Obwohl wir zu zweit im Regenwald unterwegs sind, haben wir nur eine einzige Taschenlampe dabei, um die großen Pfützen auf dem Matschweg aufzuspüren. Ranil, unser Gastgeber, hält sie in der Hand und geht so schnell voran, dass ich kaum Schritt halten kann, ohne nasse Füße zu bekommen. Abseits des Lichtkegels ist es stockfinster in diesem Teil von Sri Lanka. Gegen die dichten Baumkronen ist der Mond chancenlos. In der Dunkelheit sind meine Ohren besonders empfindlich für das Zirpen der Grillen, das Kreischen der Vögel und das Geschrei der Affen. Plötzlich bleibt Ranil stehen und zeigt auf ein paar Steinblöcke, die am Wegesrand im Gras liegen: »Siehst du die eingestürzte Mauer? Die hat mein Schwiegervater schon 3-mal wieder aufgebaut, aber die Elefanten reißen sie immer wieder sein.« Ob die Elefanten seinen Schwiegervater angegriffen haben? »Nein, hier verläuft einfach ihr Weg, den nehmen sie immer. Jetzt lassen wir das so, seitdem gibt es keine Probleme mehr.«
Wenn sich die Wege von Natur und Menschen kreuzen, kommt es zu Konflikten. Das Bemerkenswerte in Sri Lanka ist aber, dass die Menschen die Natur gewähren lassen – und damit erstaunlich gut fahren.
Im Frühjahr 2018 haben Wissenschaftler in einer
Als wir loslegten, dachten wir schon irgendwie, dass von 150 verschiedenen Ländern bestimmt ein Leuchtturm dabei wäre. Den haben wir aber nicht gefunden.
Kein Land bietet auch nur annähernd optimale Lebensumstände, ohne dem Planeten heftig zuzusetzen. 2 Länder stechen dennoch positiv heraus: Sri Lanka und Deutschland.
Auf meiner Reise durch Sri Lanka erfahre ich von einer Tragödie: Im Frühjahr 2017 geriet ein Plastikberg nach langen Regenfällen ins Rutschen und begrub
Ein Plastikberg begrub 32 Menschen unter sich.
Am Straßenrand liegt heute tatsächlich auffällig wenig Müll herum, gerade im Inneren des Landes, in der Nähe der Naturschutzreservate, wo die Elefanten leben. Doch so richtig konsequent scheint das Verbot nicht umgesetzt zu werden: Die Mini-Bananen und Ananas, die ich am Straßenrand kaufe, werden mir immer in einer Tüte überreicht – ob die jetzt biologisch abbaubar ist? Die Strohhalme, die in jeder Kokosnuss stecken, sind es sicher nicht.
Trotz solcher Mängel kann Sri Lanka stolz sein auf fortschrittliche Umweltgesetze, von denen Umweltschützer im Rest der Welt träumen. Ihr Architekt ist Präsident Maithripala Sirisena, der sich seit seinem Amtsantritt für Umweltschutz und gegen Korruption einsetzt. Er nutzte die Aufregung der Müll-Katastrophe und setzte das lange angestrebte Plastikverbot um.
Um das »gute Leben« vergleichen zu können, haben die Wissenschaftler 11 messbare Soziale Errungenschaften festgelegt, die ein Land für seine Bürger bereithalten sollte, um sie beim Erreichen dieses »guten Lebens« zu unterstützen:
Je mehr dieser Punkte ein Land also erreicht, desto eher ist ein »gutes Leben« hier möglich.
Einer der Bereiche, in denen Sri Lanka sehr gut abschneidet, ist mit durchschnittlich
Ob auf Teeplantagen oder in buddhistischen Tempelanlagen: Die penibel uniformierten Schulklassen sind überall unterwegs, wo es etwas zu sehen gibt. »Pen, pen, pen!«, rufen uns die Kinder hinterher, die auf die Straße gerannt kommen, sobald sich die Nachricht von den Touristen an der Hauptstraße – also uns – zu ihnen herumgesprochen hat. Wir rätseln, was sie wollen; bis uns jemand erklärt, dass sie nach Stiften fragen, ein gängiges Geschenk von Reisenden für einheimische Kinder. Also besorgen wir uns am nächsten Trödelladen eine Großpackung gelber Bleistifte und sind ab sofort gerüstet.
In ähnlicher Weise wie bei den Sozialen Errungenschaften haben die Wissenschaftler 7 messbare Planetare Grenzen definiert, innerhalb derer ein Land wirtschaften kann, ohne dass wichtige natürliche Systeme aus den Fugen geraten – quasi die wissenschaftliche Variante vom »Einklang mit der Natur«.
Ausgehend von diesen Grenzen ergibt sich für jeden Einzelnen ein bestimmtes Kontingent – aus dem
Je mehr Punkte ein Land auf dieser zweiten Skala hat, desto mehr Planetare Grenzen hat es überschritten. Und desto stärker zerstört es den Planeten.
Sri Lanka überschreitet keine dieser Grenzen; woran das liegt, ist im Land an vielen Orten zu sehen. Zum Beispiel am Verkehr.
Die britische Kolonialmacht hat dem Land ein Eisenbahnnetz hinterlassen. Für weniger als einen Euro schleppen uns die Dieselloks stundenlang im Schritttempo durch die hügelige Landschaft. Die Waggons sind voll besetzt, zunächst stehen wir dicht gedrängt, später ergattern wir einen Sitzplatz auf dem Boden. Wir lassen die Beine aus den offenen Türen baumeln, draußen sehen wir Büffelherden und steile Teefelder. Das Straßennetz hingegen ist vergleichsweise dünn, Fahrräder, Roller, kleine Lastwagen und Busse bestimmen das Bild. Pkw sind die Ausnahme.
Gäbe es das »perfekte Land«, hätte es 11 Punkte auf der Errungenschaften-Skala und 0 auf der Skala der Planetaren Grenzen. Diesen Leuchtturm gibt es nicht. Das zeigt die Studie deutlich. Aber:
We don’t inherit the earth from our ancestors, we borrow it from our children.
In schwarzen, vom Regen verwaschenen Buchstaben steht der Satz auf einer niedrigen Mauer im Hochland von Sri Lanka. Die Steine stützen die Terrassenfelder, auf denen hier auf gut 1.400 Metern Höhe Frauen seit gut 130 Jahren die
Dass Sri Lanka so umweltfreundlich wirtschaftet, ist jedoch nicht in erster Linie Verdienst seiner Politik, sondern auch der wirtschaftlichen Lage. Die meisten Entwicklungsländer, zu denen Sri Lanka mit einem Pro-Kopf-Einkommen von gut 3.800 US-Dollar nach wie vor zählt, haben schlicht nicht die Möglichkeiten, die Natur so stark zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Generell ist die soziale Performance am engsten an die CO2-Emissionen sowie den Rohstoff-Fußabdruck und am wenigsten eng an den Verbrauch von Biomasse gekoppelt.
Die Leistung ist es eher, dass das Land trotz seiner relativen Armut erstaunlich gute Bedingungen für seine Einwohner geschaffen hat – ein starker Kompromiss im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten.
Die besondere Rolle Deutschlands in der Studie zeigt, dass es ein nachhaltiges Leben mit deutschem Standard nicht gibt: Obwohl Deutschland Spitzenreiter ist, lebt es in fast allen Bereichen über seine Verhältnisse. Gerade deshalb ist es wichtig, ein Land wie Sri Lanka als Vorbild für andere wenig entwickelte Länder zu haben, die Verbesserungen herbeisehnen. Es zeigt: Ein ziemlich »Gutes Leben« ist möglich, auch in »Einklang mit der Natur«.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Titelbild: Nicole de Vries - copyright
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