Wie öko zum Mainstream wird – und keiner was merkt
Jeden Tag bestimmen tausende Regulierungen und Richtlinien unseren Alltag, ohne dass wir es bemerken. Wenn wir sie ein bisschen grüner machen, retten wir die Umwelt, ohne dass wir unser Verhalten zwanghaft verändern müssen. Michael Kopatz erklärt das Prinzip Ökoroutine.
Frau und Herr Frost entscheiden sich beim Kauf eines neuen Kühlschranks für die höchste Effizienzklasse – zweifellos eine umsichtige Entscheidung. Das Kühlgerät ist auch kaum größer als das alte. Bescheidenheit geht vor. Doch dann macht der Verkäufer die Kunden auf eine komfortable technische Neuerung aufmerksam. In »BioFresh«-Kühlschränken, die mit einzeln kühlbaren Fächern ausgestattet sind, behalten Obst und Gemüse, Fleisch, Fisch und Milchprodukte laut Hersteller ihre gesunden Vitamine, ihr delikates Aroma und ihr appetitliches Aussehen sehr viel länger als üblich. Die Argumente überzeugen die Frosts. Alsbald steht das vermeintliche Ökogerät in ihrer Küche. Doch die Stromrechnung wird dennoch nicht sinken, denn die tolle neue Frischetechnologie braucht deutlich mehr Strom. Schließlich werden statt 6 oder 8 Grad Kühlung nun bis zu 0 Grad vorgehalten. Gut möglich, dass das Neugerät trotz höchster Effizienzklasse ähnliche Verbrauchswerte aufweist wie das ausrangierte Modell – dank der zusätzlichen Biofrostfachfunktion.
Das Beispiel der Die Richtlinien müssen bis zu Ende gedacht und weiterentwickelt werden.
Die sparsame Variante leistet genauso viel wie der alte Kühlschrank – bei einem Bruchteil des Stromverbrauchs. Das wäre ein wahrer Gewinn für die Umwelt gewesen. Dass sie sich stattdessen für die Luxus-Lösung entschieden haben und so ihre anfängliche Bemühung um eine umweltfreundliche Anschaffung vergessen, zeigt aber auch: Um auch den absoluten Verbrauch zu senken, müssen die Richtlinien bis zu Ende gedacht und weiterentwickelt werden.
Öko handeln – ohne drüber nachzudenken
Genau darum geht es beim Prinzip der Ökoroutine. Es basiert auf einer Koevolution von Technik und Kultur. Routinen prägen unseren Alltag, und ganz unbewusst profitieren wir dabei von Dutzenden Regeln und Standards, etwa auf dem Weg zur Arbeit: Der Wecker ist sicherheitstechnisch geprüft, die Kleidung darf bestimmte Schadstoffe nicht enthalten, ebenso der Kaffee. Für Produzenten kann die auferlegte Sparsamkeit sogar ein Vorteil sein.
Dessen Packung ist standardisiert, wie auch die Kennzeichnungen über die Zutaten und Nährstoffe auf dem Toastbrot. Die Produzenten haben dabei zahlreiche staatliche Vorgaben beachtet. Auf dem Arbeitsweg beachten wir Vorgaben der Straßenverkehrsordnung; das Auto hat ein amtliches Kennzeichen. Die Arbeit selbst ist reglementiert durch Tariflohn, gesetzliche Arbeitszeiten und Sicherheitsvorschriften. All das wird selten als Zwangssystem empfunden – es ist Routine.
Ökoroutine greift diese Logik auf, schafft Gelegenheitsstrukturen und verselbstständigt den Wandel zur Nachhaltigkeit. Am Beispiel des Kühlschranks heißt das: Für Produzenten ist die größere Effizienz kein Hemmschuh mehr. Vielmehr können sie sich mit sparsamen Geräten sogar einen Vorteil verschaffen, denn die Kennzeichnungspflicht lässt ein A-Gerät neben einem A+++-Gerät ziemlich alt aussehen.
Wie einfach sich mit Regulierungen neben Sozial- und Sicherheits- auch Umweltstandards einführen lassen, zeigt die Ökodesign-Richtlinie: Die Umsetzung verlief weitgehend unbemerkt und machte sparsamere Produkte zur Routine. Inzwischen gibt die Richtlinie über 50 Standards vor, etwa für Stand-by-Verluste. So hat man endlich beendet, was Effizienzpolitikern schon lange unter den Nägeln brannte. Denn Fernseher, Hifi-Anlagen, Radiowecker und dergleichen hatten nicht selten Leerlaufverluste von
Doch Ökoroutine will und muss noch mehr leisten, wie die Geschichte der Frosts deutlich macht. Denn die Effizienz-Skala mit A+ usw. betrachtet den Energieverbrauch nur relativ. Notwendig wäre hingegen, dass es den tatsächlichen Strombedarf bewertet. So würde ein Kühlschrank in Kleiderschrankformat wesentlich schlechter abschneiden, als die auskömmliche Variante. Den Frosts wäre so schnell klar geworden, dass »BioFresh« vor allem gut klingt – aber eher dem Verkäufer statt der Umwelt nützt.
Die Mehrheit will es: Ökoroutine statt Selbstdisziplin
Ökoroutine würde nicht nur das Ehepaar Frost von diesem Dilemma erlösen:
Die Erkenntnis ist nicht neu, zahlreiche Ökonomen, Psychologen und Soziologen haben die
Ökoroutine wendet sich gegen unsere gesellschaftliche und politische Schizophrenie: Das Konzept löst sich von umweltmoralischen Appellen, mit denen man die Kunden jahrelang dazu bringen wollte, beim Kauf auf diese Form der versteckten Verschwendung zu achten. Ökoroutine wendet sich gegen unsere gesellschaftliche und politische Schizophrenie.
Doch im Geschäft kalkulierten nur wenige die Kosten über eine Nutzungsdauer von 10 Jahren. Wichtiger war beim Fernseher die Größe und Auflösung des Bildes und beim Kühlschrank der Eis-Spender und das »BioFresh«-Fach. Mit der Ökoroutine sind wir nicht mehr weiter zwischen schlechtem Gewissen und sozialer Routine gefangen, sondern sorgen mithilfe von Standards und Limits dafür, dass sich der Wandel zur Nachhaltigkeit in weiten Teilen verselbstständigt. Unsere Technologien und Herstellungsverfahren werden so schrittweise naturverträglicher und effizienter und unsere Verhaltensweisen genügsamer. Wenn alle Nachbarn den effizienten Kühlschrank haben, ist es nicht mehr sonderbar, besonders viel Wert auf ein sparsames Gerät zu legen – es ist dann Routine. Ökoroutine.
In der gleichen Form geht der Gesetzgeber schon heute für Dutzende Produkte vor und nimmt die Produzenten in die Pflicht, anstatt sich in wirkungslosen Beschwörungsformeln über strategischen Konsum zu ergehen. Und das, ohne dass wir es merken oder uns daran stören. Beispiele gibt es genügend: Die vielgerühmte Faktor-4-Pumpe für die Zirkulation des Heizungswassers spart im Jahr locker 600 Kilowattstunden und wurde lange Zeit dennoch nur von ambitionierten Handwerkern empfohlen. Nun ist die Spitzentechnologie Standard und weder Handwerker noch Bauherren müssen sich darüber den Kopf zerbrechen. Inzwischen wird dabei sogar die Haltbarkeit bedacht, wie etwa beim Staubsauger. Ähnlich geht die Europäische Union auch bei den Energiestandards für Neubauten vor. So können wir höchste Energie- und Ressourceneffizienz schrittweise zum Standard für alle machen – und öko zur Routine.
Was beim Kühlschrank klappt, kriegen wir auch beim Gemüse hin
Was sich in den Bereichen Bauen und Wohnen also bereits weitgehend etabliert hat, lässt sich auch auf viele andere Bereiche übertragen, etwa die Landwirtschaft. Von allein wird sich der Ökolandbau nämlich nicht durchsetzen. An der Ladentheke können die Bürgerinnen und Bürger tagtäglich über das Wohl und Wehe der naturverträglichen Landwirtschaft entscheiden.
Um das Ziel rechtzeitig zu erreichen und den Wunsch der Bevölkerung nach einer nachhaltigeren Lebensmittel-Produktion zu ermöglichen, hilft nur die Ökoroutine. Notwendig ist etwa die weitere Begrenzung des Einsatzes von Pestiziden und Düngemitteln. Das Regelwerk dafür ist bereits vorhanden: Schon heute schreibt die Europäische Union den Landwirten detailliert vor, welche Grenzwerte einzuhalten sind. Ein Fahrplan für die Agrarwende müsste nur noch vorgeben, in welchem Ausmaß und Zeitraum der Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln und Dünger zu reduzieren ist. Das kann eine großzügige Zeitspanne sein, etwa bis zum Jahr 2030.
Da der Ökolandbau kostspieliger ist, werden die Preise langfristig etwas steigen. Das geschieht jedoch nicht von heute auf morgen, sondern nur ganz allmählich, sodass die Bürgerinnen und Bürger den Preisanstieg für Kartoffeln und Gurken kaum wahrnehmen werden. In 25 Jahren gibt der Durchschnittsbürger dann vielleicht ein paar Prozent mehr seines Einkommens für Nahrungsmittel aus. Weil sich damit der Warenkorb für die Bemessung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe verändert, sind dementsprechend die staatlichen Sozialleistungen anzuheben. Das sieht das Gesetz schon jetzt so vor.
Zugleich können an vielen Stellen Kosten eingespart werden. Biohändler werden ihre Produkte deutlich günstiger anbieten können als heute, denn eine flächendeckende ökologische Erzeugung ist kosteneffektiver als die bisherige Nischenproduktion. Die beträchtlichen Kosten für die Zertifizierung von Biowaren entfallen, während die Kontrollen bleiben. Besondere Förderprogramme für die Umstellung eines konventionellen Hofes auf Biostandard erübrigen sich. Ökoroutine ermöglicht uns, das zu tun, was wir für richtig halten.
Die schrittweise Umstellung stellt keine Benachteiligung dar, die durch Fördergelder ausgeglichen werden müsste, da sich schließlich auch die Konkurrenten an die höheren Standards zu halten haben. Auch die Distributionswege werden günstiger und effektiver. Eine Rückkehr zum ländlichen Idyll und zum Kleinbetrieb wird gleichwohl nicht die Folge sein, wenn der Agrarwendefahrplan umgesetzt wird. Klein ist nicht die Voraussetzung für öko. Manch fortschrittliche Technik, die dem Biolandbau dient, kann sich nur ein größerer Betrieb leisten.
Ob bei der Energie-Effizienz, in der Landwirtschaft oder welchem Lebens- und Wirtschafts-Bereich auch immer: Dreh- und Angelpunkt der Ökoroutine sind konkrete und einfache politische Werkzeuge. Es geht um Fahrpläne in Form von Limits und Standards, etwa für das Gewicht und den Kohlendioxidausstoß von Fahrzeugen, für Tempo, Parkplätze, Straßenbau, Flughäfen, Pestizide, Düngemittel, Tierhaltung, Kohlestrom, Verpackungen, Garantiezeit, Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Finanztransaktionen und vieles mehr. Ökoroutine macht konkrete, praxisnahe und meist verblüffend einfache Handlungsvorschläge für zahlreiche Handlungsfelder, die über Energieeffizienz und Nahrungsmittel-Produktion hinausreichen. Diese Handlungsvorschläge verankern den achtsamen Umgang mit Ressourcen institutionell. Sie machen öko für alle möglich. In der Form ermöglicht uns das Konzept der Ökoroutine, das zu tun, was wir für richtig halten, ohne im Alltag darüber nachdenken zu müssen.
So brauchen sich die Kinder von Frau und Herrn Frost in Zukunft einmal nicht mehr den Kopf über die Fragen ihrer Eltern zu zerbrechen: Sie legen den Bio-Käse aus der Region dann ganz automatisch in den effizienten Kühlschrank mittlerer Größe – machen ja alle so. Und Bio-Käse heißt dann wieder einfach Käse. Denn bio ist Standard – und öko Routine.
Mit Illustrationen von Fabian Ludwig für Perspective Daily