Enteignet mich!
Deutschland lässt zu, dass ich ohne Arbeit und Risiko steinreich werde. Warum? Weil ich eh schon viel habe.
Was ist soziale Gerechtigkeit? Schwer zu sagen, aber vielleicht verhält es sich mit ihr ein wenig so wie mit der Pornographie:
Sozial ungerecht ist zum Beispiel, wenn sich jemand ohne großartigen eigenen Einsatz, dafür aber mit staatlicher Hilfe und steuerlicher Begünstigung ein stattliches Vermögen aufbauen kann. Sagen wir so zwischen 500.000 und 800.000 Euro. Ohne Betrug, ohne Gesetzesübertretungen oder Briefkastenfirmen wie in den Panama Papers und mit geringem persönlichen Risiko.
Dieser jemand, das bin ich. Und wer weiterliest, dem gebe ich jetzt exklusiv den Schlüssel zur finanziellen Sorgenfreiheit in der deutschen Leistungsgesellschaft.
Schritt 1: Am Türsteher vorbeikommen
Bevor ihr aber die Tür zum exklusiven Wohlstandsclub öffnen könnt, müsst ihr am Türsteher vorbei. Und der fragt gerade nicht nach eurer Leistung, sondern nach eurem Familienvermögen. Und bei praktisch jedem lautet die Ansage dann: »So kommst du hier nicht rein!«
Um den Türsteher erfolgreich zu passieren, ist schon die Auswahl der geeigneten Eltern entscheidend. Ich habe es richtiggemacht und bin in einen Akademikerhaushalt geboren, mit Eltern, deren Väter wiederum selbst Akademiker sind. Streng genommen natürlich
Ohne wohlhabende Eltern kommt man in der deutschen Leistungsgesellschaft nicht weit.
Diese Ausgangslage hat mir nicht nur eine
Das ist natürlich noch nicht der politische und gesellschaftliche Skandal, auf den ich hier offensichtlich hinschreibe. Für ihr Vermögen und ihren finanziell sorgenfreien Ruhestand haben meine Eltern fleißig gearbeitet und als Unternehmer nebenbei noch einige weitere Arbeitsplätze geschaffen.
Meine eigene zivilisatorische Leistung besteht dagegen bis zum heutigen Tag hauptsächlich in dem (mal mehr, mal weniger erfolgreichen) Versuch, meinem Kind ein guter Vater, meiner Frau ein guter Partner und meiner weiteren Familie gegenüber ein angenehmer Verwandter zu sein. Beruflich halte ich mich zwar für einen passablen Journalisten.
Schritt 2: Von der Hausbank Geld erschaffen lassen
Aber wer in Deutschland eigenes oder familiäres Vermögen im Rücken hat, der muss sich keine Sorgen machen.
- Eine zumindest teilweise abbezahlte Immobilie im Familienbesitz, je wertvoller, desto besser. In meinem Fall haben meine Eltern dafür ordentlich gearbeitet, aber Mietshäuser, die schon seit Generationen in der Familie sind, tun es auch.
- Ein hervorragendes Verhältnis zur Hausbank des Vertrauens, das sich natürlich am besten durch die langjährige und profitable Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmer-Papa und der örtlichen Volksbank oder Sparkasse herstellen lässt.
- Eine weitere Immobilie, die man möglichst günstig kaufen und möglichst teuer vermieten kann. Zugegeben, in Zeiten steigender Immobilienpreise nicht einfach, aber zum Glück steigen neben den Kaufpreisen ja auch die Mieten in den Ballungsräumen stetig.
Man kombiniere diese Zutaten, indem man von der Hausbank einen Kredit zum Kauf der neuen Immobilie aufnimmt. Das kann natürlich theoretisch jeder machen. Aber anders als normalsterbliche Kaufinteressenten muss ich kein Eigenkapital in der Höhe von üblicherweise 30% des Kaufpreises
Ohne einen eigenen Cent investiert zu haben, gehört mir jetzt eine Immobilie im Wert von mehreren Hunderttausend Euro. Den Kredit zahlen meine Mieter Stück für Stück durch ihre Mieten ab, sodass sich mein
Das ist kein theoretisches Szenario. Ich habe es genauso in den letzten Jahren bereits 2-mal gemacht.
Schritt 3: Probe(n) aufs Exempel
Seit 2012 gehören mir 3 Mietwohnungen in Münster, dieses Jahr sind noch einmal 5 kleinere Apartments in Mainz dazugekommen. Zusammen erwirtschaften diese Immobilien oder eher die Mieter, die in ihnen wohnen, etwa 3.000 Euro Kaltmiete pro Monat.
Bisher habe ich noch
Wenn ich wollte, könnte ich den beschriebenen Trick einfach beliebig oft wiederholen und in den nächsten Jahrzehnten immer schneller
Daran habe ich kein großes Interesse, denn ich bin gern Journalist. Vermieter sein ist für mich eine nötige Übung. Auch ich muss an meine Rente und die Versorgung meiner Familie denken. Meine Immobilien verwalte ich zusammen mit meinen Eltern, langfristige Rentabilität ist uns wichtiger als kurzfristige Profitmaximierung auf den Schultern der Mieter.
Wer oder was ist schuld?
Ein schlechtes Gewissen oder gar Vorwürfe mache ich mir darum nicht, und ich würde sie mir auch nicht einreden lassen. Als politisch Linker, von den Ideen von
Ich nutze dabei keine »Schlupflöcher« des Kapitalismus. Die Vorteile, die mir durch meine Geburt in eine wohlhabende Familie zuteilwerden, sind politisch gewollt. Einen anderen Schluss lässt sich bei genauerer Betrachtung unseres Steuer- und Wirtschaftssystems kaum ziehen:
Geld ist günstig, wenn man es sich leisten kann.
- Ich bekomme Kredite ohne Eigenkapital zu extrem
- Gewinne aus Kapital werden niedriger besteuert als Gewinne aus Arbeit: Einnahmen aus Aktien und anderen Unternehmensanteilen, sogenannte Kapitalerträge, werden in Deutschland
- Kosten kann ich großzügig von der Steuer absetzen: Auf meine Mieteinnahmen wiederum muss ich ganz normal Einkommensteuer zahlen. Freuen kann ich mich aber über jede Menge Steuererleichterungen, die meinen Einkommensteuersatz senken. Absetzen von der Steuer kann ich als sogenannte
– die Zinsen, die ich auf meine Kredite zahle
– alle Nebenkosten, etwa Wasser, Strom und Schornsteinfeger, sofern diese nicht direkt mit den Mietern abgerechnet werden
– Renovierungskosten
– Hausmeister, Putzhilfe oder Gärtner
– Kosten für den Steuerberater, Anwalt und andere Dienstleister
– die Kaufnebenkosten, etwa die Grunderwerbsteuer und den Notar
Das geht übrigens nur, weil ich die Immobilien vermiete. Wer in - Beim Schenken und Erben bleibt die Gesellschaft außen vor: Wie viel Geld in Deutschland pro Jahr vererbt wird, ist
Das liegt an den hohen Freibeträgen: Meine Eltern können nicht nur nach ihrem Tod bis zu 400.000 Euro oder entsprechende Immobilienwerte steuerfrei an mich vererben. Dieselbe Summe kann zudem alle 10 Jahre steuerfrei an jedes Kind verschenkt werden. Wer als Arbeitnehmer aber im Jahr 40.000 Euro verdient, der muss darauf 22% Steuern zahlen. Mit entsprechender Planung könnten meine Eltern also ihren gesamten Immobilienbestand innerhalb der nächsten Jahrzehnte Stück für Stück an mich und meine Geschwister überschreiben,
Unterm Strich lässt sich sagen: Unser System tut alles dafür, reiche Menschen und ihre Nachkommen reicher zu machen. Wer arm ist, der hat es schwer, ein Vermögen aufzubauen. Mein eigenes Vermögen und das aller anderen reichen Menschen wächst hingegen praktisch automatisch, durch die Arbeit anderer.
Gefahr für die Gesellschaft
Laut dem französischen Ökonom Thomas Piketty gehört diese Ansammlung von immer mehr Kapital in den Händen immer weniger Menschen zu den Grundeigenschaften des Kapitalismus. In Deutschland besitzen die reichsten 10% der Bevölkerung knapp 58% des Nettovermögens. Die Hälfte der Bevölkerung besitzt dagegen unterm Strich gar nichts, wenn man ihr Vermögen mit ihren Schulden verrechnet.
Deutschland hat im Vergleich zu anderen Industrienationen eine sehr ungleiche Vermögensverteilung, grundsätzlich weisen aber alle reichen Industrienationen dieselben Strukturen auf. Und in den meisten Ländern steigt die Ungleichheit weiter, zugunsten der reichsten 10% oder sogar nur dem obersten 1% der Bevölkerung.
Das ist eine extrem gefährliche Entwicklung, was man zum 100. Jahrestag der russischen Revolution eigentlich nicht extra betonen muss. Das letzte Mal, als die Welt ein vergleichbares Niveau an Ungleichheit erlebt hat, wurden diese Unterschiede erst durch 2 Weltkriege und diverse gewalttätige Revolutionen ausgelöscht.
Auch wenn wir von einer Situation wie 1933 noch weit entfernt sind: Dass von den Revolutionen des arabischen Frühlings bis zu den Wahlerfolgen von Rechtspopulisten in den USA, Europa und darüber hinaus auch immer reale oder empfundene wirtschaftliche Unsicherheit eine Rolle gespielt hat, sollte uns zu denken geben und zum Handeln auffordern. Da ein höheres Vermögen auch mit höherer Lebenserwartung und besserer Gesundheit einhergeht, stellen sich bei der aktuellen Ungleichheit außerdem grundlegende Gerechtigkeitsfragen.
Wie kommen wir da heraus?
Dieser Entwicklung kann sich nur der Staat entgegenstellen. Staatliches Handeln müsste es Menschen wie mir unmöglich machen, auf diese Art und Weise
- Einkommensteuer anpassen: Die Einkommensteuer entspricht dem progressiven Ideal in Ansätzen. Einkommen von bis zu 8.652 Euro sind komplett steuerfrei. Ab einem Einkommen über 254.447 Euro wird ein
- Historisch gesehen sind diese Steuersätze extrem niedrig: Nach dem Ersten Weltkrieg waren Spitzensteuersätze von mehr als 50% in vielen Industrienationen üblich, während des Zweiten Weltkrieges wurden in einigen Ländern besonders hohe Einkommen mit über 90% besteuert. Laut
- Vermögensteuer einführen: Eine Steuer auf Kapital gibt es in Deutschland
Wie hoch muss Vermögen sein, um asozial zu werden? Das ist eine politische Entscheidung, aber Piketty hält eine progressive Steuer von 0,1% auf Vermögen von unter 200.000 Euro bis zu 10% auf Vermögen über 1 Milliarde Euro für angemessen. Eine langfristige Anhäufung von Vermögen würde damit praktisch unmöglich gemacht. Die Chance, sich bedeutenden Wohlstand und die damit einhergehenden Annehmlichkeiten zu erarbeiten, bleibt aber bestehen. - Erbschaft- und Schenkungsteuer anheben: Der dritte Pfeiler eines sozial gerechten Steuermodells wäre eine ernst zu nehmende Erbschaft- und Schenkungsteuer. Der radikalste Ansatz wäre, alle Schenkungen und Erbschaften über der Höhe, die dem Wert eines Einfamilienhauses entspricht, mit einer 100%-Steuer zu belegen. Das Kapital einer Volkswirtschaft würde damit mit jeder Generation wieder neu verteilt werden, was
Meine Forderung ist klar: Ich will enteignet werden!
Wohin mit dem ganzen Geld?
Im Gegenzug will ich aber ein echtes Solidarsystem, das mir und meiner Familie die ökonomische Grundlage für ein erfülltes und produktives Leben garantiert. Das Geld dafür wäre da: Allein eine Steuer von durchschnittlich 4% auf die Vermögen der reichsten 10% der deutschen Privathaushalte würden dem Staat
Eine Verdoppelung der Sozialausgaben? Kein Problem mit höheren Steuern.
Ein
Auch wenn ich persönlich vom Status quo profitiere: Für eine solche positive Vision eines alternativen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells würde ich meine unverdienten Aussichten auf immer größeren Wohlstand ohne Zögern aufgeben. Anders als etwa beim Umweltschutz hat mein persönliches Handeln aber praktisch
Mit Illustrationen von Isabell Altmaier für Perspective Daily