»Auch du kannst alles schaffen!«
Ab 99 Euro verspricht der »Life-Coach« einen neuen Lebenssinn. In die Stadthalle nach Bielefeld kommen über 2.000 Menschen. Ich bin einer von ihnen.
Wenn ich mich nicht aufhalte, hält mich niemand auf!
Als ich diesen Satz zum fünften oder sechsten Mal brülle, erlebe ich einen Durchbruch. Meine Stimme klingt auf einmal anders. So, als würde ich mir selbst von sehr weit weg zurufen. Ich spüre meine Arme nicht mehr, die ich in Siegerpose in die Höhe gereckt habe. Ich bin nur noch Emotion und Gefühl. Ich bin jetzt zu allem bereit.
Es ist der zweite Tag auf dem Erfolgsseminar des »Life-Coaches« Christian Bischoff. Die Mittagspause ist vorbei und ich will eigentlich gehen, weil ich keine Lust mehr habe, anderen Teilnehmern auf die Schulter zu klopfen und ihnen zu sagen: »Du bist ein Geschenk für die Welt!« oder Umarmungen zu verteilen. Dazu werden wir nämlich von Christian Bischoff immer wieder aufgefordert. Mir kommt das aber scheinheilig vor, denn jeder weiß, dass es die Person neben einem nicht ernst meinen kann, wenn sie sagt: »Du bist ein Gewinner.« Schließlich kennen wir uns alle erst seit gut 30 Stunden.
Ich verlasse die Bielefelder Stadthalle aber nicht, weil ich diese Reportage geplant habe. Ich will wissen: Kann man nach einem 2-tägigen Seminar wirklich ein neues Leben beginnen?
Live vom Erfolgsseminar
Bis zur Mittagspause an Tag 2 beobachte ich das Geschehen vor allem von der Empore aus. Hier sitzen Teilnehmer, die von ihrer Firma geschickt wurden, oder sehr skeptische Personen, die sich die Show lieber aus der Ferne ansehen. Es ist leicht, sich den häppchenweise servierten Anleitungen zu einem erfolgreicheren Leben zu entziehen, wenn man dort oben sitzt. Aber ich wollte ja wissen, was passiert, wenn man es wirklich ernst meint. Deshalb also mein freimütiger Entschluss, nach der Mittagspause ganz nach vorn zu gehen, in Reihe Nummer 1. Dort, wo die Teilnehmer mit den Platin-Tickets sitzen, die für ihren Sitzplatz
Als alle sitzen, wird das Deckenlicht gelöscht;
In den Einheiten zuvor durften wir uns nach diesem »Warm-up« wieder setzen. Jetzt sollen wir stehen bleiben, hören Christian Bischoff zu, der eine Anekdote aus seinem Leben erzählt. Auf einer Rundreise in Neuseeland habe er viele geniale Einfälle gehabt, um sein Vortragsprogramm zu verbessern. Doch die Antwort seines Teams aus Deutschland sei weitestgehend negativ ausgefallen. Also sei er joggen gegangen und habe beschlossen, trotzdem alles genauso umzusetzen, wie er es sich vorgestellt hatte. Und wie?
Er nimmt mit seinem Smartphone ein Selfie-Video auf, auf dem er seinen Mitarbeitern dies entgegenschleudert:
Dann erklärt der
What the fuck! Leck mich am Arsch! Ich mach’s trotzdem!
Immer wieder üben wir diese 3 Sätze. Plötzlich bricht unser Motivator ab und spricht explizit Teilnehmer wie mich an: »Ich sehe hier Leute mit Händen in den Hosentaschen oder verschränkten Armen.« Wir sollen es ernst nehmen.
Wo bin ich hier nur gelandet?
Vom Basketball-Coach zum Life-Coach, der Millionen verdient
Aktuell tourt der 41-jährige Christian Bischoff im zehnten Jahr als Life-Coach durch Deutschland. Angefangen hat er als Motivationstrainer für Schüler, heute strömen vor allem Erwachsene in die Festsäle und Stadthallen, in denen er auftritt. Unser Seminar in Bielefeld heißt »Die Kunst, dein Ding zu machen« und hat im weitesten Sinne den beruflichen Erfolg zum Thema. Anders als beim klassischen Business-Coaching, bei dem es Mentorate unter 4 Augen gibt oder maximal eine Firmen-Abteilung gecoacht wird, spricht Christian Bischoff in Bielefeld gleichzeitig zu 2.000 Menschen. In anderen von ihm angebotenen Seminaren referiert er zu den Themen Partnerschaft, Selbstverwirklichung und Glück. In seiner Jugend war er Basketballer. Als 17-Jähriger spielte er in der Junioren-Nationalmannschaft neben
»Du bist ein Geschenk für die Welt.« – Feedback zu Christian Bischoffs Seminaren auf Youtube
Ich habe
Christian Bischoff ist in Deutschland einer der »Big Player« der Coaching-Szene, die in den letzten Jahrzehnten
In der Bundesrepublik arbeiten geschätzt
Bringt Coaching etwas?
Unterhaltend ist das, was Christian Bischoff auf der Bühne zeigt, allemal. Doch was Bischoff dort tut, darf nicht mit anderen Formen des Coachings verwechselt werden, wie zum Beispiel:
- Gesundheits-Coaching: Hierbei hilft ein
- Psychologisches Coaching: Dabei berät ein ausgebildeter Psychologe einen Patienten im offenen Gespräch. Er schafft dabei einen
- Business-Coaching: Diese Form des Managertrainings ist in den USA sehr beliebt. Ein professioneller Berater hilft dem Personal eines Unternehmens dabei, Stärken und Schwächen in der Berufsumgebung zu erkennen und individuelle Lösungen für die Firma zu entwickeln. Dazu gehört auch das klassische Teambuilding.
Der Effekt von
Eine konkrete Kosten-Nutzen-Analyse ist in der Praxis der Personalentwicklung in den Unternehmen meist
Heißt übersetzt: Bisher können wir die Wirkung von Business-Coaching
Christian Bischoff passt zu keiner dieser Coaching-Arten. Er bezeichnet sich selbst als »Life-Coach« und sitzt damit
Und genau darauf hat er sein 2-tägiges Seminar abgestimmt. In seinem Programm setzt er auf einen bunten Mix: Anekdoten, Meditationsübungen,
Doch was steckt (wirklich) dahinter?
Life-Coaching in Theorie und Praxis
Bischoffs Programm basiert auf der sogenannten
Die 3 Kernpunkte seiner »Lehre« wiederholt Bischoff mit unterschiedlichen Beispielen immer wieder:
- »Zerstöre deine Selbstzweifel!« In seinen Ansprachen vermittelt Bischoff das Gefühl, dass jeder
- »Jammere nicht!« Der Life-Coach ist davon überzeugt, dass jeder Verantwortung für sein Handeln übernehmen solle, sowohl für Erfolge als auch für die Niederlagen – auf die sich jeder gefasst machen sollte.
- »Tritt dir selbst in den Arsch« Bischoff proklamiert, dass es für Erfolg klare Ziele und den
Neu sind diese Inhalte nicht. Auch andere Coaches greifen sie in der ein oder anderen Form auf. Aber das Erfolgsrezept des ehemaligen Basketballers ist auch nicht eine vermeintlich geniale Theorie, sondern die emotionalisierende Art und Weise, in die er seine Aussagen verpackt.
»What the fuck! Leck mich am Arsch! Ich mach’s trotzdem«, sollen wir also nach der Mittagspause an Tag 2 rufen. Es ist die Übersetzung der 3 oben genannten Kernpunkte in die Praxis. Oder, um es noch kürzer zu machen: »Do it! Don’t think about it.« Alle um mich herum brüllen immer wütender die 3 Sätze und fuchteln wild mit den Armen. Nachdem ich mich zu Beginn bewusst der Masse entzogen habe, wollte ich in einem zweiten Schritt mitmachen, um auch hier zu sehen, wie sich das anfühlt. Irgendwann überwinde ich meine Skepsis und spreche mit. Je öfter ich die Sätze sage, desto weniger lächerlich finde ich sie. Meine Stimme ist erst leise, wird dann immer lauter, bis mein Mund irgendwann von allein spricht, meine Arme von allein fuchteln, meine Beine automatisch springen. So spricht mein ferngesteuerter Mund auch diesen Satz mit: »Wenn ich mich nicht aufhalte, hält mich niemand auf!«
Was zur …? Warum kann ich mich nicht wehren?
Wenn der Coach zum Guru wird
Bin ich als Teilnehmer eines Motivationsseminars in einer mentalen
In Bielefeld wählt Christian Bischoff in den 2 Tagen immer wieder jemanden aus dem Publikum aus, der »zum Gewinner werden will«. Dieser Person, und natürlich der ganzen Halle, erzählt Bischoff von sehr persönlichen Problemen. Bischoff nutzt die persönlichen Geschichten, um dem Publikum zu demonstrieren, wie wirksam seine Methoden sind. Das alles erinnert an eine Theaterbühne mit bereitstehenden Requisiten und gut geübter Struktur. Der Motivationsguru positioniert sich dabei als Heilsbringer, der den Teilnehmern einen Fahrplan für ein neues und erfolgreiches Leben an die Hand gibt.
2 Beispiele:
- Strafe & Scham: Ein junger Familienvater in den 30ern erzählt von seinen Gewichtsproblemen. Also lässt Bischoff ihn 2 Leinentaschen mit kiloweise Zucker füllen. Dann muss er für eine Stunde in der Ecke stehen und schwitzen – genauso wie vor 100 Jahren ungezogene Schulkinder in der Ecke standen.
- Exposition & Gruppendynamik: Eine 51-jährige Verkaufsleiterin berichtet von ihren Selbstzweifeln. Bischoff lässt einen Spiegel bringen und auf der Bühne einen Motivationssatz üben. Er steuert den Jubel der Halle so geschickt, dass sie 15 Minuten später mit Tränen in den Augen und zur Siegerpose erhobenen Armen dasteht und dem Publikum diesen Satz entgegenschleudert: »Willkommen im Leben, starke Angela!«
Die Methoden sind hart, so wie die eines Fußball-, Box- oder Basketballtrainers. Ein wenig erinnert das Ganze auch an eine
und bringt die Teilnehmer aus ihrer Wohlfühl-Zone. Haben sie die von ihm auferlegte Prüfung bestanden, werden sie als neuer Mensch, als »Gewinner« wiedergeboren.
Willkommen zurück im Leben. Hast dich für kurze Zeit verloren. Doch fühlst dich jetzt wie neugeboren!
Kritiker an den Gewinner-Methoden sind in Bischoffs Weltbild »Nörgler«, denen wir nicht zuhören sollten. Auch der eigene Lebenspartner und die Familie zählen dazu. Deshalb der Tipp kurz vor Seminarende: Daheim nichts von der neu gewonnen, positiven Lebenseinstellung erzählen. Denn das negativ eingestellte Umfeld würde die plötzliche Sinneswandlung nicht verstehen und ablehnend reagieren.
Wenn du in dein altes Leben zurückgehst, wird dein altes Leben dich testen, um dich daran zu erinnern, dass du nicht dorthin zurückwillst.
Das »neue« Leben nach dem Seminar: Ich wage ein Experiment!
Mein vorherrschendes Gefühl nach dem Seminar ist Wut. Ich bin wütend auf mich selbst, weil ich mich habe hinreißen lassen, Worte nachzusprechen, die nicht meine eigenen sind. Wütend auf die anderen Teilnehmer, weil es sie offenbar nicht stört, von jemandem angeleitet zu werden. Wütend auf Christian Bischoff und seine vereinfachten Umsetzungsprinzipien zur persönlichen Entwicklung. Jeder könne es mit ihm als Life-Coach schaffen, ein erfolgreicher und glücklicher Mensch »Wenn ich mich nicht aufhalte, hält mich niemand auf.«
zu werden, so sein Versprechen. Das gelinge aber natürlich nur denen, die das erheblich teurere Folgeseminar besuchen.
Aber ich bin nur einer von 2.000 Teilnehmern. Wie geht es den anderen nach dem Seminar? Werden Sie es bereuen, Christian Bischoff ihr Geld und ihre Zeit gegeben zu haben? Werden sie ihn in ein paar Wochen als Scharlatan beschimpfen? Oder sind seine Methoden wirklich ihr Start in ein neues Leben? Diese Fragen ließen mich nicht los.
Noch während des Seminars habe ich 12 Teilnehmer in eine Whatsapp-Kontrollgruppe eingeladen, zu der auch ich und die nicht mehr schwache, sondern starke Angela gehören. 90 Tage lang beobachten wir uns und wollen herausfinden, was Christian Bischoffs Seminar mit uns gemacht hat.
»In 3 Monaten wirst du mir eine Mail schreiben: Diese 15 Minuten haben mein Leben verändert«, hat Christian Bischoff zu Angela gesagt. Wir werden sehen.
Titelbild: Lukas Hoffmann - copyright