797. Gerade einmal so viele Menschen haben in Deutschland im Jahr 2017
Klare Sache also: Es gibt zu wenig Spendenwillige – oder?
Über 80% der Deutschen stehen einer Organspende generell positiv gegenüber, aber nur 1/3 hat einen Organspendeausweis.
So kann man es auch wieder nicht sagen. Denn trotz des Skandals um
Nachdem diese desaströsen Zahlen Anfang 2018 öffentlich wurden, rückte eine vermeintlich einfache Lösung in den Fokus der Diskussion: Man müsse weg von der »Zustimmungslösung« und die Regelung bloß umdrehen. In der neuen »Widerspruchlösung« wäre dann jeder Spender,
Doch ist es wirklich so einfach? Schaut man genauer hin, zeigt sich, dass das Geheimnis des spanischen Organspendesystems eigentlich ganz woanders liegt.
Im vergangenen Jahr 2017 warteten über 10.000 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. In über 75% der Fälle fehlt es den Patienten
Ihre Aussichten sind aktuell düster. Auf eine neue Niere wartet man
Die Organspenderrate in Deutschland ist bereits seit Jahren rückläufig. Dieser Trend ist schon vor dem Skandal um manipulierte Organvergabe im Jahr 2012 zu beobachten.
Was erschwerend hinzu kommt: Aus medizinischen Gründen kommen die wenigsten Menschen nach ihrem Tod als Spender infrage. Denn dazu müssen viele Faktoren zusammenkommen:
Nur ein extrem geringer Teil der Sterbenden kommt überhaupt als Organspender in Betracht.
Erst nach all diesen Schritten wenden sich die Ärzte an die Deutsche Stiftung Organspende, die für alles Weitere zuständig ist:
An diesem langwierigen Vorgang zeigt sich: Der Mangel an Organspenden muss nicht pauschal ein Mangel an Spendern sein. Das soll keineswegs ein Argument gegen die Widerspruchslösung sein, bringt sie doch die Menschen dazu, aktiv eine Entscheidung treffen zu müssen, anstatt das Thema passiv auszusitzen.
Was aber macht Spanien noch anders, sodass es dort besser funktioniert und Engpässe nicht so ausgeprägt auftreten?
Beim Thema Organspende glänzen die Spanier Jahr für Jahr mit Rekordzahlen. Allein
»Für uns ist es absolut klar, dass eine effiziente Organisation das eigentliche Geheimnis ist«, sagt Elisabeth Coll, die medizinische Leiterin der Nationalen Organisation für Transplantation (ONT) in Spanien. Sie kann die Debatte um Organspende in Deutschland nicht so recht nachvollziehen.
In den 1970er-Jahren war die Spenderrate in Spanien ähnlich miserabel wie heute in Deutschland. Doch die im Jahr 1979 eingeführte Widerspruchslösung brachte … fast nichts. Erst als 10 Jahre später das ONT gegründet und mit ihm der Prozess der Spende und Transplantation grundlegend reformiert wurde, begann die Rate
Jedes Land hat medizinische Transplantationsexperten, aber nicht jedes hat echte und motivierte Organspende-Experten
Das Schlüsselelement liegt, so Elisabeth Coll, in der richtigen und sensiblen Kommunikation mit allen Beteiligten, auch den Angehörigen von potenziellen Spendern, bei denen der Organspendewunsch unklar ist. Denn der Tod eines geliebten Menschen ist für sie eine der schlimmsten Situationen ihres Lebens – und dennoch müssen sie entscheiden,
Nicht zu unterschätzen ist dabei auch die psychische Belastung für die Mitarbeiter, die diese Gespräche führen. Die Mitarbeiter der ONT bekommen deshalb neben einer formalen Ausbildung zur Organisation der Transplantation zusätzlich ein spezielles Training zum Umgang mit Patienten und Familien. Auf diese Weise wurden bisher insgesamt 16.000 Ärzte und Krankenpfleger ausgebildet. Zudem schreibt die ONT ein Rotationsprinzip vor, um sie psychisch zu entlasten.
Das System hat sich bewährt:
Wir sprechen immer mit der Familie, sie haben das letzte Wort. Das ist in erster Linie eine Frage von Transparenz und Vertrauen in das System.
Zuständig für diese Kommunikation in spanischen Krankenhäusern sind Transplantationsbeauftragte, die es an jeder Klinik gibt – in der Regel die Intensivmediziner selbst. Doch ihre Rolle beschränkt sich nicht auf die Angehörigen: »Sie klären die anderen Ärzte in allen Stationen auf und vermitteln, wie wichtig die Organspende ist«, betont Elisabeth Coll. So kann das ONT-Netzwerk alle Bereiche der Klinik umspannen und hilft dabei mit, dass mögliche Spender in die Intensivmedizin überwiesen werden – also zu Schritt 2 der Organspende.
Warum klappt das nicht auch in Deutschland?
An deutschen Kliniken gibt es kein einheitliches Konzept zur Fortbildung im Umgang mit Angehörigen. »Das wird unterschiedlich gehandhabt, gesetzlich geregelt ist jedoch, dass die Gespräche ergebnisoffen geführt werden müssen«, erklärt Birgit Blome von der
Der springende Punkt ist: Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser muss flächendeckend an das Thema Organspende gedacht werden.
Generell gibt es bundesweit jedoch lediglich
Hier tut sich ein grundlegendes Problem des deutschen Systems auf: Die Räder von Kliniken und Organisation der Organspende greifen nicht ineinander. So offenbarten Befragungen unter Medizinern und Pflegepersonal aus dem Jahr 2016 ein erhebliches Informationsdefizit zum Thema Organspende. Einige lehnten sogar die Transplantationsmedizin generell ab – selbst in den 46 ausgewiesenen
Im schlechtesten Fall kann es daher passieren, dass die lange Handlungskette also bereits bei Schritt 1 oder 2 (siehe Schaubild oben)
Eigentlich sollten das die Transplantations-Beauftragten verhindern, die seit 2012 in jeder deutschen Klinik aus dem Personal ernannt werden. Ihre Aufgabe ist es, in den Kliniken eine Struktur für Organspenden zu etablieren, Mitarbeiter zu schulen sowie mögliche Organspender zu erkennen und dann mit der DSO Kontakt aufzunehmen. Doch diese verantwortungsvolle Aufgabe macht sich nicht mal eben nebenbei, betont auch Birgit Blome: »Er muss auch entsprechend freigestellt und geschult werden, um diese Aufgabe erfüllen zu können, die er oft zusätzlich zu seinem eigentlichen Job übertragen bekommt.«
Welchen großen Einfluss diese Beauftragten mit den richtigen Rahmenbedingungen auf das ganze System nehmen könnten, kann man in Bayern beobachten. Im Jahr 2017 wurde in dem Bundesland gesetzlich festgelegt, dass Krankenhäuser Transplantations-Beauftragte für diese Aufgabe verbindlich von anderen Tätigkeiten freistellen müssen. Das Ergebnis: eine deutliche Steigerung der Spenden um 18%.
Ein Vorbild für ganz Deutschland?
Die Widerspruchslösung würde in jedem Fall für mehr öffentliche Aufmerksamkeit sorgen.
Seit 2012 hat die Bundesregierung 100 Millionen Euro in
Doch Spaniens Beispiel zeigt: Das allein wird auch nicht reichen. Dazu ist es unumgänglich, die Abläufe an den Kliniken zu optimieren. Diese 3 Bereiche sind besonders vielversprechend:
Es gibt noch ein ganz praktisches Indiz dafür, sich auf diese Weise am spanischen Modell zu orientieren, weiß die medizinische Leiterin der spanischen Organisation für Organspende, Elisabeth Coll: »Bei Deutschen, die in Spanien leben, ist die Spenderrate genauso hoch wie unter den Einheimischen.«
Es geht nicht nur darum, die absolute Zahl der Spender zu erhöhen, sondern auch darum, die Spendenwilligen effizient zu erkennen.
Scheinbar hat sich das inzwischen auch in der Bundesregierung herumgesprochen. So wurde im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart: »Wir wollen die Zahl der Organspenden in Deutschland erhöhen. Dazu werden wir eine verbindliche Freistellungsregelung für Transplantations-Beauftragte schaffen und diese finanzieren. Die Organentnahme wird höher vergütet.«
Wenn ein entsprechendes Gesetz vom Parlament beschlossen wird, dürfte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier es besonders gern unterschreiben: Er ist schon seit 2010 Organspender, als er seiner Frau – mangels anderer Spender – eine Niere abgegeben hat.
Titelbild: TaylorHerring - CC BY-SA 3.0
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