Bin ich schuld, wenn mein selbstfahrendes Auto einen Unfall baut?
Wer muss zahlen, wenn es kracht und ich meine Hände nicht am Steuer habe: der Programmierer, der Hersteller oder ich als Passagier?
Das Auto vor dir bremst plötzlich ab und dann kracht es. Das hat dir gerade noch gefehlt. Blechschaden! Vor diesem Auto eilt eine Radfahrerin davon, die vom Fahrer wohl fast übersehen wurde. Du selbst hattest keine Chance zu reagieren, denn deine Hände waren gar nicht am Lenkrad …
Denn du sitzt – im Gegensatz zum Fahrer vor dir – im Jahr 2020 in einem brandneuen Elektromobil mit semi-autonomem
Trotzdem verursachte im März 2018 ein selbstfahrendes Auto den ersten tödlichen Unfall. Im US-amerikanischen Bundesstaat Arizona überfuhr ein autonomes Fahrzeug der Firma
Deshalb musst du nicht für den Unfall zahlen
Wenige Minuten nach dem Aufprall ist die Polizei vor Ort und nimmt den Unfall auf. Neben den Blechschäden an beiden Autos hat der Unfall den anderen Fahrer leicht verletzt: Beim Aufprall ist sein Kaffee-Becher umgekippt und er hat sich verbrannt. Besorgt rufst du den Anwalt deines Vertrauens an.
»Ich hatte gerade einen Autounfall. Ich wusste ja, dass autonomes Fahren noch nicht ganz ausgereift ist. Aber mit einem Unfall habe ich nicht gerechnet …«
Anwalt: »Ja, das glaube ich. Aber auch mit der besten Technik wird es wohl weiterhin immer Unfälle geben. – Was ist denn genau passiert?«
»Mein Auto ist dem Vorderauto aufgefahren. Der Fahrer hat sich dabei an seinem Kaffee verbrüht und will mich nun verklagen. Muss ich mir Sorgen machen?«
Anwalt: »Dafür müssen wir uns den Fall genauer ansehen. Mit Blick auf die Kosten für den Unfall kann ich erst mal Entwarnung geben. Die wird die Versicherung sehr wahrscheinlich übernehmen. Es geht also nur um den Schaden durch die Verbrennungen vom Kaffee.«
»Was ich noch nicht verstehe: Wie kann es sein, dass ich nicht für den Schaden zahlen muss, aber möglicherweise trotzdem verantwortlich bin?«
Anwalt: »Das liegt daran, weil wir zwischen Straf- und Zivilrecht unterscheiden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Betrieb eines Fahrzeugs gefährlich ist. Daher muss jeder Autofahrer für mögliche Schäden einstehen, selbst wenn er keine Schuld am Unfall trägt. Da Schadenssummen schnell sehr groß werden und nicht jeder das nötige Kleingeld dafür hat, sind wir alle dazu verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Sind mehrere Fahrzeuge beteiligt, teilen die Versicherungen den Schaden unter sich auf. Diese Aufteilung wiederum hängt davon ab, wer in welchem Maße verantwortlich




»Was bei selbstfahrenden Autos ja besonders spannend ist …«
Anwalt: »Mit Blick auf autonome Fahrzeuge, in denen der Fahrer quasi zum Fahrgast wird, könnte es tatsächlich sein, dass in Zukunft auch der Fahrzeug-Hersteller für Schäden haften muss. Autonome Systeme werden also aller Wahrscheinlichkeit nach zu Veränderungen der Haftungsbeziehungen zwischen Fahrer, Hersteller und Versicherer führen. An der allgemeinen Versicherungspflicht wird dies aber vermutlich nichts ändern – Fahrzeuge bleiben eine Gefahrenquelle.«
Musst du für den Unfall deines Autos ins Gefängnis?
Etwas beruhigt bist du schon, denn immerhin wirst du nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Doch die Sache mit dem heißen Kaffee ist damit noch nicht geklärt. Schließlich wurde der Fahrer beim Unfall verletzt – wenn auch nur geringfügig.
»Und wie geht es jetzt mit den Verbrennungen durch den Kaffee weiter?«
Anwalt: »Das ist etwas komplizierter. Hier kommen nicht nur die Interessen des Geschädigten ins Spiel, sondern auch die der Allgemeinheit: Wir befinden uns also im Strafrecht. Das folgt einer anderen Logik als das Zivilrecht. Es soll begangenes Unrecht vergelten, durch Abschreckung ähnliche Taten verhindern und den Täter resozialisieren. Es geht nicht darum, materielle Schäden auszugleichen, und kann deshalb auch nicht durch eine Versicherung abgewendet werden.«
»Aber gewollt habe ich den Unfall nicht …«
Anwalt: »Bei der Anklage würde es sicher auch nicht um vorsätzliche Körperverletzung gehen.«
»Wer baut schon vorsätzlich einen Unfall?«
Anwalt: »Nicht so schnell! Viele Menschen haben falsche Vorstellungen davon, was ›Vorsatz‹ bedeutet. Jemand handelt nicht nur dann vorsätzlich, wenn er etwas unbedingt möchte. Im Recht gehen wir davon aus, dass ›Vorsatz‹ aus 2 Komponenten besteht: Dem Wissen, einen Tatbestand zu verwirklichen, und dem entsprechenden Wollen. Dafür reicht es aus, etwas für möglich zu halten und damit in Kauf zu nehmen. Mit anderen Worten: Auch jemand, der die Möglichkeit eines tatbestandlichen Erfolgs erkennt und ihn hinnimmt, handelt somit vorsätzlich.«

»Und was bedeutet das für meinen Unfall?«
Anwalt: »Erinnerst du dich noch an den Raser,
Obwohl er niemanden töten wollte, wurde er wegen vorsätzlicher Tötung
»Das war bei mir aber wirklich nicht der Fall!«
Anwalt: »Das stimmt. Kein Richter wird dir Vorsatz vorwerfen. Möglicherweise warst du aber nicht vorsichtig genug und hast die im Verkehr nötige Sorgfalt außer Acht gelassen. Das nennen wir Juristen dann ›Fahrlässigkeit‹.«
»Heißt das, ich kann dafür bestraft werden, dass ich unterwegs auf meinem Tablet gelesen habe?«
Anwalt: »Nein. Denn das ändert tatsächlich nichts an der strafrechtlichen Beurteilung. Welche Sorgfalt in einer Situation erforderlich ist, hängt immer stark von den Umständen ab. In einem selbstfahrenden Auto muss der Fahrer natürlich weniger aufmerksam sein als in einem normalen Auto. Das Lesen während der Fahrt ist bei hinreichend autonomen Fahrzeugen seit dem Jahr 2019 erlaubt und somit
»Aber was hätte ich mir sonst noch zuschulden kommen lassen können? Oder muss am Ende doch mein Auto ins Gefängnis?«
Anwalt: »Sicher nicht! Autofahrer brauchen mehrere Sekunden, bevor sie nach einer Warnung wieder vollständig die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen können. Genau

Wie du wegen Fahrlässigkeit doch noch bestraft werden kannst
Stimmt das alles, stehen die Chancen für dich im Fall einer Klage also nicht schlecht. Warum scheint dein Anwalt trotzdem besorgt? Vorsichtig fragst du …
»Also bin ich auf der sicheren Seite?«
Anwalt: »Nicht ganz. Denn fahrlässig kannst du auch handeln, lange bevor ein Unfall passiert. Wer etwa im Winter mit Sommerreifen fährt und es dann nicht schafft, rechtzeitig zu bremsen, handelt fahrlässig. Denn auch wenn der Fahrer dann in einer Gefahrensituation nicht besser reagieren kann, war er bereits fahrlässig, in ein Auto zu steigen, das Sommer- statt Winterreifen montiert hat.«
»Also die richtigen Reifen hatte ich drauf …«
Anwalt: »Es geht ja nicht nur um Reifen. Ein selbstfahrendes Auto benötigt mehr Wartung als ein normales. Hat das Auto vielleicht nicht reagieren können, weil die neuesten
»Der Wagen war letzte Woche in der Werkstatt. Dort haben sie auch alle Updates aufgespielt. – Also muss die Schuld für den Unfall beim Hersteller liegen!«
Anwalt: »Nicht unbedingt! Hat der Hersteller bei der Entwicklung des Autos alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten, kann ihm nur schwer ein Vorwurf gemacht werden. Strafrechtlich belangt werden können ohnehin nur
»Also, wenn ich das mit der Fahrlässigkeit jetzt richtig verstanden habe, wäre es bereits fahrlässig, ein gefährliches Objekt zu verkaufen?«
Anwalt: »Auch hier lautet die Antwort wie so oft in der Juristerei: Es kommt darauf an. Messer können Verletzungen hervorrufen. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, nach einem Verbrechen mit einem Brotmesser den Hersteller zu verklagen. Dabei geht es um Gefahren, die jeder hinnimmt, weil die Risiken bekannt sind und von den Vorteilen überlagert werden. Wichtig ist nur, dass der Hersteller seine Produktion am aktuellen Stand der Wissenschaft ausrichtet und keine gefährlichen Stoffe oder unzuverlässigen Materialien verwendet. Bezogen auf deinen Fall bedeutet das: Sollte sich beispielsweise herausstellen, dass ein bestimmtes Programm in der Software zu Ausfällen in kritischen Situationen führt, muss der Hersteller das Programm schnellstmöglich aktualisieren oder die Fahrzeuge zurückrufen.«
»Womit wir die Schuldfrage immer noch nicht geklärt haben …«
Anwalt: »Das stimmt. Und wenn Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden kann, lautet die vielleicht unbefriedigende Antwort: Vielleicht ist niemand schuld. Juristisch gesehen handelt es sich dann um ein Unglück, für das es keinen Verantwortlichen gibt. So wird im Sinne des Strafrechts auch niemand bestraft. Die Kosten werden in dem Fall nach der Logik des Zivilrechts aufgeteilt, bei dir also zwischen euren Versicherungen.«

Das ist ein Argument gegen autonomes Fahren …, oder?
Bei Unfällen mit autonomen Fahrzeugen bleibt die Schuldfrage am Ende also möglicherweise ungeklärt. Ist das ein gutes Argument gegen die Technologie? Nein! Denn die meisten Unfälle im Straßenverkehr gehen aktuell auf das Konto von »menschlichem Versagen«. So kommt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey zu dem Ergebnis,
Hinzu kommt: Eine 100%ige Sicherheit kann es nie geben. Egal ob mit Mensch oder Computersoftware am
Der einzige Unterschied zwischen Airbags und autonomen Autos: An erstere haben wir uns (schon)
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