Schluss mit der Meinungsmache! So machen wir aus #MeTwo eine echte Rassismus-Debatte
Wir haben die ersten 39.000 Stimmen zu #MeTwo ausgewertet: In diesen 2 Bereichen spielt Rassismus eine besonders große Rolle.
Sag mal, und ich mein’ das echt nicht böse oder so, aber warum stinken denn die dunklen
Vielleicht sollten alle nicht betroffenen Menschen […] mal schweigen und zuhören und reflektieren und
Unter #metwo
Seit 2 Wochen redet Deutschland über #MeTwo – ein Hashtag, unter dem in sozialen Medien Tausende Menschen mit Migrationshintergrund Diskriminierung schildern, die
Die Reaktionen auf die Berichte sind gespalten: Eine Seite unterstützt die Verfasser und will, dass ihnen zugehört wird. Die andere Seite relativiert deren Erfahrungen. Die meisten Deutschen bekommen von der Aktion nur über Dritte mit –
Doch statt mit Emotion und Meinung eine Debatte zu verhindern, können wir fragen: Wie kann die Sammlung von Erfahrungen überhaupt zu einer konstruktiven Debatte werden? Die Antwort darauf ist schmerzlich einfach: über Inhalte. Um den Anfang zu machen, habe ich mich mit dem Datenanalysten
Wer schreibt unter #MeTwo?
Um die Inhalte zu besprechen, müssen wir erst einmal die Frage klären: Wer schreibt unter #MeTwo?
Die Aktion zielte auf den Online-Kurznachrichtendienst Twitter ab, der über Hashtags funktioniert. In Deutschland wird der Dienst vor allem von Journalisten und Aktivisten genutzt. Insgesamt posteten dort an 7 Tagen 39.000 Accounts unter dem Hashtag. Das wäre in etwa so, als ob die Hälfte der Einwohner von Flensburg tweetet.
Die Mitte der Gesellschaft blickt also auf eine Blackbox, deren Inneres nur gefiltert durch Medien
So konnte #MeTwo groß werden
Am Dienstagabend, den 24. Juli 2018, forderten wir, Perspective Daily und Ali Can, auf Facebook und Twitter dazu auf, eigene Erfahrungen mit Diskriminierung
Wie die #MeTwo-Tweets – also die Kurznachrichten – im Datenkosmos erscheinen, ähnelt Sternenbildern in einer klaren Nacht. Jeder einzelne Stern ist ein Nutzer, der sich mit einem anderen verbindet. Das passiert dann, wenn jemand eine Nachricht mit dem Hashtag #MeTwo postet und der andere sie teilt.
Am Donnerstagmorgen geschah dann der bildsprachliche Urknall im Twitter-Universum. Der Journalist Malcolm Ohanwe veröffentlichte 5 Tweets, in denen er beschrieb, wie er in der Schule und bei der Arbeit aufgrund seiner Hautfarbe und seiner Herkunft diskriminiert wurde. Im Interview sagte er: »Das Hashtag gab es bereits 2 Tage lang. Das Facebook-Video von Ali hatte ich gesehen. Doch bis dahin war noch nicht viel passiert. Deshalb dachte ich: Okay, ich habe eine kleine Reichweite auf Twitter und poste einmal 5 krasse Storys und schaue, was passiert. Denn ich weiß, dass Aktivisten aus dem Bereich mir auf Twitter folgen.«
Und damit lag er richtig. In den folgenden Stunden kamen Dutzende Nachrichten von Betroffenen dazu, die über Twitter miteinander vernetzt und teilweise in der Antirassismus-Arbeit aktiv sind. Darunter war Ash, mit der ich bereits über
In der Grundschule hat die Lehrerin meinem Bruder (7 Jahre alt) ständig gesagt, dass er entweder adoptiert ist oder einen anderen Vater hat als ich. Mein Bruder ist light-skinned und hat eine andere Augenfarbe als ich #metwo
Diese Kerngruppe von Aktivisten war für die Weiterverbreitung des Hashtags entscheidend. In den darauffolgenden Stunden wurden Tausende Tweets geteilt und kommentiert. Medienunternehmen sorgten für mehr Reichweite. Dadurch wuchs eine Blase – englisch: Bubble –, die aufgrund der meistgeteilten Accounts politisch zwischen links und Mitte schwankt.
Am Abend kommen die Hater
Um ca. 17 Uhr am Nachmittag hatte #MeTwo andere Hashtags, mit denen Nutzer sich thematisch austauschen, darunter #Hitze, von Platz 1 der deutschen Trends verdrängt. Das heißt: Die Frequenz, mit der zu diesem Zeitpunkt mit #MeTwo getweetet wurde, war größer als die aller anderen Hashtags. Die Resonanz darauf größtenteils positiv.
Per Privatnachricht kamen Todesdrohungen
Ab den frühen Abendstunden und vor allem in der Nacht, berichtet Ash, sei die Stimmung zum ersten Mal gekippt. Sie und andere Aktivisten erhielten mehr und mehr Nachrichten von Accounts, die sich über die Aktion lustig machten oder sie verbal attackierten. Per Privatnachricht kamen Todesdrohungen.
Auch die Datensammlung zeigt, dass bis 18 Uhr eine weitere Bubble wächst. Einer der Ausgangspunkte war der Twitteraccount Jayne Doe. Wer auf CSI oder andere US-amerikanische Krimiserien steht, weiß, dass der Name (dessen korrekte Schreibweise »Jane Doe« ist) als Platzhalter für unidentifizierte Personen, aber auch für fiktive Parteien im Rechtssystem eingesetzt wird. Bei Jayne Doe handelt es sich also um ein Pseudonym, was auch das Profilbild zu diesem Zeitpunkt, ein Foto der Schauspielerin Elle Fanning, nahelegt.
Weitere anonyme Accounts schalten sich dazu, wie der unter dem Pseudonym Paul Gärtner, die sich zynisch über die Erfahrungsberichte unter #MeTwo äußern. Was viele dieser Accounts verbindet: Sie haben meist nur ein paar Dutzend oder Hunderte Follower, sind erst seit kurzer Zeit aktiv, doch ihre Reichweite ist dafür überproportional hoch. Das lässt darauf schließen, dass ein aktives Netzwerk dahintersteht. Welche politische Richtung diese Bubble verfolgt, kann, wie auch für die erste Blase, nicht zu 100% gesagt werden. Denn die Dokumentation zeigt nur, welche Nutzer sich gegenseitig retweeten. In der Blase sind aber auch Hass und rechte Hetze vertreten.
In unserer Untersuchung tummeln sich in der rechts dargestellten Bubble innerhalb von 4 Tagen knapp 17% der beteiligten Accounts. Inhaltlich lieferten sie selbst wenig Neues, sondern reagierten überwiegend abwertend auf die Erfahrungsberichte. Häufig wurde den Verfassern der #MeTwo-Storys vorgehalten, dass es sich dabei nicht um rassistisch motivierte Diskriminierung handele, es keinen strukturellen Rassismus in Deutschland gebe und man nur »jammern« wolle. Doch die Daten der 55%, die der #MeTwo-Aktion positiv gegenüberstehen, sprechen eine ganz andere Sprache – sie zeigen uns, warum und welche Inhalte relevant sind.
Eine Debatte braucht Inhalte
Eine Debatte braucht Inhalte. Und die haben wir uns angeschaut – unter den gut 55% der Nutzer, die dem #MeTwo-Aufruf gefolgt waren. Da sich Menschen dazu äußern sollen, wie sie diskriminiert wurden, haben wir uns gefragt: In welchen Lebenssituationen passiert das? Und steckt dahinter ein System?
Schule: Den Begriff Schule fanden wir in insgesamt 14.343 Tweets. Der reichweitenstärkste Tweet, der 1.540-mal geteilt wurde, stammte von der Chefredakteurin des Splash! Magazins Miriam Davoudvandi, die in der Grundschule trotz bester Noten keine direkte Empfehlung für das Gymnasium bekommen hatte.
Dass Rassismus den Fuß fest in der Tür von Schulen hat, zeigte eine im Mai 2018 veröffentlichte Studie der Universität Mannheim. Die Forscher des Fachbereichs Psychologie gingen der Frage nach, warum Schüler mit Migrationshintergrund auf Gymnasien unterrepräsentiert seien. In einem Experiment korrigierten Lehramtsstudenten Diktate. Obwohl sich die Fehleranzahl nicht unterschied, gaben die meisten den Schülern mit nicht deutsch klingenden
Eltern: 13.906 Tweets nannten den Begriff Eltern, Vater, Mutter oder Kind. In einem der reichweitenstärksten Tweets berichtete der Journalist und Künstler Shahak Shapira.
Rassismus an Schulen und Rassismus als Generationenfrage sind 2 Themen, die wir uns bei Perspective Daily genau anschauen wollen.
Dazu kommen Recherchefragen, für die unsere Methode zu ungenau war. Zum Beispiel fanden wir in 4.447 Tweets das Wort »Arbeit«. Bei der Auswertung stellten wir aber fest, dass der Begriff in den reichweitenstärksten Beiträgen nicht Diskriminierung am Arbeitsplatz beschrieb. Denn die Suche sammelte auch Begriffe wie »Arbeiterkind«, »Gastarbeiter« und »Klassenarbeit«. Trotzdem gab es Beiträge, die Benachteiligungen bei der Jobsuche direkt ansprachen.
Auch die Intersektionalität – also die Überschneidung von mehreren Diskriminierungsformen – konnte unsere Methode nicht offenlegen. Was nicht dagegen spricht, sich dem Thema in Zukunft anzunähern. Es gibt zum Beispiel Tweets, die gleichzeitig frauenfeindlich und rassistisch sind.
Wie geht es weiter?
Wir halten die Finger nicht still und machen weiter. Auf unserem Weg wollen wir weitere Bereiche untersuchen, in denen wir strukturellen Rassismus vermuten, und immer fragen: Welche Lösungsansätze könnte es geben oder gibt es schon?
Und das fragen wir auch dich: