Machen Ballerspiele unsere Jugend aggressiv? Das ist die falsche Frage!
Das müssen Eltern und Spieler über Gewalt am Bildschirm wissen – und du auch.
Das Blut spritzt, als die Kugel in den Kopf des feindlichen Soldaten einschlägt. Jetzt ist die Munition leer, Feinde sind aber noch genügend da. Vor der Spielekonsole auf dem Sofa sitzt ein Mädchen und wechselt gekonnt von der Pistole zum Kampfmesser – ihrer Lieblingswaffe. Neben ihrem digitalen Ich auf dem Bildschirm schlägt eine Granate ein. Die Szenerie sieht sehr realistisch aus. Da betritt der Vater das Wohnzimmer.
Ich habe dir doch gesagt, du sollst sowas nicht mehr spielen. Du bist 15! Dieses sinnlose Geballere macht dich nur aggressiv.
Ach, Papa. Computerspiele machen gar nicht aggressiv! Du versteht das nur nicht.
Dieser Streit ist alt. Wenn über digitale Spiele gesprochen wird, dann meist im Zusammenhang mit Gewalt.
Die Fronten sind verhärtet: Können Spiele wirklich jemanden aggressiv oder sogar zum Täter machen? Neueste Forschungsergebnisse geben Entwarnung. Doch eigentlich stellen wir die falsche Frage.
Darum sind den besten Spielern Blut und Gewalt egal
In der Diskussion um »Ballerspiele« bleiben meist diejenigen außen vor, um die es eigentlich geht – die
Jemand, der täglich mit ihnen arbeitet, ist Christopher Flato, Jugendschutzbeauftragter der deutschen
Egal in welcher Unterhaltungsform – Gewalt ist immer ein präsentes Thema. Auch in Filmen und Fernsehen sprechen Genres wie Action, Thriller und Kriminalgeschichten ein besonders großes Publikum an.
Dabei decken Spiele mit Gewaltinhalten, Pistolen und Granaten aus der Ich-Perspektive nur einen
Raus aus dem Wohnzimmer: Auf E-Sport-Events gibt es echte Preise und starke Emotionen.
Wenn ich mit den Profis und Fans rede, dann fasziniert sie nicht das ›Abknallen‹, sondern die Taktik und das Teamspiel. Blut und grafische Gewalt wird in den Spiel-Einstellungen sowieso
Wenn sich besorgte Eltern an Christopher Flato wenden, versucht er deswegen, die ersten Ängste und Vorurteile zu nehmen und über das Thema Gaming aufzuklären. Das Wichtigste sei, sich gemeinsam mit dem Nachwuchs überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen. Doch Christopher Flato weiß auch, dass es Einzelfälle gibt, bei denen sich Spieler in ihre eigene virtuelle Welt flüchten und dort abkapseln.
Was aber passiert, wenn ausgerechnet diese digitale Welt realistisch und blutig ist und hauptsächlich aus Gewalt besteht?
Die Forschung sagt: Gewaltspiele machen nicht aggressiv, aber …
Auch unsere Gamerin mit Kampfmesser spielt vor allem für die Herausforderung. Bei der Frage, ob sie nun weiterspielen darf, hilft das aber erst mal nicht. Denn ihr Vater hat von
Tatsächlich erscheinen regelmäßig neue wissenschaftliche Studien über digitale Spiele, die das untersuchen, was in zahllosen deutschen Wohnzimmern passiert. Die neuesten Studien dürften den Vater wohl überraschen – hier die Antworten auf einige der gängigsten Fragen, die sich nicht nur Eltern stellen:
- Führt realistische Gewaltdarstellung in Spielen zu gewalttätigen Gedanken? Wissenschaftler der Universität York testeten in einer
- Vermindert häufiges Spielen von Gewaltspielen die Empathie? Deutsche Forscher untersuchten im Jahr 2017 eine Gruppe von 15 Gamern, die sehr häufig
- Machen Gewaltspiele langfristig aggressiver? Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf testeten 77 erwachsene Nicht-Gamer. Diese mussten 2 Monate lang jeden Tag mindestens eine halbe Stunde entweder das gewalthaltige Actionspiel Grand Theft Auto V, das friedfertige Aufbauspiel Die Sims 3 oder gar kein Spiel spielen. Während des Verlaufs und 2 Monate danach wurden die Probanden mit verschiedensten Methoden auf ihr Aggressionspotenzial
Ein Freibrief für unsere Gamerin mit Kampfmesser sind die entwarnenden Ergebnisse aber nicht, mahnt Tobias Rothmund.
Die Frage, ob Spiele im engeren und Unterhaltungsmedien im weiteren Sinn aggressiv machen können, ist
Das Problem liegt im Aufbau der Studien selbst. Wie in vielen anderen Forschungsbereichen besteht die Herausforderung darin, eine Forschungsumgebung zu schaffen, die sich auf das Verhalten »im echten Leben« übertragen lässt. Weil aber manche bezweifeln, dass das überhaupt möglich ist, gibt es aktuell 2 Lager von Wissenschaftlern –
Der Streit um digitale Spiele in deutschen Wohnzimmern lässt sich nicht durch immer neue Studien beilegen. Denn Rothmund findet, die »Killerspiel«-Debatte verfolge einen grundsätzlich falschen Ansatz:
Eltern wünschen sich häufig einen Freibrief von Studien – schädlich oder unschädlich. Das kann aber Forschung gar nicht leisten. Es geht doch nicht darum, ›ob‹ Gewaltspiele gespielt werden sollten, oder ›ob nicht‹. Die eigentlichen Fragen sind deutlich nuancierter, etwa: Welche Gewalt kann unser Kind verarbeiten?
Dabei gibt es eine Einrichtung in Deutschland, die sich täglich mit dieser Frage beschäftigen muss, um Jugendliche zu schützen. Bei unserer Gamerin mit Kampfmesser hätte sie einiges zu sagen …
Diese Gamer entscheiden mit, wer in Deutschland was spielen darf
Das Mädchen mit Kampfmesser ist 15, das Spiel, das sie spielt, ist ab 18 und könnte sie deshalb beeinträchtigen. Das sagt zumindest die »USK«, die
Ihr Klingelschild findet sich an einer 4-spurigen Hauptstraße mitten in Berlin. In dem unscheinbaren Bürogebäude wird täglich bis zum Abwinken gespielt – hauptberuflich. Denn das 13-köpfige Team hat die Aufgabe, alles zu sichten, was in Deutschland für PCs und Konsolen
Ihre Einschätzung hilft staatlichen Prüfern dabei,
Die USK ist international einzigartig, denn ihre Alterskennzeichen sind für alle Händler hierzulande bindend. Das soll aber vor allem die Gruppen schützen, die besonders »gefährdungsgeneigt« sind. Marek Brunner, der Leiter des USK-Testbetriebs und 4-facher Vater, erklärt, wer für digitale Spiele besonders anfällig ist:
Sie entstammen häufig bildungsfernen Schichten, haben Gewalt,
Was da gefährlich werden kann, ist aber keine »kurzzeitige Erregung« am Bildschirm oder ein paar digitale Waffen, die per Knopfdruck abgefeuert werden. Die Jugendschützer wissen längst, dass bei vielen Games nur die Darstellung an echten Krieg erinnert, die darunterliegende Spielmechanik aber nicht. Schließlich sollen Games vor allem Spaß machen. Während echte Soldaten am Bildschirm – etwa Drohnenpiloten im Kampfeinsatz –
Die echte Gefahr ist eine andere: Verharmlosung. Etwa wenn manche Spielehersteller durch Koketterie mit echter Gewalt und gefährlichen Ideologien die Jugendarbeit torpedieren.
Klar macht es Spaß, in Spielen zu schießen. Wir genießen Medien ja gerade, weil sie eine Wirkung auf uns haben! Doch die USK achtet sehr genau darauf, wann das Spiel aufhört und Ernst oder sogar
Entscheidend für die Bewertung der USK sind die Konsequenzen, die ein Spieler
Letzten Endes muss man den Eltern auch ein wenig Verantwortung überlassen. Nur sie wissen, wie ihre Kinder Erlebtes verkraften.
Liebe Eltern, ihr seid dran!
Trotz unterschiedlicher Perspektiven sind sich Gamer, Forschung und Jugendschutz in 3 Punkten einig:
- Digitale Spiele werden nicht verschwinden, auch nicht die gewalttätigen.
- Jugendliche sind in ihrem Entwicklungsstand unterschiedlich; Altersfreigaben passen nicht für jeden.
- Selbst Deutschlands harter Jugendschutz kann nicht die Rolle der Eltern ersetzen.
Was Eltern selbst leisten können: nicht wegsehen und alles als »sinnloses Geballere« über einen Kamm scheren, sondern sich mit den Spielen und ihren Nuancen selbst beschäftigen und verstehen, wie diese wirken. Eine bessere Antwort unserer Gamerin mit Kampfmesser wäre deshalb gewesen:
Gamepad in die Hand, Papa. Ich zeige dir, wie es geht. Das ist alles nur eine Frage des Teamspiels.
Titelbild: Dice - CC0 1.0