Keine Sorge: Andere sehen dich nicht so kritisch, wie du vielleicht denkst
Patzer und Pannen sind uns schnell peinlich. Aber psychologische Studien zeigen, dass Missgeschicke oft ganz anders ankommen.
Eine unüberlegte Äußerung, ein Kaffeefleck auf dem Pulli, der uns den Rest des Tages begleiten wird, oder noch schlimmer, ein Kaffeefleck auf dem Pulli des Kollegen, weil wir mit der vollen Tasse in der Hand gestolpert sind – wenn uns solche Missgeschicke passieren, machen wir uns oft
Die gute Nachricht: Vieles spricht dafür, dass wir bei anderen besser ankommen, als wir denken. Dass wir uns selbst oft falsch einschätzen und kritischer mit uns sind, als wir müssten, liegt vor allem an 3 psychologischen Mechanismen. Wenn wir diese Mechanismen kennen, verstehen wir, wann und warum wir zu Fehlschlüssen über uns selbst neigen. Das kann uns helfen, zu erkennen, wann wir uns unnötige Sorgen wegen eines Patzers machen. So können wir zu einem offeneren und entspannteren Umgang mit unseren Fehlern und Schwächen finden.
1. Andere bemerken oft gar nicht, was uns unangenehm ist: der Spotlight-Effekt
PD-Classic
Dieser Artikel erschien zuerst im Februar 2022. Vor Neuveröffentlichung haben wir den Text und seine Quellen noch einmal gründlich überprüft.
Als der Kaffee aus meiner Tasse auf mein Oberteil schwappt, sucht er sich den besten Platz aus: direkt oben in der Mitte, sodass ihn alle gut sehen können, die in Richtung meines Gesichts schauen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, wie irgendjemand den großen braunen Fleck übersehen kann. Es fühlt sich an, als wäre darauf ein Scheinwerfer gerichtet, der dafür sorgt, dass andere Menschen nur noch diese eine Sache an mir wahrnehmen und alles andere danach beurteilen.
Der Scheinwerfer (englisch: spotlight) ist zum Glück nur in meinem Kopf an. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute, die mir begegnen, die dunkle Stelle auf meinem Pullover überhaupt wahrnehmen, ist tatsächlich gering. Darauf deuten zumindest mehrere Studien des Psychologen

In einem Experiment sollten Studierende ein T-Shirt mit einem Foto von Barry Manilow anziehen. Der Schnulzensänger, der mit Hits wie »Mandy«
Einen ähnlichen Effekt fanden Gilovich und seine Kolleg:innen, als es um Beiträge zu einer Gruppendiskussion ging. Hier überschätzten die Befragten ebenfalls, wie sehr den übrigen Beteiligten ihre Sprachfehler oder misslungenen Äußerungen aufgefallen waren. Sie erwarteten allerdings auch, dass Beiträge, auf die sie stolz waren, mehr Aufmerksamkeit bekommen würden, als sie letztendlich erhielten. Der Effekt funktioniert also auch in die andere Richtung.
Die Botschaft des Spotlight-Effekts ist klar: Nur weil uns etwas, was wir gesagt oder getan haben, sehr beschäftigt, heißt das noch lange nicht, dass es auch andere Menschen beschäftigt oder dass sie es überhaupt mitbekommen haben. Aber was ist, wenn es eindeutig ist, dass eine andere Person mein Missgeschick bemerkt hat, oder ich gezwungen bin, meine Fehler einzugestehen?
2. Andere sehen uns nicht so kritisch, wie wir erwarten
Stelle dir folgende Situation vor: Du bist zum ersten Mal bei deinen neuen Bekannten eingeladen und freust dich auf einen ungezwungenen Abend. Als du ankommst, fällt dir auf, dass du die Einladung missverstanden hast. Außer dir sind noch andere Leute da, die alle Blumen, Wein oder ein anderes Gastgeschenk mitgebracht haben. Nur du stehst mit leeren Händen da.
Was denkst du?
Wenn du jetzt vermutest, dass du es dir mit den Gastgeber:innen verscherzt hast, bist du in guter Gesellschaft. Auch die Personen, die sich für den Psychologen Kenneth Savitsky und seine Co-Autoren in diese Situation hineinversetzt hatten, fürchteten um ihren Ruf. Andere Befragte, die die Szene aus der Perspektive der übrigen Gäste oder der Gastgeber:innen durchlebten, sahen den Fauxpas dagegen wesentlich gelassener. Sie störten sich nicht daran, dass eine Person ohne Geschenk erschienen war.
Weitere Experimente aus dieser
Manchmal haben wir selbst die Wahl, ob wir unsere Unzulänglichkeiten preisgeben. Wenn wir etwa mit der Entscheidung ringen, um Hilfe zu fragen oder für einen Fehler um Entschuldigung zu bitten. Auch hier macht die Forschung Hoffnung, dass solche Bekenntnisse besser aufgenommen werden, als wir vermuten. Eine
3. Andere mögen uns mehr, als wir denken: der Liking Gap
Nicht nur wenn wir Fehler gemacht oder uns blamiert haben, neigen wir dazu, zu hart mit uns ins Gericht zu gehen. Selbst wenn wir gerade ein gutes Gespräch hatten, fällt uns nachher oft vieles ein,
Schon 5-Jährige unterschätzen, wie sehr sie gemocht werden
In mehreren Studien haben die Wissenschaftler:innen die Teilnehmenden einschätzen lassen, wie sehr sie von einer Person gemocht werden, die sie gerade erst getroffen hatten. Diese Angabe haben sie dann mit der Beurteilung der neuen Bekanntschaft verglichen. Das Ergebnis: Egal ob sich die Befragten bei einem Workshop, bei der Arbeit oder im Labor getroffen haben, sie unterschätzten immer, wie sympathisch sie der anderen Person waren. Dabei konnte es bis zu einem Jahr dauern, bis der Liking Gap verschwand.
Schon Kinder erfassen nicht richtig, wie sehr sie gemocht werden: Sobald sie anfangen, sich Gedanken zu machen, wie sie andere Kinder und Erwachsene wahrnehmen – das passiert mit etwa 5 Jahren –, entwickeln sie die
Warum sehen wir uns selbst so viel kritischer, als uns unsere Mitmenschen sehen?
Die Forschung zeichnet ein einheitliches und klares Bild: Wir kommen bei anderen Menschen oft besser an, als wir denken. Auch unsere Fehler werden großzügiger aufgenommen, als wir erwarten. Aber wieso schätzen wir selbst unsere Außenwirkung so pessimistisch ein? Dazu haben die Wissenschaftler:innen, die den Liking Gap und den Spotlight-Effekt entdeckt haben, 4 Erklärungsansätze:
- Es ist sinnvoll, Fehler zu reflektieren: Weil wir auf andere angewiesen sind, ist es für uns wichtig, zu erkennen, wenn wir einen Fauxpas begehen, der unseren Ruf ruinieren könnte. Da die Gemeinschaft für uns überlebenswichtig ist, ist ein übertrieben strenger Umgang mit Fehlern sicherer als ein zu lascher.
- Wir vergleichen uns mit einem Ideal, das nur wir kennen: Wenn wir etwas tun oder sagen, haben wir eine Idealvorstellung im Kopf, wie das genau ablaufen soll. Wenn wir etwa eine Geschichte erzählen, haben wir meist einen Plan, welche Details wir erwähnen und wie wir die Pointe setzen. Weichen wir von diesem Plan ab, haben wir das Gefühl, gescheitert zu sein. Unsere Zuhörer:innen kennen diese Idealvorstellung jedoch gar nicht. Sie wissen nicht, was wir uns vorgenommen haben, deshalb fallen ihnen viele Dinge gar nicht auf, die wir als negativ bewerten.
- Wir überschätzen, wie sehr Außenstehende unsere Gefühle und unser Unwohlsein wahrnehmen: Wenn uns etwas Unangenehmes passiert, haben wir oft das Gefühl, unser roter Kopf leuchte wie ein Alarmlicht und alle müssten das laute Schlagen unseres Herzens hören. Beobachter:innen bemerken aber meist gar nichts vom innerlichen Tumult und erleben uns als viel gelassener, als wir tatsächlich sind.
- Wir sind so in unserer Misere gefangen, dass wir übersehen, dass die Menschen um uns herum auf ganz andere Dinge achten: Weil wir im Moment des Patzers nur unsere Schwächen sehen, vergessen wir, dass die übrigen Anwesenden ganz andere Gedanken haben könnten als wir. Zum Beispiel kommen wir oft gar nicht auf die Idee, dass sie Mitgefühl empfinden könnten, weil sie solche Situationen aus eigener Erfahrung kennen.
Wie anders sich eine Panne aus der Beobachterperspektive anfühlt, kannst du selbst ausprobieren. Versetze dich noch mal in die Partyszene von oben, aber dieses Mal als Gastgeber:in:
Du hast deine Freund:innen und Bekannten zum Abendessen eingeladen. Schon seit Wochen freust du dich auf die kleine Feier und hast dir viel Mühe bei der Vorbereitung gegeben. Deine Gäste wissen das zu schätzen und haben dir ein Gastgeschenk mitgebracht. Gerade trifft deine neue Bekannte ein, die du zum ersten Mal eingeladen hast. Im Gegensatz zu den anderen Gästen kommt sie mit leeren Händen.
Was denkst du?
Vermutlich fühlst du mit deiner Bekannten, weil du ahnst, dass es ihr unangenehm ist, als einzige Person nichts mitgebracht zu haben. Statt dich wegen des fehlenden Geschenks zu ärgern, freust du dich, dass sie da ist und sich die Zeit genommen hat, den Abend mit dir zu verbringen.
Du empfindest also Freude und Gelassenheit statt der negativen Gefühle, die du zuvor aus der Perspektive des Gastes ohne Geschenk erwartet hättest. Wenn du mal wieder ins Fettnäpfchen getreten bist und dir den Kopf zerbrichst, wie groß der Schaden ist, versuche dich an eine Situation zu erinnern, in der du ein ähnliches Missgeschick beobachtet hast. Wahrscheinlich wirst du feststellen, dass du nicht so schlecht über die andere Person gedacht hast, wie du in diesem Moment über dich selbst denkst.
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily