Einfacher kannst du kein Leben retten
Das beste Mittel gegen Blutkrebs fließt in deinen Adern. Es zu teilen ist einfacher, als du denkst.
Es ist gerade einmal 9 Uhr, doch schon jetzt glitzern kleine Schweißperlen auf Patricks Stirn. Die schwül-warmen Sommertemperaturen haben damit aber nur wenig zu tun – vielmehr liegt es am kühlschrankgroßen Apparat, an den Patrick angeschlossen ist.
Blutkrebs ist heute dank Stammzellen- und Knochenmarkspendern in vielen Fällen heilbar.
»Ich muss zugeben, dass ich mir das Gerät beim Reinkommen lieber erst mal nicht so genau angeschaut habe«, sagt er mit einem leichten Grinsen. Dabei ist es schwer zu ignorieren: Es ist mit Knöpfen und Anschlüssen gespickt und gibt ein monotones Brummen von sich, wie eine Waschmaschine im sanften Schleudergang. Mit 2.000 Umdrehungen in der Minute wird dort Patricks Blut in seine Bestandteile aufgelöst.
Währenddessen liegt er in einer Mischung aus Krankenbett und Zahnarztstuhl. Aus seiner linken Armbeuge schlängelt sich unter einem Pflaster ein Schlauch hervor.
Ungeachtet dieser ungewöhnlichen Situation lächelt er. Denn er rettet gerade vielleicht ein Leben. Das eines Krebspatienten, den er noch nie zuvor getroffen hat.
Lebensrettung mit Unterhaltungsprogramm
Patrick ist Stammzellenspender. In diesen
»Mögt ihr was trinken?«, fragt die Pflegerin durch den Raum der
Wir wissen sehr genau, was die Spender hier leisten. Deswegen legen wir großen Wert auf umsichtige Betreuung, um das Prozedere so komfortabel wie möglich zu gestalten.
Nachdem die Stammzellen aus Patricks Blut vom Blutplasma getrennt wurden, fließt der Rest über einen weiteren Schlauch zurück in seinen zweiten Zugang an der rechten Hand. Geschmerzt habe der Einstich schon, berichtet er. Schließlich sind die Nerven an der Hand empfindlicher als etwa in der Armbeuge. Dafür hat der Zugang dort einen anderen Vorteil: Patrick kann den Arm während der Spende frei bewegen, beispielsweise, um sich einen Film zum Zeitvertreib auszusuchen. Von Action (»The Fast and the Furious 7«) über Science-Fiction (»Interstellar«) bis hin zu Komödien (»Wir sind die Millers«) ist für jeden etwas dabei.
Ein Spielfilm von ungefähr 2 Stunden Länge reicht allerdings meist nicht ganz aus. 3–5 Stunden dauert die Stammzellenspende per Blutwäsche – auch Apherese genannt. »Die genaue Dauer hängt davon ab, wie viele Stammzellen der Spender in seinem Blut hat und wie viel der Empfänger benötigt. Deswegen nehmen wir direkt am Anfang eine kleine Probe und schicken sie per Kurier in unser nahe gelegenes Labor«, erklärt die Pflegerin. »Bei dir wird aber nur eine kleine Menge benötigt. Wahrscheinlich wiegt dein Empfänger nicht besonders viel.«
Ankommen, anschließen, losspenden – so einfach ist es nicht. Für eine Stammzellenspende bedarf es einiger Vorbereitung.
Der Weg zum Stammzellenspender
Es ist schon eine Weile her, dass Patrick zu Hause per Wattestäbchen einen Abstrich von seiner Wangenschleimhaut gemacht, ein Formular ausgefüllt und alles wieder zurück an die
Patrick tat das aus einer klaren Überzeugung heraus:
Nirgendwo sonst kann man einem Menschen mit so wenig Aufwand die Chance auf ein zweites Leben schenken. Vielleicht ist man ja der Eine, der bisher in der Datenbank fehlt.
Patricks Stammzellen-Typ wurde dabei in einer internationalen Datei aufgenommen; schließlich braucht es für eine Spende einen »genetischen Zwilling«. Nur wenn für einen Erkrankten der passende Gegenpart in der Datenbank ist, wird Kontakt aufgenommen. Das ist bei etwa 1%
Nach seiner Entscheidung scheint Patrick erst mal zu den 99% zu gehören – 4 Jahre lang. Bis an einem ganz gewöhnlichen Nachmittag ungefähr 6 Wochen vor der Spende plötzlich das Handy klingelte:
Als die unbekannte Nummer auf dem Display erschien und sich direkt ein sehr konkretes Gespräch entwickelt hat, war ich erst mal perplex. Realisiert habe ich es erst, als direkt im Anschluss die E-Mails mit den weiteren Infos kamen.
Natürlich hätte Patrick auch absagen können. Es gibt für registrierte Spender keine vertraglichen Verpflichtungen. Trotzdem entscheiden sich bei der Benachrichtigung weniger als 1% der Kontaktierten gegen die Spende. Auch für Patrick kam das nicht infrage, schließlich war ein an Blutkrebs erkrankter Mensch auf seine Hilfe angewiesen.
Kurzfristig sagte er die angesetzte Voruntersuchung in der Entnahmeklinik zu.
Genau wie für die spätere Spende selbst wurde er dafür von seiner Arbeit freigestellt – den
Bei der Voruntersuchung geht es um die gesundheitliche Eignung des Spenders: Blutabnahme, EKG, Ultraschall. »Wir checken alles sehr genau. Besteht der kleinste Zweifel, wird der Spender zur eigenen Sicherheit ausgeschlossen«, erklärt Anna Rehlich, die Leiterin des Pflegepersonals. Passt alles, werden alle organisatorischen Hebel in Bewegung gesetzt, die eigentliche Spende passiert aber an einem anderen Termin.
Beide Seiten, Spender und Empfänger, arbeiten ab diesem Punkt auf Tag X zu.
Für Spender irritierend: Auch kerngesunde Personen brauchen vor der Spende Medikamente. So musste sich Patrick 5 Tage vor dem Spendentermin täglich selbst eine Spritze mit einem sogenannten »Wachstumsfaktor« setzen. Dieser regt das Knochenmark dazu an, mehr Stammzellen zu produzieren als gewöhnlich.
Vor der ersten Spritze war mir schon etwas mulmig. Ich habe mich auch etwas erschrocken, als am Einstich eine kleine Beule von der Flüssigkeit zu sehen war. Wenn man aber nach dem ersten Mal merkt, dass die Nadel leicht und schmerzfrei reingeht und die Beule nach 10 Minuten verschwindet, ist das kein Problem mehr.
Der Wachstumsfaktor ist
Daher bekommen alle Spender zu den Spritzen auch immer handelsübliche Schmerzmittel. »Wenn ein Spender zu große Begleiterscheinungen hat, dann wird natürlich etwas unternommen.« Das sei aber in ihren 6 Jahren in der Klinik noch nie nötig geworden.
Der Tag X ist da
Patrick hatte Glück: Die Spritzen haben bei ihm, bis auf leichte Rückenschmerzen, keine Nebenwirkungen ausgelöst. So packte er am Vorabend seiner Spende eine kleine Reisetasche, setzte sich in den ICE und checkte in Köln in das für ihn reservierte Hotelzimmer ein, von dem aus die Klinik fußläufig zu erreichen ist.
Nach gerade einmal 3 Stunden ist die Spende geschafft.
Am nächsten Morgen ist Tag X endlich da und Patrick fast fertig mit seiner Spende. Der Wachstumsfaktor hat bei ihm ganze Arbeit geleistet: Nach gerade einmal 3 Stunden sind genug Stammzellen gesammelt, um dem anonymen Empfänger damit helfen zu können. Von ihm weiß Patrick kaum etwas – nur die geringe angeforderte Menge Stammzellen wurde ihm am Anfang mitgeteilt. Offenbar ist der Krebspatient zierlich, vielleicht eine junge Frau oder ein Kind.
Mit einer Mischung aus Stolz und Erleichterung im Gesicht tritt er auf den Flur. Einzig die 2 leuchtend roten Druckverbände erinnern an die Prozedur. Während wir zu seiner Sicherheit noch 30 Minuten warten, darf Patrick sich noch auf der Spenderkarte verewigen.
Nun, wo er sich wieder frei bewegen darf, ist er endlich vom größten Ärgernis seiner Spende befreit: »Eigentlich hat mich nur eine Sache wirklich gestört: Beim Frühstück gab’s keinen Kaffee! Aber ist natürlich auch schwierig, wenn man an der Maschine hängt und
Titelbild: David Ehl - copyright