Alle wollen ihn, nur wenige verstehen ihn: Frieden, erklärt in 7 Fragen
Was genau meinen wir, wenn wir von Frieden sprechen? Warum ist er so schwer zu erreichen? Und vor allem: Wie kommen wir einem Kriegsende in der Ukraine näher? Die Friedens- und Konfliktforschung gibt Antworten.
Mit dem Frühlingserwachen keimte auch die Hoffnung auf Frieden: So war zuletzt die Rede von ersten Schritten hin zu einem Waffenstillstand in der Ukraine.
Donald Trump hatte angekündigt, er würde den Krieg innerhalb von 24 Stunden nach seinem Amtsantritt beenden. Im März 2025 begannen dann erste Verhandlungen in Saudi-Arabien mit Delegierten der Ukraine und Russlands unter Vermittlung der USA. Die Parteien einigten sich zunächst auf eine 30-tägige Feuerpause für Angriffe auf die Energieinfrastruktur. Diese war allerdings brüchig, die Parteien warfen sich gegenseitig Verstöße vor.
Hoffnungen auf einen kompletten Waffenstillstand dämpfte der Kreml recht schnell wieder: Bereits Ende des Monats kündigte die russische Führung an, dass es diesen nicht so schnell geben werde, da Russlands Forderungen noch nicht erfüllt seien.
Kurz vor Ostern dann die Ankündigung von Wladimir Putin: Es soll eine Feuerpause über die Ostertage geben. Auch diese wurde schnell gebrochen. Russland und die Ukraine beschuldigten sich gegenseitig, sich nicht daran zu halten.
Warum ist es so schwer, politisch Frieden zu schließen? Was braucht es dafür? Und gibt es noch Hoffnung auf einen Waffenstillstand in der Ukraine?
Weite Teile der Medienlandschaft schreiben viel über Kriege und deren Ursachen – darüber, wie wir sie beenden, und zwar langfristig, weniger. Dieser Text gibt einen Überblick.
1. Wann ist wirklich Frieden? Eine Begriffserklärung
Frieden. Ein Wort, das schön klingt. Doch was es genau bedeutet und ab wann wir wirklich von Frieden sprechen können, das ist den wenigsten klar.
Bedeutet Frieden, dass Länder nicht mit Waffen gegeneinander kämpfen? Können wir von Frieden sprechen, wenn eine Regierung zwar keinen Krieg führt, jedoch die eigenen Bürger:innen einsperrt, wenn sie unerwünschte politische Ansichten vertreten?
Um sich einer Antwort zu nähern, unterscheidet Johann Galtung, Begründer der Friedens- und Konfliktforschung, zwischen negativem und positivem Frieden. Ersterer beschreibt die Abwesenheit von Krieg und physischer Gewalt. Die Basics sozusagen. Positiver Frieden meint zusätzlich: Rechtsstaatlichkeit, demokratische Teilhabe, eine Kultur des gegenseitigen Respekts und konstruktiven Dialogs.
Vollumfänglicher Frieden ist somit ein komplexes Ziel, das mehr erfordert, als nur einen Waffenstillstand abzuschließen.
2. Wie könnte eine friedliche Weltordnung aussehen?
Der Begriff »Weltordnung« meint die internationalen Regeln und Organisationen, die global für Sicherheit und Frieden sorgen.
Kommt es zu bedeutenden internationalen Krisen, geraten vorherrschende Strukturen unter Druck und die Weltordnung kann sich wandeln.
Die sogenannte »liberale Weltordnung«, also jene Ordnung geprägt vom Völkerrecht, den Vereinten Nationen und dem Freihandel, entstand zum Beispiel nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg.
Katharina Wiegmann erklärt die Idee hinter der liberalen Weltordnung:
Blicken wir weiter zurück, so hat auch die Niederlage Napoleon Bonapartes 1814 zu einer neuen Friedensordnung geführt: Nach den napoleonischen Kriegen trafen sich unter anderem die 5 Großmächte Frankreich, Österreich, Preußen, Russland und Großbritannien zum sogenannten »Wiener Kongress«. Dabei wurden Ländergrenzen neu gezogen und die Herrschaftsansprüche der Monarchien wiederhergestellt, die mit der französischen Revolution ins Wanken geraten waren. Die Verhandlungspartner einigten sich auf regelmäßige diplomatische Treffen sowie darauf, ein Machtgleichgewicht einzuhalten, um Konflikte zu vermeiden.
Auch heute stehen wir wieder vor potenziellen Verschiebungen.
Die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff forscht zu Weltordnungen und deren Krisen sowie zu Konflikten und Friedensfindung.
Nicole Deitelhoff
Die Politikwissenschaftlerin leitet den Programmbereich »Internationale Institutionen« im renommierten PRIF-Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt. Sie ist Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Bildquelle: Uwe Dettmar | PRIFSie erklärt, warum unser aktuelles System ins Wanken geraten ist: »Damit eine Ordnung Frieden und Sicherheit garantieren kann, braucht sie das Zutrauen der großen Mehrheit der Staaten, dass sie von dieser Ordnung profitieren und dass alle grundsätzlich bereit sind, sich an die Regeln zu halten.« Beide Elemente seien weggefallen, sagt Deitelhoff: »Wir haben Großmächte, die der Meinung sind, dass diese Ordnung nicht die ihre ist, wie Russland und zum Teil China. Aber auch kleinere Mächte aus dem Globalen Süden haben den Glauben daran verloren, dass sie ihre Interessen gleichberechtigt einbringen können. Sie glauben auch nicht mehr daran, dass der Westen notwendige Reformen angeht.« Selbst Großmächte, die diese Ordnung maßgeblich bestimmten, allen voran die USA, hätten ihre Unterstützung für das System zurückgezogen. Deutlich wird das etwa anhand des Rückzugs aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder dem Pariser Klimaabkommen unter Präsident Donald Trump.
Die Folgen beobachten wir aktuell: Eine zunehmende Zahl von Staaten setzt auf militärische Verteidigung und Bündnisse statt auf das Völkerrecht, um ihre Sicherheitsinteressen zu wahren.
Das ist aber nur eine mögliche Art, Weltpolitik zu interpretieren und darauf zu reagieren. In der Forschung nennt sich diese Sichtweise, die gerade viele Staaten wieder annehmen, »Realismus« (dazu gleich mehr).
Daneben bietet die Disziplin der Internationalen Beziehungen weitere Brillen, durch die man Krieg, Frieden und eine ideale globale Ordnung sehen kann.
Ein kurzer Forschungsexkurs:
- Realismus oder Neorealismus: Diese Denkschule sieht die Welt – grob erklärt – als chaotischen Raum, in dem es keine übergeordnete Regulierung gibt und Staaten bloß ihre eigenen Interessen verfolgen. Um die dadurch entstandene Gewalt zu verhindern, so die Theorie, braucht es ein Machtgleichgewicht. Dieses erreichen Staaten dadurch, dass sie in ihre Verteidigung investieren – klassische »Abschreckungspolitik« also. Diese Denkweise wurde im Kalten Krieg vor allem von den Großmächten Sowjetunion und USA praktiziert. Nun ist sie wieder verstärkt zu beobachten.
- Liberalismus: Vertreter:innen liberaler Theorien gehen, ähnlich wie »Realist:innen«, davon aus, dass Staaten egoistisch handeln. Doch sie trauen Regierungen zu, zu kooperieren und Regeln zu befolgen, da wirtschaftliche Zusammenarbeit den eigenen Interessen dient. Freihandel und Institutionen, die das Einhalten der Regeln sicherstellen, können also zu Frieden führen. Denn, salopp ausgedrückt: Auf einen Wirtschaftspartner schießt man nicht und Stabilität ist gut fürs Business. Die Theorie fand vor allem nach dem Ende des Kalten Krieges Eingang in die politische Praxis: Handelsbarrieren wurden abgebaut, die WTO gegründet, Globalisierung und Freihandel erreichten in den 1990er-Jahren ihren Höhepunkt.
- Sozialkonstruktivismus: Dieser Erkläransatz fokussiert sich weniger auf materielle Dinge und wirtschaftliche Interessen als auf Werte und Interpretationen. Vertreter:innen des Sozialkonstruktivismus sehen Krieg unter anderem als Ausdruck von Missverständnissen zwischen Regierungsvertreter:innen oder der Verbreitung gewisser Überzeugungen, die Feindseligkeiten fördern können. Frieden wird deshalb dadurch erreicht, dass neue Werte in einer Gesellschaft gefördert werden oder die eigene Staatsidentität neu gedacht wird.
- »Kritische Theorien«: Diese jüngste Denkschule der Internationalen Beziehungen versammelt marxistische genauso wie feministische und postkoloniale Theorien unter einem Dach. Der Schlüssel zum Frieden sind hier Gerechtigkeit und Menschenrechte. Übeltäter sind ungleiche Machtstrukturen – zwischen Männern und Frauen oder zwischen Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens. Erst wenn wir Ausbeutung, Neokolonialismus, das Patriarchat und/oder ungerechte Wirtschaftsstrukturen überwinden, kann international Gleichheit, Frieden und Sicherheit herrschen.
Zurück zur politischen Praxis: In welche Richtung wird sich unser System entwickeln? Wie wird die Friedensordnung von morgen aussehen?
Laut Deitelhoff ist das noch nicht absehbar. Entscheidend sei, ob es westliche Staaten schaffen, ein Angebot an den Rest der Welt zu machen, das mit neuen Ideen und Reformen überzeugt. »Und ich hoffe«, fügt die Politikwissenschaftlerin hinzu, »dass es fairere Regeln sein werden, die gerade Staaten im Globalen Süden eine bessere Teilhabe am Handel ermöglichen.« Glücke die Neuordnung nicht, meint Deitelhoff, so könne das System in regionale Teilordnungen zerbrechen und damit anfälliger für zwischenstaatliche Kriege werden.
Deitelhoff glaubt aber nicht, dass die liberale Weltordnung mit ihrer Sicherheitsarchitektur endgültig gescheitert ist:
Wir leben in einer Phase, in der Institutionen mehr ignoriert werden, in denen Großmächte versuchen, sich über sie hinwegzusetzen. Aber das heißt nicht, dass sie keine Wirkung erzielen. Das heißt nur, dass ihre Wirkung momentan nicht so durchschlagend ist, wie wir es uns wünschen würden.
Ohne diese Institutionen, glaubt Deitelhoff, gebe es noch mehr Konflikte, die langwieriger und grausamer abliefen.
3. Sind Demokratien friedlicher als Autokratien?
Es gibt eine These, die in der Politikwissenschaft fast schon wie ein Naturgesetz behandelt wird. Eine Regel, die bisher in der Praxis nicht widerlegt wurde: Liberale Demokratien führen keine Kriege gegeneinander.
Hängen Demokratie und Frieden also unweigerlich zusammen? Sind Demokratien, auch was zwischenstaatliche Konflikte angeht, friedfertiger als Autokratien?
Die empirische Forschung gibt eine klare Antwort: Nein. Zwar führen Demokratien keinen Krieg gegeneinander, geht es aber um nichtdemokratische Länder, so sind Demokratien genauso häufig an gewaltsamen Auseinandersetzungen beteiligt wie Autokratien.
Warum? Laut der in der Politikwissenschaft beheimateten Theorie des demokratischen Friedens, in der auch die Ausgangsthese formuliert wird, verhalten sich Demokratien gegenüber Autokratien aggressiver, weil sie ihnen weniger trauen. Denn während Demokratien ihre internen Konflikte durch gewaltfreie Debatten und klare Regeln lösen, setzen autokratische Herrscher ihre Interessen teils gewaltsam durch. Deshalb fürchten Demokratien, dass von solchen Regimes auch für sie mehr Gefahr ausgehen könnte – und rasseln schneller mit den Säbeln.
Zudem müssen demokratische Regierungen ihre Entscheidungen gegenüber der Bevölkerung rechtfertigen. Sie wollen schließlich wiedergewählt werden. Unterstützung für einen Krieg gegen ein autoritäres Land bekommen sie von der Öffentlichkeit leichter als für einen Krieg gegen ein demokratisches. Zum Beispiel mit der Begründung, eine militärische Intervention gegen ein Regime sei nötig, um Menschenrechtsverletzungen aufzuhalten.

4. Kann man Frieden erzwingen? Das Beispiel der Ukraine
Eine verbreitete Annahme in der Konfliktforschung ist: Will man Kriege zwischen 2 oder mehreren Parteien beenden, gehört ein gewisser Druck von außen dazu. Denn Konfliktparteien lassen sich dann auf Verhandlungen ein, wenn sie denken, dass sie militärisch keine Gewinne mehr erzielen können oder die Kosten für die Weiterführung der Kampfhandlungen zu hoch werden. So kann Druck etwa in Form von Sanktionen zu einem Einlenken führen.
Eine außenpolitische Strategie nennt sich deshalb auch »coercive diplomacy« (auf deutsch: Zwangsdiplomatie) – wenn also zum Beispiel ein Staat mit Sanktionen oder dem Ausschluss aus internationalen Gremien droht, um die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu kriegen und zu konkreten Schritten zur Befriedung des Konflikts zu
Die Frage ist: Wie weit darf der Druck gehen? Sind die Drohungen von Donald Trump, um den russischen Krieg gegen die Ukraine zu beenden, angemessen? Und: Wie erfolgreich ist diese Strategie?
Politikwissenschaftlerin Deitelhoff hält es für schwierig, von außen den richtigen Punkt zu ermitteln, ab dem Konfliktparteien bereit sind, sich angesichts hoher Kosten auf Zugeständnisse einzulassen: »Wenn zu viel Druck aufgewendet wird, dann verändert sich häufig nur das Kräfteverhältnis zwischen 2 Parteien. Es kann passieren, dass die eine Kraft, die zuvor unterlegen war, plötzlich stärker wird und dadurch weniger Interesse hat, einen Konflikt zu beenden.«
Viel effektiver als aktiver Druck sei es deshalb grundsätzlich, wenn die Unterstützung von außen für alle beteiligten Seiten wegfalle. Das führe dazu, dass Konfliktparteien nicht mehr weiterkämpfen könnten. Allerdings hänge dies auch vom konkreten Konflikt ab, fügt Deitelhoff hinzu.
Im Falle der Ukraine habe Donald Trump erst mal klug reagiert: »Er hat gesehen: Es gibt im Konflikt gerade keinerlei Bewegung, also übe ich Druck gegenüber der Partei aus, die ich besser im Griff habe, weil sie abhängiger von mir ist. Das ist dann die Ukraine.« Egal wie man Trumps Drohungen gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, jegliche militärische und finanzielle Unterstützung einzustellen, moralisch bewerten will – es hat funktioniert, befindet Deitelhoff. Selenskyj stimmte dem Vorschlag einer 30-tägigen Waffenruhe zu.
Dann durchkreuzte jedoch der russische Präsident Trumps Pläne, indem er den Vorschlag abwies.
Deshalb findet es Deitelhoff hier richtig, die potenziell unterlegene Seite, also die Ukraine, militärisch zu unterstützen.
5. Ist Gewalt ein legitimes Druckmittel für Frieden?
Als sehr umstrittenes Beispiel für Friedenserzwingung gilt die NATO-Bombardierung des Kosovo 1999. Damals flogen die NATO-Staaten Luftangriffe, um die serbische Regierung unter Slobodan Milošević zu einem Ende der Gewalt in Kosovo zu zwingen. Dieses Ziel wurde zwar erreicht. Viele kritisierten das Vorgehen jedoch als illegal, weil es ohne UN-Mandat erfolgte, und als unverhältnismäßig, weil zahlreiche unschuldige Menschen starben und Gebäude zerstört wurden. Langfristig, so die Kritiker:innen, habe es dem Verhältnis der NATO zu Russland geschadet und den Balkan destabilisiert.
Seitdem legten die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, vor allem Russland und China, regelmäßig Vetos ein, was humanitäre Interventionen seitens westlicher Staaten schwieriger machte.
2005 führte die UN ein moralisches Prinzip ein, das solche Interventionen rechtfertigen sollte: »R2P – Responsibility to Protect« (= Die Verantwortung, zu schützen). 2008 wurde die R2P dann herangezogen, um die Intervention in Libyen zu rechtfertigen, die im Sturz des Gaddafi-Regimes mündete. Manche Staaten kritisierten diese Intervention als ungerechte Einmischung, um die eigenen Interessen zu verfolgen – allen voran Russland und China.
Seit diesen umstrittenen Fällen geriet der Gedanke, man könne wegen Menschenrechtsverletzungen in andere Länder eingreifen, immer mehr in den Hintergrund.
Deitelhoff schließt: »Die Strategie, mit Gewaltanwendung auf Regelverletzungen zu reagieren, hat nicht gut funktioniert. Wir konnten zwar konkrete Menschenrechtsverletzungen beenden. Doch aus der Gewaltanwendung folgten neue Probleme, die oft zu noch schlimmeren Verwerfungen in den jeweiligen Gesellschaften geführt haben. Ohne Gewaltanwendung hat es aber auch nicht geklappt, weil sich besonders skrupellose Regimes dann überhaupt nicht um Forderungen der Regeleinhaltung kümmern, und das heißt ganz banal, ihre Bevölkerung zu schützen.«
Letztendlich gebe es nicht den einen Mechanismus, mit dem man sicherstellen könne, dass Schreckliches auf der Welt vermieden wird. Das sei leider illusorisch.

6. Wie kann ein Friedensabkommen in der Ukraine aussehen?
Wie die historischen Beispiele des Zweiten Weltkriegs oder der napoleonischen Kriege in Frage 2 gezeigt haben, kann die Lösung eines prägenden Konflikts eine neue Weltordnung einleiten. Das heißt: Ein erfolgreiches Abkommen zwischen Russland und der Ukraine könnte die Welt von morgen neu ordnen und zugleich eine Vorlage für die Lösung weiterer Konflikte bieten. Diese These vertreten der US-amerikanische Politikwissenschaftler G. John Ikenberry und der britische Historiker Harold James, die beide an der renommierten Princeton University lehren.
- Angesichts der verzwickten Lage muss es keinen perfekten Deal geben, der alle Konfliktpunkte auflöst.
- Keiner der beiden Staaten darf seine Würde verlieren, wie es 1919 für Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg der Fall war. Die Bedingungen der Friedensverhandlungen für Deutschland waren damals so streng und wurden ausschließlich von den Siegermächten festgelegt, dass man von einem »Diktatfrieden« sprach. Der damit verbundene Frust über die finanziellen und territorialen Einbußen haben mitunter zum Aufstieg des Nationalsozialismus und Ausbruch des nächsten Weltkriegs beigetragen. Deshalb ist für einen dauerhaften Frieden essenziell, dass sich sowohl die Ukraine als auch Russland so schnell wie möglich wirtschaftlich erholen können. Ansonsten wachsen Ressentiments, und ein Widerausbruch der Gewalt wird wahrscheinlicher.
- Externe Mächte sollen dafür sorgen, dass der Waffenstillstand auch eingehalten wird. Die Sicherheitsgarantien dürfen nicht nur auf Papier stehen, sondern müssen vor Ort sichergestellt werden. Zum Beispiel in Form von »Friedenssoldaten«, wie sie die UN in Zypern installierte, um einen erneuten Gewaltausbruch zu verhindern.
- Diese Überwachung gilt für beide Seiten. Für die ukrainische Seite könnten Gesandte der EU diese Rolle übernehmen. Auf russischer Seite könnte die UN chinesische Friedenstruppen einsetzen. Funktioniert diese internationale Konstellation, wäre das der Beweis, dass ein multilaterales Sicherungssystem – ohne Vormachtstellung der USA – möglich ist. Das könnte eine neue Ordnung einleiten.
Bleibt die Frage: Muss die Ukraine einen Teil ihres Territoriums aufgeben, um Frieden zu erreichen? Die meisten Expert:innen gehen mittlerweile davon aus, darunter die beiden oben zitierten Autoren. Sie sagen aber auch, dass Gebietsverluste nicht für immer bestehen müssen. Sie verweisen auf Finnland, das nach dem Zweiten Weltkrieg Gebiete an die Sowjetunion abtrat, Teile davon Jahrzehnte später jedoch zurückerlangte.
Frieden um jeden Preis? Was Ukrainer:innen wollen
Die Korrespondentin Daniela Prugger berichtet, mehr Ukrainer:innen seien kriegsmüde und bereit, für Frieden auf Teile ihres Territoriums zu verzichten. Allerdings nur mit ausreichend Sicherheitsgarantien. Eine Umfrage ergab: Bürger:innen der Ukraine sind kompromissbereit, wenn sie schon skeptisch gegenüber eines möglichen Sieges waren. Wer noch überzeugt ist, die Ukraine könne gewinnen, bleibt bei seinem Standpunkt.
Für Deitelhoff stellt sich nicht die Frage nach dem Ob, sondern nach dem Wie: »Man kann umstrittenes Territorium unter UN-Mandat stellen für einen Zeitraum von 10, vielleicht 20 Jahren. Das wurde in der Vergangenheit auch schon so gemacht.« Eine internationale Schiedskommission könne dann über die Zukunft solcher Territorien entscheiden.
7. Wie sorgt man dafür, dass Frieden hält?
Friedensabkommen sind oft fragil, sie werden gebrochen und sind selten ein linearer Prozess.
- Es hilft, statt eines großen Friedensabkommens kleinere Teilabkommen zu verhandeln, die aufeinander Bezug nehmen. Das gibt den Konfliktparteien mehr Zeit, sich aufeinander zuzubewegen, Vertrauen zu schöpfen und zu bewerten, ob sich die andere Seite an die Abmachungen hält.
- Je mehr Parteien und Betroffene miteinbezogen werden, desto besser. Früher setzten sich nur die politischen Führungskräfte an den Tisch, die verschiedenen Kampfgruppen oder auch zivilgesellschaftliche Gruppen wurden nicht einbezogen. Heute finden Verhandlungen dezentraler statt.
In diesem Text geht es um den »Multitrack-Ansatz« – eine Art der Konfliktlösung, die nicht nur auf der obersten politischen Ebene ansetzt, sondern mehrere Gruppen miteinbezieht: - Die Forschung hat gezeigt, dass es wichtig ist, Frauen in Verhandlungsprozesse einzubeziehen, um Frieden nachhaltiger zu machen.
Katharina Wiegmann erklärt den Ansatz einer feministischen Außenpolitik: - Kriegsverbrechen müssen aufgearbeitet werden. Dafür bedarf es Mechanismen, womit sich eine Gesellschaft ihrer Vergangenheit stellen kann. Ansonsten wird ein Rückfall in die Gewalt wahrscheinlicher.
Hier stelle ich den »Restorative Justice«-Ansatz vor – eine neue Art, Kriegsverbrechen aufzuarbeiten: - Zu einem nachhaltigen Friedensabkommen gehören Entwaffnungs- und Demobilisierungsprogramme. Wenn Waffen schnell aus dem Konfliktgebiet geschafft werden, verringert das die Gelegenheit, wieder nach ihnen zu greifen. Kämpfer:innen brauchen alternative Einkommensmöglichkeiten.
Wie begrenzen wir den Schaden, den Waffen anrichten? Unter anderem durch Rüstungskontrolle. Ein Experte erklärt, was das ist: - Zuletzt zählt noch die internationale Unterstützung. Je mehr Staaten sich hinter einen Friedensvertrag stellen, desto sicherer ist es auch, dass er hält. Denn für Konfliktparteien würde es dadurch schwieriger, bei einzelnen Regierungen Unterstützung für einen erneuten Waffengang zu finden.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily