Nach diesem Text lässt du die Idee des freien Marktes fallen
Das Märchen vom freien Markt in 3 Akten. Oder warum du die Wirtschaft nicht den Experten überlassen solltest.
Es war einmal ein Markt, in dem alle Menschen glücklich untereinander Waren und Dienstleistungen austauschten. Der Markt organisierte sich vollständig selbst, wie durch
So in etwa lässt sich die tiefe Überzeugung vieler liberaler Politiker, Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer zusammenfassen. Ich vermute aber, dass kaum einer –
Denn wäre er Realität, müssten wir auch in der EU wieder einen Markt für
»Wirtschaft ist zu wichtig, um sie den Experten zu überlassen!« – Ha-Joon Chang, Wirtschaftsprofessor und Autor
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All das wäre in einem komplett freien Markt möglich. Menschen sollten doch frei entscheiden und handeln dürfen, solange sich Käufer und Verkäufer
Das hindert die meisten westlichen Gesellschaften jedoch nicht daran, danach zu streben, sich dem freien Markt möglichst anzunähern – zumindest in allen Bereichen, in denen es ethisch vertretbar ist. Das marktorientierte Denken ist in unserer Gesellschaft tief verwurzelt. Wenn ich mit Verfechtern eines freien Marktes diskutiere, fallen ihre Argumente generell in eine von 3 Kategorien:
- Eigeninteresse
- Ideologie
- Pragmatismus
Die erste Kategorie lässt sich leicht nachvollziehen. Wer will als Unternehmer schon zusätzliche Kosten haben, um die Umwelt zu schützen, oder seine Branche regulieren lassen,
Ideologie: »Meine Freiheit ist das höchste Gut!«
Es war einmal eine Gesellschaft, in der alle Menschen sämtliche Entscheidungen nach ihrem freien Willen trafen. Jeder verfügte stets über alle Informationen, die er benötigte, um die Entscheidungen zu treffen, die er für richtig hielt. So stellten die Menschen jederzeit sicher, dass sie auch noch in 10 Jahren mit ihren Entscheidungen zufrieden sein würden. Denn sie wussten auch, welche Konsequenzen ihre Handlungen in der Zukunft haben würden, und konnten so frei von der Tyrannei des Staates und allen anderen äußeren Einflüssen entscheiden.
Diese überspitzte Karikatur bringt das ideologische Argument der Vertreter eines freien Marktes auf den Punkt: Die persönliche Freiheit des Einzelnen ist das höchste Gut, solange sie die Freiheit der anderen nicht einschränkt.
US-Präsident Donald Trump steigt aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Seine Begründung: Es schränkt die Freiheit US-amerikanischer Unternehmen ein, möglichst gewinnorientiert zu wirtschaften. Das ist unfair gegenüber allen US-Amerikanern. An erster Stelle steht für Trump die Freiheit, kurzfristigen Wohlstand zu maximieren –
Tatsächlich ist die
Pragmatismus: »Der Markt wird’s schon richten!«
Es waren einmal sogenannte Entwicklungsländer, die auf die reichen Staaten des Westens schauten und sie fragten: »Warum seid ihr so reich geworden und wir nicht?« Die einfache Antwort lautete: »Weil wir den freien Handel haben.« Also begannen die armen Entwicklungsländer, ihre Märkte für die Welt zu öffnen und jegliche Freihandelsbarrieren wie Zölle und
Auch dieses Märchen ist zu schön, um wahr zu sein. Die Wirklichkeit der reichen Länder sieht eher so aus:
Es gibt kein mathematisches Modell für Glück oder die »richtige Gesellschaft«!
Allen voran der Vorreiter bei der Verbreitung des Märchens vom freien Markt:
Diese Beispiele zeigen, dass
So wundere ich mich häufig über manche Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Wenn der freie Markt einmal nicht so funktioniert, wie es laut wirtschaftlicher Theorie der Fall sein sollte,
Bedeutet das also, dass wir die Idee eines Marktes, in dem einigermaßen frei gehandelt wird, aufgeben sollten? Nein! Aber es ist immer eine politische Entscheidung, die wir gesellschaftlich diskutieren müssen. Dabei müssen wir über Ziele reden.
Wirtschaft ist immer Politik – und die betrifft uns alle!
Jede Diskussion über unsere Wirtschaft ist immer auch eine ideologische Diskussion: Wollen wir Junkfood und Zucker extra besteuern, um Übergewicht einzudämmen? Schnell kommt dann als Antwort: »Wenn wir damit anfangen, leben wir bald in einem Überwachungsstaat, der jede meiner Entscheidungen kontrolliert!« Das ist natürlich Quatsch, denn angefangen haben wir »damit« bereits mit der ersten Gesetzgebung. Stattdessen müssen wir uns jedes Mal neu die Frage stellen, wo wir als Gesellschaft hinwollen und welche Ziele wir verfolgen – statt diese Einschätzungen blind den Wirtschaftsweisen zu überlassen.
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