»Als ich durch das Funkgerät die Stimmen hörte, wusste ich, dass so eine Rettung ganz einfach ist«
Diese jungen Leute kauften einen Fischkutter und retteten 14.000 Menschen vor dem Ertrinken. Jetzt wird gegen sie ermittelt.
17. August 2018
– 13 Minuten
Cesar Dezfuli
Die Jugend rettet niemanden mehr. Obwohl sie das sehr gern tun würde. Das gilt zumindest für das Team des Berliner Vereins Jugend Rettet, der ab Juli 2016 im Mittelmeer unterwegs war und über 14.000 Menschen auf der Flucht vor dem Ertrinken bewahrte. Vor einem Jahr wurde ihr Schiff Iuventa Der italienische Regisseur Michele Cinque hat die Seenotretter ein Jahr lang begleitet, seine Dokumentation Iuventa ist seit Anfang Juli im Kino zu sehen.
Wilko Beinlich (28) war als Offizier mit Jugend Rettet und der Iuventa unterwegs. Im Interview erzählt er, wie Seenotrettung funktioniert – und warum eine Gruppe von Schülern und Studierenden einen Job übernimmt, den eigentlich europäische Regierungen machen sollten.
Wer warst du vor deinem ersten Einsatz auf der Iuventa?
Wilko Beinlich:
Vor Jugend Rettet war ich in den Endzügen meines Nautik-Studiums. Danach wollte ich anfangen zu arbeiten, Geld verdienen. Das war im Jahr 2015, als sich sehr viele Menschen auf den Weg nach Europa machten. In der Weihnachtszeit bekam ich einen Anruf von einem alten Schulfreund. Er meinte: Hey, wir haben da eine Organisation gegründet, wir wollen ein Schiff kaufen und Menschen retten!
Wie hast du darauf reagiert?
Wilko Beinlich:
Ich musste erst einmal schmunzeln. Ich habe das ganze Projekt für nicht schaffbar gehalten. Der eigentliche Ideengeber für Jugend Rettet war Jakob Schoen, der zu diesem Zeitpunkt erst 18 Jahre alt war. dachte er sich: Da muss sich etwas ändern. Wenn an Land ein Haus brennt, dann kommt die Feuerwehr. Wenn auf dem Wasser Gefahr droht, dann muss ich eben ein Schiff vorbeischicken, um zu helfen.
Er hat dann den Verein gegründet und ihr habt euch auf die Suche nach einem Schiff gemacht …
Wilko Beinlich:
Total utopisch, total naiv. Aber genau diese Naivität war das, was uns innerhalb von nur 12 Monaten dazu gebracht hat, eine Crew zusammenzustellen, Gelder aufzubringen, ein Schiff zu kaufen, das Schiff umzubauen und weniger als ein Jahr nach der Vereinsgründung rauszufahren. Und dann ein Jahr lang auf See aktiv zu sein und 14.500 Menschen zu retten.
Wie habt ihr das alles finanziert?
Wilko Beinlich:
Komplett durch Spenden. Es fing mit einem ganz kleinen Betrag an. Als ich dazu gekommen war, hatten wir gerade einmal 3.000 Euro.
Und wie viel kostet so ein Schiff?
Wilko Beinlich:
Das geht eher in den mittleren 6-stelligen Bereich. Deshalb dachte ich am Anfang: Das wird niemals klappen. Doch dann half uns der Schauspieler Jan Josef Liefers aus dem Münsteraner Tatort, um uns zu unterstützen. Das war die Initialzündung. Durch die Großzügigkeit und den Willen von vielen aus der ganzen Gesellschaft waren wir innerhalb weniger Monate bereit und konnten rausfahren.
Hatten alle aus der Gruppe Erfahrungen mit der Schifffahrt oder gab es auch einige, für die das komplettes Neuland war?
Wilko Beinlich:
Wir kommen aus allen möglichen Bereichen. Ich war einer der ersten Nautiker im Verein und dementsprechend beim Schiffskauf sehr involviert. Jakob als Schüler hatte natürlich in der Hinsicht gar keine Idee. Ich auch nicht wirklich, ich kam ja frisch aus dem Studium und hatte keinerlei Berufserfahrung. Aber sobald wir eine Tür aufgemacht haben, kamen andere Leute dazu … Es war wie ein Dominoeffekt. Und mittlerweile sind ganz viele dabei, die einen nautischen Hintergrund haben, aber auch, was jetzt gerade besonders wichtig ist, Leute aus dem juristischen Bereich. Leute, die gut mit Social-Media-Kampagnen sind und Öffentlichkeitsarbeit machen.
Wir wollen ja auch aufklären. Wir wollen darüber sprechen, was gerade passiert und speziell unsere Generation informieren.
Wie lief die Vorbereitung auf den ersten Einsatz ab?
Wilko Beinlich:
Ich war beim ersten Einsatz beruflich bedingt leider nicht dabei. Im Film sieht man sehr schön, wie groß die Anspannung war, weil wir nicht wussten, was auf uns zukommt. Da sieht man ein Gespräch zwischen den Crew-Mitgliedern darüber, wie viele Menschen wir überhaupt an Bord nehmen können. Die Prüfung der Statik ergab, dass wir in Fahrt 215 Menschen inklusive unserer eigenen Crew an Bord haben könnten, um Strecke zu machen. Schon in den ersten Tagen hatten wir zwischendurch 470 Menschen an Bord. Im Einzelfall war das unter bestimmten Bedingungen und ständiger Risikoanalyse möglich: wenn die See sehr ruhig war und wir wussten, dass größere Schiffe in der Nähe waren, die uns die Menschen innerhalb weniger Stunden wieder abnehmen würden. Insgesamt konnten wir während der ersten Mission im Juli 2016 über 2.000 Menschen retten.
Wie habt ihr das geschafft – so ganz ohne Erfahrung?
Wilko Beinlich:
Ich habe vorhin schon einmal unsere Naivität angesprochen, die uns ja viele vorwerfen. Wir sind eine junge Organisation mit Leuten, die vielleicht keinen großen Plan haben – überspitzt ausgedrückt. Aber diese Naivität ist das Wichtigste, was wir haben. Große Organisationen bleiben stehen, sobald sie ein Hindernis oder eine Blockade sehen, und brauchen oft sehr, sehr lange, um einen neuen Operationsstandard zu entwickeln. Wir haben einfach einen Schlenker gemacht, wenn der Weg von A nach B nicht begehbar war.
»Viele Menschen sind gebrochen«
Wann warst du das erste Mal mit an Bord?
Wilko Beinlich:
Ich war im Oktober 2016 das erste Mal an Bord der Iuventa. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Operationsstrukturen auf ein so hohes Level entwickelt, dass ich als professioneller Seefahrer wirklich überrascht war. Das größte Lob damals kam von Proactivia Open Arms, Sie wollten unsere Strukturen kopieren und mit uns zusammenarbeiten.
Willst du mehr darüber erfahren, wie sich die Crew-Mitglieder der »Iuventa« auf die Einsätze vorbereitet haben?
Wilko Beinlich:
Als wir noch rausfahren konnten, also von Juli 2016 bis August 2017, waren wir immer rund 2 Wochen auf See vor Libyen. Davor und danach hatten wir jeweils Zeit für Trainings und psychologische Betreuung. Die vorherige Crew ist dann zurück zu unserer Station nach Malta gekommen, wo wir Rettungsmittel, Wasservorräte und medizinisches Equipment nachfüllen konnten. Das Schiff lag dann immer für 3–4 Tage im Hafen und die alte Crew konnte ihre Erfahrungen mit der neuen Crew teilen, die sich dort bereit machte.
In dieser Zeit wurde auch trainiert; wir sind mit Motorbooten rausgefahren und haben eine Rettung simuliert. Wir hatten auch psychologische Vorbetreuung. Die aussteigende Crew wurde betreut, die einsteigende aber auch schon an die Hand genommen. Das war wichtig, denn man kann nur retten, wenn man dazu in der Lage ist.
Es dauert rund 40 Stunden, um von Malta ins Einsatzgebiet an der libyschen Seegrenze zu kommen. In dieser Zeit wurde natürlich auch weiter trainiert.
Wie war es, als du das erste Mal in Kontakt mit Menschen gekommen bist, die in Seenot geraten sind?
Wilko Beinlich:
Meine allererste Rettung im Oktober 2016 war sehr schön und sehr einfach. Wir waren ca. 40 Seemeilen vor der libyschen Küste und noch auf dem Weg ins eigentliche Einsatzgebiet. Uns erreichte eine Meldung vom das zu diesem Zeitpunkt noch für dieses Gebiet zuständig war. Sie hatten auf einer bestimmten Position ein Boot gesichtet.
Wir fanden dann ein kleines Holzboot mit 40 Menschen an Bord, die dort seit über 24 Stunden trieben. Die haben wirklich Glück gehabt, denn die meisten Rettungsboote hielten sich damals näher an der libyschen Küste auf. Die Frontex-Schiffe, die laut Mandat Schlepper bekämpfen, driften rund 30 Meilen vor der Küste. Aber eigentlich war dieses kleine Holzboot schon zu weit draußen, um noch gefunden zu werden – und nur weil wir gerade von Malta wieder ins Einsatzgebiet unterwegs waren, sind wir überhaupt noch daran vorbeigekommen. Unser war dann vor Ort. Ich blieb an Deck der Iuventa und war dafür zuständig, dass die Leute dann auch sicher an Bord kommen können. Deswegen hatte ich das Funkgerät, um mit der Crew in Kontakt zu bleiben.
Nachdem die Rettungswesten ausgeteilt waren, hat Florian im Boot das Funkgerät auf Dauersenden gestellt. 40 Menschen sangen »Hallelujah«. Das waren Christen, die sich freuten, dass nach 24 Stunden doch noch jemand zur Rettung gekommen ist. Das war die schönste Version dieses Liedes, die ich jemals gehört habe. In diesem Moment, als ich durch das Funkgerät etwas verzerrt diese Stimmen hörte, wusste ich, dass alles möglich ist. Dass wir alles schaffen können. Dass so eine Rettung ganz einfach ist.
Hast du dich an Bord mit den geretteten Menschen unterhalten, um etwas über ihre Geschichten zu erfahren?
Wilko Beinlich:
Während der Rettung geht das nicht, da beschränkt man sich auf das Simpelste. Aber dazu zählen auch kleine Gesten, man redet dann nicht mit Worten, sondern mit Ausdruck oder dem Körperkontakt.
Sobald die Leute an Bord waren und die Erstversorgung erhalten haben, hatte man ein bisschen Zeit. Viele Crew-Mitglieder suchten dann den Kontakt. Viele Menschen freuen sich darüber, dass sie reden können. Für mich persönlich ist es sehr schwer, wenn ich zu dem Gesicht auch noch die Geschichte erfahre, dann kann ich irgendwann nicht mehr helfen. Das Problem ist auch: Viele Menschen sind gebrochen. Sie sehen sich selbst schon gar nicht mehr als Menschen. Wer an den ersten Artikel des Grundgesetzes denkt, daran, dass die Würde des Menschen unantastbar ist: Das haben diese Menschen nicht mehr.
Manche sperren alles um sich aus. Sie leben in ihrer eigenen kleinen Blase, um den Schrecken, den sie durchlitten haben, nicht mehr wahrzunehmen. Das merkt man, wenn man ihnen zum Beispiel eine Plastikflasche mit Wasser gibt und sagt: »Trink’ so viel du möchtest, da vorne ist ein Hahn, du kannst sie wieder auffüllen.« Wenn diese Gäste dann merken, »wow, ich habe gerade das erste Mal in 1–2 Jahren das Recht, selbst darüber zu entscheiden, wann und wie viel ich trinken möchte«, dann sieht man so ein Aufflackern in ihren Augen. Für sie ist das eine Geste, die sie nicht mehr kennen. Dass sie als Mensch wahrgenommen werden.
Willst du mehr darüber erfahren, wie der Tag auf einem Rettungsschiff abläuft?
Kannst du erzählen, wie ein Tag auf einem Rettungsschiff in etwa ablief? Kam es jeden Tag zu Rettungseinsätzen oder passierte manchmal auch tagelang nichts?
Wilko Beinlich:
2016 und 2017 gab es Tage, an denen kein Schiff kam. Das ist wetterabhängig. Wenn die Wellen auf Libyen drücken, können diese Gummiboote den Strand nicht verlassen oder kentern sofort. Wenn südlicher Wind steht, drückt die Welle die Boote von der libyschen Küste weg. Dann kommen mehr Boote. Trotzdem schaffen viele nicht mal die 12 Meilen, bis sie in internationale Gewässer kommen. Dann sind vorher da, die die Motoren wieder abnehmen, sodass die Boote sowieso treiben. Und wenn sie es dann auf 12, 15, 20 Meilen schaffen, ist das Benzin ausgegangen, die Gummischläuche sind beschädigt, vielleicht sind schon Menschen runtergefallen. Im Boot sammelt sich dieses Gemisch aus Salzwasser, Urin und Benzin, daran verbrennen sich die Menschen teilweise schwer. Diese Boote sind einfach schrecklich. Sie können es nicht schaffen. Dementsprechend ist jedes Boot ein Seenotfall – und man muss retten.
»Wir haben uns immer an alle Anweisungen gehalten«
Wie lief eure Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden ab?
Wilko Beinlich:
Der italienische Staat wusste jederzeit Bescheid, wo wir uns gerade aufhielten. Das MRCC Rom hat uns eine Meldung durchgegeben mit einer Position, wo etwas gesichtet wurde, und dann sind wir dorthin gefahren.
Wir von Jugend Rettet waren ja nur die »First Aid Responder«, wir wollten im Einsatzgebiet sein, Rettungswesten verteilen, medizinische Grundversorgung leisten, aber es war nicht geplant, dass wir Transporte an Land durchführen. Einfach bedingt durch unsere Größe.
Im schlimmsten Fall geht das natürlich. Wir mussten das auch zwischendurch machen, wenn die italienische Küstenwache uns zurückbeorderte. Aber das war nicht die Idee, das sollten größere Einheiten übernehmen. Sobald wir Richtung Lampedusa, Malta oder Sizilien auf dem Weg waren, war niemand anderes mehr im Einsatzgebiet. Denn vorher hatten wir uns natürlich mit den anderen Rettungsschiffen abgesprochen, Zu den Katastrophen kommt es, wenn die Schiffe alle wegbeordert werden. Wir mussten zwischendurch auf Anweisung der Behörden mit weniger als 10 Personen nach Lampedusa fahren. Und unten war niemand mehr.
An die Anweisungen haben wir uns immer gehalten, auch wenn wir es nicht nachvollziehen konnten. Ansonsten hätten wir gegen die Rettungskonvention verstoßen.
Du sagst, dass ihr ständig in Kontakt mit dem MRCC Rom wart und von dort Anweisungen bekommen habt. Warum müssen private Organisationen die Rettung übernehmen – und nicht zum Beispiel die europäischen Küstenwachen?
Wilko Beinlich:
Europa ist nicht daran interessiert, dass Migration stattfindet und dass man sie sieht. Kleine Nichtregierungsorganisationen wie unsere, private Seenotretter, stören Europa dabei, dieses Thema wieder aus dem Blick der Öffentlichkeit zu drängen.
Es geht gerade nicht mehr darum, dass wir Menschenleben retten, sondern es geht darum, dass wir der Öffentlichkeit das Leid im Mittelmeer nicht mehr zeigen sollen. Die Ermittlungen gegen uns sind pure Schikane. Gleichzeitig kümmert sich niemand mehr um die gab es hier keinen Aufschrei mehr. Das haben sie Anfang dieses Jahrzehnts auch schon mal gemacht,
Was machen die europäischen Staaten im Moment, um Menschen im Mittelmeer zu retten?
Wilko Beinlich:
Wir haben als private Seenotretter in den letzten Jahren die Aufgabe der staatlichen Einheiten übernommen. Und wir haben gesagt, sobald die das wieder übernehmen, ist das schön. Wir wollen gar nicht da sein.
Das Programm hatte von Oktober 2013 bis Oktober 2014 noch das Konzept der Seenotrettung. Bei der aktuell laufenden Operation Sophia der Europäischen Union geht es aber nur noch um die Bekämpfung der Schlepper und nicht um die Rettung von Menschenleben.
Was passiert eigentlich, wenn Handelsschiffe auf in Seenot geratene Menschen treffen?
Wilko Beinlich:
Sie müssen retten. Das heißt, wenn zurzeit die privaten Seenotretter nicht mehr rausfahren dürfen, übernehmen teilweise Handelsschiffe die Rettung. Denn der Handel kommt ja nicht zum Erliegen. Aber selbst wenn diese Boote dann Leute aufnehmen, dürfen diese nicht einfach in einem anderen Hafen von Bord gehen. Tunesien hat auch abgelehnt. Plötzlich muss ein Wirtschaftsunternehmen dafür geradestehen und verliert sein Schiff über Wochen. Die Crew ist nicht dafür ausgebildet, das Schiff ist nicht dafür ausgelegt, dass plötzlich so viele Menschen an Bord sind, die haben die Rettungsmittel nicht dafür. Ich bin beruflich Seemann und sehe auch dieses Problem: Das kostet die Reedereien Millionen, weil sie Verträge nicht erfüllen können und Folgeverträge verlieren.
Bei der Rettung macht es keinen Unterschied, warum jemand flüchtet
Es gibt Menschen, die sagen, dass sich gar nicht so viele Boote auf den Weg machen würden, wenn sie nicht wüssten, dass es Seenotrettung gibt. Kannst du das nachvollziehen?
Wilko Beinlich:
Nein. Es gibt Die Zahlen sprechen für sich. Im Juni/Juli waren keine Rettungsboote mehr vor Ort und die Zahl der Toten vor Spanien hat sich verdreifacht. weil niemand mehr vor Ort ist. Die Leute flüchten nicht, weil wir sie dann aufnehmen. Sondern wenn wir vor Ort sind, sterben weniger Leute.
Verstehst du, wenn Menschen Unterschiede zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen machen?
Wilko Beinlich:
Wenn man diesen Unterschied zwischen einem Kriegsflüchtling und einem Wirtschaftsflüchtling macht, dann streite ich ja in dem Moment Letzterem das Recht auf Rettung ab.
Wir können einem Menschen auch nicht von vornherein das Recht darauf absprechen, sich aus wirtschaftlichen Gründen für eine Flucht zu entscheiden. Jeder Mensch auf der Erde hat das Recht, seine eigene Situation zu verbessern. Und wenn ich einem Wirtschaftsflüchtling aus Afrika sage, »du darfst aber nicht nach Europa kommen«, dann können wir uns auch mal selbst reflektieren. Ich bin Seefahrer, ich arbeite im Ausland. Ich habe im Ausland studiert. Bin ich ein Wirtschaftsflüchtling? Ein Bildungsmigrant? Ich habe das Recht dazu. Liegt das dann daran, dass ich eine weiße Hautfarbe habe und hier in Deutschland geboren bin? Hat jemand, der von der Elfenbeinküste, aus dem Sudan oder aus Äthiopien kommt, der einfach Hunger hat, dem es die Lebensumstände dort als jungem Menschen nicht versprechen, dass er ein lebenswertes Leben nach unseren Maßstäben führen wird, kein Recht dazu?
Nicht jeder kann auf einem Schiff anheuern. Was kann jeder Einzelne tun, um Fluchtrouten sicherer zu machen?
Wilko Beinlich:
Jeder hilft halt so, wie er kann. Ich kann ein Schiff fahren, also fahre ich raus. Ich glaube, wir haben mittlerweile eine rote Grenze überschritten und müssen unsere Stimme erheben. Wir dürfen jetzt nicht anfangen, uns in Kleinstaaterei zurückzuziehen und zu denken, dass wir etwas Besseres sind. Das ist absolut der falsche Weg. Das heißt: Aufstehen! Wir haben das gestartet, das dem eine Stimme gibt.
Das Schöne an diesem Aktionsbündnis ist, dass wir uns auf einen kleinen gemeinsamen Nenner einigen können: »Menschen müssen nicht ertrinken.« Es geht darum, dass Menschen in Gefahr gerettet werden müssen. Was danach kommt, die ganze politische Diskussion: Kann jemand Asyl beantragen, darf er hierbleiben, weswegen flüchtet er … Das können wir hintenanstellen.
Du bist gerade auf dem Sprung nach Griechenland. Was wirst du dort machen?
Wilko Beinlich:
Mitglieder von Jugend Rettet haben mit eine zweite Organisation gegründet. Leider können durch die politischen Schikanen gerade keine Einsätze im zentralen Mittelmeer oder zwischen Spanien und Marokko gefahren werden, aber die Situation zwischen der Türkei und Griechenland ist auch nicht viel besser geworden. Menschen flüchten immer noch und Die Zahlen sind geringer geworden, aber das Problem ist weiterhin vorhanden. Wir wollen mit einem Schiff von der Insel Lesbos aus starten, um wieder Aufklärungsarbeit zu leisten, um wieder präsent zu sein und zu zeigen: Hier sterben Menschen.
Als Politikwissenschaftlerin interessiert sich Katharina dafür, was Gesellschaften bewegt. Sie fragt sich: Wer bestimmt die Regeln? Welche Ideen stehen im Wettstreit miteinander? Wie werden aus Konflikten Kompromisse? Einer Sache ist sie sich allerdings sicher: Nichts muss bleiben, wie es ist.