Worüber wir nach der Amokfahrt in Münster endlich sprechen sollten
»Wo bist du?« Nach dem Vorfall in meiner Heimatstadt erreichen mich im Minutentakt besorgte Nachfragen von Freunden und Familie. Während das Motiv des Täters noch unklar ist, merke ich, was hier falsch läuft.
Die Sonne blendet so sehr, dass ich das Display vom Smartphone kaum erkennen kann. Eigentlich will ich nur die Radtour an diesem ersten heißen Frühlingstag im Jahr genießen. Ich bin irgendwo zwischen Dülmen und Münster. Die Szene ist perfekt, wie aus einem Heimatfilm: Vögel zwitschern, die ersten Fohlen tollen über die Wiesen und die Zitronenfalter landen auf meinem Fahrradlenker. Und dann:
Wo bist du? Es gab einen Anschlag in Münster. Ein Auto ist in Menschen hineingefahren. 3 Tote, 30 Verletzte.
Was?
So erfahre ich vom Vorfall in meiner Heimatstadt Münster, der jetzt die Nachrichten der Republik bestimmt. Im Minutentakt erreichen mich weitere besorgte Nachrichten von Freunden und Familie und bin damit nicht allein. Während ein Freund, der im Zentrum Münsters wohnt, sich noch über den Lärm der Helikopter ärgert, die an diesem Samstagnachmittag die Ruhe in seinem Garten stören, wundert sich ein anderer, warum sich eine Freundin aus den Niederlanden plötzlich um seine Gesundheit sorgt.
Zeitgleich nehmen die vorhersehbaren
Auf den Schock folgt ein mulmiges Gefühl, das sich trotz Frühlingssonne und Waldluft in meiner Magengegend ausbreitet und mir sagt: »Die nächsten Wochen werden sehr anstrengend und lähmend sein. Weil die Nation über nichts anderes als Terrorismus sprechen wird.« Ich bin nicht die Einzige, die erleichtert ist, als klar wird: Der Täter war kein Geflüchteter und hatte
Und doch hoffe auch ich plötzlich, dass wir über den Vorfall in Münster noch lange reden werden. Warum? Weil er eine Chance ist, endlich das Wesentliche zu diskutieren.
Ist Münster im Schock?
Die Welt hängt an den Bildschirmen und lernt:
Falsch! Es scheint eher umgekehrt: Die Welt, die auf Münster schaut, ist im Schock, während für die meisten Menschen in Münster der Alltag in Parks, Cafés und Straßen (einmal abgesehen vom direkten Umkreis des Unglücksorts) weitergeht.
Münster ist gerade der »lebende Beweis« für einen
Und während die Welt die Spekulationen »live« an den Bildschirmen mitverfolgt,
Die Terrorismusexperten konnten ihre Koffer wieder packen – schließlich wurden sie
Lasst uns über Gefühle reden!
Ein Schwächling also. Einer, der nicht klarkam mit dem Leben. Aber kein Terrorist. Also zurück zum Tagesgeschehen.
Die Frage nach der Motivation des Täters von Münster offenbart ein gesellschaftliches Thema, über das wir viel häufiger reden sollten:
Doch wer psychisch labil oder gar krank ist, gilt gemeinhin als Versager. Über Depressionen sprechen wir und die Medien mit den immer gleichen Bildern;
Darum hoffe ich, dass wir die Chance nutzen, um mehr über das psychische Wohlergehen unserer Gesellschaft zu sprechen. Und so die Prävention psychischer Krankheiten verbessern können – und damit hoffentlich auch Gewalttäter gar nicht erst zu solchen werden zu lassen. Egal ob ein potenzieller Täter Deutscher oder Geflüchteter, Christ oder Muslim ist.
Titelbild: Juliane Metzker - copyright