Aufregung um das Le-Pen-Urteil? Wie Rechte weltweit Zweifel an der Justiz säen
Trump, Bolsonaro und jetzt Le Pen – Rechtspopulist:innen landen immer häufiger vor Gericht. Für ihre Anhänger:innen ist das eine Hexenjagd. Was steckt wirklich dahinter?
Die französische Politikerin Marine Le Pen wurde am 31. März 2025 wegen
Daneben wurde der ehemaligen Parteichefin des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) das passive Wahlrecht mit sofortiger Wirkung für 5 Jahre aberkannt. Das bedeutet, dass sie 2027 nicht zur Präsidentschaftswahl antreten darf. Dabei hätte sie durchaus Chancen gehabt, die Wahl zu gewinnen.
Das Urteil erhitzt die Gemüter – nicht nur in Frankreich. Le Pen selbst spricht

Der Fall Le Pen ist nicht die einzige Gerichtsentscheidung gegen eine:n Politiker:in, die öffentlich umstritten ist. In Brasilien ließ der Oberste Gerichtshof kürzlich eine Anklage gegen den ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro zu. Der Vorwurf: Planung eines Staatsstreichs. Ihm wird vorgeworfen, die Ermordung des aktuellen Präsidenten Lula, des Vizepräsidenten und eines Richters des Obersten Gerichtshofes geplant zu haben. Zuvor war ihm bereits wegen Machtmissbrauchs und versuchter Wahlmanipulation das passive Wahlrecht aberkannt worden.
Auch der US-Präsident Donald Trump wurde unter anderem wegen Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten
Sind die immer lauter werdenden Vorwürfe einer politisch motivierten Justiz also berechtigt? Was macht dieser oft hasserfüllte Diskurs mit dem Rechtsstaat? Und: Wie erkennt man überhaupt, ob ein Urteil unabhängig gefällt wurde oder nicht?
Was in der Debatte in Frankreich falsch läuft
Werfen wir zunächst einen Blick nach Frankreich. Rechtliche Grundlage des Urteils ist das Gesetz Sapin II. Es ermöglicht bei Korruptionsfällen nicht nur den Entzug des passiven Wahlrechts, sondern macht ihn mit sofortiger Wirkung verpflichtend.
Das Gesetz sieht zwar die Möglichkeit vor, mit Rücksicht auf die Persönlichkeit des Täters oder der Täterin von einer Strafe abzusehen. Bei Le Pen hat das Gericht jedoch davon abgesehen, unter anderem mit Verweis auf die Wiederholungsgefahr.
Diese Entscheidung wurde von 3 unabhängigen Richter:innen getroffen. So soll die politische Neutralität durch gegenseitige richterliche Kontrolle gestärkt werden.
Auch ist das Le-Pen-Urteil kein Sonderfall im französischen Justizsystem: Bereits in der Vergangenheit haben Gerichte prominenten Politiker:innen wie
Zudem hat sie die Möglichkeit, in Berufung zu gehen, das Urteil also in zweiter Instanz überprüfen zu lassen. Die rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen funktionieren – ein wichtiger Indikator für die Unabhängigkeit von Gerichten.
Noch im Jahr 2013 hatte Le Pen selbst gefordert, korrupte demokratische Mandatsträger:innen sollten das passive Wahlrecht verlieren. Sie tritt auch immer wieder für eine Verschärfung des Strafrechts ein. Nun will sie für sich eine juristische Sonderbehandlung?
Angriffe auf den Rechtsstaat: ein globales Phänomen
Auch in anderen Ländern wie Brasilien und den USA steht die Justiz unter Druck. Ihr werden Parteilichkeit und unfaire Verfahren vorgeworfen. Diese Angriffe kommen in beiden Ländern insbesondere aus dem rechtspopulistischen Spektrum und haben konkrete Folgen.
In Brasilien etwa hat der ehemalige Präsident Jair Bolsonaro bereits vor seiner Abwahl das Vertrauen in das Wahlsystem und den Obersten Gerichtshof systematisch untergraben.

Unter anderem wird Bolsonaro wegen genau dieser Anstiftung und Organisation der Gewalt gegen die demokratischen Institutionen vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt.
Obwohl der Prozess gerade erst begonnen hat, behauptet Bolsonaro bereits, dass der Oberste Gerichtshof bei der Beurteilung des Falles parteiisch sei und seine Bestrafung sicher.
Mit diesem Vorgehen versucht der Rechtspopulist, seine Anhänger zu mobilisieren. Dadurch will er seine Basis im Parlament dazu bringen, ein Amnestiegesetz zu verabschieden, das seine Bestrafung verhindern könnte. Er versucht also, die Judikative zu delegitimieren, um über den Umweg der gesetzgebenden Gewalt – also des Parlaments – Straffreiheit zu erhalten. Noch bleibt der Oberste Gerichtshof unbeeindruckt gegenüber diesen Drohgebärden.
In den USA hingegen zeigt der rechtspopulistische Versuch, Gerichte zu schwächen, bereits Wirkung. In zahlreichen Fällen wurde die Justiz angerufen, präsidiale Anordnungen von Donald Trump zu überprüfen, mit denen umstrittene Maßnahmen ohne Zustimmung des Kongresses durchgesetzt wurden. Dazu zählt etwa die Aussetzung der Staatsbürgerschaft für in den USA geborene Personen. In einem der
Nun verfolgen Trump und seine Verbündeten eine doppelte Strategie: Zum einen legen sie Berufung gegen die Entscheidung ein. Zum anderen nennen sie den Richter voreingenommen, einen linken Spinner oder gar einen Aktivisten, der sich nur als Richter ausgebe.

Die Folgen sind gravierend: Die Bürger:innen verlieren das Vertrauen in den Rechtsstaat, während die eigentlichen Straftaten der Angeklagten in den Hintergrund treten.
Woran du eine unabhängige Justiz erkennst
Eine unabhängige und unparteiische Justiz ist für einen demokratischen Rechtsstaat essenziell. Richter:innen müssen das Recht objektiv anwenden, um die Gleichheit aller vor dem Gesetz und ein faires Verfahren zu gewährleisten. Und zwar unabhängig von politischen Überzeugungen, persönlichen Vorlieben, Freundschaften oder Feindschaften.
Aber wie können wir Unparteilichkeit und ein faires Verfahren erkennen? Die folgenden Kriterien geben Anhaltspunkte, um das einzuschätzen:
- Gesetzlich bestimmte Gerichte: Gesetze regeln die Zuständigkeit von Gerichten: Wie die Gerichte zusammengesetzt sind, wie Richter:innen ernannt werden, wie lange sie im Amt sind oder welche Befugnisse sie haben und wie die Verfahren ablaufen. Ohne klare Regeln gibt es kein faires Verfahren. Man kann sich also fragen, ob es diese festgeschriebenen Regeln in einem Land gibt und ob sie eingehalten werden.
Im Fall Le Pen musste das Strafgericht zunächst klären, ob es für dieses Strafverfahren zuständig ist. Dies ist gesetzlich so vorgeschrieben. Erst dann konnte der Prozess eröffnet werden. Ohne diese Prüfung wäre ein faires Verfahren nicht möglich gewesen. Ebenso problematisch wäre es gewesen, wenn die Staatsanwaltschaft oder Le Pen das Gericht eigenmächtig ausgewählt hätten. Dann läge eindeutig Parteilichkeit vor. - Unabhängige Gerichte: Gerichte müssen unabhängig von Regierung und Parlamenten arbeiten. Eine Regierung darf also nicht in Gerichtsprozesse eingreifen oder diese beeinflussen. Ebenso ist es der Regierung untersagt, Richter:innen willkürlich zu entlassen, beispielsweise als Folge unliebsamer Entscheidungen. Eine wichtige Frage, um ein Urteil einzuschätzen, ist also: Werden Gerichte durch Regierung oder Parlament unter Druck gesetzt oder auf andere Weise beeinflusst?
In den Vereinigten Staaten lässt sich eine solche Einflussnahme aktuell beobachten. So drohte Trump dem US-Bezirksrichter, der den Abschiebestopp verhängte, mit einem Amtsenthebungsverfahren – ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. - Unparteiische Richter:innen: Richter:innen sind parteiisch, wenn sie über Familie, Freunde, Bekannte oder notorische Feinde urteilen oder wenn ihre Entscheidung Auswirkungen auf ihre eigene finanzielle Situation hat.
Man sollte sich also fragen: Über wen wird geurteilt? Hat das Urteil persönliche Konsequenzen für die Richter:innen? Gibt es öffentliche oder inoffizielle Äußerungen, die auf eine Befangenheit schließen lassen?
Im Kontext des Bolsonaro-Prozesses könnte die Frage aufgeworfen werden, inwiefern der Richter des Obersten Gerichtshofs als unparteiisch zu betrachten ist, wenn der Ex-Präsident ein Attentat auf ihn geplant hat. Würde man dieser Logik jedoch folgen, könnte jede:r Angeklagte seine:n Richter:in mittels Morddrohung zum Rücktritt nötigen. Um derartige Auswüchse zu verhindern, werden Richter:innen in solchen Fällen grundsätzlich nicht ersetzt.
Diese Praxis könnte jedoch neu bewertet werden, zum Beispiel wenn ein:e Richter:in sich öffentlich oder inoffiziell für die Bestrafung eines:r Angeklagten ausspricht. Denn ein solches Handeln wäre als deutlicher Hinweis auf Befangenheit zu werten. In Brasilien ist dies jedoch nicht der Fall. Der zuständige Richter kann in diesem Sinne als unparteiisch eingeschätzt werden.
Jede Gerichtsentscheidung hat eine politische Dimension. Trotzdem ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit politisch brisante Gerichtsentscheidungen mit kühlem Kopf bewertet. Die Kriterien und Leitfragen können dabei eine Hilfe sein. So kann verhindert werden, dass wir uns vom hetzerischen Diskurs der globalen Rechten mitreißen lassen, der nur eines im Sinn hat: den allmählichen Abbau von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Institutionen.
Redaktionelle Bearbeitung: Julia Tappeiner
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