Ali, willst du etwa sagen, dass die meisten Deutschen Rassisten sind?
Für Ali Can ist #MeTwo ein Angebot, endlich über Rassismus zu sprechen. Viele lehnen das ab, weil sie nicht streiten können. 5 Regeln für einen ordentlichen Streit.
Seit 3 Wochen sprechen wir in Deutschland über Rassismus. Und auch ich komme kaum zur Ruhe,
Mit ein wenig Abstand fällt mir auf: In den letzten Wochen wurden unter #MeTwo viele Dinge geschrieben und gesagt, die einen Dialog über Rassismus eher erschweren und der Idee von #MeTwo entgegenstehen. Das ist schade.
#MeTwo ist in erster Linie ein Gesprächsangebot.
Bin ich eine Kartoffel?
Für mich besteht ein gutes Streitgespräch nicht darin, dass sich alle ihre Meinung entgegenbrüllen. Dann gibt es vielleicht Streit, aber kein Gespräch. Ein Gespräch wird auch dann schwierig,
Nein, es geht mir nicht darum, Kritik abzublocken – ich habe in den letzten Wochen viele gute Kritikpunkte und offene Fragen zu #MeTwo bekommen. Zum Beispiel:
Kein deutschstämmiger weißer Mensch erleidet strukturellen Rassismus.
Andererseits sollten wir nicht über Rassismus reden, weil der Begriff »Rassismus« für Menschen ohne Migrationshintergrund unbequem ist. Natürlich ist er das. Wir müssen uns alle trotzdem mit der Bedeutung von Rassismus heute auseinandersetzen: Kein deutschstämmiger weißer Mensch erleidet
Vor 2 Jahren habe ich die
Das Schöne an Deutschland ist, dass wir unsere Meinung frei aussprechen und denken können, wie wir möchten. Und je unterschiedlicher die Menschen in unserer Gesellschaft denken, desto schwieriger kann der Umgang mit dem »Andersdenkenden« sein – das gilt natürlich vor allem für die Kommunikation. Deshalb gibt es einige Dinge zu beachten.
Bin ich ein Sexist?
Wer kontrovers diskutieren will, sollte sich vorbereiten. Das beginnt damit, die eigene Haltung zum Thema kritisch zu hinterfragen und sich selbst zu fragen: Was ist meine ganz persönliche Verbindung zum Thema? So wie jetzt Zehntausende #MeTwo mitlesen, habe auch ich vor knapp einem Jahr #MeToo verfolgt.
Auch ich habe mich schon sexistisch geäußert.
Eine meiner bittersten Erkenntnisse von damals: Nachdem ich viele dieser Erfahrungen gelesen hatte, wurde mir klar, dass auch ich mich schon sexistisch geäußert hatte. Auch wenn das meist unbewusst passiert war, fühlte ich mich ertappt. Zunächst war dieses Gefühl unangenehm, aber ich posaunte nicht aus dem Affekt meine Abwehrreaktionen ins Internet.
Mein Gefühl ließ ich erst einmal sacken und ging gedanklich verschiedene Situationen durch, die mich an die Erlebnisse der Frauen erinnerten. Außerdem suchte ich das persönliche Gespräch mit einer Freundin, deren #MeToo-Erlebnisse ich in sozialen Medien gelesen hatte. Im Gespräch mit ihr merkte ich, dass ich keinen Grund hatte, mich persönlich beleidigt zu fühlen, wenn sie sich gegen Sexismus aussprach. Ihr tat es gut, dass ich Verständnis zeigte und bereit war, meinen eigenen Beitrag zu leisten, dass es weniger Sexismus gibt.
Ich verstand nicht, warum viele Männer in eine Verteidigungshaltung gingen – anstatt das Gespräch zu suchen. Offensichtlich fühlten sie sich unter Generalverdacht gestellt. Einige relativierten mit einem »Das war doch nur ein Flirt!« ihr eigenes oder das Handeln anderer. So stiegen allmählich viele aus, die die Debatte bereichert hätten.
Kommunikation funktioniert nur, wenn alle Seiten einander zuhören.
Genau wie jetzt bei #MeTwo zeigte sich schon damals: Kommunikation funktioniert nur, wenn alle Seiten einander zuhören. Darüber hinaus ist es wichtig, eine Bereitschaft für einen differenzierten und genauen Gedankenaustausch mitzubringen. Bei #MeToo hat eine beträchtliche Anzahl von Männern sich aber nur persönlich angegriffen gefühlt, statt zuzuhören und Verantwortung zu übernehmen für eine konstruktive Lösung, zu der jeder Mensch einen Beitrag leisten könnte. Ich sehe Parallelen zu #MeTwo.
Crashkurs: 5 Schritte zum Streitgespräch
Egal ob
Zuhören ist kein Trick und auch kein Ausdruck von Überlegenheit. Es ermöglicht uns im besten Fall einfach, den Kern des Gesagten zu verstehen. Denn bevor wir feststellen können, um welche Herausforderung es geht, müssen wir uns richtig wahrnehmen.
Schade, dass wir dies in der Schule nicht gut genug gelernt haben.
Wie muss eine Streitkultur aussehen, in der wir auf Augenhöhe ein Gespräch führen könnten?
- Höre zu, wenn jemand von seinen Problemen erzählt!
Gib deinem Gegenüber so lange Raum, das zu veranschaulichen, was er meint, bis du denkst, dass du seine Perspektive nachvollziehen kannst. Auch du würdest dir wünschen, dass dein Gegenüber dir keine falschen Worte in den Mund legt, sondern dich, deine Bedürfnisse und dein Anliegen verstehen will.
Viele Menschen haben Schwierigkeiten, kontroverse Themen auszuhalten, und werden schnell emotional. Vielleicht hilft dir dieses Gesprächsbeispiel: Stelle dir vor, du hast Hunger und kochst Kartoffeln. Du wartest und wartest. Das Wasser siedet und du nimmst den Deckel ab. Der Dampf schießt nach oben und füllt den Raum. Du reduzierst die Hitze. Es braucht ein wenig Zeit, bis das Wasser aufhört zu blubbern und klar wird. Irgendwann kannst du die heiße Kartoffel sogar mit den Händen aus dem Topf fischen. Hättest du den Deckel abgenommen und direkt nach der Kartoffel gegriffen – autsch! –, das würde wehtun. Nicht anders ist es in Gesprächen, in denen hitzige Themen besprochen werden. Statt Öl ins Feuer zu gießen, lasse den Druck ab und erlaube das auch bei deinem Gegenüber. Dafür muss der Gesprächspartner Raum bekommen. - Schön, dass wir darüber reden können!
Es ist gut, dass dein Gegenüber mit dir über das Thema spricht und sich mit wichtigen Fragen beschäftigt. Wenn wir über strukturellen Rassismus sprechen, betrifft das schließlich uns alle. Es ist wichtig, dass wir über Probleme sprechen können, die uns alle betreffen. Trotz der gut gemeinten Anstrengung müssen die Menschen ohne Migrationshintergrund erkennen, dass sie nie das gleiche Verständnis oder die gleiche Bandbreite an Erfahrungen haben werden, die Menschen mit Migrationshintergrund in das Gespräch bringen. Deshalb lohnt es sich, nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen und sich darüber auszutauschen. Dieser Schritt ist wichtig, damit man einen Rahmen für das Gespräch und die Situation setzt. Erst wenn ihr Gemeinsamkeiten herausgestellt habt, könnt ihr auf Augenhöhe sprechen.
Stelle dir vor, dein Gesprächspartner erwidert dir beim Diskutieren, dass #MeTwo einseitig sei und nicht Rücksicht nehme auf seine Erfahrungen mit einem sogenannten »Deutschenhass«. Es wäre an der Stelle möglich zu fragen, ob er sich von Zuwanderern mehr Dankbarkeit und Wertschätzung wünscht. Du könntest betonen, dass du seine Gefühle verstehst, weil dein Gegenüber auf stumpfen Hass trifft und dies unangebracht und verletzend ist, egal von wem der Hass ausgeht und wen er trifft. Ihr könntet feststellen, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nie gut ist. - Stelle viele Fragen!
Manchmal sind Fragen die besseren Antworten. Viele der kritischen Stimmen zu #MeTwo kontern direkt oder zeigen sich verständnislos. Wäre es nicht viel schöner, wenn wir erst mal fragen würden, wo genau der »Hund begraben liegt«? Das wäre wichtig, um zu verstehen, wo vielleicht Missverständnisse liegen und warum wir uns scheinbar nicht verstehen.
Lasse dein Gegenüber erklären und nachdenken. Eine gute Faustregel ist: Stelle mehr Fragen, als du Antworten gibst. Fragen ist deshalb so kraftvoll, weil unser Gegenüber seine Meinung nicht ändern muss. Es kann sie aber reflektieren und den Sachverhalt schärfen oder konkretisieren.
Wie oft hatte ich das Gefühl, dass mir Kritiker unterstellten, ich würde sagen, dass die meisten Deutschen durch und durch rassistisch sind! Ich hätte mir gewünscht, bevor ich derart verurteilt und missverstanden werde, dass mich jemand fragt: »Willst du mit #MeTwo sagen, dass die meisten Deutschen Rassisten sind?« So eine sachliche, ehrliche Frage hätte ich mir gewünscht und gesagt: »Nein. Indem Menschen mit Migrationshintergrund ihre eigenen, persönlichen Geschichten erzählen, wird nicht fast jede Faser des Landes als rassistisch tituliert. Wir generalisieren nicht, sondern decken Strukturen auf, die Diskriminierung überhaupt möglich machen. #MeTwo ist kein Pauschalurteil.« Hört sich viel besser und versöhnlicher an, oder? - Erzähle von dir!
Schaue, ob dich etwas von dem, was der andere berichtet, an eigene Erlebnisse erinnert, und erzähle auch von dir. Damit weist du auf Gemeinsamkeiten statt auf Unterschiede hin und schaffst eine erste Vertrautheit.
Nutze das und versuche trotzdem, beim Thema zu bleiben. Wenn du dann persönliche Geschichten austauschst, könnt ihr über eure Empfindungen dabei sprechen. Das Schöne ist nämlich, dass wir mit den Gefühlen von anderen mehr anfangen können als mit abstrakten Forderungen. Ungeachtet unserer Herkunft und unserer politischen Ansicht können wir mitfühlen und nachempfinden, wenn wir denn nur möchten. Ich glaube, jeder wird im Gespräch mit mir verstehen, dass es sich schlimm anfühlt, wenn der Türsteher vor dem Club sagt: »Du kommst hier nicht rein. Sind schon genug Südländer drin.« - Wie beendest du das Gespräch?
Fasse die positiven Aspekte der gemeinsamen Auseinandersetzung zusammen. Was ist euer gemeinsamer Nenner noch einmal? Beende das Gespräch, indem du am Schluss auf ein »leichtes« Thema zu sprechen kommst. Auch Interesse an einem weiteren Gespräch zu signalisieren kann nicht schaden. Selbst wenn es kitschig klingt: Bedanke dich für das Gespräch und dafür, dass sich dein Gegenüber zusammen mit dir Gedanken gemacht hat.
Wie kann es weitergehen?
Wir alle kommunizieren miteinander. Jeden Tag. Aber egal ob #MeTwo oder #MeToo – in jeder neuen gesellschaftspolitischen Debatte merke ich, wie ziellose Kommunikation Fortschritte verhindert oder verzögert. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir einen Kommunikationsrahmen für diese Themen brauchen, also eine Art der Auseinandersetzung, die jeder ungeachtet seines Weltbilds teilen würde.
Die Basis für diese Streitkultur wäre das Zuhören, um zu verstehen. Das kann jeder Einzelne von uns üben. Aber auch Politiker sollten mit guter Gesprächskultur als Beispiel vorangehen. Denn in konstruktiv geführte Debatten können Lösungen entstehen und gedeihen – nicht nur gegen Rassismus.
Titelbild: Jan Ladwig - copyright