Ich habe jahrelang für Geld gelächelt – auch dann, wenn mir zum Heulen zumute war
Freundlichsein ist ein Knochenjob, den vor allem Frauen erledigen. Fair bezahlt ist das nicht immer. Darum ist es so wichtig, dass wir Emotionsarbeit verstehen.
»Hi! Willkommen in unserem Hostel! Wie kann ich dir helfen?«
Die zierliche Koreanerin ist kaum durch die Tür getreten, gerade hebt sie dazu an, ihren überdimensionierten pinken Rollkoffer die Treppenstufen zur Rezeption hinab zu wuchten, schon eile ich ihr mit meiner formelhaft vorgetragenen Hilfsbereitschaft entgegen.
Während sie die Buchungsbestätigung aus ihrer Tasche kramt, frage ich: »Wie war deine Reise? Hast du uns gut gefunden?«
Hunderte Male rezitiere ich in der Hochsaison solche Willkommensphrasen – an einem Tag. An den Abenden wünsche ich mir, dass jemand mit mir Gesichtsyoga macht, damit das nach 8 Stunden wie festgemeißelte Rezeptionistinnen-Lächeln endlich wieder von meinen Lippen verschwindet.
»Es reicht nicht, wenn Kunden Zimmerschlüssel oder einen Tomatensaft vom Servierwagen im Flugzeug erhalten – für eine positive Bewertung braucht es mehr.«
Dabei habe ich an manchen Tagen nicht viel Grund zum Lachen. Aber egal ob ich eine Gruppe betrunken pöbelnder Schotten in den Griff bekommen, den Wartungsdienst für einen streikenden Aufzug alarmieren oder eine Lösung für verlorene Pässe, Schnittwunden oder überbuchte Zimmer finden muss – am besten alles gleichzeitig –, das Lächeln darf mir nicht vergehen.
In vielen Service-Jobs reicht es nicht, wenn Kunden Zimmerschlüssel, einen Karamell-Soja-Latte oder einen Tomatensaft vom Servierwagen im Flugzeug erhalten. Für eine positive Bewertung braucht es mehr: Ein herzliches Lächeln mindestens, besser noch eine Interaktion, bei der sich die Kundin wirklich wahrgenommen fühlt, ihre individuellen Bedürfnisse berücksichtigt sieht, einen Moment erlebt hat, der ihren Tag besser macht.
Das schafft man als Rezeptionistin, Barista oder Flugbegleiterin nicht mal einfach so. Das ist harte Arbeit. Emotionsarbeit. Frauen müssen besonders schuften, denn wenn es ums Lächeln, Kümmern, Verstehen geht, wird von ihnen viel erwartet.
Emotionsarbeit ist Arbeit. Nicht mehr – aber auch nicht weniger
Ich tröste ein weinendes Mädchen, das in einem überfüllten Zug seinen Pass verloren hat, reiche einem amerikanischen Backpacker erst das Bügeleisen und versichere ihm später, dass das blaue Hemd ganz bestimmt die richtige Wahl für sein
Die Soziologin Arlie Hochschild schrieb bereits Anfang der 1980er-Jahre in ihrem Buch
Emotionsarbeit meint das Managen der eigenen Gefühle mit dem Ziel, im Tausch für Lohn eine öffentlich sichtbare Darstellung von Emotionen zu präsentieren.
In Deutschland sind
Zurück ins Hostel: Nachdem das Mädchen mit dem verlorenen Pass und die Koreanerin mit dem schweren Koffer ausgecheckt haben, hinterlassen sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Bewertung im Internet. Wenn meine Kollegen und ich uns bemüht haben, erwähnen die Gäste das meistens. »Tolles Personal! Alle waren höflich, herzlich und zuvorkommend. Ich habe mich wie zu Hause gefühlt!«
Frauen bilden in allen Berufen, die am meisten Einfühlungsvermögen erfordern, die Mehrheit
Wenn es richtig gut gelaufen ist, lese ich Zeilen wie diese: »Das Personal war super. Besonders Katharina hat mir weitergeholfen, als ich nicht wusste, wie man Tickets für den Nachtzug nach Krakau bucht. Awesome! Wir kommen wieder.«
Jackpot! Mein Name wurde erwähnt, das fließt am Ende des Monats in die Evaluation meiner Leistung ein – und erhöht die Chancen auf einen Bonus. Aber auch das Hostel profitiert, denn viele gute Bewertungen verschaffen ihm einen Wettbewerbsvorteil auf einem hart umkämpften Markt. Wenn die Preise und das Produkt verschiedener Anbieter ähnlich sind,
Und schließlich kostet ein Lächeln auch die Service-Arbeiterinnen nichts. Oder doch?
»Es schlaucht«
Ich frage eine Kollegin aus meiner Zeit im Hostel, wie es sich für sie angefühlt hat, jedem Gast das Gefühl geben zu müssen, man hätte heute nur auf ihn gewartet.
Das hing stark von meiner Befindlichkeit ab. Wenn ich mich erschöpft oder traurig gefühlt habe, war es anstrengender. So, dass ich nach ein paar Tagen Schicht am Stück regelrecht ausgebrannt war und eigentlich mit niemandem reden wollte. Auf jeden Fall – egal wie froh ich gerade war –, diese emotionale Arbeit schlaucht. Denn man muss ja immer empfangsbereit sein, nicht nur zuhören und wahrnehmen, sondern auch reagieren.
Nun könnte man sagen: Das ist halt der Job. Und auch Arlie Hochschild meint, dass Emotionsarbeit potenziell etwas Gutes sei. »Kein Kunde will eine griesgrämige Kellnerin, einen mürrischen Bankangestellten oder eine Flugbegleiterin, die Augenkontakt vermeidet, um einem Arbeitsauftrag zu entgehen.« All diese Beispiele von verweigerter positiver Emotionsarbeit, denen wir in der Realität ja durchaus begegnen, würden uns aber zeigen, »woraus unser sozialer Teppich eigentlich gewebt ist und was denen abverlangt wird, die dafür sorgen müssen, dass er im bestmöglichen Zustand bleibt.« Manchmal ist es ziemlich viel.
Tatsächlich verbindet Arlie Hochschild die Bemühungen der Service-Arbeiterinnen mit dramaturgischen Techniken von Schauspielern. Sie unterscheidet 2 Strategien:
- Beim Surface Acting ist das Lächeln wie eine Maske. Die gewünschte Emotion wird oberflächlich vorgespielt. Surface Acting kann die empfundene Dissonanz zwischen tatsächlichen und eingeforderten Emotionen noch weiter verstärken. Andererseits kann es eine effiziente Methode im Umgang mit unangenehmen Kundinnen sein.
- Beim Deep Acting oder
Aber wem werden welche Rollen angeboten?
Wie Emotionsarbeit Geschlechterrollen festigt
Arlie Hochschild hat schon in den 1980er-Jahren erkannt,
Im Hostel hatte ich viele männliche Kollegen – formal gelten für sie dieselben Anforderungen im Umgang mit Gästen. Und auch die Chefs haben wenig spürbare Unterschiede gemacht. Trotzdem spielt das Geschlecht eine Rolle bei der Arbeit an der Rezeption. Das wird mir immer dann klar, wenn ich enttäuschte Gesichter bei einer Gruppe Jungs sehe, deren Flirt-Versuche bei einer attraktiven Kollegin ins Leere laufen. Franziska sagt dazu: »Ich hatte auch den Eindruck, Typen wurden von den Kunden ernster genommen.«
Die Frauen waren besser, was den Service anbelangt. Haben sich mehr engagiert, waren einfühlsamer. Die Typen eher cooler. Aber nicht in allen Fällen – Ausnahmen bestätigen die Regel!
Tatsächlich hat mir die Rolle der sich kümmernden Rezeptionistin gut gelegen. Ich habe immer gern getröstet, Ratschläge gegeben, ein offenes Ohr gehabt. Die Dissonanz zwischen dem, was ich gefühlt habe, und dem, was ich öffentlich darstellen musste, war meistens nicht groß.
Mit fremden Menschen zu reden, ist für mich ein Kraftaufwand, kostet Anstrengung und Nerven. Mitunter hat mich ein unfreundlicher Gast auch noch trauriger gemacht. Es gab oft Momente, in denen dachte ich: »Du kommst jetzt nicht hierher zu mir an die Rezeption, sprich mich nicht an. Bitte, geh einfach weiter …« Trotzdem musste ich ja freundlich lächeln, immer bereit sein, zu helfen. Egal wie es in mir aussah. An manchen Tagen hat mich diese Dissonanz auch noch runtergezogen. Weil ich mich unehrlich fühlte, unauthentisch und falsch in meiner Haut.
So findest du die richtige Rolle für dich
Wer kann helfen, wenn dir Emotionsarbeit zu viel abverlangt?
- Du dir selbst:
Franziska gibt zu, dass sie unterschätzt hat, was ihr im Hostel an Emotionsarbeit abverlangt wird: »Hätte ich gewusst, wie anstrengend dieser Job ist – also was die soziale Interaktion betrifft –, ich hätte ihn nicht gemacht. Weil ich persönlich für so etwas nicht geeignet bin.«
- Dein Arbeitgeber: Dabei steht natürlich auch der Arbeitgeber in der Verantwortung. Unternehmenschefs müssen sich bewusst sein, was sie ihren Mitarbeiterinnen abverlangen – und dass manche Menschen Emotionsarbeit besser stemmen können als andere. Aber damit hört die Verantwortung längst nicht auf. Mir war es wichtig zu wissen, dass ich an der Rezeption jederzeit aufhören kann zu lächeln, wenn Gäste gewisse Grenzen überschreiten. Wir wurden dazu ermutigt, auf unser Bauchgefühl zu hören.
Was mich eher nicht motiviert hat, war die monatliche Evaluation – auch meiner Emotionsarbeit – durch Fragebögen, die sogenannte - Deine Kolleginnen: Eine lange Schicht mit randalierenden Jugendlichen und panischen Lehrern auf Klassenfahrt lässt sich besser aushalten, wenn alle im Team ihr Bestes geben, um die Situation in den Griff zu bekommen. Wenn der Barmann an die Rezeption springt, weil dort gerade eben mehr zu tun ist. Wenn man zusammen versucht, ein Rudel lärmender Teenager zu befrieden und dabei selbst ruhig zu bleiben. Wenn man hinterher
- Die Kunden: Wir nehmen alle Service in Anspruch: beim Friseur, im Flugzeug, an der Bar, im Supermarkt. Täglich tragen wir dazu bei, ob diejenigen, die uns bedienen, am Abend auch mit einem Lächeln nach Hause gehen. Damit das ein bisschen wahrscheinlicher ist, können wir uns alle fragen: Was heißt das eigentlich, guter Service? Ist es wirklich nötig, dass jemand emotional so richtig ackern muss, damit wir im Bewertungsportal 5 von 5 Sternen vergeben? Oder reicht es auch mal, dass jemand höflich-sachlich seinen Job macht? Davon abgesehen gibt es bei einer sozialen Interaktion immer (mindestens) 2 Beteiligte. Wenn wir uns alle ein bisschen Mühe geben, Service-Arbeiterinnen als Menschen zu sehen, die auch mal einen schlechten Tag haben, machen wir es ihnen leichter, uns freundlich zu begegnen. Zu guter Letzt können wir uns ruhig auch mal fragen: Erwarten wir von Frauen und Männern eigentlich dasselbe?
Mit Illustrationen von Karolin Ohrnberger für Perspective Daily