Konzerne haben das Internet zum Wilden Westen gemacht. Jetzt schickt die EU den Sheriff
Nach Jahren des Goldrauschs sollen die Nuggets bald fair aufgeteilt werden.

Man muss nur mal »Motorradtour USA« bei Google eingeben, um einen Eindruck von der grenzenlosen amerikanischen Freiheit zu gewinnen: endlose Landstraßen, gesäumt von Kakteen oder den pittoresken Felsen des Monument Valley, und auf jedem Foto schwere Motorräder auf ihrem Weg zum Horizont.
Da kann den Biker schon mal das Fernweh packen – wie gut, dass die Suchergebnisse direkt zu Reiseveranstaltern führen, die einem sofort in den Sattel helfen. 6 der 16 Suchergebnisse auf der ersten
sind mit dem Wort »Anzeige« markiert. Das heißt, auch wenn eine Bikerin am Ende gar keine Reise bucht, schickt sie schon mit dem Klick auf die Anzeige ein bisschen Geld in die USA.Bei Google Ads werden zwischen fällig. Um in der Facebook-Timeline zahlt ein Inserent im Schnitt 1 Euro pro Klick, manchmal liegen die Kosten aber nur bei
650 Millionen Suchanfragen täglich
Peanuts also, die sich bei aus der EU täglich jedoch summieren – und die Google, Facebook und Co. fast komplett als Gewinn verbuchen können. Im Internet verdiente die Werbebranche in der EU im Jahr 2015 gut 33,3 Milliarden Euro – erstmals mehr als im Fernsehen Dieser Kuchen wächst schnell, in diesem Jahr soll allein mit den 15 ertragreichsten Ländern die – und der Löwenanteil kommt ausgerechnet auf die Teller der großen Digitalkonzerne aus den USA.
Und ja, richtig, der Präsident eben dieser Vereinigten Staaten beklagt gerade, dass die Europäer 130 Milliarden Euro weniger in den USA ausgeben als umgekehrt. Donald Trump hat deswegen einen regelrechten Handelskrieg ausgerufen, weil er glaubt (oder zumindest verspricht), so die Jobs der heimischen Stahlarbeiter bewahren zu können. Doch ihr Schwert ist stumpf gegen eine Waffe, die Europa schmieden könnte: die Digitalsteuer.
Welcher Handelsüberschuss?
Ob das von Trump beschworene Handelsdefizit überhaupt existiert, ist letztendlich Definitionssache. Eine Studie des ifo-Instituts nimmt der Argumentation viel
Betrachtet man klassische Handelsgüter wie Harley-Davidson-Motorräder oder Autos von BMW, ist das Defizit unbestritten – Amerikaner kaufen mehr deutsche Autos, als hierzulande
Wesentlich geringer wird die Differenz zwischen den USA und Europa jedoch, wenn man auch Dienstleistungen mit einrechnet. Und bezieht man dann auch noch mit ein, sieht das Bild ganz anders aus: Dann wandert mehr Kapital aus der EU in die USA ab als umgekehrt, aus dem von Trump bejammerten Handelsdefizit wird ein Überschuss.Geldverkehr mit den USA
Auf der linken Seite ist zu sehen, wie viel die USA im Jahr 2017 an der EU bzw. Deutschland verdient haben, rechts, wie viel sie überwiesen haben. Du kannst einzelne Segmente durch einen Klick in die Legende ein- oder ausblenden.
Betrachtet man Deutschland allein, bleibt das Defizit aus US-Sicht bestehen – weil aber die EU-Staaten gemeinsam einen einheitlichen bilden, ergibt eine isolierte Betrachtung Deutschlands überhaupt keinen Sinn. (Deshalb können die USA auch keine bilateralen Handelsabkommen mit einzelnen EU-Staaten abschließen, auch wenn Donald Trump das immer wieder

Das primäre Problem
Interessanter ist eher die Frage, warum die US-amerikanischen Primäreinkommen so hoch sind. Ein erstes Indiz ist die Tatsache, dass ein verhältnismäßig großer Teil des Kuchens aus Irland, Luxemburg und den Niederlanden stammt. Diese Länder halten Standortvorteile für Apple, Google, Amazon und Facebook bereit – zum Beispiel lockt Irland mit einer von nur Geschätzte Steuereinbußen: 50–70 Milliarden Euro jährlich.
Deshalb tauchen die Gewinne aus der Google-Werbung nicht unter Dienstleistungen in der Aufstellung auf, sondern als Primäreinkommen. Diese Praxis führt zu einem ernst zu nehmenden fiskalischen Problem: Die EU-Finanzminister schätzen, dass ihnen bei digitalen Dienstleistungen, zu denen neben Online-Werbung auch zum Beispiel die Vermittlung von Wohnungen (Airbnb) und Fahrdiensten (Uber), aber auch Online-Medien wie dieses zählen, jährlich 50–70 Milliarden Euro an Steuern
Dass sie diesem Geld bislang nur müde hinterherwinken konnten, rechtfertigen die Finanzminister mit einem Steuerkonzept, das für Fabriken aus Ziegeln und Mörtel geschaffen worden ist. Unternehmen zahlen Steuern nach dem in dem Land, in dem die Wertschöpfung stattgefunden hat – also zum Beispiel dort, wo das Motorradwerk steht. Bei Online-Werbung findet die Wertschöpfung jedoch erst dann statt, wenn ein Nutzer, den Algorithmen als
eine Website besucht und die Werbung zu sehen bekommt – oder in vielen Fällen auch erst dann, wenn er die Anzeige anklickt. Das heißt, in Bruchteilen einer Sekunde schafft der Nutzer durch seine Anfrage einen Bedarf, das Produkt wird sofort ausgeliefert und von der Bezahlung bekommt der Nutzer gar nichts mehr mit.Wenn ein Verbraucher innerhalb der EU im oder auch für E-Books oder Medien-Abos wie bei diesem Magazin Geld ausgibt, wird
die fällig. Bei ist es hingegen nicht so klar geregelt.Das Betriebsstätten-Prinzip ergibt im digitalen Bereich keinen Sinn mehr.
Google hat aus Steuergründen Irland als seinen Europa-Sitz gewählt. Nach geltenden Gesetzen findet dort Wertschöpfung statt, auch wenn eine Motorradfahrerin von ihrem Sofa in Deutschland aus auf einer deutschen Nachrichtenwebsite Werbung eines deutschen Motorradtourenanbieters zu Gesicht bekommt. Wie wenig Sinn das Betriebsstätten-Prinzip im digitalen Bereich ergibt, sollte damit hinreichend gezeigt sein.

Stattdessen will die EU-Kommission, dass ein Konzern in jedem Land steuerpflichtig wird, in dem es eine »signifikante digitale Präsenz« unterhält – bei Google, Facebook und Co. dürfte das so gut wie jedes EU-Land sein.
Die Zeit für eine Digitalsteuer ist gekommen
Die EU-Kommission hat vor einigen Monaten ein Konzept vorgestellt, das der digitalen Wertschöpfung gerecht werden soll: eine Digitalsteuer. Jeder Mitgliedstaat soll sie selbst erheben dürfen, wenn
- die Umsätze mit allen digitalen Dienstleistungen dort mehr als 7 Millionen Euro jährlich ausmachen.
- mehr als 100.000 Bürger mindestens einmal im Jahr digitale Dienstleistungen nutzen.
- Digitalunternehmen jährlich mehr als 3.000 Verträge mit Bürgern schließen.
Diese Anforderungen dürften von so gut wie jedem EU-Land zu erfüllen sein – wenn nicht jetzt, dann in einigen Jahren. Das Entscheidende daran ist, dass ein Unternehmen nicht mehr eine Dependance in jedem EU-Land haben muss, in dem es dann steuerpflichtig ist. Dann würde auch für B2B-Geschäfte die Unternehmensteuer anteilig in jedem EU-Staat fällig; außerdem plant die EU eine direkte Digitalsteuer von 1–5% des Über die Details müssen sich nun die Finanzminister aller Mitgliedstaaten
Die Zeit drängt.
Manche Mitgliedstaaten wollen den langwierigen Abstimmungsprozess in der EU über die Details nicht abwarten und preschen mit nationalen Gesetzentwürfen vor. Zum Beispiel entwirft derzeit ein Gesetz, das das gleiche Ziel haben soll. Solche Alleingänge will die EU unbedingt verhindern. Damit nicht erst 28 nationale Gesetze wieder aneinander angepasst werden müssen und so den Weg zu einem digitalen Binnenmarkt unnötig verlängern, hat die EU-Kommission eine Zwischenlösung vorgeschlagen. Diese soll nationale Steuern für die Umsätze ermöglichen, die mit sozialen Medien, Suchmaschinen und In Israel, Indien und manchen US-Bundesstaaten gelten vergleichbare Regeln bereits heute.

Diese Steuerreform ist überfällig, um auf die Wertschöpfung im digitalen Zeitalter einzugehen und sie so zu besteuern, dass die daran Beteiligten etwas davon haben – an die Digitalkonzerne, die die Algorithmen und Plattformen entwickelt haben, geht auch nach Steuern noch genug. Während Industrieunternehmen etwa 23% Steuern zahlen, sind es bei Mit so einer Steuer wird also das Internet ein bisschen gerechter.
Ein Sheriff in den digitalen Wilden Westen
Für die EU gibt es noch ein Argument, gerade jetzt die Digitalsteuer einzuführen: Sie kann Donald Trump zeigen, dass er sich verrechnet hat. Zumindest bei Twitter macht der 72-jährige US-Präsident zwar einen internetaffinen Eindruck; die Rechnung, wie er zu seinem Handelsdefizit kommt, blickt hingegen auf verdammt analoge Produkte wie Stahl. Dabei fließen Milliardengewinne aus digitalen Dienstleistungen unter den Augen der Zöllner vorbei. Während Trump in Handelsfragen eher auf brachiale Maßnahmen setzt, könnte die EU den Wilden Westen im Internet nun etwas zähmen. Dabei handelt es sich dann nicht einmal um eine Gegenmaßnahme zu Trumps protektionistischer Handelspolitik, sondern um eine überfällige Reform: Sie bevorteilt nicht die heimische Wirtschaft, sondern beendet nur eine unfaire Steuerpraxis.

Harley Davidson packt die Satteltaschen.
Und man darf getrost davon ausgehen, dass die Digitalsteuer ihrem Zweck angemessener ist als Trumps Schutzzölle, die ja eigentlich amerikanischen Unternehmen helfen sollen: Harley Davidson hat als erste größere US-Firma die Satteltaschen gepackt und angekündigt, wegen der Strafzölle weitere Teile ihrer Produktion ins kostengünstigere Ausland zu Reisende soll man eben nicht aufhalten – es sei denn, sie fahren in ein Steuerversteck.
Titelbild: - CC0 1.0