Auch du kannst alles schaffen, Teil 2
Vor 3 Monaten verspricht mir der »Life-Coach« den neuen Lebenssinn. Gemeinsam mit 11 anderen fühle ich seinen Methoden auf den Zahn.
99 Euro hat mich die Eintrittskarte in die Bielefelder Stadthalle gekostet. Zusammen mit mir haben ca. 2.000 andere Menschen das zweitägige Wochenendseminar »Die Kunst, dein Ding zu machen«
Während des Seminars finde ich es erst befremdlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Christian Bischoff seine Ratschläge als Lösung für ein sorgenfreies Leben verkauft. Später bin ich nur noch wütend. Glaubt man dem »Lebenskünstler«, scheitern 98% der Seminarteilnehmer an der erfolgreichen Umsetzung seiner Prinzipien. Auch dafür hat er natürlich Abhilfe parat, zumindest wirkt sein Angebot so auf mich: Wer wirklich zum »Gewinner« werden möchte, kann einfach das nächste Seminarpaket für 3.000 Euro bei ihm buchen.
Nach meinem Wochenendseminar habe ich mich gefragt, ob einige Teilnehmer in der Bielefelder Stadthalle tatsächlich einen neuen Lebenssinn finden. Ob sie ihren Alltag in den Folgemonaten wirklich auf den Kopf stellen. Deshalb habe ich vor Ort 11 weitere Teilnehmer zusammengetrommelt und eine Chat-Gruppe gegründet.
Das passierte in den 3 Monaten danach.
Direkt nach dem Seminar
»What the fuck – leck mich am Arsch – ich mach’s trotzdem!« – Christian Bischoff
Nach dem Seminar bin ich körperlich aufgeputscht und auch an den anderen Teilnehmern ist das Wochenende nicht spurlos vorübergegangen.
Alle in der Gruppe schreiben von großer Energie und Kraft. Als jemand ein Video vom Seminarwochenende postet, wird es positiv kommentiert. »Tolles Video!« und »Ich habe Gänsehaut!«, lese ich. Zweifel oder Skepsis formuliert niemand.
Außerdem ruft mich Dennis auf meinem Handy an. Er gehört nicht zu meiner Chat-Gruppe, sondern ist Vertriebsassistent bei der
Tatsächlich haben von meinen 11 Mitstreitern 4 das Seminarpaket für 3.000 Euro gekauft. Einer hat sich für das Seminar »Die Kunst, dein Ding zu machen« für 99 Euro entschieden. Das sind zwar keine 50%, aber die anderen geben an, aus finanziellen oder zeitlichen Gründen nicht zugeschlagen zu haben. Bis auf Björn würden sie alle bei Gelegenheit nochmals
Auch die anderen machen Bischoffs Übungen. Am beliebtesten sind, neben den Liegestützen, die
Auch wenn die Konsequenz bei manchen
Niemand sucht die Schuld bei unserem Motivations-Coach.
Während des Seminars sollen wir seine Aussagen immer wieder mantramäßig wiederholen. So lange, bis wir sie ohne nachzudenken rausschreien können. Bei anderen Übungen geht es um unser Selbstvertrauen, das wir stärken, indem wir von anderen umarmt werden oder die eine Hallenhälfte der anderen zujubelt. Bereits am ersten Abend ist die Bielefelder Stadthalle für viele zu einer Art Käseglocke geworden. Hier drinnen sind die Gewinner, dort draußen ist die Welt der Verlierer.
Sind die Übungen wirklich Hilfe zur Selbsthilfe? Christian Bischoffs Geschäftsmodell beruht doch darauf, dass möglichst viele Teilnehmer auch sein nächstes Seminar buchen. Deshalb ist es nur logisch, dass viele der stark emotional aufgeladenen Übungen vor allem eine Absicht verfolgen: uns an ihn zu binden. Wir folgen ihm aber
Ist das bereits verdächtig?
Aufarbeitung in den Wochen danach
Die US-amerikanische Sektenforscherin Margaret Singer identifiziert 2 Bedingungen, die Menschen besonders anfällig für Sekten machen:
Kummer und Übergangssituationen machen besonders anfällig für Sekten.
Mein Kontakt zu den anderen Teilnehmern der Chat-Gruppe lässt sich bestenfalls als oberflächlich beschreiben. Natürlich habe ich in Bielefeld mit jedem gesprochen und im Januar habe ich mit fast allen telefoniert. Dazwischen haben wir uns über die Chat-Gruppe ausgetauscht. Ich bin also weit davon entfernt, das Innenleben der anderen beurteilen zu können. Ich weiß aber zum Beispiel, dass sich keiner aus der Gruppe in einer akuten Trennungsphase von seinem Partner oder seiner Partnerin befindet; die meisten sind vergeben und 4 der Teilnehmer haben das Seminar sogar gemeinsam mit dem Partner besucht. Von den 6 Frauen und 6 Männern haben alle einen Job. Auch die zweifache
Trotzdem haben 5 Teilnehmer für insgesamt 12.099 Euro Folgeseminare bei Christian Bischoff
- »Die Gruppe hat einen Meister, ein Medium, einen Führer oder Guru, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist.« Christian Bischoff positioniert sich zwar als Konstrukteur eines Erfolgsplans, aber er sagt nicht, dass er im Besitz der alleinigen Wahrheit ist. So kann ich über seine GmbH zum Beispiel auch das Seminar »Die Magie der glücklichen Partnerschaft« buchen, das von anderen Coaches geleitet wird und an dem er mitverdient.
- »Werber filtern aus der Menge ihrer Zielgruppe mit Charme und Schmeichelei die heraus, die arglos, interessiert, verletzlich und vielleicht auch in einer seelischen Umbruchssituation sind.« Und bei Bischoff? Ich werde auf dem Seminar zwar nicht gezielt angesprochen, am nächsten Tag rufen aber Vertriebler der Bischoff GmbH jeden einzelnen Teilnehmer an und bieten das Seminarpaket »Universität« zum Sonderpreis von 3.000 Euro an.
- »Die Gruppe füllt meine gesamte Zeit mit Aufgaben: Verkauf von Büchern oder Zeitungen, Werben neuer Mitglieder, Besuch von Kursen …« Wir werden nicht dazu aufgefordert, von Tür zu Tür zu gehen und Seminarkarten zu verkaufen. Allerdings opfern besonders große Bischoff-Fans viele Tage ihres Jahresurlaubs dafür, um auf den Seminaren als freiwillige Helfer zu arbeiten. Das erinnert an
- »Es ist schwer, sich ein genaues Bild von der Gruppe zu machen. Ich soll nicht nachdenken und prüfen. Meine neuen Freunde sagen: Das kann man nicht erklären. Das musst du erleben – komme doch das nächste Mal mit.« Christian Bischoff rät mir, zu Hause nichts vom Seminar zu erzählen, denn Lebenspartner und Freunde würden nicht verstehen, dass ich nach nur einem Wochenende zum »Gewinner« geworden sei. Er ruft aber auch nicht explizit dazu auf, Partner und Freunde zu bekehren und ihm zu folgen.
Ein richtiger Guru scheint er nicht zu sein. Wer aber ist er dann?
Ich komme zu einem zwiespältigen Ergebnis: Ja, Christian Bischoff ist für viele Teilnehmer so überzeugend, dass sie viel Geld für Folgeseminare ausgeben. Aber ein richtiger Guru scheint er nicht zu sein. Ich befrage die Teilnehmer meiner Testgruppe: »Hast du das Gefühl, du kannst mithilfe von Christian Bischoff deine Ziele erreichen?« Niemand antwortet mit »Ja« – was auf eine mentale Abhängigkeit hindeuten würde.
Was ist der Mann mit dem Stirnband dann? Ein erfolgreicher »Life-Coach«?
Um das herauszufinden, frage ich die Teilnehmer der Testgruppe, was sich in ihrem Leben konkret verändert hat. Fast alle bestätigen, dass sie sich selbst und ihr direktes Umfeld seit dem Wochenende wichtiger nehmen und sie ihre eigenen Ziele wieder klarer vor Augen haben. Den versprochenen neuen Lebenssinn hat aber keiner gefunden. Vielleicht sehen die anderen der Testgruppe Christian Bischoff nicht so kritisch wie ich, weil ihn keiner von ihnen wirklich beim Wort genommen hat. Fakt ist: Der Mann hält nicht das, was er in seiner Seminarankündigung verspricht! Wieso soll ich ihm also 3.000 Euro
Den versprochenen neuen Lebenssinn hat keiner gefunden.
Vor allem, wenn ich echte Veränderung und professionelle Hilfe woanders umsonst bekommen kann?
Beratung für alle – und zwar kostenlos
Wer ein Karrierecoaching braucht, kann in Deutschland auf die Landesministerien zählen. Sie finanzieren Einzelcoachings für die Bürger. In NRW heißt das Programm »Beratung zur beruflichen Entwicklung« (BBE-Beratung). Zugegeben, das klingt nicht so sexy wie Bischoffs Seminar »Die Kunst, dein Ding zu machen«. Dafür ist die Beratung kostenlos, individuell und mehr als Massenabfertigung in einer großen Halle. Zertifizierte Berater widmen sich in intensiven 4-Augen-Gesprächen den Teilnehmern. Egal ob Angestellter, Arbeitsloser oder Berufsrückkehrer, jeder erhält ein individuelles Angebot. Das Ganze läuft in 4 Schritten ab:
- Passende Beratungsstelle vor Ort
- Anliegen
- Termin zum Kennenlernen mit dem Berater vereinbaren
- Wenn alles passt, können Termine über mehrere Monate in Anspruch genommen werden; der Berater arbeitet mit dem Klienten an selbst definierten Zielen.
Genau wie Christian Bischoffs Seminar habe ich auch das selbst ausprobiert: Als mir eine Freundin vor einigen Jahren riet, eine solche BBE-Beratung zu machen, befand ich mich weder in einer persönlichen noch in einer beruflichen Krisensituation. Sie selbst sprach von der Beratung aber so begeistert, dass ich mich überreden ließ, wenigstens einen ersten Termin zu vereinbaren – und wurde positiv überrascht.
In meiner Vorstellung hatte ich mich vor einem Berater sitzen sehen, der meine berufliche Vita nach Vor- und Nachteilen abklopfen würde, um mir daraufhin Jobvorschläge zu unterbreiten. Stattdessen unterhielt ich mich eine Stunde lang in entspannter Atmosphäre über die Umsetzung kreativer Ideen, Fragen des Zeitmanagements und meine beruflichen Zielvorstellungen.
Wieso wissen nicht mehr Menschen von den seriösen Angeboten des Landes, fragte ich mich nach dem Seminar mit Christian Bischoff. Anders als »Life-Coaches« erfüllen BBE-Berater einen Standard, der vom jeweiligen Landesministerium vorgegeben
Eine Beraterin zur beruflichen Entwicklung ist die Diplom-Psychologin Kathrin Fervers, die auch als Karriere-/ Paarcoach und psychologische Beraterin in ihrer Kölner Praxis
Daher wird nicht auch noch intensiv für diese Form der Beratung geworben, um das konstant zu gewährleisten. Als es aber letztes Jahr einen Fernsehbericht in ›Frau TV‹ gab, kamen nicht nur mehr Ratsuchende, es waren auch deutlich mehr Frauen um die 50 dabei.
Ein weiterer Grund, warum nur wenig Marketing betrieben wird, könnte die geringe Vergütung für eine BBE-Beratung sein.
Was bleibt?
Zu den anderen aus der Chat-Gruppe habe ich seit meinen telefonischen Interviews keinen Kontakt mehr. Wir wohnen in verschiedenen Städten über Deutschland verteilt, der Alltag hat uns wieder. Die meisten aus unserer Gruppe schienen mir sehr motiviert, sich weiterzuentwickeln. Ich kann mir also gut vorstellen, dass manche weiter an persönlichen Veränderungen arbeiten werden. Trotzdem bin ich überzeugt: Wenn einer von ihnen in Zukunft einen neuen beruflichen Weg einschlagen oder langfristig erfolgreich sein wird, liegt das nicht an den Motivationsübungen von Christian Bischoff, sondern an ihnen selbst.
Titelbild: Unsplash / Edwin Andrade - CC0 1.0