Sterben, Tod und Trauer – darüber schweigen wir Deutschen eher. Diese 2 Frauen, die ihre Partner verloren haben, wollen das ändern.
12. Januar 2018
– 10 Minuten
Unsplash / Christopher Burns
Der Tod eines geliebten Menschen reißt uns den Boden unter den Füßen weg. Eigentlich alles ist weg. Die Zukunft, die Gegenwart, nur die Vergangenheit umarmt uns fester und fester, bis es wehtut. Ist das wirklich passiert? Oder alles nur ein Traum? Ein Albtraum.
Um jemanden zu trauern – die Mutter, den Vater, den Bruder, die Freundin, das eigene Kind – ist etwas, was sicher niemand erleben möchte. Aber wenn es doch passiert: Wie gehen wir mit dem Verlust um?
In Deutschland und anderen westlichen Gesellschaften ist Trauer ein unbequemes Thema. Fakt ist: Getrauert wird hierzulande besser hinter verschlossenen Türen. und trägt nicht mehr so viel Schwarz.
Wer jemanden verloren hat, fühlt sich, egal ob bei der Arbeit oder bei einem Feierabendbier, wie der Elefant im Raum. Und braucht auch eine dicke Haut, wenn Familie, Kollegen und Freunde Dinge sagen wie: »Du wirst schon darüber hinwegkommen«.
2 Tage, so lange darf Trauern vertraglich dauern
Denn nach einem Todesfall müssen wir schnell wieder funktionieren. 2 Tage, so viel steht den meisten deutschen Arbeitnehmern zu, aber nur, wenn Kind, Ehepartner oder ein Elternteil gestorben ist. Für Verwandte zweiten Grades kann es unter bestimmten Voraussetzungen keine solche Extraregelung geben, dazu gehören auch die Großeltern. Die genaue Anzahl freier Tage regelt der Tarif- oder Arbeitsvertrag.
2 Frauen, die Trauer neu denken wollen, sind die Bloggerinnen Silke Szymura und Anja Pawlowski von Silke Szymura war gerade 30 Jahre alt, als das Unvorstellbare passierte. Im gemeinsamen Nepalurlaub klappte ihr Mann Julian plötzlich zusammen und starb ein paar Stunden später im Krankenhaus. Anja Pawlowski verlor ihren Mann durch einen Hirntumor. Die Diagnose kam nur 5 1/2 Wochen vor seinem Tod.
Dein Tod und ich ist die Trauer- und Interviewplattform über das Weiterleben nach dem Tod.Aus dem Blog »Dein Tod und ich«
Bevor sie sich zusammentaten, schrieben die 2 Frauen eigene Blogs, mit denen sie ihre Trauer in Worten verarbeiteten. Auf der gemeinsamen Plattform »Dein Tod und ich« kann jeder seine Erfahrungen mit Tod und Trauer teilen. Denn Szymura und Pawlowski sind sich sicher: In den wenigsten Fällen ist sondern sie ist laut und will gehört werden. Ein Interview darüber, wie wir Berührungsängste abbauen können.
Ihr schreibt in euren Blogeinträgen davon, dass der Tod ein Tabuthema in Deutschland ist. Wie kommt ihr zu diesem Urteil?
Silke Szymura:
Das Tabu kommt daher, dass wir uns heute viel mehr vor dem Tod fürchten als früher. Weil er nicht als ein natürlicher Teil des Lebens gesehen wird. Hier in Deutschland bekommen wir kaum mit, wie jemand stirbt. Tod passiert irgendwo in Krankenhäusern, Altenheimen, hinter verschlossenen Türen – Hauptsache weit weg von der Gesellschaft.
Anja Pawlowski:
Wir wissen auch nicht, was wir sagen sollen, wenn jemand stirbt. Denn wir haben gelernt: Bevor ich etwas Falsches sage, sage ich lieber nichts. Das führt zu einer Sprachlosigkeit auf beiden Seiten, beim Trauernden und bei denen, die hilflos um ihn herumstehen. Über Tod und Trauer reden wir im Alltag nicht viel.
Wie beeinflusst das unseren Umgang mit der Trauer von anderen?
Silke Szymura:
Wenn der Tod aus unserem Blickfeld gedrängt wird, kann es sehr bedrohlich wirken, wenn da plötzlich jemand ist, der einen geliebten Menschen verloren hat. Was tun? Wir sind so programmiert, dass wir für alles eine Lösung brauchen. Für den Tod gibt es aber keine. Dann müssen wir unsere eigene Hilflosigkeit und die der anderen aushalten. Und darin sind wir nicht besonders erfahren.
Wir sind so programmiert, dass wir für alles eine Lösung brauchen. Für den Tod gibt es aber keine.
Warum trauern wir eigentlich?
Silke Szymura:
Ich habe vor einigen Jahren eine ganz tolle Antwort auf diese Frage bekommen, die ich immer gerne weitergebe: Trauern ist eine wichtige und wertvolle Fähigkeit unserer Seele, um mit Verlusten umzugehen. Wir trauern nicht nur, wenn jemand stirbt. Wir tun es auch, wenn wir von unserem Partner verlassen werden oder den Job verlieren. Trauer ist ein Beziehungsgefühl. Sie zeigt, wer oder was uns im Leben wichtig ist.
Anja Pawlowski:
Ich denke, dass Trauer eine gesunde Anpassungsfunktion ist. Besonders wenn jemand stirbt und die eigene Welt zusammenbricht. Trauer hilft, mit dieser elementaren Veränderung umzugehen.
Wie kann ein Arbeitnehmer trauern?
Silke, du hast nach Julians Tod in Nepal den Job als IT-Managerin gekündigt. Viele müssen aber zurück in den Job. Wie kann ein Arbeitnehmer trauern?
Silke Szymura:
Ein paar Tage Sonderurlaub für die Beerdigung reichen natürlich überhaupt nicht aus, um alles zu verarbeiten. Man muss sich Zeit nehmen können. In unserer Gesellschaft geht es aber darum, zu funktionieren. Wenn ich trauere, funktioniere ich sehr viel weniger. Ich habe mich zuerst krankschreiben lassen. Das muss man. Trauer wird, obwohl sie eine ganz natürliche Reaktion ist, als Krankheit eingestuft. Irgendwann habe ich entschieden, dass ich noch mehr Zeit brauche, und gekündigt.
Anja Pawlowski:
Nach dem Tod von meinem Mann war ich nicht in der Lage, arbeiten zu gehen und habe mich auch krankschreiben lassen. Nach 4 Monaten begann ich mit Mein Arbeitgeber hat mich damals toll unterstützt und mir geholfen, herauszufinden, was man in so einer Situation überhaupt machen kann. Mir wurde von meinen Kollegen vermittelt: Wir warten hier auf dich. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Dafür bin ich sehr dankbar und würde mir wünschen, dass jedem mit diesem Verständnis begegnet wird. Die Realität sieht, glaube ich, ein bisschen anders aus. Die Zeit für seine Trauer muss man sich selber schaffen.
Wir warten hier auf dich.
Was würdet ihr Menschen raten, die nicht wissen, wie sie sich gegenüber einem trauernden Freund oder Arbeitskollegen verhalten sollen?
Anja Pawlowski:
Ich finde wichtig, dass man dieser Sprachlosigkeit entkommt und die Menschen offen fragt: »Wie möchtest du, dass ich mit dir umgehe? Ich weiß gar nicht, was ich machen soll.« Vielleicht bekomme ich nicht gleich eine Antwort darauf, weil der Trauernde sie selber gar nicht kennt. Das ist okay. Dann muss ich geduldig sein.
Silke Szymura:
Viele denken auch: »Boa, ich muss jetzt das Richtige sagen. Das muss jetzt besonders tiefgründig sein und sofort helfen.« Fakt ist: Es wird nicht helfen in dem Sinne, dass es etwas gut macht oder heilend wirkt. Also braucht man sich keinen Druck zu machen.
Sterben und Beerdigung in Deutschland – geht das auch anders?
Ein weiteres Thema, das wenig in der Öffentlichkeit stattfindet, ist das Sterben selbst. Anja, du hattest nicht viel Zeit, bevor dein Mann starb. Was hat oder hätte dich in der Situation dabei unterstützt, dich »vorzubereiten«?
Anja Pawlowski:
Im Nachhinein hätte ich mir Sterbebegleitung an meine Seite gewünscht. Wir hatten bekommen. Das war eine große Stütze. Denn in der Zeit davor war ich seine Pflegerin und habe mich um alles gekümmert. So konnte ich mich nicht wirklich auf den Tod vorbereiten. Mir war klar, dass mein Mann sterben wird. Ich musste das aber von mir weghalten, um weiterzumachen. Zu dem Zeitpunkt hätte ich jemanden gebraucht, der mich ab und zu in den Arm nimmt. Damit meine ich nicht Freunde oder Familie, die selbst betroffen sind, sondern einen Sterbebegleiter, der das alles aushält.
Wo finde ich einen Sterbebegleiter?
Silke Szymura:
Das sind Ehrenamtliche. Natürlich kann man auch im Internet suchen. Dazu muss man aber erst einmal wissen, dass es sie gibt.
Ich selbst habe das Feuer entzündet.
Silke, du warst mit deinem Mann Julian in Nepal, als er starb. Was hat oder hätte dich in der Situation unterstützt?
Silke Szymura:
In Nepal gehen die Menschen sehr natürlich mit dem Tod um. Für mich war das alles völlig neu. Durch seinen Tod wurden wir zu einem Teil der Familie, die wir dort besucht hatten. Sie kümmerte sich um alles, denn es gab schlicht keinen Bestatter. Wir weinten viel zusammen. Die Mutter der Familie, die wenig Englisch sprach, war ständig nah bei mir, auch körperlich. Diese Nähe kannte ich aus Deutschland nicht.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich kaum Berührung mit dem Tod gehabt. Meine Großeltern hatte ich nach ihrem Tod auch nicht noch einmal gesehen. Ich dachte, das sei normal. Aber in Nepal war ich dabei, als Julian starb, und habe ihn dann auch am nächsten Tag noch einmal gesehen. Dadurch konnte ich begreifen, dass da nur seine Hülle liegt; dass er wirklich tot ist. In Nepal gibt es auch keine Krematorien, wo der Leichnam einfach in eine Röhre hineingeschoben wird. Ich selbst habe das Feuer in einem Kloster entzündet und blieb den ganzen Abend dabei.
Obwohl das jetzt 5 Jahre her ist, habe ich nach wie vor kaum Worte dafür. Durch das gemeinsame Erfahren und Erleben mit der Familie konnte ich auch Julians Nähe noch mal sehr, sehr stark spüren. Das hat mich sehr tief berührt und viel in mir verändert, auf positive Art. Dafür bin ich unendlich dankbar.
In Deutschland läuft die Bestattung immer noch sehr bürokratisch ab. Wie können wir uns da Freiräume schaffen?
Anja Pawlowski:
Ich habe mich nach dem Tod meines Mannes gefühlt, als wäre ich in einer Art Maschine gelandet. In Deutschland ruft man einen Bestatter an und dann macht der alles. Im Nachhinein hat mich das richtig geärgert. Ich habe zwar vieles umsetzen lassen, was mir und uns wichtig war, aber es gibt so viele Möglichkeiten der Bestattung, wie man sich selbst um den Verstorbenen kümmern und wie lange er noch zu Hause bleiben kann. Darüber hätte ich damals gerne mehr gewusst, um selbst zu entscheiden.
Silke Szymura:
Wer bei einem Bestatter sitzt, der einem sagt: »Das ist alles nicht möglich«, dem rate ich: Aufstehen und Denn es ist mehr möglich, als man denkt.
Auf dem digitalen Friedhof
Heutzutage stirbt man ja nicht nur in der realen Welt, sondern auch in sozialen Medien. Wie kann man den verwalten?
Silke Szymura:
Das ist ein großes und wichtiges Thema und zeigt sich erst in unserer Zeit. Ich habe bisher nicht viel darüber nachgedacht, dass ich überall meine Accounts habe und es vielleicht komisch werden könnte, wenn ich sterbe. Ich finde wichtig, dass sich jeder schon zu Lebzeiten darüber Gedanken macht. Denn Inhalte ohne die Zugänge zu löschen, wird schwierig. Jede Plattform hat da ihre eigenen Regeln. Bei Facebook muss man zum Beispiel die Sterbeurkunde einreichen, damit das Profil in eine Gedenkseite umgewandelt wird.
Ihr teilt eure Geschichte und die anderer online. Was motiviert euch dazu und welche Möglichkeiten gibt das Netz, über Trauer und Tod zu sprechen?
Anja Pawlowski:
Mir hat der Austausch am Anfang meiner Trauerzeit gefehlt. Ich habe dann begonnen, auf Silkes Blog zu lesen und mitzudiskutieren. Mir haben das Schreiben und der Austausch mit den Leuten unglaublich gutgetan, die ähnliche oder ganz andere Erfahrungen mit Tod und Trauer gemacht haben. Das hat mich zu inspiriert.
Silke Szymura:
Mir ging es ähnlich. Ich wollte ganz offen über Julians Tod und meine Trauer kommunizieren. Deshalb auch der Name meines Blogs, als Gegenentwurf zu den Beileidskarten, die mit »In stiller Trauer« beschriftet sind. Am Anfang hatte ich auch Zweifel und dachte: Du kannst doch nicht einfach deine persönliche Geschichte öffentlich machen. Doch durch meine Offenheit begannen Menschen mir ihre persönliche Geschichte anzuvertrauen und das finde ich bis heute sehr bereichernd.
Trauern ist keine Krankheit.
Wenn ihr jetzt etwas an dem Umgang mit Trauer und Tod in Deutschland ändern könntet, was wäre das?
Anja Pawlowski:
Ich fände gut, wenn Trauerzeit wie oder Elternzeit eingestuft würden – als eine Auszeit, die man sich gesetzlich nehmen kann. Sodass auch Trauernde sich nicht mehr krankschreiben lassen müssen. Denn Trauern ist keine Krankheit. Was ich noch schön fände, wäre, dass die Bestattungskultur in Deutschland aufgeschlossener und entspannter wird.
Silke Szymura:
Wir müssen das Sprechen und die Gefühle über Trauer und Tod auch wieder ins Offline-Leben holen. Denn online können noch so viele Menschen schreiben: »Fühl dich umarmt« – es umarmt dich am Ende nun einmal doch keiner. Wir müssen lernen, uns neu zu begegnen und zuzuhören. Denn auch wenn wir beide unseren Partner verloren haben, wissen wir noch lange nicht, was die andere braucht. Trauer- und Sterbebegleiter sind sehr wichtig. Aber mein Traum ist es, dass auch sie eines Tages gar nicht mehr gebraucht werden, weil wir wieder natürlich mit dem Tod und der Trauer umgehen.
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.