Warum jetzt plötzlich alle die Insekten retten wollen
Wir wissen nicht alles über das Insektensterben. Aber genug, um sofort etwas dagegen zu tun. Der britische Umweltminister macht den Anfang.
Ein wenig lässt sich seine Entwicklung mit der eines Schmetterlings vergleichen: Die Metamorphose des britischen Umweltministers Michael Gove in den letzten Monaten hat aus einem strammen Konservativen einen Umweltadvokaten erster Güte gemacht.
Für jemanden, der sich selbst noch vor Kurzem als »schüchtern grün« bezeichnete, blickt er auf eine überraschende Bilanz zurück. Nach nicht einmal einem Amtsjahr hat er:
- Das
Jetzt scheint er warmgelaufen zu sein, um sich an die dicken Brocken zu wagen: Vergangene Woche hat Gove angekündigt, alle Pestizide verbieten zu wollen, die Bienen schaden. Die Debatte um das Insektensterben, die seit einigen Wochen durch die internationale Öffentlichkeit summt, scheint auch auf seinem Schreibtisch gelandet zu sein. Fast klingt es, als habe da ein Politiker tatsächlich handfeste Schlüsse aus wissenschaftlichen Erkenntnissen gezogen – »informed decision-making«, also »sachkundige politische Entscheidung«, heißt das im Fachjargon.
Dafür ist es auch höchste Zeit. Denn alles, was wir spätestens seit der
Was wir wissen: Die Insekten sind ernsthaft bedroht
Die Ergebnisse der »Krefelder Studie« sind ernüchternd: Seit 1989 ist die Menge der Insekten in Deutschland um 76% zurückgegangen. Über 27 Jahre hinweg hatte eine Gruppe von Hobby-Insektensammlern aus Krefeld in ganz Deutschland große Fallen in Naturschutzgebieten aufgebaut und Erstmals können wir nicht nur sagen, »dieser Schmetterling oder jene Biene verschwindet«, sondern: »Die Insekten verschwinden!«
Wissenschaftler aus den Niederlanden und Großbritannien werteten die Daten aus und kamen zu dem erschreckenden Ergebnis.
Dieser Trend zeichnet sich schon lange und nicht nur in Deutschland ab: Du könntest mit verbundenen Augen einen Punkt auf der Weltkarte antippen und dir die dortige Entwicklung der Insektenvielfalt ansehen. Dich würde fast immer dasselbe erwarten: Die Zahl der Arten und deren Vorkommen sinken. Beispiele gefällig?
- Die Anzahl der
- Binnen eines Jahres (April 2015–April 2016) sind in den USA
- Die Anzahl der Schmetterlingsarten in einem bayerischen Naturreservat ist
Neu an den Krefelder Daten ist, dass sie erstmals über einen langen Zeitraum die gesamte lebende Masse erfassen, die sogenannte Biomasse aller dort vorkommenden Insekten. Erstmals können wir nicht nur sagen, »dieser Schmetterling oder jene Biene verschwindet«, sondern: »Die Insekten verschwinden!«
Für wen ist das Insektensterben ein
- Vögel: Sie ernähren sich von Insekten und bleiben nun oft hungrig. Der Naturschutzbund Deutschland schätzt den Rückgang aller Vögel in Deutschland in den Jahren 2000–2012 auf rund 15%.
- Menschen: Auch wenn
Auch wenn viel über Gründe und Ursachen für das Verschwinden der fleißigen Brummer und Summer diskutiert wird, ist klar: Unsere Landwirtschaft – und damit wir – machen es unseren Erntehelfern nicht leicht.
Wir wissen auch: Wir machen den Insekten das Leben schwer
Genauso klar wie das Insektensterben selbst ist auch die Tatsache, dass wir den Tieren heftig zusetzen – vor allem durch 3 Dinge:
- Pestizide und Dünger: Weil einigen Insekten Raps und Mais etwas zu gut schmecken, bringen viele Landwirte Pestizide aus, die diese Tiere töten. Dass diese Mittel aber nicht nur den Schädlingen, sondern auch allen anderen Insekten zusetzen, ist in
Diese wichtigen Beweise zeigen jetzt, dass die Risiken, die Neonicotinoide für unsere Umwelt und insbesondere die Bienen und andere Bestäuber darstellen, die so eine entscheidende Rolle in unserer 100 Milliarden Euro schweren Lebensmittelindustrie spielen, größer sind als bisher angenommen. Ich glaube, das rechtfertigt weitere Einschränkungen ihrer Verwendung. Wir können es uns nicht leisten, die Populationen unserer Bestäuber aufs Spiel zu setzen.
Auch die großen Mengen Dünger, die Landwirte auf den Feldern verteilen, werden - Monokulturen: Insekten ernähren sich von Pflanzen; je üppiger und abwechslungsreicher das Angebot, desto besser für sie. Auf
- Flächenversiegelung: Von den
Was wir nicht wissen
Obwohl genau bekannt ist, dass die Insekten sterben und der Mensch vieles tut, um ihnen das Leben schwer zu machen, ist es – wie so oft in der Wissenschaft – nicht leicht, einen direkten Zusammenhang etwa zwischen einem bestimmten Pestizid und dem Insektensterben herzustellen. Vielmehr ist es die Summe der Einflüsse, die Insekten überall auf der Welt tötet. Denn genau wie wir sind auch die kleinen Tiere anfällig für Stress: Mit ein wenig Stress können wir umgehen. Sind wir aber angeschlagenMit ein wenig Stress können wir umgehen. Sind wir aber angeschlagen und es prasselt immer mehr auf uns ein, brechen wir irgendwann zusammen.
und es prasselt immer mehr auf uns ein, brechen wir irgendwann zusammen.
Auch wenn wir nicht genau vorhersehen können, was – abgesehen vom Vogelsterben und massiven Ernteausfällen – noch alles passiert, wenn das Insekten-Steinchen aus dem Ökosystem-Turm herausgezogen wird, wissen wir sicher: Es ist kein kleines Steinchen, eher ein Brocken. Und der steckt ziemlich weit unten im Turm. Denn die rund 5 Millionen Insektenarten – von denen wir gerade einmal eine Million kennen – stehen am Anfang vieler Nahrungsketten und Stoffkreisläufe.
Das bringt uns zurück zu Michael Gove und seiner Macht, Steinchen festzuzurren.
Was wir jetzt tun müssen
Der britische Umweltminister hat den Ernst der Lage erkannt und gehandelt, statt wissenschaftliche Erkenntnisse weiter zu ignorieren. Denn die Wissenschaftler schlagen nicht nur Alarm, sondern haben auch
- Weniger Pestizide auf den Feldern verhelfen Insekten zu besserer Gesundheit und lassen mehr nahrhafte Pflanzen auf den Feldern stehen. Der bemerkenswerte Nebeneffekt, der die Maßnahme sicher auch für weniger »progressive« Konservative als Gove interessant macht:
Der Umstieg auf andere Methoden der Schädlingsbekämpfung kann den Großteil der Farmen sogar noch produktiver machen.
Der Umstieg auf andere Methoden der Schädlingsbekämpfung kann den Großteil der Farmen sogar noch produktiver machen. Genau das - Mehr Vielfalt auf den Feldern, so wie es den Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft entspricht, würde vielfältigere Nahrung für Insekten mit sich bringen: Es gäbe mehr unterschiedliche Blüten und Kräuter, die für ein gesundes Immunsystem sorgen. Das führt auch zu gesünderen Böden, in denen viele der Fliegen und Käfer nisten.
- Mehr Geld für Forschung: Es ist ein Glück, dass die Hobby-Entomologen den massiven Rückgang der Insekten in Deutschland aufgezeichnet haben. Doch warum konnte die institutionelle Wissenschaft solche Ergebnisse nicht selbst liefern? Es fehlt an flächendeckendem Monitoring der Insektenbestände und intensiverer Erforschung, um weitere Trends früh zu erkennen und effektive Maßnahmen für die Politik empfehlen zu können. Und dafür braucht es Geld.
Dass die Nachricht vom Insektensterben auch ins deutsche Kanzleramt geflattert ist, ist anzunehmen; schließlich hat die Wochenzeitung Die Zeit Angela Merkel und einen Totenkopffalter direkt auf die
Titelbild: Unsplash / Boris Smokrovic - CC0 1.0