Mit Worten und Bananen gegen den Hass im Internet
Hetze und Hass durchfluten das Internet. Doch niemand muss ohnmächtig zuschauen. Mit klaren Worten, etwas Einfühlungsvermögen und einer ordentlichen Prise Humor lässt sich eine Menge bewirken.
Es ist der 19. Januar 2015, auch Martin Luther King Day genannt. Ein Teenager
Sie antwortet: »Wir müssen lernen, als Geschwister zusammen zu leben, sonst werden wir als Narren sterben. (Martin Luther King)«
Er twittert zurück, wieder beleidigend.
Sie: »Der sicherste Weg, glücklich zu werden, ist es, andere glücklich zu machen. (Martin Luther King)«
Seine rassistischen Kommentare werden ausfallender. Sie antwortet mit weiteren King-Zitaten. Keine Wirkung. Schließlich:
Sie: »Weiß deine Mutter, dass du im Internet versuchst, Menschen zu verletzen?«
Er: »Das bezweifle ich. Sie ist vor anderthalb Jahren gestorben.«
Sie: »Das tut mir sehr leid für dich. Ich hoffe, du findest einen besseren Weg, ihrer zu gedenken.«
Der Teenager antwortet ruhiger und schreibt über seine Gefühle. Oluo reagiert interessiert und verständnisvoll. Dann die überraschende Wendung:
Er: »Du bist so freundlich und mir tut es so leid!«
Als »Wenn jemand etwas Verletzendes, Hasserfülltes oder Gefährliches postet und ich dem etwas entgegne – dann nenne ich das ›Counterspeech‹«
Informations- und Netzwerkplattform in dem Bereich dient. »Wenn jemand etwas Verletzendes, Hasserfülltes oder Gefährliches postet und ich dem etwas entgegne – dann nenne ich das ›Counterspeech‹«, erklärt Benesch im Interview.
Herabwürdigende und hasserfüllte Inhalte in sozialen Netzwerken sind nicht nur in den USA ein Problem. In der Woche nach dem Brexit-Referendum zählte die Polizei über 13.000
Wer ist bei Hassrede verantwortlich?
Sogenannte
Bisher schaffen die Netzwerkbetreiber es bei Weitem nicht, die Massen an schädlichen Inhalten zu kontrollieren. Aus
Sollte der Staat hier stärker regulativ durchgreifen?
Zumindest Justizminister Heiko Maas hat das Thema im vergangenen Herbst auf seine Agenda gesetzt und eine
Doch diese Lösungsansätze, bei denen die Polizei mit den Anbietern zusammenarbeitet, sind problematisch, weil sie nur Symptome bekämpfen. Wenn Facebook einen Beitrag löscht, ist dieser verschwunden. Der einzelne Hassredner muss vielleicht eine hohe Geldstrafe zahlen. Doch solche Aktionen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das Netz ist nicht nur Gefahr, sondern auch Chance
Es sind also andere, wirksamere Methoden vonnöten. Eine Golden Conversation, wie im Gespräch zwischen Ijeoma Oluo und dem Teenager, mag eine Ausnahme sein. Doch Counterspeech kann auf vielfältige Weise Erfolg haben. Im Internet können viele Menschen mitlesen und sich selbst beteiligen: unmittelbar, teilweise anonym, ohne Hürden oder großen Aufwand. Das Internet erscheint zuweilen wie ein restriktionsloses
Die Schwächen des Internets sind gleichzeitig seine Stärken:
- Gemeinschaft: Genauso wie sich Hassgruppen online verbünden und mächtig werden können, ist das auch für Gegenbewegungen möglich. Eine positive Gruppendynamik hilft dabei, sich gegenseitig zu stärken und Hatespeech auszuhalten.
- Reichweite: Im Netz erreicht die Gegenrede nicht nur den Urheber der Hassbotschaft, sondern ebenso zahlreiche andere, unbeteiligte Nutzer. Selbst wenn sie an vielen von ihnen spurlos vorübergeht, werden sich einige vielleicht von ihr überzeugen lassen und über das eigene Online-Verhalten nachdenken.
- Motivation: Andere Nutzer können sich durch Counterspeech inspiriert fühlen, selbst das Wort zu ergreifen – oder ein Foto von sich zu posten, auf dem sie eine Banane essen, wie es im Fall von
So geht es: Humor, Empathie und etwas Zivilcourage
Das Bananen-Beispiel findet Susan Benesch besonders gelungen, denn »Humor ist eine extrem effektive Methode für Counterspeech. Er verbreitet sich oft
Ein anderes Erfolgsrezept heißt Empathie, wie das Martin-Luther-King-Beispiel eindrucksvoll beweist. Auch damit hat Susan Benesch Erfahrungen gesammelt: Wer Mitgefühl und Interesse an der eigenen Person verspürt, dem falle es schwer, die hässliche Fassade aufrechtzuerhalten und Hass zu verbreiten, meint die Forscherin.
Online- und Offline-Leben sind eng verwoben. Der Hinweis darauf, dass der Chef oder die eigene Mutter alles mitlesen kann, könne laut Benesch ein weiterer effektiver Schachzug sein, wenn sich wieder einmal ein Facebook-Nutzer danebenbenimmt.
Es ist wirksamer, auf einzelne Äußerungen eines Nutzers einzugehen, als die gesamte Person als diskriminierend oder fremdenfeindlich zu bezeichnen. Sobald es zu persönlich wird, sei Abwehr vorprogrammiert und ein Erfolg fast ausgeschlossen.
Faktenchecks sind interessanterweise wenig hilfreich als Gegenmaßnahme. Gerade weil Hassredner häufig falsche Fakten verwenden, sind sie meist
Der letzte Rat der Expertin: Counterspeech will wohlüberlegt sein. An wen wende ich mich? Um welches Thema geht es? Was sind mögliche Reaktionen? »Bei Antisemitismus gibt es eine gesellschaftlich akzeptierte
Warum »Counterspeech« funktioniert – nicht nur in Kenia
Soweit die Theorie. Doch kann Counterspeech tatsächlich einen Unterschied machen? Ein Blick nach
Die Kommunikations-Wissenschaftlerin Carla Schieb und der Wirtschaftsinformatiker Mike Preuss von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster haben die Wirksamkeit von Counter-Kommentaren auf Twitter
Ihr seid viele. Wir auch!
Auf die gesamte Gesellschaft gesehen, können die Gegenmaßnahmen nur Wirkung zeigen, wenn sie nicht nur von wenigen vereinzelten Engagierten ausgehen, sondern von einer großen Masse der Internetnutzer. Wie kann Counterspeech also bekannter werden? Es braucht keine lange Suche, um zu merken: Sie sind da, sie sind aktiv und sie sind gar nicht so wenige – die Menschen, die sich als Botschafter für Counterspeech verstehen, sich zusammenschließen und gemeinsam dagegenhalten.
Ein paar Beispiele:
- Die
- Auch prominente Fürsprecher können helfen: Der Verein
- Das
Auch die Bundesregierung sowie die Internetkonzerne »›Counterspeech‹ wird das Internet nie in einen idyllischen Blumengarten verwandeln.«
Optimal wäre ein symbiotisches Zusammenspiel aus Überwachung und Selbstregulierung, sagt Benesch. Anbieter und Behörden sollten durchsetzen, dass sich Nutzer an die Mindeststandards halten, die Netzgemeinschaft ergänzt das durch konstruktive Gegenrede. Denn Counterspeech hat ein unschlagbares Alleinstellungsmerkmal: Statt an der Oberfläche setzt die Gegenrede an der Wurzel eines Problems an; sie bekämpft Ursachen anstelle von Symptomen.
Fest steht: Noch viele weitere Counterspeaker sind nötig, um dem Hass im Netz die Stirn zu bieten. »›Counterspeech‹ wird das Internet nie in einen idyllischen Blumengarten verwandeln. Aber die Gegenrede kann Unentschlossene überzeugen und Diskursnormen verschieben.« Deshalb appelliert Susan Benesch an alle: »Erzählt Erfolge weiter und verbreitet die Idee!«
Mit Illustrationen von Lucia Zamolo für Perspective Daily