Dieser Text ist für alle Gutmenschen und die, die es gern wären
Zyniker aber brauchen starke Nerven, denn es geht um die Frage: Wie bekommen wir Handeln und Ideale unter einen Hut?
Während der Rest der Welt fleißig weiter Atomkraftwerke baut, schalten wir ab. Wir sind Weltmeister bei der Mülltrennung, und wer recycelt, gehört zu den Guten. Bei der Energiewende macht uns so schnell keiner was vor, und den Umzug einer Eidechse lassen wir uns gern auch einmal
Wenn es um die Umwelt geht, dann kennen wir in Deutschland keine Kompromisse.
Es gibt allerdings einen Punkt, an dem wir aufhören, unserem grünen Gewissen zu folgen, an dem unser Wille, für die Natur den steinigen Umweg in Kauf zu nehmen, plötzlich ins Stolpern gerät. Dann drücken wir einfach beide Augen zu oder entwickeln lange, komplexe Argumentationsketten, um unsere Entscheidungen vor uns selbst und anderen zu rechtfertigen. Der Punkt, von dem ich spreche, sind wir selbst.
Die Deutschen lieben die Umwelt – theoretisch …
Die meisten Menschen in Deutschland sind fest davon überzeugt, dass Umweltschutz wichtig ist. Die wenigsten aber leiten daraus Handlungsmuster für sich selbst ab – auch wenn sie wissen, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt. Das zeigen viele Umfragen, zum Beispiel die Studie
- 91% der Befragten glauben, man müsse Märkte und Wirtschaft so regulieren, dass die Umwelteinwirkungen minimal sind.
- 76% stimmen der Aussage zu: »Um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, müssen wir alle bereit sein, unseren Lebensstandard einzuschränken.«
- 81% der Befragten würden auch diese Aussage unterschreiben: »Wir können unsere Umweltprobleme nur dadurch lösen, dass wir unsere Wirtschafts- und Lebensweise grundlegend umgestalten.«
Das klingt ziemlich entschlossen. Nach dem persönlichem Engagement befragt, sieht die Sache allerdings ein wenig anders aus:
- Nur 36% der Befragten denken, dass Bürger genug für die Umwelt tun.
- Nur 42% der Teilnehmer geben an, sich häufig stark für die Umwelt zu engagieren.
- Nur 28% sagen von sich, ein ethisches Handeln an den Tag zu legen.
Diese Kluft zwischen besserem Wissen und eigenem Handeln ist in der Psychologie als
Doch hier soll es nicht um die Gründe gehen, sondern um die Frage: Was passiert eigentlich, wenn wir uns dafür entscheiden, ab heute zu 100% nach unseren Idealen zu leben?
Was passiert, wenn wir Ernst machen?
Eine Frage, die das Leben einer unserer Leserinnen vor einigen Monaten auf den Kopf gestellt hat. Bei einem Gewinnspiel von Perspective Daily hatte sie Tickets für die Kinopremiere des Films
Liebes Team von Perspective Daily,
nun bin ich zurück von meinem Ausflug nach Berlin und bin doch etwas verzweifelt nach »The End of Meat«. Kurz zu mir: Ich bin Claudia, 37-jährige Mutter zweier Töchter (11 und 8 Jahre) und lebe mit den Mädels, meinem Mann, 2 Hamstern und 3 Meerschweinchen in einem Reihenhaus im schönen Hannover.
Anfang des Jahres habe ich beschlossen, »nachhaltiger« zu leben. Ich wollte nicht mehr das »Billigste« kaufen, sondern Produkte, bei denen ich weiß, dass auch die Produzenten damit leben können. Also recherchierte ich, wer »nachhaltiger« produziert; das ist gerade bei Lebensmitteln (Milch) nicht wirklich leicht.
Im Juni las ich dann Bücher über
Vor 2 Wochen schlug mein Mann dann vor, probeweise
Und dann gewinne ich die Karten und bin hin- und hergerissen: Vom Gefühl her würde ich am liebsten sofort Fleisch aus der Küche verbannen, selbst dem Veganismus kann ich einiges abgewinnen. ABER: Warum sind die fleischlosen Alternativen alle in Plastik verpackt? […] Was ist an Haferflocken in Papier so falsch? Warum muss trockener Tofu dick eingeschweißt sein und warum gibt es keine Soja- und Reisdrinks in Glasflaschen?
Jetzt stehe ich vor der Entscheidung: Umweltschutz durch Müllvermeidung? Oder Umwelt- und Tierschutz durch vegetarische bzw. vegane Lebensweise, aber mit mehr Müll?
[…]
Leider fehlt mir für eine richtig gründliche Recherche momentan die Zeit – 2 Kinder und der Teilzeit-Job lassen nicht ganz so viel vom Tag übrig. […] Ich mache mich jetzt mal mit meiner Tochter an die Hausaufgaben der 3. Klasse und werde danach die Tomatensoße und den Pizzateig für heute Abend vorbereiten (beides wird selbstgemacht).
Viele liebe Grüße
Claudia
Claudias Brief hat mich und andere in der Redaktion beeindruckt. Ohne Umwege oder Ausflüchte macht sie sich auf den Weg, ihren Lebensstil zu ändern. Sie bleibt nicht vor der
Claudias Fall zeigt aber auch: Wenn wir alles richtigmachen wollen, sind viele Konflikte vorprogrammiert. Konflikte, die wir nicht immer allein lösen können, weil uns die Zeit fehlt und wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen.
Genau hier sehen wir uns in der Verantwortung, einzuspringen – mit Recherche und Einordnung. Dafür wollen wir von euch wissen: Welchen Zwickmühlen seht ihr euch beim alltäglichen Konsum ausgesetzt?
Bevor ihr uns euren Input gebt, möchte ich 2 Erkenntnisse aus Claudias Brief festhalten:
Konsequenz ist anstrengend …
Neue Rezepte lernen, andere Wege durch die Stadt nehmen, Recherche betreiben und in die Pedale treten, anstatt sie nur anzutippen: Jede Umstellung kostet immer Aufmerksamkeit, Konzentration, Zeit und auch Kraft. Es dauert, bis
Noch einmal anstrengender wird es, wenn wir uns ständig vor anderen erklären müssen – was mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert. Denn für viele Handlungsmuster gibt es eine Art »Voreinstellung«: Wer davon abweicht, fällt auf. Glaubst du nicht? Dann bestell einfach mal beim Abend in der Kneipe oder Bar ein alkoholfreies Bier. Oder frag beim nächsten Besuch bei den Großeltern nach einem veganen Abendessen.
Unbezwingbar wird die Herkulesaufgabe aber nur, wenn wir alles auf einmal bewältigen wollen. Darum müssen wir uns Zeit geben und uns auf einen Schritt nach dem anderen konzentrieren – auch ein Marathon beginnt mit einem einzelnen Schritt nach vorn.
Dir fehlt mal die Motivation? Dann ruf dir ins Gedächtnis, warum du dich überhaupt auf den Weg gemacht hast: Lies ein Kapitel aus dem Buch, das dir das Ausmaß der Müllproblematik klargemacht hat, oder schaue noch mal die Dokumentation an, in der du gelernt hast, wie das Leben eines Mastschweines aussieht.
… aber auch lohnenswert!
Unser eigenes Leben umzukrempeln, ist eine große Aufgabe, an der wir wachsen können. Einerseits entfällt das schlechte Gewissen, ständig in dem Gefühl zu leben, anderen durch unser Handeln zu schaden. Andererseits signalisieren wir auch uns selbst nicht permanent, schwach zu sein und jeder Versuchung zu erliegen, sondern merken, dass wir
Unser eigenes Leben umzukrempeln, ist eine große Aufgabe, an der wir wachsen können.
Nach den eigenen Überzeugungen zu leben, kann auch unseren engsten Mitmenschen helfen: Claudias Kinder wachsen nun wahrscheinlich in dem Wissen auf, dass es wichtig ist, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu überschauen. Sie lernen, kritisch zu konsumieren sowie den Status quo zu hinterfragen, oder erfahren im Gespräch und aus den Überlegungen der Eltern, dass ein Produkt eine Vorgeschichte und Konsum Konsequenzen hat.
Das Beispiel mit den veganen Ersatzprodukten zeigt: Manchmal gibt es keine perfekte Lösung.
Und hierbei kommt ihr ins Spiel: Lasst uns wissen, welche Konsum-Zwickmühlen euch umtreiben. Dann kommt unser Part: Wir sammeln eure Ideen und wollen in den kommenden Monaten Antworten für euch finden.
Mit Illustrationen von Xero Fernández für Perspective Daily