Darum verlasse ich Facebook
Der Datenskandal muss Anlass sein, dass sich jeder Nutzer jetzt die Frage stellt: Überwiegen für mich die Vor- oder Nachteile von Facebook?
Er ist also doch ins Wanken geraten: Facebook, der Titan sozialer Medien. Seit 3 Wochen betreibt der Konzern halbgares Krisenmanagement in einem der größten Datenskandale der Geschichte. Und die typischen Gegenstrategien wirken nicht mehr: Auf den Versuch, die Krise schweigend auszusitzen,
Auch Mark Zuckerbergs Eingeständnis (»Das war eine große Sicherheitslücke«) kommt zu spät, zu getrieben daher.
Das ist passiert: Durch die Recherche von Journalisten des britischen
Woher kamen die Daten? Den Großteil der Nutzerdaten sammelte in den Jahren 2014–2015 die App »thisisyourdigitallife« von Aleksandr Kogan. Der Assistenzprofessor aus Cambridge gab gegenüber Facebook an, er wolle die Daten zu wissenschaftlichen Zwecken nutzen. Tatsächlich verkaufte er die Daten für rund 800.000 US-Dollar an Cambridge Analytica.
Was ist Facebooks Rolle dabei? Facebook wusste seit dem Jahr 2015 um den Datenskandal. Das Unternehmen sperrte den Zugang von Aleksandr Kogans Firma GSR und forderte Kogan und Cambridge Analytica auf,
Facebooks verunsicherte Nutzer stehen nun vor der Frage, was sie tun sollen. Umfragen zeigen: Rund die Hälfte der US-Nutzer denkt zumindest darüber nach,
Ich bin einer von denen, die jetzt einen Schlussstrich ziehen. Das muss nicht jeder so machen – aber jeder sollte sich aktiv entscheiden, ob Facebook für ihn persönlich mehr Nutzen oder Schaden bringt.
#Deletefacebook, der Hashtag für Aussteiger, ist irreführend. Facebook kann man nicht löschen – nur den Account deaktivieren.
Dabei weiß ich genau: Dass Facebook es mit dem Datenschutz nicht genau nimmt, ist so wenig neu wie »Wasser ist nass«. Auch werden die meisten Nutzer dem Netzwerk treu bleiben. Dafür verraucht Empörung im Internet viel zu schnell.
An meiner Entscheidung ändert das nichts. Nach diesem Text ziehe ich den Stecker. Und ich habe gute Gründe dafür.
Das werde ich an Facebook vermissen
Kein Unternehmen gelangt an die Weltspitze, wenn es nicht etwas grundlegend richtig macht. Auch Facebook ist keine Ausnahme, wie ich zähneknirschend zugeben muss. Es hat perfektioniert, was soziale Netzwerke so reizvoll macht –
Als Journalist habe ich es bisher genutzt, um über
Liefert der Newsfeed wirklich wertvolle Informationen?
Darüber hinaus hielt ich – wie wahrscheinlich jeder Nutzer – per Facebook auch Kontakt mit alten Schulfreunden, verfolgte im Newsfeed, wie sie Kinder kriegen, Jobs wechseln und ihr Essen fotografieren, und konnte dank der Benachrichtigungs-Funktion so tun, als hätte ich ihren Geburtstag nicht vergessen. Ein paarmal »Gefällt mir«, ein Smiley, weiterscrollen – ganz im Stil der oberflächlichen Kommunikation, die auf der Plattform vorherrscht.
Manche Kontakte hielt ich bisher tatsächlich nur in diesem sozialen Netzwerk: etwa mit ehemaligen Kollegen. Auf Facebook gehörten sie zu einem diffusen »Bekanntenkreis«, um den ich mich nicht aktiv kümmern musste. Jeder von ihnen war nur eine Mitteilung weit entfernt, um den lauwarmen Kontakt wiederaufzunehmen – Menschen auf einem behaglichen »Kann man irgendwann noch mal brauchen«-Abstellgleis.
Zu guter Letzt gab mir Facebook das Gefühl, als würde ich etwas zum öffentlichen Leben beitragen – etwa wenn ich
Für mich war Facebook wohl vor allem das Gesamtpaket an angenehmen, aber belanglosen Gewohnheiten und der Wunsch nach einer
Dann kam der Datenskandal und machte die Risse in Facebooks Wohlfühl-Welt unübersehbar deutlich.
Meine 5 Gründe, Facebook zu verlassen
Wenn du das Geschäftsmodell nicht gleich erkennen kannst, bist du es selbst. – Internet-Sprichwort
Eigentlich ist das schon klar, seit Facebook im Jahr 2012 bezahlte Werbeanzeigen in seinen Feed aufnahm: Facebook ist keine gemeinnützige Plattform für den Austausch mit Freunden, sondern ein eigennütziges Internetunternehmen, dem Wachstum und Profit wichtiger sind als der verantwortungsvolle Umgang mit seinen Nutzern.
Und der Datenskandal ist nur die Spitze des Eisbergs. Die folgenden 5 Probleme machen klar, welche Mängel alle Nutzer für die Vorteile in Kauf nehmen:
- Mangelhafter Datenschutz: Facebook hat zwar den Zugang abgeschaltet, über den Cambridge Analytica an die Datensätze von 50 Millionen Nutzern kam. Doch allein, dass es diese irrwitzige Möglichkeit, Nutzerdaten abzugreifen, überhaupt gab, Facebook die betroffenen Nutzer nicht informierte und auch nicht überprüfte, ob die geernteten Datensätze gelöscht wurden, sollte jedem klarmachen: Das Netzwerk ist entweder damit überfordert, die Daten seiner Nutzer zu schützen, oder hat schlicht kein Interesse daran – bis es durch öffentlichen Druck reagieren muss.
- Dreistes Ausspionieren: Auf Facebooks Möglichkeiten, an Informationen zu kommen, wären wohl sogar FBI-Ermittler neidisch.
- Datenkrake als Geschäftsmodell: Dass Facebook all die Daten sammelt, um dem Nutzer zu dienen und etwa die »Personen, die du vielleicht kennst«-Spalte zu füllen, glaubt wohl niemand ernsthaft. Tatsache ist:
Alles, was uns dabei hilft, mehr Menschen noch häufiger zu verbinden, ist *de facto* gut.
- Hass gehört zum System: Dass Hassrede und Fake News auf Facebook wuchern, ist kein Zufall. Denn das Netzwerk will Emotionen bei seinen Nutzern auslösen. Das spült nicht nur den Post über das neugeborene Baby nach oben, sondern auch extreme Posts, die aufregen und wütende Reaktionen stimulieren. Sie werden durch den Algorithmus von Facebook häufiger angezeigt,
- Facebook macht krank: Was das soziale Netzwerk wirklich will, ist nicht schwer zu erraten – Nutzer sollen möglichst häufig Facebook nutzen und damit mehr Werbung angezeigt bekommen. Unangenehm dürften dem Netzwerk zahlreiche Studien sein, die vor Folgen für die Psyche warnen, von Abhängigkeit bis zu digitalem Burnout und Depression. Gestellte Urlaubsfotos und Heile-Welt-Bilder sind eben nicht nur schön, sondern
Ich fühle mich enorm schuldig. […] Diese kurzzeitigen, Dopamin-gesteuerten Feedbackschleifen, die wir geschaffen haben, zerstören, wie unsere Gesellschaft funktioniert.
Und ganz nebenbei ist die Facebook-App
Mir sind sie es nicht. Und trotzdem fiel mir die Entscheidung überraschend schwer. Denn als Nutzer, der sich für immer ausloggen will, traf ich auf Facebooks Geheimwaffe.
Facebooks Geheimwaffe, damit niemand das Netzwerk verlässt
Der wahre Grund, warum auch nach dem Datenskandal Facebook weiterhin das größte soziale Netzwerk bleiben wird, ist ein perfider psychologischer Effekt, dem auch ich bisher auf den Leim gegangen bin:
»Ich glaube, es gibt Dinge, die wichtiger sind als Geld.« –
Denn Facebook den Rücken zu kehren, bedeutet auch, ein paar Neuigkeiten
Das Netzwerk setzt damit gezielt auf eine
Aber ist diese digitale Verbundenheit wirklich echte Verbundenheit?
Für mich ist sie das nicht. Und immer
Wer Facebook hingegen verlässt, fühlt sich am Ende vielleicht ausgegrenzt,
Ich sage auch nicht, dass jeder es mir gleichtun sollte. Aber der Datenskandal kann Anlass sein, die eigene Nutzung von Facebook kritisch zu hinterfragen. Und das würde mich nicht überraschen.
Mit Illustrationen von Tobias Kaiser für Perspective Daily