Warum eine sächsische Ministerin jetzt Sachsen integrieren soll
Was im Osten bei vielen für Frust sorge, seien nicht die Geflüchteten, meint Integrationsministerin Petra Köpping im Interview. Hat Deutschland seine besorgten Bürger falsch verstanden?
Wenn Journalisten über die Sächsische Staatsministerin für Integration und Gleichstellung schreiben, fällt es ihnen oft schwer, nicht für ein paar Zeilen den Modeblogger zu mimen. Die runde Brille, die roten Haare, die Kleider und Farben, die sie trägt – das Auftreten von Petra Köpping kontrastiert wunderbar mit dem Bild vom Freistaat Sachsen, das in den letzten Jahren von Pegida-Demos, AfD-Wahlerfolgen und überschattet wird. Gegen dieses Image tritt die SPD-Ministerin an. 2015 besuchte Köpping wochenlang die Legida-Demonstrationen – den Leipziger Pegida-Ableger – und sprach mit denen, die da mitliefen. Seitdem fordern viele von ihr: »Integrieren Sie doch erst einmal uns!«
Das Hauptthema sind für mich dieses Jahr nicht die geflüchteten Menschen.Petra Köpping
In Köppings Sprechstunden sitzen jetzt auch oft ältere sächsische Männer, die ihr erzählen, dass sie die Wende vor über 28 Jahren wirtschaftlich und emotional nicht verkraftet haben. Dass der besorgte Bürger mittlerweile zu einem Kampfbegriff geworden ist, versteht die SPD-Ministerin nicht. Den Sorgen der Bürger müsse man doch auf den Grund gehen, findet sie. Deshalb tourt sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit durch Sachsens Gemeinden und spricht mit den Menschen vor Ort, hört ihnen auch dann noch zu, wenn sie gegen Politiker und Geflüchtete schimpfen. Am Ende richte sich die Wut dieser Menschen nicht gegen Asylsuchende selbst. Ihre Ablehnung habe viel mit Enttäuschungen und Demütigungen in der Nachwendezeit zu tun, meint Köpping.
Was Köpping heute macht, ruft Kritiker auf den Plan.
Der sächsische Unions-Generalsekretär Michael Kretschmer spricht von »falscher Hoffnung«, die die Staatsministerin den Menschen mache, und davon, dass sie »Nach dem Motto: Die haben gar nichts gegen die Flüchtlingspolitik, die haben nur eine Ostmacke. Wer so etwas erzählt, nimmt die Bürger nicht ernst.« Auch auf der Internetseite der AfD Sachsen bekommt Köpping ihr Fett weg, Die Schönfärberei der Flüchtlingssituation in Sachsen gehört dabei noch zu den harmloseren Vorwürfen. Im Interview erklärt die Sächsische Staatsministerin für Integration und Gleichstellung ihre Strategie für mehr Anerkennung:
Mussten Sie schon einmal einem Geflüchteten erklären, was Pegida oder die AfD sind?
Petra Köpping:
Eigentlich nicht. Wer die sind, ist ziemlich bekannt. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass Sachsen und Pegida in der öffentlichen Wahrnehmung untrennbar miteinander verbunden sind. Was natürlich ärgerlich ist, weil Sachsen nicht Pegida ist.
Aber knapp 27% aus Sachsen bei der Bundestagswahl für die sprechen Bände: Was war Ihre erste Reaktion auf das Wahlergebnis im September?
Petra Köpping:
Meine erste Reaktion war: Mist, recht gehabt. Das war absehbar. Vor der Bundestagswahl habe ich auf vielen öffentlichen Veranstaltungen gesagt: Ich schätze, dass die AfD in Sachsen leider 25% erreichen wird.
Dagegen wollen Sie ansteuern. Eigentlich – denkt man – liegt der Fokus einer Staatsministerin für Integration und Gleichstellung im Jahr 2017 auf Asylsuchenden, Migranten und Frauen. Doch bei Ihnen sitzen immer mehr sächsische Männer in der Sprechstunde. Warum?
Petra Köpping:
Ich würde nicht von mehr oder weniger sprechen. Wir setzen immer noch sehr viel wichtige Integrationsarbeit mit unseren Vereinen und Initiativen um, die sich um Geflüchtete kümmern, und fördern weiterhin deren integrative Maßnahmen in Vereinen, Unternehmen und Verbänden, um überall in Sachsen Orte der Begegnung zu schaffen.
Aber – und das ist das Neue an meinem Thema Integration – ich wurde während Veranstaltungen in Sachsen immer wieder mit derselben Forderung konfrontiert: »Na, Frau Köpping, Sie mit Ihren Flüchtlingen« – das waren dann auch immer gleich meine Flüchtlinge –, »kümmern Sie sich doch lieber erst einmal um uns! Integrieren Sie uns erst einmal.« Da wurde mir klar: Hier liegt etwas im Argen. Ich musste das Thema Integration viel breiter sehen, als ich es mir vielleicht bei meiner Amtsübernahme 2014 vorgestellt hatte. Es umfasst alle Menschen, die hier leben. Und die aus irgendwelchen Gründen, und an den Gründen sind sie eben nicht schuld, das Gefühl haben, dass sie Unterstützung brauchen.
Die Rückkehr des »Jammer-Ossis«?
Mit Blick auf die Ereignisse in 2015: Können Sie die Grenze zwischen rechtsextremer Gewalt und den Taten und Manifestationen besorgter Bürger ziehen?
Petra Köpping:
Mit Rechtsextremismus haben wir ein Das ist auch kein neues Problem. Die Strategie der Neuen Rechten ist, dass man sich die Themen von besorgten Bürgern zu eigen macht. Es gab Zeiten, da haben sich Rechte wie die NPD sehr stark von so etwas abgegrenzt. Die wären nie bei einer Pegida-Demo mitgelaufen, sondern haben immer ihre eigenen Veranstaltungen organisiert. Als kaum jemand dorthin kam, mischten sie sich unter Pegida-Demonstranten gegen Flüchtlingsunterkünfte. Sie nutzten die aufgeheizte Stimmung für sich aus, um für ihren Hass mobilzumachen. Also ja, wenn man genau hinschaut, kann man ganz klar zwischen den Strategien von Rechtsextremen und den Sorgen von Bürgern trennen.
Sie sagen häufig, dass der Grund für den Frust der besorgten Bürger nicht die Geflüchteten sind. Aber wie erklären Sie sich dann die Front, die sich 2015 gegen Asylsuchende aufbaute?
Petra Köpping:
2015 haben wir vielleicht mit 15.000 Menschen in Sachsen gerechnet, die als Flüchtlinge zu uns kommen sollten. Tatsächlich kamen aber In vielen Fällen konnten Städte nicht einmal mehr rechtzeitig ihre Bürger und Gemeinderäte zusammentrommeln und informieren. Es gab keine Zeit für Vorbereitungen, um eine Initiative oder Gruppe zu gründen, die die Menschen dort begleiten würde. Deshalb fühlten sich die Bürger dort mächtig überrumpelt. Da hatte jemand gehandelt, Das stellt für mich ein schwieriges demokratisches Problem dar. Wir haben die Menschen vor Ort bei diesen grundlegenden Fragen nicht – oder viel zu spät – an die Hand genommen. In den Landkreisen, wo wir Zeit hatten, den Bürgermeistern zu vermitteln, dass Flüchtlingsunterkünfte in ihren Gemeinden geplant seien, wurden entsprechende Vorbereitungen getroffen. Auch sehr gut vorbereitete Orte gab es also in Sachsen. Weil die Flüchtlingszahlen schnell wieder zurückgingen, bekam ich später auch immer häufiger die Frage gestellt: »Ja, wo bleiben denn unsere Flüchtlinge? Jetzt haben wir alles soweit vorbereitet.«
Und doch machte sich mit Blick auf die Flüchtlingshilfe ein starkes Gefühl der Ungerechtigkeit in den neuen Bundesländern breit …
Petra Köpping:
»Wisst ihr, für unsere Schulen und Kindergärten habt ihr kein Geld gehabt, aber jetzt kommen die ganzen Flüchtlinge und die kriegen, was sie brauchen – wie kann das sein?« Diese Frage wird mir häufig gestellt und ich finde sie sogar legitim. Darauf habe ich immer offen geantwortet: Wir hatten ein Stück weit Glück, weil wir jetzt in einer guten wirtschaftlichen Verfassung in Deutschland sind. Wir können die Flüchtlinge zusätzlich versorgen, ohne der Bevölkerung selber irgendetwas wegzunehmen. Ich weiß nicht, wie das 2008, 2009 gewesen wäre, als es uns wirtschaftlich viel schlechter ging.
Gerade diese Selbstwahrnehmung als Opfer scheint in Westdeutschland eher Ablehnung als Verständnis hervorzurufen. Die Bezeichnung gab es schon einmal – ein Bild, das jetzt zurückkommt?
Petra Köpping:
Das ist mit Sicherheit ein großes Problem. Nach der Wende wurde der Begriff des »Jammer-Ossis« im Wesentlichen geprägt. Damals setzte sich eine bekannte SPD-Politikerin, sehr stark für die Menschen hier im Osten ein. Ich glaube, dass sich seitdem viel geändert hat. Wenn Menschen aus den alten Bundesländern in den Osten kommen, dann staunen sie über die positive Entwicklung in unseren Städten und Gemeinden.
Doch dort leben Menschen, die 28 Jahre lang weniger Geld verdient haben als die in den alten Bundesländern und jetzt natürlich entsprechend niedrigere Renten bekommen. Das ist ein Thema, das uns alle interessieren muss. Mir ist bewusst, dass soziale Ungerechtigkeit nicht an ostdeutschen Ländergrenzen endet. Solche abgehängten Regionen gibt es auch in den alten Bundesländern. Egal wo, es geht nicht darum, wer Opfer ist, sondern konkret um Benachteiligung. All diesen Menschen muss ein Stück Gerechtigkeit widerfahren.
Wurde der Osten nach der Wende ausverkauft?
Im Wendejahr vor 28 Jahren tauschten Sie das Amt als Bürgermeisterin gegen einen Beraterjob bei einer Krankenkasse, für den Sie eigentlich überqualifiziert waren. Heute demonstrieren Sie aber nicht als besorgte Bürgerin – was ist bei Ihnen anders gelaufen?
Petra Köpping:
Nach dem turbulenten Wendejahr als Bürgermeisterin der Gemeinde Großpösna schwor ich mir, nie wieder in die Politik zu gehen. Per Zufall fand ich dann eine Stelle bei einer Krankenkasse. Damals wusste ich nicht, ob mein Studium als Staatswissenschaftlerin anerkannt wird. Ich arbeitete mit 10 Außendienstberatern zusammen, die allesamt ein Hochschulstudium hatten. Viele mussten damals Jobs annehmen, für die sie weit überqualifiziert waren, nur um sich und ihre Familie über Wasser zu halten.
Ich hatte nie aufgehört, mich für meine Mitmenschen zu interessieren. An meiner Überzeugung konnte auch das sich verändernde System nicht rütteln. So kam ich zurück in die Politik. Als ich mich gegen hohe in meinem Dorf stark machte und eine Satzung dafür entwickelte, sagten die Leute: »Du hast das auf den Plan gerufen, also musst du auch wieder Bürgermeisterin werden.« Es hat mich sehr gefreut, dass ich die Direktwahl 1994 dann auch gewann und ein zweites Mal Bürgermeisterin von Großpösna wurde.
Wenn es um die Ostdeutschen geht, die weniger Glück hatten und nach der Wende ihren Job verloren, fällt immer wieder der Name der Sie fordern ganz konkret, die Treuhand-Akten zu sichten. Was steht da überhaupt drin?
Petra Köpping:
Ohne Öffnung dieser Akten werden viele Menschen im Osten immer das Gefühl haben, dass irgendetwas vor ihnen verborgen werden soll.
Ein Beispiel: In der Gemeinde Großdubrau stand mit der sogenannten Margarethenhütte bis 1990 ein Werk, in dem wurden Der überwiegende Teil der Produkte wurde bis kurz nach der Wiedervereinigung in die alten Bundesländer exportiert. Als das Werk durch die Treuhand privatisiert wurde, kam ein Investor und stellte für sich fest, dass dieser Betrieb völlig veraltet sei und geschlossen werden könne. Von einem auf den anderen Tag waren die Produkte und die Arbeit der Menschen wertlos geworden. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden dann die Tresore aus dem Werk mitsamt den Patenten und den Gehältern für die Mitarbeiter abtransportiert. Das ist die Geschichte, die mir da die Leute vor Ort erzählten. Und zwar 28 Jahre später, mit Tränen in den Augen. Lange her, möchte man meinen. Das müssten die Menschen doch mittlerweile überwunden haben. Aber sie haben es nicht vergessen.
Warum sollte die Öffnung der Treuhand-Akten nun weiterhelfen?
Petra Köpping:
Manche haben damals noch versucht, als Belegschaft ihren Betrieb zu kaufen. Die bekamen dann ein Angebot von 150.000 Mark. Doch um einen Kredit aufzunehmen, musste man aus Hamburg oder München sein – und nicht aus Großpösna. Die Menschen im Osten wurden damals absolut disqualifiziert. Diese Zeit muss aufgearbeitet werden. In Großdubrau sagten sie mir: »Wissen Sie, die Stasi-Akten haben die sofort alle aufgemacht. Warum können wir die Treuhand-Akten nicht einsehen? Was ist denn damals wirklich passiert? Ist die Geschichte, die uns über die Privatisierung erzählt wird, wahr? War das ein Skandal oder ein ganz normales Geschäft?«
Wann dürfen die Treuhand-Akten geöffnet werden?
Petra Köpping:
Es gibt Akten, die können ab 2020 geöffnet werden, und es gibt andere, die sollen bis 2030 unter Verschluss liegen. Mir ist wichtig, dass die Aufarbeitung bald beginnt. In einer Zeit, in der die Menschen, die es betrifft, das noch bewerten können.
»Integrieren Sie uns erst einmal!«
Ihre Art der Aufarbeitung wird aus den Reihen der sächsischen CDU und vom Unions-Generalsekretär Michael Kretschmer stark kritisiert: Zu hohe Erwartungen und Hoffnungen würden Sie den Sachsen machen, denen Sie zuhören. Sehen Sie das Risiko ähnlich?
Petra Köpping:
Ganz im Gegenteil. Es vergeht keine Veranstaltung, bei der ich nicht gleich zu Beginn klarstelle, dass ich den Menschen dort nichts versprechen kann. Weil es viele Probleme gibt, die nur auf Bundes- und nicht auf Landesebene zu lösen sind. Aber die Hoffnung, die die Menschen haben, ist eben, dass man ihnen endlich zuhört. Das haben früher zu Beginn der Wiedervereinigung Bürgermeister, Pfarrer und andere regionale Akteure übernommen.
Doch durch viele Gemeinde-Zusammenlegungen in der Nachwendezeit sind große Einheiten entstanden, wodurch diese direkte Ansprache weggefallen ist. Das fehlt den Menschen. Und jetzt kommen wieder meine Flüchtlinge ins Spiel:
Wenn Ostdeutsche dann von mir hören, wie ich Integration gestalte. Dass geflüchtete Menschen auch einen Ansprechpartner bekommen. Dann werde ich in Sachsen häufig gefragt: »Und wer macht das für mich?« Deswegen höre ich zu.
Fühlen Sie sich und die Sorgen, die Sie aus Sachsen nach Berlin tragen, ernst genommen?
Petra Köpping:
Nicht alle Menschen halten die Themen, die ich setze, für richtig und wichtig. Und deswegen rufen auch in Berlin nicht gleich alle: »Das macht sie aber toll, die Frau Köpping!« Es gibt Politiker aus den alten Bundesländern, die Verständnis zeigen, aber es gibt genauso viele, die es nicht tun. Ich werde weiterhin dafür werben, Themen der anderen, wie die der Ostdeutschen, ernst zu nehmen. Es gibt wirklich niemanden hier, der nur um des Meckerns willen meckert. Für eine Problemlösung brauchen wir zuallererst Verständnis und Anerkennung für unser Gegenüber. Ohne ihn von vorneherein auszugrenzen, nur weil er ein Ossi, ein Ausländer ist, oder weil er eine Behinderung hat.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Petra Köpping:
Das Hauptthema sind für mich dieses Jahr nicht die geflüchteten Menschen. Wir hatten 2017 knapp 8.000–9.000 Menschen, die nach Sachsen gekommen sind. Also weniger als im Jahr 2014 und davor. Mein Thema ist jetzt der gesellschaftliche Zusammenhalt. Was kann jeder tun, damit wir die Diskussionsfähigkeit wiederherstellen können?
Gute Frage. Was kann jeder Einzelne tun?
Petra Köpping:
In meinem Freundeskreis und in der Familie reden wir über alles, nur nicht über Politik. Und ich sage: Doch! Wir müssen über Politik reden. Ich ärgere mich dabei auch manchmal über die Meinungen Einzelner. Aber ich denke auch darüber nach. Insofern ist es wichtig, dass wir solchen Diskussionen nicht aus dem Weg gehen. Und auch nicht erwarten, dass wir uns am Ende alle die Hand schütteln. Es geht darum, unterschiedliche Meinungen auszuhalten. Insofern kann wirklich jeder etwas dazu beitragen.
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.