Lerne die wahren Weltmeister im Mülltrennen kennen
Bei der Mülltrennung macht uns Deutschen keiner was vor? Darüber können diese Inder nur lachen. In ihrer Stadt ist die Müllentsorgung jetzt offiziell paradiesisch.
Meine Augen tränen und ich spüre, wie meine Nase anfängt zu laufen. »Entschuldigung, haben Sie vielleicht ein Taschentuch?«, frage ich den Cafébesitzer. Er murmelt etwas, nickt mit dem Kopf und zieht sich zurück. Herr Prem, Stadtrat in der indischen Stadt Alappuzha, führt mich an diesem Tag durch die Stadt und hat uns ein sehr scharfes Curry mit Eiern bestellt, das unsere Schleimhäute jetzt in Wallung bringt. Meine Nase droht zu tropfen und da ich immer noch kein Taschentuch bekommen habe, werde ich leicht panisch – schließlich möchte ich ihm nicht den Appetit verderben. »Entschuldigung!«, rufe ich jetzt vielleicht etwas zu vehement. »Ein Taschentuch??« Der Cafébesitzer schaut mich irritiert an und antwortet in
Dass sogar der kleinste Müllfetzen in dieser sauberen Stadt vermieden wird, ist nur konsequent. Bei diesem Gedanken muss ich unerwartet grinsen – zu viel Spontaneität für den Tropfen an meiner Nase. Jetzt brauche ich wenigstens auch kein Taschentuch mehr.
Ein Bürgerprotest führt zur Müll-Revolution
Noch vor ein paar Jahren erstickte die
Das himmelstinkende Müllproblem drohte auch wirtschaftlich zur Katastrophe zu werden.
Fortan türmten sich die Müllberge jedoch in der Stadt. Das allein wäre eine unangenehme Situation für jede Stadt, doch Alappuzha lebt zu großen Teilen vom Tourismus. Die Stadt mit den pittoresken Kanälen und einem direkten Zugang zu Keralas berühmtem Netz aus Wasserstraßen, den
Der Druck zeigte Wirkung. Nach wenigen Monaten fand sich ein Team aus Politik, Wissenschaft und verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen und entwickelte gemeinsam die Kampagne »Nirmala Bhavanam, Nirmala Nagaram« (Sauberes Haus, Saubere Stadt).
Das Erfolgskonzept: Müllentsorgung wird dezentralisiert
»Wir haben aus einer Krise eine Möglichkeit gemacht«, sagt Moorakkad Radhakrishnan Prem, wie mein Gegenüber im Curry-Restaurant mit vollem Namen heißt. Er ist 47 Jahre alt, seit 8 Jahren Stadtrat in Alappuzha und sichtlich stolz auf das Erreichte. Die Stadt hat für ihr revolutioniertes Müll-Management bereits zahlreiche nationale und internationale Preise gewonnen: Alappuzha wurde vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE) als
Das Revolutionäre an der Kampagne war die Komplettumstellung einer ganzen Stadt, quasi über Nacht, von einem zentralen hin zu einem dezentralen Abfallmanagement. Die Mülldeponie blieb geschlossen und der gesamte Abfall der Stadt wurde fortan direkt am Entstehungsort – oder zumindest in unmittelbarer Nähe – entsorgt. Wie das geht?
»Aufsteigen bitte«, sagt Herr Prem. Er lächelt viel, trägt ein rosafarbenes Hemd und einen weißen
Kochen mit Abfall
Der erste Stopp ist bei Rajamma Sujalal. Sie ist 59 Jahre alt und war früher selbst Stadträtin. Frau Sujalal und ihre Familie verwerten einen großen Teil ihres Abfalls zu Hause und kochen damit ihr Essen. Kurz nach Beginn der Kampagne ging ein Team der Organisatoren von Tür zu Tür und informierte die Bewohner, wie sie mit einer Biogasanlage aus ihrem Abfall Energie gewinnen können.
Im Garten der Familie steht ein Betonzylinder. Durch eine Öffnung werden Essensreste und anderer kompostierbarer Unrat eingefüllt. Ein Schlauch führt zur Küche direkt an den Gasherd. »Früher mussten wir jeden Monat eine neue Gaskartusche kaufen. Gemischt mit dem Biogas reicht eine Kartusche jetzt für 3 Monate«, erzählt Sujalal. Es war die Grundidee der Kampagne, Müll direkt beim Verursacher zu verarbeiten und, wenn möglich, aus dem Unrat Energie zu gewinnen. Je nach Größe und Preis subventioniert die Stadt 50–75% der
Doch was passiert mit dem Plastikmüll? Und was machen die Familien, die kein Geld oder zu wenig Platz für eine Biogasanlage haben?
Aus einer großen Mülldeponie werden 24 kleine
Die Antwort gibt mir Herr Prem, als wir wieder auf seinem Motorroller sitzen und uns durch die von Palmen gesäumten Straßen schlängeln. Überall in der Stadt gebe es Gemeinschafts-Kompostzentren, insgesamt seien es mittlerweile 24, in denen die Anwohner ihren Abfall entsorgen können. Sie liegen an großen Straßen und sind ins Stadtbild integriert. Wir besuchen eines der Zentren im Norden der Stadt. Das gesamte Gebiet ist vielleicht so groß wie ein Fußballplatz und, wie so vieles in Indien, in kräftigen Farben gestrichen. Hier stehen 20 quadratische Boxen, in denen abwechselnd organischer Abfall und trockene Blätter gestapelt und mit Bioorganismen besprüht werden, die den Kompostiervorgang beschleunigen. Jede Box fasst insgesamt 2 Tonnen Kompost. Binnen 90 Tagen wird aus dem Müll nährstoffreicher Humus.
In den Zentren arbeiten Entsorgungstechniker wie Joseph Kunjumon. Noch vor ein paar Jahren fuhr er den ganzen Tag auf einem Lkw mit und sammelte den Müll von der Straße auf. Heute bringen die Anwohner ihren Abfall direkt zu den Mini-Mülldeponien überall in der Stadt. Auch die Mülltrennung beim Verursacher wurde erst mit der Kampagne etabliert. Das bedeutet, Joseph und seine Kollegen mussten Plastik- und Biomüll noch vor wenigen Jahren per Hand trennen, auch während der Regenzeit. Er sagt, er sei sehr zufrieden mit dem neuen System. »Auf dem Lkw zu arbeiten war sehr anstrengend, besonders wenn es vor dem Monsun sehr heiß wurde. Der ganze Müll klebte an unseren Körpern. Hier zu arbeiten ist viel angenehmer.«
»Siehst du, gegenüber liegt sogar ein Hotel. Für die Gäste ist das kein Problem.« Ich verstehe, was er meint. Trotz des ganzen Mülls stinkt es nicht. Das Gebäude wirkt gut gepflegt. Einige der 24 Abfallzentren sind während der
Wir haben den Müll immer unter unserer Kokosnusspalme verbrannt. Jetzt stinkt es bei uns zu Hause nicht mehr.
Während wir uns die Anlage anschauen, kommen immer wieder Anwohner vorbei und werfen ihren Abfall in die Tonnen. Mohammed Elias ist 14 Jahre alt und wohnt direkt um die Ecke. Er kommt häufig sogar 2-mal am Tag zum Kompostzentrum, um den Müll der Familie abzuladen. »Es ist jetzt viel sauberer. Die Leute haben aufgehört, ihren Müll auf die Straße zu werfen«, sagt er.
Auch Plastikmüll wird hier gesammelt und an Recyclingunternehmen verkauft. »Zum Teil wird das Plastik eingeschmolzen, mit Teer vermischt und als Straßenbelag benutzt. Zum Teil werden daraus Pellets gemacht, die wiederum benutzt werden, um daraus zum Beispiel neue Abflussrohre zu gießen«, erzählt Herr Prem.
»Nur die Bewohner können das Müllproblem lösen«
Dezentrale Entsorgung und Mülltrennung in abbaubare und nicht abbaubare Materialien sind 2 Säulen der Kampagne. Die dritte ist Müllvermeidung. Ich treffe mich mit Mukundan Gopakumar. Er ist Anwalt und arbeitet freiwillig bei der Initiative mit. Er ist ein viel beschäftigter Mann, während unseres Gesprächs klingelt sein Telefon 6-mal. »Entschuldigen Sie, aber heute ist ein ganz normaler Arbeitstag für mich.«
Die Entwicklung der Kampagne sei keineswegs gradlinig gewesen, erzählt Mukundan Gopakumar. Klar sei nur gewesen, dass die Stadt wieder sauber werden musste. Bei den zahlreichen Diskussionen sei ein Punkt immer wieder aufgetaucht und schließlich ins Zentrum getreten. Er wurde zum inoffiziellen Slogan der Organisationsgruppe: Nur eine veränderte Einstellung der Bewohner kann das Müllproblem lösen.
Neben greifbaren Lösungsangeboten wie Biogasanlagen und Kompostzentren setzten die Organisatoren auf klassische Informations- und Kampagnenarbeit: Müllsammel-Wettbewerbe für Schüler, Plakate mit eindringlichen Nachrichten wie »Plastik tötet« und Tür-zu-Tür-Besuche mit Informationen zu Biogasanlagen und Mülltrennung. Zudem gibt es nachts eine Patrouille, die nach Müllsündern Ausschau hält und Geldstrafen von 2.500 Rupien (ca. 30 Euro) verhängt, wenn sie jemanden beim illegalen Abladen von Müll erwischt. Wer Müll ins Wasser schmeißt, muss sogar bis zu 20.000 Rupien (ca. 250 Euro) zahlen.
»Plastik ist ein fantastisches, ein wunderbares Material. Das kann man nicht leugnen.
»Es war eine Herkulesaufgabe, den Leuten klar zu machen, dass sie selbst für die Beseitigung ihres Mülls verantwortlich sind.«
Es sei eine Herkulesaufgabe gewesen, diese Nachricht zu den Leuten zu bringen. Ihnen klar zu machen, dass sie selbst für die Beseitigung ihres Mülls verantwortlich sind, habe über 3 Jahre gedauert. »Aber es hat geklappt«, sagt Herr Gopakumar lächelnd.
Angesprochen auf die Preise, mit denen Alappuzha in den vergangenen Jahren überhäuft wurde, reagiert der eigentlich sehr quirlige 51-Jährige überraschend nachdenklich. Es sei zwar toll, dass die Leute aus der ganzen Welt kämen und sich das Konzept anschauten, aber es würde immer wieder vom Alappuzha-Modell gesprochen. Soweit seien sie doch noch gar nicht. »Wir haben noch so viel zu tun. So viele offene Fragen. Wir haben zum Beispiel immer noch keine endgültige Lösung für flüssige Abfälle.«
Es stimmt. Wenn man den Titel sauberste Stadt Indiens hört, könnte man denken, die Straßen sähen aus wie in Zürich. Das ist nicht der Fall. Man sieht auch heute noch kleine Häufchen von Plastikmüll in manchen Straßengräben, und in den Kanälen treiben vereinzelt Colaflaschen auf der Wasseroberfläche.
Stadtrat Prem ist optimistischer als Herr Gopakumar. Diese Kampagne sei das Beste, was er in seiner politischen und sozialen Karriere mit auf die Beine gestellt habe. »Normalerweise dauert es Jahrzehnte, die
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Titelbild: wikicommons / Abhignya simhachalam - CC BY-SA 3.0