Wie eine britische Minderheit gegen den Brexit kämpft
Die Aktivisten von »British in Europe« verhandeln direkt mit der EU – und haben anders als Theresa May schon Erfolge vorzuweisen.
Ein Schwall von Fragen: »Warum ist meine Staatsbürgerschaft auf einmal ein Problem?« – »Kann es sein, dass ich abgeschoben werde? Wenn ja, wovon hängt das ab?« Das haben wir alle schon gehört – von Geflüchteten. Jetzt betreffen solche Schwierigkeiten allerdings eine Gruppe, mit der noch Anfang letzten Jahres niemand gerechnet hätte: Briten.
Britische Staatsbürger sind (unter anderem) über die ganze Europäische Union verteilt:
Viele Graswurzelbewegungen sind in den Monaten nach dem Referendum aus dem Boden geschossen. Dazu gehören gesamteuropäische, wie der Verein Pulse of Europe, aber auch solche, die sich auf einzelne Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Die größte davon nennt sich British in Europe. Dieses Netzwerk von in der EU lebenden Briten setzt sich vor allem für Bürgerrechte ein. Derzeit hat es eigenen Angaben zufolge etwa
Der Grundstein für das Netzwerk
Die Aktivisten Jane Golding und Daniel Tetlow setzten sich schon vor dem Brexit-Referendum für das
Zum ersten selbst organisierten Treffen kamen etwa 200 Interessierte, erzählt Tetlow. »Das war der Zeitpunkt, an dem wir begriffen haben, wie viele Briten sich von einem potenziellen Brexit bedroht fühlen und wie viele sich Sorgen über die Folgen machen.«
Masse und Klasse
Die offizielle Zusammenarbeit mit anderen Organisationen startete im Winter. Die Kontaktaufnahme begann, als die britische Regierung zivile Vertreter von in der EU lebenden Briten einlud, ihre Forderungen vor einem Ausschuss in London persönlich vorzutragen. Die 4 Repräsentanten, die damals vorsprachen, sind heute Mitglieder verschiedener Landesverbände von British in Europe.
Zeitgleich entstand Kontakt zwischen der Gruppierung um die Spezialistin für EU-Recht Jane Golding und Daniel Tetlow sowie einer französischen Organisation mit ähnlichen Zielen. Dies war die Geburtsstunde von British in Europe. Die ersten landesweiten Gruppen wie
Heute besteht British in Europe aus
Der Beauftragte der EU-Kommission für die Brexit-Verhandlungen, Michel Barnier, durfte vor dem offiziellen Austrittsgesuch nach
Schon mehrmals traf sich das »Advocacy-Team« des Netzwerks mit Barnier und seiner Arbeitsgruppe, der »Artikel-50-Task-Force«, vor den Verhandlungsrunden in Brüssel. In diesem Rahmen bewerten und kommentieren die zivilen Repräsentanten mit Jane Golding an der Spitze die offiziellen Unterredungen zwischen der Union und Großbritannien und bringen eigene Forderungen ein.
Probleme an der Graswurzel anpacken
Wie bei den Partnerorganisationen wird in Deutschland national, regional und lokal gearbeitet. Die nationale Ebene übernimmt British in Germany, das aus 11 Teams besteht. Jedes hat eine organisatorische oder inhaltliche Spezialisierung: Von Medienarbeit oder Fundraising bis zu Themenschwerpunkten wie Pensionssicherung.
Die Übersetzerin Ingrid Taylor lebt seit 1988 in München. Sie engagiert sich auf regionaler Ebene für British in Bavaria. Für sie ist vor allem die Staatsbürgerschaft ein Thema. Ingrid Taylor berichtet von vielen »alteingesessenen« Briten in Bayern, die die deutsche Staatsbürgerschaft direkt nach dem Referendum beantragt hätten. 8 Jahre muss man in der Regel dafür als EU-Bürger in Deutschland gelebt haben.
Die Wartezeiten sind lang, hier derzeit etwa ein Jahr. Erhalten die Leute die Staatsbürgerschaft bis zum wahrscheinlichen Brexit-Datum im März 2019, ist für sie eine doppelte möglich. Was danach mit der Regelung passiert,
Taylor betont, dass sie ihre Arbeit auch für diejenigen mache, die nicht genügend Sprachkenntnisse besäßen, um sich über ihre Rechte in Deutschland zu informieren. Der Aktivistin zufolge sei das Netzwerk somit auch ein solidarisches »Sprachrohr« für die ganze Bevölkerungsgruppe.
Gekommen, um zu bleiben
Nach der
Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie 5 Jahre lang ununterbrochen in einem Land gelebt haben. Jane Golding erklärt das Problem: »Bis jetzt hat Großbritannien bei den Verhandlungen so getan, als wäre sein Vorschlag eines Aufenthaltsrechts das gleiche wie ein Daueraufenthaltsrecht. Die Regierung hat die Öffentlichkeit aber im Unklaren darüber gelassen, was ihr Vorschlag genau enthält. Für uns ist ein Daueraufenthaltsrecht sehr wichtig.«
Nach der vierten Runde der Austrittsverhandlungen Ende September sprach der EU-Chefverhandler Michel Barnier von einer
Dies bedeutet einen großen Schritt in die richtige Richtung für
Der Anwältin zufolge sei gerade zu Beginn ihrer Zeit als Aktivistin das »Right to Remain«, das Recht zu bleiben, in aller Munde gewesen. Jane Golding verdeutlicht an einem Beispiel, warum es jedoch kurzsichtig ist, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren:
Wenn ich zwar das Recht habe, in einem anderen Land zu arbeiten, aber mein Abschluss dort nicht anerkannt ist, werde ich in meinem Fachgebiet keine Arbeit finden. Was bringt mir also das Recht, zu bleiben? Und wenn ich nicht arbeiten muss, aber auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe, was bringt mir dann das Recht zu bleiben?
Gemeinsam heißt offensichtlich stark
Auch neben der politischen Lobbyarbeit für ihre Rechte setzt das Bürgerrechtsnetzwerk wichtige Impulse für seine Mitglieder – von denen sie zum Teil selbst überrascht sind.
- Zusammengehörigkeitsgefühl
Einige Aktive stellten einen plötzlichen Zusammenhalt in einer vermeintlichen Schicksalsgemeinschaft fest. Jane Golding schmunzelt, als sie erzählt, dass Briten normalerweise nicht dazu neigten, sich außerhalb ihrer Landesgrenzen zu solidarisieren. »Gerade in größeren Ländern wie Frankreich oder Deutschland war das bisher schwierig. In Berlin kannte ich kaum Landsleute, bis ich Teil dieses Netzwerks wurde.« Ingrid Taylor in München spricht sogar von einem »familiären Gefühl«. Zusammenhalt gibt es aber auch noch auf anderer Ebene: Die 24-jährige Jennifer Hayhurst lebt erst seit 2 Jahren in Deutschland und erklärt, dass sie sich aus Solidarität engagiere: »Natürlich bin ich auch betroffen, aber sicher noch flexibler als andere, was die Zukunft angeht. Ich habe noch nicht endgültig entschieden, wo ich leben will.« Für sie bleibt die Rückkehr nach Großbritannien eine Option. - Identität
Das Netzwerk tritt nach eigener Aussage für eine britische wie europäische Identität ein, die offen und integrativ ist. Das Argument ist, dass man sich mehreren Gruppen und Ländern zugehörig fühlen kann und sich nicht zwangsläufig für eine(s) entscheiden muss. Die Übersetzerin Hayhurst bringt es auf den Punkt: - »Empowerment«
Ein weiterer Punkt, der das Netzwerk dahin gebracht hat, wo es heute steht – nämlich zur Interessensvertretung bei Verhandlungen auf höchster Ebene – ist
Kein Tropfen auf den heißen Stein
Eine Kombination von Faktoren scheint den Aktivisten Rückenwind zu geben: motivierte Führungspersönlichkeiten,
Natürlich sind die Voraussetzungen nicht die gleichen wie bei anderen Graswurzelgruppen: Millionen sind betroffen und Zehntausende engagieren sich. Einige der international aktiven Mitglieder bringen Erfahrung aus Politik oder Lobbyarbeit mit, zum Teil sogar direkt aus Brüssel. British in Europe macht sich persönliche und berufliche Verbindungen effizient zunutze.
Letztendlich zeigt das Netzwerk, dass Bürgerinitiativen in Europa etwas bewegen können. Golding spricht von einer »Stimme«, die es vorher so nicht gab. Trotzdem muss British in Europe in den nächsten 1,5 Jahren unter Beweis stellen, dass es der Herausforderung gewachsen ist, die Brexit-Verhandlungen tatsächlich mitsteuern zu können. Im immer noch anhaltenden Verhandlungschaos ist das eine echte Mammutaufgabe.
Titelbild: flickr / Duncan Hull - CC BY-SA 3.0