Liegt unter diesen Hügeln die Zukunft der Mobilität?
Ohne Lithium keine E-Autos. Am Rande Deutschlands liegt das größte Vorkommen Europas. Das Wettrennen um den Schatz hat begonnen.
Ein eiskalter Wind weht durch die Gemeinde Altenberg, hoch oben im Erzgebirge, direkt an der deutsch-tschechischen Grenze. Eine fröstelnde Menschenmenge versammelt sich am Besucherbergwerk. Alle haben sie von dem Schatz gehört, der im Berginneren ruht und nun endlich gehoben werden soll:
Allein auf der deutschen Seite, in Zinnwald, sollen 96.000 Tonnen des chemischen Elements im Wert von fast 6 Milliarden Euro lagern, auf der tschechischen Seite, in Cínovec, wird mehr als doppelt so viel vermutet. Es ist die größte Lagerstätte Europas – und eine der
Seit der Wende schlummern die Rohstoffe unangetastet unter der Erde
Matthias Voigt teilt Schutzanzüge und klobige, gelbe Schutzhelme aus, die sich die Besucher verlegen kichernd auf die Köpfe setzen. Dann öffnet der Grubenführer eine eiserne Tür und marschiert los, hinein ins Dunkel des Schachtes.
Doch der Abbau sei zu DDR-Zeiten nicht effizient gewesen. »Wir haben mit Druckluft gearbeitet, aber die Kompressoren waren über Tage, es kam kaum Druck hier unten an«, erinnert sich Voigt.
Nach der politischen Wende galten plötzlich die Gesetze der freien Marktwirtschaft.
Plötzlich ist Lithium wieder in aller Munde.
Der weltweiten Konkurrenz war das Erzgebirge nicht gewachsen, das Bergwerk wurde geschlossen. Seither schlummern die restlichen Rohstoffe unangetastet unter der Erde.
Plötzlich aber ist Lithium wieder in aller Munde. Das extrem leichte und gut leitende Metall ist Hauptbestandteil
Vom Lithiumnachschub hängt deshalb der Durchbruch der Elektromobilität ab. Und auch der Ausbau regenerativer Energien hängt davon ab, ob man den Sonnen- und Windstrom auch für dunkle und windarme Tage speichern kann – dafür werden ebenfalls Lithium-Akkus gebraucht.
Im Jahr 2011 erwarb die deutsche Firma SolarWorld die Genehmigung, in Zinnwald nach Lithium zu suchen. Heute liegen die Rechte bei der Deutschen Lithium GmbH, einem Joint Venture von SolarWorld und dem kanadischen Unternehmen Bacanora Minerals. Die Suche war – wie vorherzusehen – erfolgreich. »Wir befinden uns jetzt über der größten Lithium-Lagerstätte Europas«, sagt Voigt und zeigt mit dem Zeigefinger nach unten: »200 bis 250 Meter unter uns soll der neue Stollen gegraben werden.« Rund 4 Jahre sollen die Vorbereitungen dauern, im Jahr 2021 wird der Abbau voraussichtlich beginnen.
Die heimischen Rohstoffe werden wieder interessant
Geraume Zeit habe man in der Europäischen Union »viele Lagerstätten nicht mehr so in Angriff genommen, wie man es hätte tun können«, sagt Professor Helmut Mischo diplomatisch.
Mischo lehrt knapp 50 Kilometer vom Zinnwald entfernt »Rohstoffabbau und Spezialverfahren unter Tage« an der TU Bergakademie Freiberg. Was er meint: Nach der Wende wurden viele Bergwerke geschlossen, nicht nur das in Zinnwald, und stattdessen die Rohstoffe auf dem Weltmarkt gekauft, etwa in Russland oder China, wo sie viel günstiger produziert wurden.
Das Bundesland Sachsen entwarf trotz des Desinteresses eine Rohstoffstrategie. Es wies stetig auf die Bodenschätze vor der eigenen Haustür hin, kartographierte diese, machte die Informationen im Internet zugänglich.
Heute ist die Situation grundlegend anders: Chinas boomende Wirtschaft braucht seine Ressourcen selbst, die Rohstoffe werden knapper und teurer.
Mittlerweile hat auch die EU die Notwendigkeit erkannt, mineralische Rohstoffe für die eigenen Volkswirtschaften zu sichern.
Die politischen Führungen der
Mittlerweile habe auch
Für das deutsche Zinnwald und das angrenzende tschechische Cínovec tun sich damit unerwartete Perspektiven auf.
Der Bergbau kommt zurück ins Erzgebirge
Zurück auf der Bergkuppe von Zinnwald und Cínovec: Nach der Wende verlief der wichtigste Grenzübergang auf der Route von Prag über Dresden nach Berlin mitten durch die beiden Ortschaften – die berüchtigte E55. Auf der deutschen Seite ärgerte man sich über den Lärm und die Auspuffgase im Zentrum. Die tschechische Seite dagegen, die viel günstigere Preise für fast alles anbieten konnte, lebte vom Grenzverkehr. Es wimmelte von billigen Tankstellen, Vietnamesen-Märkten und Bordellen.
Die Grenze durchschneidet Zinnwald und Cínovec wie eine unsichtbare Wand. 1945 wurden die Deutschen aus dem böhmischen Cínovec vertrieben. Viele der Vertriebenen zogen nach Zinnwald. In Zadní Cínovec (Hinterzinnwald) blieb eine kleine Gemeinde bestehen, größtenteils aus neu zugewanderten Tschechen. Přední Cínovec (Vorderzinnwald) wurde durch die Tschechen dem Erdboden gleichgemacht. Alle 54 Häuser und die Kirche wurden gesprengt und eingeebnet. Es kamen neue Bewohner nach Nordböhmen, aber die kannten die alten Traditionen nicht. Bis heute leidet die Stadt darunter, dass es kein gemeinsames kulturelles Erbe gibt.
Heute pfeift über die breite Durchgangsstraße vor allem der Wind. Im Jahr 2006 wurde rund 20 Kilometer westlich von Altenberg der Grenzübergang auf der A17 eröffnet. Die alte Route durch das Gebirge ist seitdem weitgehend verwaist. Die Gebäude der »neuen« Grenzstation, die erst im Jahr 2000 zur Entlastung der Bürger abseits der Dörfer gebaut wurde, ragen wie klotzige Mahnmale in die karge Berglandschaft.
In Cínovec brach das Geschäftsmodell »Grenzstadt« zusammen. Viele Gebäude stehen leer, von einigen Tankstellen sind nur Ruinen geblieben. Die vom Kohleabbau verwüstete Landschaft verlor eine weitere Attraktion. Im deutschen Zinnwald dagegen war man erleichtert. Die malerischen Bergdörfer putzten sich heraus und feiern sich heute als Luftkurort.
In Zinnwald herrscht Begeisterung
Thomas Kirsten ist in Altenberg eine Institution. Seit dem Jahr 1990 ist der gebürtige Altenberger Bürgermeister der Gemeinde. Nur ungern erinnert sich der heute 64-Jährige an eine seiner ersten Amtshandlungen: Am 28. März 1991 wurde der letzte
Beherzt stellte der Bürgermeister die ganze Stadt um – und auf Tourismus ein. Der Gemeinderat verbannte die schmutzige Industrie aus Altenberg und ließ viele Gebäude sanieren, wie auch das Besucher-Bergwerk. Heute residiert im ehemaligen Verwaltungstrakt der Bürgermeister, auf dem Gelände des Förderturms befindet sich eine riesige Gewerbefläche. Es wurden neue Attraktionen geschaffen: eine Biathlon-Arena, eine Bobbahn und ein Kletterpark gehören heute zur touristischen Infrastruktur.
Dazu kommen eine Sommerrodelbahn, diverse Wanderwege und Loipen. Die »Bürgermeister-Loipe« liegt Kirsten besonders am Herzen; sonntags setzt er sich selbst auf die Raupe, um den Schnee glatt zu walzen.
Es war nicht einfach, erinnert sich Kirsten: »Wir haben um jeden Besucher gekämpft«.
Aber es hat sich gelohnt. Heutzutage kommen die Touristen das ganze Jahr über. Der Tourismus hat mehr Arbeitsplätze geschaffen, als durch den Bergbau verloren gingen. »Wir sind die Glückseligen auf dem Gebirgskamm«, sagt der Bürgermeister und lehnt sich entspannt zurück. Altenberg geht es auch ohne »Berggeschrey« gut.
Als das neue Bergbauprojekt im Stadtrat vorgestellt wurde, habe trotzdem Begeisterung geherrscht, erzählt er. Allerdings können die Altenberger selbstbewusst die Bedingungen mitbestimmen. Klar ist, dass der Tourismus nicht beeinträchtigt werden darf. Die Deutsche Lithium GmbH kam der Stadt in allem entgegen.
Zermahlen und mit Magneten separiert wird das Gestein im Altenberger Gewerbegebiet Europapark, das ergibt logistisch am meisten Sinn. Die Weiterverarbeitung, bei der chemische Abfallprodukte entstehen, erfolgt woanders. Der Abtransport der Erze geschieht unterhalb von Altenberg, dort, wo es die Touristen ohnehin nicht hinzieht. Und Kirsten plant im Kopf längst die nächste Attraktion: Vielleicht könne man aus dem restlichen Quarzsand einen großen Hügel anhäufen. Er sieht es schon vor sich, wie im Sommer die Skifahrer die Sandpiste hinunterjagen.
In Cínovec ist die Stimmung verhaltener
Rund 20 Minuten dauert die steile Fahrt von Cínovec direkt an der Grenze bergab zum Bürgermeister Petr Pípal im größeren tschechischen Ort Dubí. Immer wieder sind unterwegs leerstehende Restaurants und Bordelle zu sehen. Auch Dubí selbst ist in weiten Teilen von Leerstand, Tristesse und Armut gezeichnet. Die Gemeinde galt jahrzehntelang als der längste Straßenstrich Europas und war traurige Spitze in Tschechiens Kriminalitätsstatistik. Nach dem Einbruch des Durchgangsverkehrs kamen eine hohe Arbeitslosigkeit und Abwanderung dazu.
Petr Pípal ist ein freundlicher Mann im Anzug, das glatte Haar zur Seite gescheitelt. Er lächelt viel, lacht gern. In Dubí aber griff er hart durch. Seit er im Jahr 2011 zum Bürgermeister gewählt wurde, hat sich die Stadt grundlegend verändert. Er ließ zur Abschreckung
Die Null-Toleranz-Strategie zeigt Wirkung: Der Straßenstrich und die einschlägigen Lokale an der Durchgangsstraße sind verschwunden. Dafür gibt es heute gleich mehrere große Arbeitgeber wie die Porzellan- und Glasfabriken oder das regionale Altenheim.
Auch Dubí ist also nicht zwingend auf den Lithiumabbau angewiesen.
Ein moderner Bergbau könnte dazu beitragen, Dubí ein neues Selbstverständnis zu geben.
Und doch war die Begeisterung groß, als die tschechische Firma Geomet ihre Forschungen aufnahm. Bürgermeister Pípal ist selbst Bergmannskind, sein Vater arbeitete im Schacht in Cínovec, bis er geschlossen wurde. Das Bergwerk mag nicht mehr als 150 Arbeitsplätze schaffen – da gibt es weit größere Arbeitgeber. Und vielleicht wären nicht einmal die Steuereinnahmen überwältigend hoch. Aber ein moderner Bergbau könnte dazu beitragen, Dubí ein neues Selbstverständnis zu geben.
Einige Jahre schien es so, als würde dieser Wunsch Pípals erfüllt werden. Prag erteilte die Lizenzen, ohne sich weiter für das Projekt zu interessieren. Die Bohrungen verliefen wie erwartet positiv – rund 1,3 Millionen Tonnen Lithium werden vermutet. Geomet holte den kanadischen Investor European Metals ins Boot.
Das Misstrauen in Tschechien ist groß
Dann erwachte plötzlich rund 100 Kilometer entfernt in der Hauptstadt das Interesse. Das Lithium aus Dubí wurde zum Politikum. Im Wahlkampf im Herbst 2017 griffen zunächst die Kommunisten und dann auch die Partei
Dem tschechischen Staat fehle genau das, was Professor Mischo in Sachsen lobt: eine Rohstoffstrategie. Das kritisiert Jan Rovenský, Energie-Experte von Greenpeace in der Hauptstadt Prag. Er ist selbst Nordböhme und hat miterlebt, wie der Kohleabbau die Landschaft zerstört hat und unzählige Ortschaften eingeebnet wurden. Vor allem aber erinnert er sich daran, wie nach der Wende häufig einige wenige clevere Geschäftsleute den Profit machten, während die Gesellschaft auf den Umweltschäden sitzenblieb. Rovenský hat Sorge, dass die Regierung auch diesmal nicht sorgsam genug darauf geachtet hat, dass auch die tschechische Wirtschaft von dem Deal profitiert.
Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass es sich bei European Metals um eine Briefkastenfirma handelt, wie die NGO
»Das Erzgebirge steckt noch voller wertvoller Rohstoffe. Lithium ist nur ein Teil davon.«
Mittlerweile kündigte der Ministerpräsident an, überprüfen zu lassen, ob man die Verträge mit European Metals kündigen und stattdessen ein staatliches Unternehmen am Abbau beteiligen könne. »Es gab ein politisches Erdbeben«, sagt Bürgermeister Pípal: »Und geblieben ist nur eine riesige Unsicherheit.«
Karel Breiter, Geologe an der Akademie der Wissenschaften in Prag, sieht die Diskussion gelassen. Sein ganzes berufliches Leben lang erforschte Breiter das Erzgebirge, 30 Jahre davon arbeitete er direkt im Feld, machte Bohrungen, Analysen, geologische Kartierungen. Er spricht aus Erfahrung, wenn er sagt: »Das Erzgebirge steckt noch voller wertvoller Rohstoffe. Lithium ist nur ein Teil davon.«
Dass es zum Abbau kommen wird, ist für Breiter sicher, egal durch wen. Es habe immer neue Techniken und Technologien gegeben, die plötzlich den Abbau neuer Mineralien möglich und auch notwendig gemacht hätten. Uran etwa sei im Erzgebirge schon seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Damals empfanden die Bergleute das Erz als störend beim Graben nach Silber und Cobalt. Abfällig nannten sie es »Pechblende«. 500 Jahre später wurde die Kernspaltung entdeckt; das dritte »Berggeschrey« begann und das tschechische Jachymov wurde zum größten Uranförderer der Welt.
Jetzt, sagt Breiter schmunzelnd, giere die Welt eben nach Lithium. Das vierte »Berggeschrey« kann losgehen.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Titelbild: Thomas Teubert - CC BY-NC-ND 2.0