»Du bist so hässlich – kein Wunder, dass dein Mann dich verprügelt«
Solche Kommentare bekommen Feministinnen in China. 5 von ihnen wanderten sogar wegen ihrer Aktion zum Weltfrauentag ins Gefängnis. Ein Interview mit der Aktivistin Liang Xiaowen.
8. März 2018
– 8 Minuten
37 Tage Haft. Das war die Strafe für 5 chinesische Feministinnen, die eine Aktion geplant hatten. Li Maizi, Wei Tingting, Zheng Churan, Wu Rongrong und Wang Man waren Studentinnen in Peking und wollten etwas gegen sexuelle Belästigung von Frauen im öffentlichen Nahverkehr tun. Ihr Plan: Am Internationalen Frauentag 2015 Sticker an Haltestellen verteilen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Radikaler Aktivismus sieht anders aus.
Doch selbst dazu kam es nicht. Die »Feminist Five«, wie sie die Medien später nannten, verbrachten den Internationalen Frauentag 2015 in einer Zelle.
Formal herrscht in China
Gleichheit zwischen Männern und Frauen ist ein grundlegendes Staatsprinzip.
Die Realität sieht anders aus.
Der jährlich erscheinende listet Länder nach der Offenheit ihrer Wirtschaft für Frauen, politischen Beteiligungsmöglichkeiten, Ausbildungs- sowie Gesundheits- und Überlebenschancen. China rangiert aktuell nur auf
Im 25-köpfigen sitzen im Moment so viele Frauen seit der
Liang Xiaowen saß 2015 nicht mit den »Feminist Five« im Gefängnis, hatte die Sticker-Aktion aber mitgeplant. Und auch sie stand unter Beobachtung: Die Polizei hatte ihre Eltern noch gewarnt, dass ihre Tochter in »politisch sensible« Aktivitäten verstrickt sei. Doch Xiaowen gelang die »Flucht« von zu Hause, wie sie es selbst Seit 2016 lebt sie in New York, wo sie gerade ihr Jurastudium abgeschlossen hat.
Auch von den USA aus unterstützt Liang Xiaowen den Feminismus in China. Seit letztem Herbst befeuert sie die in ihrem In einem offenen Brief an ihre ehemalige Universität forderte sie striktere Regelungen für sexuelle Übergriffe im Bildungssystem. Damit wurde sie Teil einer Bewegung tausender Studentinnen, die Aufmerksamkeit auf das Thema lenkten.
Wir haben Liang Xiaowen per Skype in New York erreicht und mit ihr über »hässliche« Feministinnen und die Einschüchterung der Polizei gesprochen – und darüber, warum ihr Aktivismus in einem Männerklo begann.
Was macht eine Feministin auf einer Männer-Toilette?
Liang Xiaowen:
Für meine Freundin Li Maizi waren öffentliche Toiletten ein gutes Beispiel dafür, dass es Gleichberechtigung in manchen Bereichen auf dem Papier gibt, aber nicht in der Realität. Männer- und Frauentoiletten haben dieselbe Größe. Das sieht nach Gleichheit aus. Ist es aber nicht. Auf der ganzen Welt gibt es immer längere Schlangen vor den Frauentoiletten, weil Frauen einfach mehr Zeit brauchen. Deshalb haben wir Männertoiletten besetzt.
»Dann bin ich eben eine Feministin«
Wann ist dir eigentlich zum ersten Mal aufgefallen, dass Männer und Frauen nicht gleichberechtigt sind?
Liang Xiaowen:
Als Einzelkind habe ich von der Chinas profitiert. Meine Familie konnte mir alles geben und für Nachhilfestunden und Hobbys bezahlen. Ungleichheit ist mir damals nicht aufgefallen, das kam erst, als ich älter wurde. In der Schule sagte uns ein Lehrer, dass wir Mädchen zwar jetzt bessere Noten haben, die Jungs uns aber später auf der Oberschule überholen würden. Ich begann zu begreifen, dass es für Frauen schwieriger ist, einen Job zu finden. Die Arbeitgeber gehen davon aus, dass du irgendwann heiratest, dass du Kinder bekommst und du dann zur Last für sie wirst.
Wie wurdest du dann zur Feministin?
Liang Xiaowen:
Ich war damals in meinem dritten Jahr an der Universität, als Feministin habe ich mich aber noch nicht identifiziert. Ich wollte nicht als Männerhasserin gelten, denn das war es, was viele über Feministinnen dachten. Also erzählte ich ihnen, dass ich Aktivistin für Geschlechtergerechtigkeit sei. Als ich begann, Kampagnen zu unterstützen, wurden mehr und mehr Fotos von mir in Zeitungen und im Internet veröffentlicht. In einer Straßen-Aktion spielte ich ein Opfer häuslicher Gewalt.
Wie waren die Reaktionen darauf?
Liang Xiaowen:
Viele Menschen reagierten auf diese Aktionen online mit hasserfüllten Kommentaren. Sie schrieben: »Du bist so hässlich – kein Wunder, dass dein Mann dich verprügelt hat.« Das muss man sich einmal vorstellen – eine Aktivistin gegen häusliche Gewalt wird beschimpft, dass sie zu hässlich ist, um sexuell belästigt zu werden. Sie sagten, dass Feministinnen wie ich zu hässlich und extrem seien. Das irritierte mich, weil ich mich selbst gar nicht als Feministin bezeichnete. Irgendwann dachte ich: Zum Teufel damit, wenn ihr mich Feministin nennt, dann bin ich eben eine Feministin. Als ich diese Entscheidung getroffen hatte, fühlte ich mich stärker als zuvor. Wenn Leute mich heute attackieren, prallt das an mir ab.
Mit Stickern gegen sexuelle Belästigung
Ihr wolltet 2015 eine Aktion gegen sexuelle Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln starten. Was passiert dort?
Liang Xiaowen:
Es gibt sehr viele Berichte darüber, wie Frauen und Mädchen in Bussen und U-Bahnen belästigt werden. 2012 veröffentlichte das Bahnunternehmen in Shanghai sogar ein Foto mit einer jungen Frau in einem langen, schwarzen Kleid – die Botschaft war: Frauen sollten sich züchtig anziehen, um nicht belästigt zu werden. Anstatt die Belästiger einzuschüchtern, warnte man die Frauen. Egal was du trägst, niemand hat das Recht, dich zu belästigen! Seitdem gibt es viele über sexuelle Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wir wollen, dass die Polizei lernt, wie sie mit sexueller Belästigung besser umgeht. Und wir wollen, dass Bus- und Bahnunternehmen mit Warnschildern gegen die Belästiger vorgehen.
Anstatt euch zu helfen, nahm die Polizei 5 Freundinnen von dir fest, mit denen du am Internationalen Frauentag Sticker gegen sexuelle Gewalt verteilen wolltest. Seid ihr jetzt vorsichtiger mit euren Aktionen geworden?
Liang Xiaowen:
Als meine Kolleginnen verhaftet wurden, setzten sich viele Freunde und Aktivistinnen öffentlich für sie ein. Nach ihrer Freilassung sprachen viel mehr Menschen über Feminismus als zuvor. Die Bewegung in China entwickelt sich seitdem sehr schnell. Aber ja, wir sind auch vorsichtiger geworden. Ich selbst litt sehr unter meiner Familie, die nicht wollte, dass ich mich weiterhin engagiere. Deshalb entschied ich mich, in den USA zu studieren. Seitdem die festgenommen wurden, ist es sehr schwer geworden, öffentliche Aktionen zu organisieren. Wenn sich heute eine Gruppe von Studenten versammelt, um über Aktivismus zu sprechen, weiß die Polizei bereits Bescheid. Sie benutzt viele verschiedene Taktiken, um uns einzuschüchtern. Auch die chinesischen Mainstream-Medien vermeiden seitdem den Begriff »Feministin« in ihrer Berichterstattung – es ist fast so, als gebe es ein Verbot, darüber zu berichten.
Die »Feminist Five« Li Maizi, Wei Tingting, Zheng Churan, Wu Rongrong und Wang Man in einem Kunstwerk des chinesischen Cartoonisten Badiucao
Feminismus als Westimport?
Warum hat die Regierung so viel Angst vor Feministinnen?
Liang Xiaowen:
Die Regierung hat nicht nur Angst vor der feministischen Bewegung, sondern vor allen sozialen Bewegungen. Die Regierung hat Angst davor, dass die Zivilgesellschaft sich stark genug fühlt, den der Regierung anzugreifen. Sie haben Angst vor – genau so sind sie selbst ja auch an die Macht gekommen. Die chinesische Feministin und Journalistin Lu Pin hat eine Theorie, warum die Regierung insbesondere vor der feministischen Bewegung Angst hat: Autoritarismus ist das Patriarchat. Wenn Feministinnen das Patriarchat herausfordern, stellen sie auch gleichzeitig den infrage.
Feministinnen aus dem Nahen Osten und Osteuropa erzählen, dass Feminismus in ihren Gesellschaften als Schimpfwort gebraucht wird. Die Idee wird als verschrien, der nichts mit ihrer Kultur zu tun habe. Ist das in China auch so?
Liang Xiaowen:
Ja, das passiert oft. Die Regierung sagt: Feminismus und auch Homosexualität sind westliche Ideen und laufen entgegen unserer traditionellen Werte und Konventionen. Das stimmt aber nicht. Vor über 100 Jahren sprach eine Chinesin, erstmals über feministische Ideen. Selbst wenn viele Wissenschaftlerinnen Konzepte zur Analyse von Geschlechterungleichheiten aus dem Westen übernommen haben, ist die chinesische Realität immer noch ein bisschen anders. Mit ihr setzen wir uns auch in unseren Kampagnen auseinander.
In Interviews gehst du offen damit um, dass du Beziehungen mit Frauen hast. Wie offen können
in China ihre sexuelle Orientierung zeigen?
Liang Xiaowen:
Die chinesische Regierung ist sehr zurückhaltend und konservativ, was LGBT-Fragen angeht. Es gibt diese ungeschriebene Regel, die jeder kennt: Die Regierung entmutigt die LGBT-Bewegung nicht, aber sie ermutigt oder fördert sie auch nicht. Sie erkennt ihre Existenz nicht an. Es gibt eine klare Vorgabe, dass die Medien keine Inhalte zeigen können, in denen Schwule, Lesben oder Bisexuelle vorkommen.
»Hör auf, zu mansplainen!«
Haben Männer einen Platz in der feministischen Bewegung?
Liang Xiaowen:
Niemand schließt Männer aus. Wenn Männer sich ausgeschlossen fühlen, dann fühlen sie sich anscheinend angegriffen. Und wenn sie wirklich etwas beitragen wollen, sollten sie reflektieren, warum sie sich angegriffen fühlen. Es gibt viele Möglichkeiten, wie Männer feministischen Aktivismus unterstützen können. Die einfachste: Wenn eine Frau spricht, lasse sie aussprechen. Hör auf, sie zu unterbrechen. Hör auf, zu
Hast du das Gefühl, dass chinesische Männer auch mit Rollenbildern kämpfen?
Liang Xiaowen:
Jeder kämpft doch mit seiner eigenen Rolle. Auch in China. Unsere Regierung unterdrückt nicht nur Frauen, sondern auch arme Menschen, Menschen vom Land, Menschen mit Behinderung. Aber Unterdrückung zu erfahren, ist noch lange keine Entschuldigung dafür, andere zu diskriminieren.
Der kommt in diesen Tagen zusammen und entscheidet unter anderem darüber, ob der chinesische Präsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Xi Jinping, auf unbestimmte Zeit im Amt bleiben darf. Was denkst du darüber?
Liang Xiaowen:
Es ist erschreckend. Der chinesischen Regierung ist es mittlerweile egal, was andere Regierungen über sie sagen. Es ist ihnen egal, ob sie als undemokratisch bezeichnet wird. Es fühlt sich an, als wären wir auf dem Weg in einen totalitären Staat.
Mit Blick darauf: Ist internationale Aufmerksamkeit gut für Feministinnen in China? Oder kann es den Akteurinnen auch schaden, wenn die Medien ihre Namen nennen und die Regierung so erfährt, wer an Aktionen beteiligt ist?
Liang Xiaowen:
Aufmerksamkeit ist immer gut. Aufmerksamkeit gibt uns eine lautere Stimme. Manchmal kann es natürlich negative Konsequenzen für einzelne Aktivistinnen haben. Ob sie das Risiko eingehen, muss jede für sich selbst entscheiden.
Die Aktivistin Wei Tingting gehört zu den »Feminist Five«. Schaue dir hier ihren Hague Talk über Frauen-Empowerment in China an.
Als Politikwissenschaftlerin interessiert sich Katharina dafür, was Gesellschaften bewegt. Sie fragt sich: Wer bestimmt die Regeln? Welche Ideen stehen im Wettstreit miteinander? Wie werden aus Konflikten Kompromisse? Einer Sache ist sie sich allerdings sicher: Nichts muss bleiben, wie es ist.
von
Juliane Metzker
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.