Mit Tofu und Stinkefinger durch den Wahlkampf?
Freie Medien sind in einer Demokratie unerlässlich, insbesondere wenn Wahlen anstehen. Doch Sparzwänge in den Redaktionen, der allgegenwärtige Blick auf die Verkaufszahlen sowie der Einfluss von PR auf den Journalismus erschweren freie Berichterstattung. Wie kommen wir da wieder raus?
Erinnert sich noch jemand zufällig an den letzten Bundestagswahlkampf? Da ging es um die ganz großen Themen, die die Republik beschäftigten: Die
Nicht dass es 2013 keine anderen Themen gegeben hätte. Allerdings sind NSU-Morde, NSA-Überwachung, soziale Gerechtigkeit oder die Frage, wohin Europa driftet, im Zweifelsfall komplexer und schwerer verdaulich, als die Frage, ob es mittwochs in der Kantine Schweinebraten geben sollte – hier kann auch der »unpolitische« Bürger problemlos andocken und sich echauffieren.
Wahlkampf ist vor allem Spektakel statt ernste Auseinandersetzung mit Themen und Personen; das ist nicht neu: »Wahlkampf ist immer Inszenierung. Gelegentlich, und das gilt nicht nur für die Zeit des Wahlkampfes und auch nicht erst neuerdings, gerät die Inszenierung zum Spektakel. Das ergibt sich aus den Versuchen aller, Aufmerksamkeit zu gewinnen, denn dabei hat es die Politik außerordentlich schwer«, erklärt Christina Holtz-Bacha, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Wie Themen ihren Weg in die Öffentlichkeit finden und wer was lanciert, um wem zu schaden, zeigt sich oft erst im Nachhinein. Der Veggie-Day ist da nur ein Beispiel von vielen.
»Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!«
Doch wie kam das Spektakel überhaupt erst auf das politische Parkett? Kurzer Rückblick: Der vegetarische Kantinentag war 2013 bereits 2 Jahre alt: Schon 2011 stand in
Erst so richtig durch die Decke geht die Geschichte zwei Wochen später, als die Bild-Zeitung titelt:
Der Veggie-Day als Ablenkung – ein Ausdruck von Postdemokratie?
»Ablenkungsthemen haben verschiedene Funktionen: Im medialen Angebot bieten sie willkommene Abwechslung und lassen sich spektakulär aufpeppen«, sagt Christina Holtz-Bacha. »Wahlkämpfer und ihre Berater versuchen, von Themen abzulenken, die unbequem oder unpopulär sind – zum Beispiel, weil Parteien daran nichts ändern können, wie lange beim Thema Arbeitslosigkeit oder auch bei Entscheidungen, die nicht auf nationaler Ebene getroffen werden können, oder weil eine Partei dazu nichts beziehungsweise keine Erfolge vorzuweisen hat.«
Dass diese Ablenkung Methode hat, versucht der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch in einen größeren Kontext einzubetten. In seinem gleichnamigen Buch beschreibt er die sogenannte
»Verkaufen« ist das Stichwort, das auch das wichtigste Ziel des Journalismus beschreibt: Er muss seine »Ware«, die Informationen, am besten leichtbekömmlich an die Konsumenten bringen. Zunehmender Konkurrenzdruck und neue Herausforderungen für die Finanzierung aufgrund der »Umsonst-Kultur« im Internet bestimmen den Alltag. Durch den immer mehr zunehmenden Druck auf die Medienhäuser
»Die Dynamik der Globalisierung hat zu einem Zusammenschluss zwischen den Interessen der Medien, der Konzerne und der Politik geführt. […] Sie verfolgen nur ein Ziel: die Rentabilität. Dabei haben sie (Anmerkung: die Medien) ihren zivilen Auftrag vergessen, sie haben vergessen, dass sie »Die Dynamik der Globalisierung hat zu einem Zusammenschluss zwischen den Interessen der Medien, der Konzerne und der Politik geführt.«
Information wird vereinfacht, damit möglichst viele Menschen sie verstehen. Zudem wird der Sensationsgehalt hervorgehoben.«
»Allerdings ordnen sich Parteien und Kandidaten den Verkaufsstrategien nicht immer unter. Nicht jeder Kandidat kann das und will das auch«, ergänzt Holtz-Bacha. Peer Steinbrück ist hier für die Wahl 2013 das beste Beispiel. Nach einer ganzen Serie von Pannen im Wahlkampf wird Steinbrück kurz vor der Wahl vom Süddeutsche Zeitung Magazin interviewt und zeigt den Mittelfinger: In der Interviewreihe »Sagen sie jetzt nichts« antworten die Interviewten statt mit Worten in Posen und Gesten. Sein Stinkefinger auf die Frage »Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?« schafft es auf das Cover des Magazins – der Rest ist Wahlkampfgeschichte.
Die Debatte zum
»Das britische Referendum liefert anschauliche Belege für das Stichwort Postdemokratie. Offenbar ist die Infrastruktur, ohne die eine politische Öffentlichkeit nicht funktionieren kann, zerfallen. Nach ersten Analysen haben die Medien und die streitenden Parteien die Bevölkerung über relevante Fragen und elementare Tatsachen, also über die Grundlagen einer vernünftigen Urteilsbildung, nicht informiert, ganz zu schweigen von differenzierteren Argumenten für oder gegen konkurrierende öffentliche Meinungen.«
Wie kommen wir da wieder raus?
Dass es in einer
Doch die Krise der Medien, die auch eine
Öffentlich-rechtliche Zeitungen wäre eine Möglichkeit
Auch wenn man der Kritik von Crouch oder Ramonet folgt, müsste man versuchen, die Medien aufgrund ihrer wichtigen Funktion in einer jeden Demokratie als vierte Gewalt vom Marktdruck zu befreien, um eine größere Unabhängigkeit zu erreichen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist im Grunde genau das – eine Institution, die
Dauerhaft geführt werden sollte die Diskussion um Qualität; vor allem muss ehrliche Selbstkritik öffentlich stattfinden.
Neben vielen anderen Projekten, auch in Deutschland, zu denen auch Perspective Daily gehört, versucht beispielsweise der
Über allem schwebt das
Titelbild: Robin Schüttert - CC BY-SA 3.0