»Weißt du, ich habe Ideale!«
Unsere Familie hat sich in Bewegung gesetzt. Das Ziel: Europa entdecken. In Montenegro begegnen wir einer Frau, die den wichtigsten Schatz ihres Landes retten will.
Es ist ein Wiedersehen. Zwischen dem Restaurant Plaza an der Strandpromenade im montenegrinischen Ulcinj und dem Whistle-Stop-Café in Köln, wo Zenepa Lika und ich einst gemeinsam als Studentinnen kellnerten, liegen 20 Jahre.
Ich bin auf Reisen. Mit meinem Mann Andi
Wir suchen auf unserer Reise nach Menschen, die sich für ein friedliches, zukunftsgerichtetes Europa stark machen. In Zenepa haben wir dafür genau die Richtige gefunden. Sie mischt sich ein. Und die Politik in ihrer Heimat ganz schön auf: als Lokalpolitikerin und Umweltaktivistin, die sich nicht einschüchtern lässt.
Für ein Land, in dem Gesetze das Maß der Dinge sind
Zenepa Lika kämpft heute, 2 Jahrzehnte nach unserer Zeit im Kölner Café, für ein neues Montenegro. Genauer: für ein Land, das auf seine einzigartigen Naturschätze achtet und in dem Gesetze das Maß der Dinge sind – nicht Geld und Einfluss. In den kommenden Tagen wird Zenepa uns ihr Montenegro zeigen. Ihr Europa.
Im Internet hatte ich sie nicht gefunden. Doch eine einzige Frage nach Zenepa in einem der wenigen im Winter geöffneten Restaurants hatte gereicht, um sie kurz darauf ans Telefon zu bekommen und ihr am nächsten Tag im Plaza gegenüberzusitzen. »Ich bin in Ulcinj bekannt, eigentlich in ganz Montenegro. Aber wir haben ja
Das Restaurant Plaza liegt an der Promenade der kleinen Küstenstadt und ist einer von Zenepas Lieblingsplätzen in Ulcinj. Hier hat sie draußen Kaffee getrunken, als sie im Jahr 2008 nach über 25 Jahren aus Köln nach Montenegro zurückkehrte, um ihr
Fast 30 Jahre lang hatte Zenepa mit ihren Eltern in Deutschland gelebt. Das typische Gastarbeiterkind, das sich fleißig hochgearbeitet und dann studiert hat. Das in Deutschland »Jugo« war und in Montenegro wahlweise »die Deutsche« oder »die Albanerin«.
Im November 2017 sitzt sie mit uns am Tisch, mit mir, meinem Mann und unseren 3 Kindern. Auf unserer Reise wollen wir lebendige Begegnungen; in einem Europa, das in der Lage ist, Menschen unterschiedlichster Traditionen, Religionen und Lebensweisen in Frieden zu einen. Dieses Montenegro, wie wir es hier gerade bei türkischem Kaffee und Pizza erleben, ist ein typisches Beispiel für ein Europa, in dem sich verschiedene Völker über die Jahrtausende in Kriegen bekämpften und schließlich im Frieden zusammenfanden. Wir haben uns in Bewegung gesetzt, um unseren Kindern dieses Europa zu zeigen: einen Kontinent, der schon seit Jahrtausenden in Bewegung ist. Einen Kontinent der Begegnungen.
Nach dem ersten Kaffee stecken wir knietief im politischen Diskurs um den
Erst seit dem Jahr 2006 ist Montenegro ein
Nachhaltigkeit spielt im Goldrausch keine Rolle
Es werde weder mit der Natur noch in Proportionen gedacht, schimpft Zenepa Lika. Keine Nachhaltigkeit, kein Anlehnen an die Erkenntnisse der Alten, die mit ihren dicken Mauern und kleinen Fenstern schon ökologisch und energiesparend gedacht hätten.
Die Goldgräberstimmung nach dem Ende der Jugoslawienkriege zeigt ihr Gesicht in Ulcinj: in immer neuen Bauten, die
Ich will Veränderung. Damit die Generationen nach uns in einem Land leben können, in dem es sich zu leben lohnt.
Für die Zukunft ihres 12 Jahre jungen Landes hatte sie im Jahr 2014 die Position der stellvertretenden Bürgermeisterin angenommen. Sie wollte sehen, wie Politik funktioniert, was sie aus dieser Stellung heraus bewirken könne. »Nicht wirklich viel«, resümiert sie gut 3 Jahre später.
Sie eckte an, lief gegen Wände. Bis sie die hiesige Politik wieder ausgespuckt hat. Zu unbequem, zu geradeheraus, zu wenig biegsam war sie für ihre Kollegen. Nach 2 Jahren im Amt schob man ihr 2016 einen Umschlag unter die Tür ihres Büros. Darin war ihre Entlassung. »Doch ich komme wieder«, sagt sie.
»Weißt du, ich habe Ideale«, erklärt sie, während sie tief an ihrer Lucky zieht und im Hintergrund der Muezzin durch die Gassen
»Weißt du, ich habe Ideale!«
Gerade bereitet sie sich darauf vor, bei der nächsten Kommunalwahl mit der noch sehr jungen, sozial-liberalen Bürgerbewegung
Der wirkliche Wert des Landes liegt in der Natur
Mit ihr setzt sie sich für das ein, was ihrer Meinung nach der einzige wirklich nachhaltige Wert des Landes ist:
Seit 1934 wurde hier Salz abgebaut und so künstlich ein Feuchtgebiet erhalten, das Zugvögeln auf ihrem jährlichen Weg nach Afrika einen der seltenen Rastplätze bietet. Die Konstellation aus Feucht- und Trockenphasen hat die Lagune zu einem der wichtigsten Rast-, Brut- und Überwinterungsgebiete für Zugvögel an der östlichen Adriaküste gemacht. In der Landschaft aus Seen, Feuchtgräsern und Schilf leben seltene Greifvögel wie Fischadler, Wespenbussarde, Rötelfalken, Schwarzmilane, Rohrweihen, Schelladler und Wanderfalken. Für Flamingos ist die Saline zur ständigen Heimat geworden.
Doch im Jahr 2005 wurde der ehemalige staatseigene Betrieb privatisiert und der Salzabbau eingestellt. Obwohl die Saline nach der
Derweil steht die Tourismusindustrie schon in den Startlöchern: Es gebe Bebauungspläne, die ein Luxusressort unter Palmen vorsehen, erzählt Zenepa. Der Kampf um den Erhalt der Saline gleicht dem Kampf von David gegen Goliath, es ist ein Kampf von Nicht-Regierungsorganisationen gegen Landes- und Lokalpolitiker, die Dollarzeichen in den Augen haben. Doch davon lassen sich Zenepa und ihre Mitstreiter nicht abhalten. Über 100 Gleichgesinnte aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft hat sie bereits zusammengetrommelt, um den internationalen Status als Schutzgebiet durchzusetzen – denn nur wenn solche Gebiete langfristig erhalten bleiben, ist das Land auch langfristig für Reisende interessant.
Recht und recht haben in Montenegro
2 Tage nach unserem Kaffee im Plaza ist Zenepa in der Stadt unterwegs, um die Wahlkampagne ihrer Partei URA vorzubereiten. Ein Fotoshooting mit Zenepa muss in die Wege geleitet werden, ein Antrag auf Fördergelder in die Post. Morgen soll sie zudem noch einen Termin vor Gericht wahrnehmen.
Wie es dazu kam, haben wir live miterlebt. Kurz nach unserem Gespräch im Plaza waren wir mit Zenepa auf Tour, als sie »ihren Mund mal wieder nicht halten konnte«, wie sie selbst sagt:
Eine Bergstraße ist wegen einer Baustelle gesperrt. In der immer länger werdenden Warteschlange wirft ein Mann 2 Getränkedosen aus dem Auto ins Grün neben der Fahrbahn. Zenepa geht zu ihm und bittet, er möge die Dose wieder aufheben; erklärt, es sei verboten, Müll in die Landschaft zu werfen. Statt der Aufforderung nachzukommen, steigt der Mann aus. Unter wüsten Beschimpfungen kommt er Zenepa so nahe, dass zwischen den Falten seiner Stirn und ihren Augen höchstens noch ein Zentimeter Platz bleibt.
Ein Passant versucht zu schlichten, schnell fliegen die Fäuste. In all dem Tumult greift Zenepa in aller Ruhe in ihre Manteltasche und holt ihr Handy heraus: Der Angreifer möge bitte warten, bis die Polizei komme. Der tobt, seine Freunde versuchen ihn zu beruhigen, einer bittet Zenepa, die Polizei aus dem Spiel zu lassen. Als der Mann wegfahren will, stellt sie sich dem VW Golf einfach in den Weg. Mit breiter Schulter, das Handy in der Hand, holt sie ihre Luckys aus der Tasche und zündet sich eine Zigarette an. Das Auto hält an, dreht, fährt auf seinen Platz zurück.
»Typisch Albanerin. Die sind eben durchgeknallt.«
Als die Polizei kommt, begrüßen sich der Dosenwerfer und einer der Polizisten lachend per Handschlag; man kennt sich. Die Polizisten nehmen den Fall auf und wir fahren alle in die Stadt. Auf der Polizeiwache machen beide Seiten ihre Aussagen. Zwischendurch, wir warten draußen vor unserem T3, kommt der Beschuldigte zu uns, zeigt mit dem Finger auf seine Stirn. »Was ist mit der los? Typisch Albanerin. Die sind eben durchgeknallt.«
Es heißt, ein Richter solle in die Stadt kommen, um schon am selben Tag ein Urteil zu fällen. Zenepa wartet den Rest des Tages vor der Polizeistation.
Später am Abend sitzen wir zusammen auf der Terrasse des Elternhauses. Der Verhandlungstermin ist auf den nächsten Tag verschoben. Ein Zeuge ist mittlerweile abgesprungen. Er habe Familie, er bitte das zu verstehen. Telefonisch bekommt sie den Ratschlag, die Anzeige zurückzunehmen. »Ist es wirklich nötig, den Typen anzuzeigen?«, frage ich, nun auch schon eingeschüchtert. »Wisst ihr, das läuft hier immer so. Das konnte ich dem doch nicht durchgehen lassen«, antwortet sie.
Auch wir wollen durch Europa reisen – mit dieser neuen Reihe bei Perspective Daily. Im Mittelpunkt sollen Menschen stehen, die etwas zu erzählen haben. Mit ihnen wollen wir euch die Länder der EU vorstellen; aber auch alle anderen, die diesen Kontinent prägen.
Titelbild: Pixabay / flbu1220 - CC0 1.0