört? Außer die Biberberater:innen, die wollen uns wenigstens helfen.
Biberberater:innen
Biberberater:innen unterstützen ehrenamtlich die Aufgaben hauptamtlicher Bibermanager:innen. Sie lösen in direkter Abstimmung mit den Unteren Naturschutzbehörden und den Betroffenen einen Großteil der Konflikte, die Bürger:innen mit Bibern haben. Die Unterstützung der Biberberater:innen kann bei der jeweiligen Unteren Naturschutzbehörde oder beim Landratsamt angefragt werden. Die Zahl der Biberberater:innen ist von Landkreis zu Landkreis verschieden. Bei größeren Konflikten werden Bibermanager:innen hinzugezogen.
Neben Biberberater:innen erkennen auch immer mehr andere Menschen die Bedeutung von eurer Arbeit an. Manche nennen euch sogar Ingenieur:innen der Natur. Warum sind die Dämme so wichtig für euch, und nach welchen Kriterien baut ihr diese?
Biber:
Keine Ahnung, was Ingenieur:innen sein sollen. Dämme zu bauen, liegt uns einfach. Schon unsere kleine Tochter Mia hat angefangen, beim Spielen Dämme zu bauen. Kleiner Scherz. Die Kleinen müssen erst mal schwimmen lernen. Dazu wirft meine Partnerin sie ins Wasser, was sie anfangs gar nicht mögen. Und dann wollen sie plötzlich gar nicht mehr raus.
Meine Mutter erzählt mir auch immer, dass ich als kleines Kind erst nicht baden und dann nicht mehr raus aus der Wanne wollte. Aber noch mal zurück zur Frage: Warum genau baut ihr Dämme?
Biber:
Wir stauen das Wasser an, um unsere Burg zu schützen. Der Eingang liegt unter Wasser und wir brauchen genug Raum, um zu tauchen. Im Inneren der Burg ziehen wir unsere Kinder auf und schützen sie auf diese Weise vor Hier siedeln wir aber nur, wenn wir in unserem Revier keine tieferen Gewässer finden. Für den Dammbau nutzen wir meist Zuflüsse oder Bachgabelungen. Oft dient uns ein Felsen oder Baumstamm als Ausgangspunkt für unsere Konstruktion, um den wir unseren Damm drumherum bauen. Unsere Familie hat 6–7 Dämme gebaut, unser Nachbar sogar 21.
Welche Vorurteile haben die Menschen gegenüber euren Dämmen?
Biber: Das sind alles Beispiele aus dem Oberallgäu. Dort sollen Verwandte von mir geschossen werden, weil Biber angeblich nur Schaden anrichten! Dabei hat mein Sohn Rudi doch das Gegenteil bewiesen.
Es ist aber nicht die Regel, dass Biber geschossen werden sollen. Außerdem setzen sich Naturschützer:innen für deine Verwandten im Oberallgäu ein. Welche Konflikte gibt es noch?
Biber:
Die Landwirt:innen beschweren sich immer wieder, dass wir ihre Felder fluten, während sie uns keinen Raum zum Leben in unserem Bach lassen. Und sie behaupten, unsere Familie verputzt ein ganzes Maisfeld alleine. So viel fressen wir gar nicht. Oder wir würden Wälder vernichten, obwohl wir nur ein paar Bäume fällen und Äste fressen.
Einmal habe ich mit meiner Familie einen Apfelbaum gefällt. Ach, der Baum roch wirklich lecker. Und dann waren die Menschen, in deren Garten er stand, sehr unglücklich. Als wir auch den Birnbaum fällen wollten, habe ich in Draht gebissen.
Wie können Mensch und Biber nebeneinander leben?
Der Bibermanager Gerhard Schwab empfiehlt, zum Schutz von Bäumen Estrichgitter anzubringen. Diese werden einen Meter hoch senkrecht am Baumstamm aufgestellt und um den Baum gewickelt und mit Kabelbinder festgebunden. Wächst der Baum nach, kann man das Gitter etwas öffnen und neu befestigen. Soll der Biber an einer bestimmten Stelle an einem Bach das Wasser nicht stauen, können dort Kanister mit Steinen angebracht werden, die den Biber vertreiben.
Da haben die Menschen dem zweiten Obstbaum wohl eine Drahthose verpasst, damit ihr ihn nicht mehr fressen könnt. Offenbar haben die Menschen euch zunächst ignoriert und erst reagiert, als ihr einen für sie wichtigen Baum gefällt habt.
Biber:
Lasst uns in erster Linie am Leben und schafft mehr Lebensraum für uns. Was ihr Renaturierung nennt und dafür sehr viel Geld ausgebt, nennen wir unser Zuhause.
Da fällt mir ein, dass Kolleg:innen von euch während des Dürresommers 2022 das Ökosystem des Bachs nahe meinem Zuhause gerettet haben. Vielen Dank dafür! Zugegeben: Auch hier gab es erst die Behauptung, die Biber hätten den Bach trockengelegt – bis sich herausstellte, dass sich im Biberteich Wasserpflanzen, Fische und Muscheln vor dem Tod retten konnten.
Biber:
Wir sind in der Tat sehr gut darin, stehende Gewässer zu schaffen. Unsere Dämme mindern auch die Strömungsgeschwindigkeit von Fließgewässern. Das verringert die Erosion des Ufers von Fließgewässern.
Da du gerade Dürren angesprochen hast. Wir schützen auch auf radikale Weise das Klima. Unsere Teiche lassen das Wasser besser versickern und füllen damit Grundwasservorräte auf. Wenn der Grundwasserspiegel steigt, wird die Landschaft besser mit Wasser Ganz nebenbei profitieren davon auch die Landwirt:innen. Auch die Wasserqualität wird besser, weil die Gewässer insgesamt abwechslungsreicher werden. Zum Beispiel gibt es Flachwasserzonen mit höherer Wassertemperatur als das restliche Gewässer, Totholz, schnell und langsamer fließende Bereiche.
Gleichzeitig schützen wir euch Menschen vor Hochwassern. Unsere Dämme federn die Wassermengen ab und dann rauschen sie langsamer durch eure Dörfer und Städte.
Schlüsselarten
Der Begriff stammt vom Zoologen Robert Paine. Erst durch eine Schlüsselart kann ein Ökosystem seine Stabilität und Artenvielfalt erhalten. Wenn das Schlüsseltier verschwindet, dann verändert sich das Ökosystem stark und andere Arten sterben möglicherweise aus, die von diesem Schlüsseltier abhängig sind, oder das Ökosystem kollabiert gar. Der Biber ist ein Ökosystem-Ingenieur, indem er seine Umgebung gestaltet und verändert, wodurch er Lebensräume und ökologische Nischen für andere Lebewesen schafft.
Durch eure vielfältige Umgestaltung der Landschaft siedeln sich auch immer mehr Pflanzen und andere Tiere in euren Revieren an, weil sie dort gut leben können.
Biber:
Keine Ahnung, was ein Schlüsseltier sein soll. Aber seitdem wir hier wohnen, gibt es mehr Fische, Libellen, wunderschöne Blumen. Im toten Baum dort drüben wohnt eine Spechtfamilie und nachts sehen wir Fledermäuse.
Schlüsseltierarten wie Biber schaffen genau so ein Umfeld. Die Menschen nennen das Artenreichtum oder Biodiversität.
Biber:
Wir nennen es unser Zuhause.
Redaktionelle Bearbeitung: Maria Stich
Mit Illustrationen von
Frauke Berger
für Perspective Daily
Andrea Schöne hat als freie Journalistin schon für bento, ze.tt und jetzt.de geschrieben. Sie gibt Workshops über die Darstellung von Behinderung und inklusive Schule aus der Perspektive von behinderten Menschen und ist Teil des Teams von Sensitivity Reading Deutschland. Derzeit studiert Andrea im Masterprogramm Global Cultures der Universität Bologna.