Vom Versuch, Prostituierte besser vor Ausbeutung zu schützen
Allerorts sprießen Bordelle aus dem Boden, seit es nicht mehr strafbar ist, sie zu betreiben. Auch Großbetriebe und Flatrate-Angebote machen sich breit. Umstrittene neue Regeln sollen die Prostituierten nun vor Ausbeutung schützen. Wie sinnvoll sind sie und was würde wirklich helfen?
Abends um halb neun in der PD-Redaktion, der Blick schweift aus dem Fenster. Über Industrie-Schornsteine, die in der Abendsonne leuchten, zu einer Bushaltestelle an der Straße. Dort steht eine Frau. Sie trägt einen roten Minirock und geschnürte Strümpfe. Federnden Schrittes läuft sie hin und her, winkt den vorbeikommenden Autofahrern zu.
Werbefahnen flattern im Wind: Mietwagen, Autohäuser, Spielhalle. 200 Meter weiter noch eine Frau. Sie trägt schwarz von oben bis unten, geht in Stilettos auf und ab. Ein Lieferwagen hält an, Frau und Fahrer sprechen miteinander. Dann wendet er und fährt weg. Anscheinend sind sie sich nicht einig geworden.
Die Frauen verkaufen Sex. Ihre Arbeit ist in den vergangenen Monaten und Jahren Gegenstand heftiger ARD-Dokumentation »Sex – Made in Germany« diverse neue Betriebe mit zum Teil fragwürdigen Geschäftsmodellen entstanden. Der Sextourismus in Deutschland floriert. Kurz vor der Sommerpause hat der Bundestag darum das sogenannte Beschlussprotokoll (Tagesordnungspunkt 18) Prostituiertenschutzgesetz das im Sommer 2017 in Kraft treten soll.
gewesen. Dabei ging es zuletzt um die Frage, wie man die Prostituierten möglichst wirksam vor Ausbeutung schützen kann. Denn seitdem die »Förderung der Prostitution« 2002 als Straftatbestand gestrichen wurde, sindNeue Regeln für die Prostitution
In Zukunft gilt
Strenge Vorgaben für die Zutrittsrechte für Ordnungs- und Gesundheitsbehörden. Die Bordell-Vorschriften werden von den meisten Interessenverbänden im Wesentlichen begrüßt. Sehr umstritten ist allerdings die vorgesehene Anmeldepflicht für Prostituierte.
Voraussetzungen für die Anmeldung sind eine Gesundheitsberatung und ein persönliches Gespräch. Damit will die Bundesregierung erreichen, dass Sexarbeitende einen besseren Zugang zu Beratungsangeboten haben.
Wo liegt das Problem bei der Anmeldepflicht? Die Antwort hängt davon ab, wen man fragt – wie bei fast allen Fragen, die mit Prostitution zu tun haben.
»Das ist eine reine Kontrollanmeldung, die da stattfindet. Auch noch Website des Vereins Hydra Hydra e. V. in Berlin, die sich seit den 1980er-Jahren für die Rechte von Prostituierten einsetzt und gegen ihre Stigmatisierung kämpft. Wiegratz betrachtet die Anmeldepflicht als »Ungleichbehandlung, bei der man mehrheitlich Frauen kontrollieren will und das auch noch in einem sensiblen Bereich.« Dass die Anmeldung für die Prostituierten etwas verbessern wird, glaubt sie nicht.
da sind wir einfach dagegen«, sagt Simone Wiegratz, Leiterin der BeratungsstelleGanz anders sieht das Sabine Constabel aus Stuttgart. Als Sozialarbeiterin arbeitet sie seit über 25 Jahren mit Prostituierten und Aussteigerinnen. Die Anmeldepflicht findet sie gut. Denn damit könnten die Frauen gegenüber den Behörden nachweisen, dass sie in Deutschland gearbeitet haben. Das ist wichtig für Sozialleistungen. »Das war unser größtes Hemmnis beim Ausstieg«, erzählt Constabel. »Die Frauen waren zum Teil 5 oder 6 Jahre hier, haben sich immer selbstständig unterhalten und nie irgendwelche staatlichen Hilfen in Anspruch genommen. Wenn sie irgendwann nicht mehr können, bekommen sie nichts.« Durch die Anmeldepflicht kann sich das
Simone Wiegratz und Sabine Constabel setzen sich beide für Prostituierte ein. Wie das am besten geht, darüber sind sie sich in vielen Punkten uneinig. Beide betonen aber, dass man doch am besten mit den Betroffenen selbst spricht, anstatt über sie.
Streifzug über den Straßenstrich
Irgendwo auf der Siemensstraße steht Sofia und wartet auf Kundschaft. Ob sie mit uns sprechen möchte? Ihr Deutsch ist nicht sehr gut, aber sie will es versuchen. Sie ruft auch gleich noch ihre Kollegin herbei, die Elisabeta genannt werden möchte. Beide kommen aus Bulgarien und arbeiten hier schon länger als ein Jahr. Sie lachen viel und sagen, sie seien ganz zufrieden mit der Arbeitssituation. Wie finden sie die Anmeldepflicht? Sofia hat dazu keine Meinung, Elisabeta möchte sich nicht anmelden müssen. Warum, kann sie auf Deutsch nicht erklären.
Die Frauen auf der Siemensstraße bekommen seit 3 Jahren regelmäßig Besuch von Ehrenamtlichen, die sich um ihre Sorgen und Nöte kümmern. 2013 haben Studenten das Streetwork-Projekt »Marischa« gegründet und unterstützen die Frauen auf der Straße, zum Beispiel bei Behördengängen und Arztbesuchen. Inzwischen wird das Projekt sogar durch eine Sozialarbeiterin

Ansonsten sind Unterstützungsangebote rar gesät. Monika Brosda ist Ärztin beim Gesundheitsamt Münster und dort auch für die gesundheitliche
von Prostituierten zuständig. »Auf der Siemensstraße arbeiten etwa 15 Frauen«, sagt sie. »Insgesamt wird die Zahl der Menschen, die in der Prostitution arbeiten, in Münster aber auf etwa 400 geschätzt. Die meisten arbeiten in Bordellen und Wohnungen.« Brosda ist die einzige, die sie gelegentlich dort besucht, andere Beratungsangebote gibt es nicht. Es sei sehr schwierig, in die Betriebe hineinzukommen, sagt sie. Nur mit Zustimmung der Betreiber könne sie die Frauen beraten. Das wird sich mit dem neuen Gesetz ändern, denn in Zukunft müssen Bordellbetreiber jederzeit gesundheitliche BeratungenZurück zur Straße, ein paar Hundert Meter weiter. Dort steht Kristina. Sie weiß schon über die Gesetzesänderung Bescheid und findet die Anmeldepflicht gut. Denn alles »muss korrekt sein, wie bei anderer Arbeit auch.« Kristina kommt ebenfalls aus Bulgarien. Sie ist nur für eine Woche hier und arbeitet zum ersten Mal auf der Straße. »Ich mache das, weil ich ein Kind habe«, sagt Kristina, »und kein Geld.« Ihr Sohn bleibe in der Zwischenzeit bei seiner Großtante. Kristina würde lieber putzen gehen, aber sie findet keine Stelle. »Ich mache das, weil ich ein Kind habe.«
»Krise«, sagt sie. Krise auf dem Arbeitsmarkt und auch hier auf der Straße. Nur wenige Kunden kämen vorbei. Trotzdem passe sie immer auf und arbeite nicht mit jedem. Denn Sicherheit und Gesundheit seien für sie das Wichtigste.
Sicherheit und Gesundheit zu gewährleisten, ist auch das erklärte Ziel des neuen Entwurf des Prostituiertenschutzgesetzes Gesetzes. Jede einzelne in einem persönlichen Anmeldungsgespräch auf ihre Rechte und auf Beratungsangebote hinweisen zu können, klingt vielversprechend. Stellungnahme des Koordinationskreises gegen Menschenhandel Zahlreiche Verbände sind allerdings der Ansicht, dass die Anmeldepflicht gerade den besonders Schutzbedürftigen zum Nachteil gereicht. Denn die bürokratischen Hürden könnten gerade diejenigen abschrecken, die zum Beispiel keine Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung haben, nicht lesen und schreiben können oder kein Deutsch sprechen. Sie würden zusätzlich erpressbar, weil sie mit einem Bußgeld rechnen müssen, wenn man sie ohne Anmeldung erwischt. Bei Gewalt könnten sie sich nicht ohne Risiko an die Behörden wenden.
Würden die Frauen auf der Siemensstraße zur Polizei gehen, wenn sie gewalttätige Kunden haben? »Klar, warum nicht?«, sagt Sofia. Auch Kristina und Elisabeta würden das tun.
Doch sie sind diejenigen, die sich auf Deutsch verständigen können – und entscheiden können, mit wem sie reden möchten. Wir haben noch 2 weitere Frauen angesprochen, die uns begegnet sind; sie konnten kaum deutsch sprechen. Die eine möchte nicht mit uns sprechen, die andere ist offen für eine Unterhaltung. Aber während wir noch dabei sind, verständlich zu machen, wer wir sind, wird sie auf ihrem Handy angeklingelt und verabschiedet sich eilig. Vielleicht soll sie sich nicht mit uns unterhalten.
Es gibt in der Sexarbeit sehr viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, das zeigt schon diese kleine Stichprobe. Noch vielfältiger sieht es aus, wenn man auch andere Bereiche der Prostitution bedenkt.
Was möchten die Frauen, mit denen wir gesprochen haben? Sofia und Elisabeta finden ihre Situation in Ordnung und haben keine konkreten Verbesserungsvorschläge. Die
aufzuheben, fänden sie schön, dann könnten sie im Stadtzentrum arbeiten, statt im Industriegebiet – doch dies ist im neuen Gesetz nicht vorgesehen. Kristina findet vielmehr die Arbeit an sich schlimm und sagt: »Ich suche andere Arbeit, denn diese Arbeit kann nicht besser werden.«
Madrid macht es vor
Auch wenn das neue Gesetz viele Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen verspricht: Die Ursachen für unfreiwillige Prostitution berührt es nicht. Das wäre mit einem einfachen Gesetz auch kaum machbar, denn es geht dabei um große Themen wie soziale Ungerechtigkeit und Armut.
Den Ausstieg zu erleichtern, wäre aber sehr wohl möglich: So startet zum Beispiel
Bericht der Zeitung El Mundo über das Stipendienprogramm (spanisch)
in Madrid im September ein Stipendienprogramm
für Menschen, die aus der Prostitution aussteigen möchten. 31 Stipendiatinnen erhalten dann staatliche Unterstützung für eine Berufsausbildung. Streetwork und Stipendien
Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die Finanzierung flächendeckender Beratungs- und Unterstützungsangebote – denn solche Leistungen kann das kurze Anmeldungsgespräch nicht ersetzen. Die Versorgungslücken schließen bisher so gut es geht Ehrenamtliche. Sie unterstützen die Prostituierten bei ihren Alltagssorgen und beim Ausstieg, nicht nur im Projekt Marischa.
Einige von ihnen organisieren sich im Sisters e. V., einem bundesweit tätigen Verein, den Sabine Constabel mitgegründet hat. Sexarbeiterinnen, die Unterstützung brauchen, können eine E-Mail an den Verein schicken und werden dann mit einem Mitglied in der Nähe in Kontakt gebracht. Außerdem gehen die Ehrenamtlichen auch aktiv zu den Frauen hin. Braucht man dafür nicht eine sozialpädagogische Ausbildung? Nein, sagt Sabine Constabel, »Sie können ja auch Ihre Nachbarin ansprechen ohne dafür eine Ausbildung zu haben.« Für schwierigere Fälle biete der Verein eine Fachberatung an.
Es ist schwierig, eine Regelung zu treffen, die allen Interessen gerecht wird. Die Anmeldepflicht birgt das Risiko von Datenmissbrauch und Erpressbarkeit, aber zugleich die Chance einer weitreichenden Beratung und des Zugangs zu den Sozialsystemen. Die Risiken können nun die Bundesländer gering halten, wenn sie das Gesetz umsetzen. Denn es ist noch offen, welche Behörden die Daten erhalten und in welchen Fällen sie tatsächlich Bußgelder verhängen. Diese Spielräume sollten die Länder nutzen.
Die Namen der Sexarbeiterinnen wurden von der Redaktion geändert.
Titelbild: Robin Schüttert - CC BY-SA
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