»Geh abspecken oder erhäng dich!« Mit dem Smartphone machen sich Kinder das Leben immer mehr zur Hölle. Sozialpsychologin Catarina Katzer kämpft für Frieden im Klassenzimmer.
Das ist nur einer von vielen fiesen Sprüche auf deutschen Pausenhöfen: zu dick, zu arm, zu unangepasst, die »falsche« Haar- oder – Kinder können grausam sein, vor allem, wenn sie andere wegekeln wollen.
wird jeder sechste deutsche Schüler gemobbt. Später am Arbeitsplatz setzt sich dies bei jedem vierten Arbeitnehmer –
Die Angegriffenen erdulden oft die Schikane, schweigen aus Scham oder Angst und melden sich krank, wenn es zu schlimm wird. Doch im Internet können sie ihren Peinigern nicht entkommen: ist in einer Welt voller Smartphones in jeder Hosentasche dabei, rund um die Uhr.
Was dahintersteckt und wie sich Betroffene effektiv wehren können, erforscht seit Jahren die Sozialpsychologin Catarina Katzer. Zusammen mit dem Bündnis gegen Cybermobbing fand sie dass die digitale Schikane scheinbar »ansteckend« ist – denn jeder fünfte Täter war selbst schon einmal ein
Sozialpsychologin Catarina Katzer
Catarina Katzer forscht seit ihrem Studium der Soziologie und Sozialpsychologie zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf unser Leben. Heute leitet sie das Institut für Cyberpsychologie und Medienethik in Köln. Sie hat bereits das Schulministerium NRW und den Schweizer Nationalrat bei der Entwicklung digitaler Bildungskonzepte beraten.
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Catarina Katzer
»Viele nehmen alles, was online passiert, noch auf die leichte Schulter.«
ist alles andere als harmlose Hänselei: Nehmen wir das Problem noch immer nicht ernst genug?
Catarina Katzer:
Viele nehmen alles, was online passiert, noch auf die leichte Schulter. Das liegt daran, dass wir es im Internet mit etwas zu tun haben, das nicht materiell ist. Wenn jemand in meine Wohnung einbricht, dann sehe ich das – aber wenn es meinen virtuellen (Brief-)Kasten betrifft, nehme ich das anders wahr. Das ist natürlich eine Fehleinschätzung und auch etwas naiv.
Was ist denn das Einzigartige am Cybermobbing im Vergleich zum normalen Mobbing?
Catarina Katzer:
Die Täter handeln von einer Tastatur aus – und das führt zu einer völlig neuen Situation. Dieses »entkörperlichte Handeln« verändert die Wahrnehmung: Es entsteht eine große Distanz zu sich selbst und dem normalen sozialen Kontext. Auch nehmen sich Täter beim Cybermobbing als einer von vielen Online-Nutzern wahr, was die eigene Verantwortung in den Hintergrund rücken und auch die Distanz gegenüber den Opfern steigt lässt.
Und die Tat fällt entsprechend leichter. Mit nur einem Klick.
Catarina Katzer:
Richtig. Und gerade Daten, die missbraucht werden, um jemandem zu schaden, sind problematisch. Sie können sich wie ein Lauffeuer verbreiten – und auch Jahre später wiederaufkommen. Zum Beispiel Ausschnitte aus einem privaten Chat. Oder aber ein sexy Foto, das man im Vertrauen einer Freundin geschickt hat. Es werden sogar ganze Fotomontagen angefertigt, etwa von Lehrern und Schülerinnen, um damit gezielt falsche Gerüchte zu Und auf einmal ist man die »Schlampe«, der »Sexist« oder die »Homosau«.
Ist Cybermobbing denn vor allem ein Jugend-Problem?
Catarina Katzer:
Tatsächlich sehen wir, dass die Täter immer jünger werden – wir haben immer mehr Grundschüler, die in Cybermobbing involviert sind. Auch stellen wir fest, dass bei dieser Gruppe alles, was über das Internet geschieht, gezielter und härter wird. Allerdings nimmt Cybermobbing auch in der Erwachsenenwelt zu. Dem wird noch viel zu wenig Beachtung geschenkt.
Gibt es da Gemeinsamkeiten zwischen der Schule und der Erwachsenenwelt?
Catarina Katzer:
Jedes Cybermobbing ist eine Art von Angriff, der auf hochemotionaler Ebene stattfindet und wo bereits vorher eine Beziehungsebene da ist. Das Ziel dahinter ist – bei Erwachsenen wie Jugendlichen –, konkret einer Person zu schaden, sie zu isolieren und psychisch zu verletzen, weil man dazu irgendein Motiv hat.
»Ich bin der große Macker und muss die anderen kleinhalten«
Was mit Mobbing-Opfern passiert, ist mittlerweile recht gut erforscht – Was aber ist mit den Tätern, was denken die sich dabei?
Catarina Katzer:
Mobbing kann allgemein ganz verschiedene Motive haben. Bei Erwachsenen hat die Forschung festgestellt, dass es grundsätzlich bestimmte hierarchische Strukturen benötigt. Da spielen dann Konkurrenzdruck, aber auch eine Unsicherheit bezüglich der eigenen beruflichen Zukunft mit rein. Angst um den eigenen Arbeitsplatz kann ein verstärkender Faktor sein; also den Mitarbeiter mobben, damit der eigene Arbeitsplatz sicherer ist.
Und bei Jugendlichen und Kindern?
Catarina Katzer:
Bei denen kommen andere Motive hinzu wie Spaß oder Langeweile. Jugendliche wollen sich durchsetzen und ahmen andere nach, weil sie sich dadurch stark in der Gruppe vorkommen. Gerade auf dem Schulhof können wir dazu ein Phänomen feststellen, dass es bei traditionellen Mobbing nicht gegeben hat: dass auch Opfer zu Tätern werden. Bei fast 1/5 der jugendlichen Täter ist das der Fall.
Da könnte man von einer Art »Ansteckung« sprechen, oder?
Catarina Katzer:
Absolut. Dazu sind die Täter für gewöhnlich keine Außenseiter, sondern scharen eine Gruppe um sich, die sie bewundert und zum Teil auch mitmacht. Und diese Gruppendynamik darf man nicht unterschätzen. Das lässt sich bereits bei sehr schön sehen: Jemand fängt an, online gegen jemanden vorzugehen, und auf einmal springen viele auf den Zug auf und umso größer die Masse wird, umso mehr wird man bestätigt. Gleichzeitig taucht der Einzelne in der Masse unter. Man ist ja nur einer von vielen, die das auch so machen, gerade online.
Gibt es Jugendliche, die besonders gefährdet sind, angesteckt zu werden?
Catarina Katzer:
Jugendliche, die in einem gewalthaltigen Umfeld aufwachsen und dazu ein geringes Selbstwertgefühl oder Defizite in der Schule haben, sind besonders gefährdet. Das führt leicht zu Gedanken wie: »Ich bin kein guter Schüler, aber stark. Ich bin der große Macker und muss die anderen kleinhalten.«
Das kann auf Dauer ja nicht funktionieren.
Catarina Katzer:
Zumindest können wir feststellen, dass diese jugendlichen Täter im Verlauf ihres Lebens gewisse Probleme bekommen. Sie haben es etwa schwerer, Partnerschaften zu führen, sich unterzuordnen oder Kompromisse einzugehen.
»Das ist das, was mich auch immer so wütend macht!«
Sie sind über Ihre Arbeit ja auch immer wieder direkt mit Schülern in Kontakt gekommen, die Cybermobbing erlebt haben. Hat Sie da eine Geschichte besonders mitgenommen?
Catarina Katzer:
Ja, natürlich. Das war sogar eine dramatische Geschichte, Im vergangenen Jahr hat sich ein junger Mann an mich gewendet, der mich im Fernsehen gesehen hatte und von einer Mitschülerin berichtete, die über Whatsapp und bei Facebook fertiggemacht wurde. Er hat sie dann einfach angesprochen und sie hat sich ihm anvertraut – wollte aber mit niemand anderem sprechen. Er war sehr besorgt und fragte mich, was er jetzt tun solle. Dabei war er damals erst 12 Jahre alt!
Also war er ein Unbeteiligter, der sich engagierte. Was war Ihr Rat an ihn?
Catarina Katzer:
Ich habe ihm zunächst geraten, sich an einen Vertrauenslehrer oder Psychologen zu wenden. Er schrieb mir dann später: »Ich habe es versucht. Die interessiert das nicht«, weil das Cybermobbing eben außerhalb der Schule stattfand und es damit kein schulisches Thema sei. Eine Beratung in seiner Stadt hat er auch nicht gefunden, um dem Mädchen zu helfen.
Und dann?
Catarina Katzer:
Er hat dann aus eigener Kraft und aus der Not heraus eine Telefon-Hotline auf die Beine gestellt, gemeinsam mit anderen Schülern, die er dafür motiviert hat. Die Schule wollte dann schließlich doch noch einen Aktionstag zu Cybermobbing veranstalten – doch das junge Mädchen ist vorher von der Schule gegangen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. So kann man mit Opfern von Cybermobbing jedenfalls nicht umgehen und das ist das, was mich auch immer so wütend macht.
Sie selbst haben ja solche Präventionstage schon erfolgreich mitveranstaltet. Melden sich da denn auch Täter zu Wort?
Catarina Katzer:
Die wenigsten. Es gab immer mal wieder Gruppen, die sich dann versucht haben zu profilieren, so nach dem Motto »Ist doch alles nicht schlimm. Das ist doch normal«. Spannend wurde es erst, als sie sich dann auf den Präventionstagen in die andere Rolle, also die des Opfers, hineinversetzen sollten. Im Rollenspiel wurden sie dann ganz anders und fanden das alles gar nicht mehr gut. Erst dann entwickeln sie ein Gefühl dafür, was im Opfer vorgeht.
»Es ist schwer für Eltern, wenn das eigene Kind ein Täterkind ist«
Rollenspiel, Präventionstage, Sorgentelefon – Ideen gibt es ja viele. Was davon hilft denn wirklich gegen Cybermobbing?
Catarina Katzer:
Was zumindest gar nicht hilft und geht, ist, wenn Lehrer sagen: »Bist ja selbst schuld.« Etwa wenn Mädchen verzweifelt sind, weil von ihren ehemaligen Freundinnen Fotos und Lügen verbreitet werden. Das verweist nur die Schuld an das Opfer zurück. Und bei Fotos ignoriert es dazu, dass Jugendliche auch Bedürfnisse haben, sich in Posen auszuprobieren. Das gehört einfach heutzutage dazu.
Und was hilft stattdessen?
Catarina Katzer:
Für Angegriffene spielt das Aufbauen von Hilfestrukturen eine ganz wichtige Rolle. Leider haben wir das momentan kaum. Ich meine damit die institutionalisierte Hilfe an Schulen in Form von Unterstützerteams, Hilfesystemen oder Beratern. Wichtig dabei ist: Kinder und Jugendliche an Schulen nicht alleine lassen, damit sie nicht selbst aktiv werden müssen!
So wie das Sorgentelefon des 12-jährigen Jungen? Das kann ja keine breite Lösung sein.
Catarina Katzer:
Richtig. Wir brauchen an allen Schulen Prävention, vor allem »Peer-to-Peer«, das heißt ältere Schüler kommen in die Klassen, klären auf und entwickeln Aktionspläne. Das ist authentisch und hat eine ganz andere Wirkung, als wenn nur die Lehrer aufklären. In Holland sind Schulen sogar gesetzlich zur Prävention verpflichtet.
Dazu benötigt man aber auch eine Präventionsdatei mit evaluierten Konzepten, die die Schulen anwenden können. In Kalifornien übernehmen sogar höhere Schulen Patenschaften für Kollegen von mir haben in Australien auch »Peer-to-Parent«-Projekte erfolgreich durchgeführt. Dabei laden die Jugendlichen selbst zu Themen ein und informieren ihre Eltern darüber.
Und wenn Eltern dabei ein Licht aufgeht und sie selbst merken: »Hilfe, mein Kind ist ein Cybermobber«?
Catarina Katzer:
Für Eltern ist es erst mal sehr schwierig einzugestehen, dass das eigene Kind ein Täterkind ist. Denn zum Täter zu werden hat ja immer bestimmte Gründe und die können auch in einem gestörten Verhältnis zu den Eltern liegen. Deshalb ist so etwas innerhalb der Familie nur sehr schwer zu lösen.
Also brauchen sie Hilfe von außen?
Catarina Katzer:
Gerade Täterkinder brauchen eine gute professionelle Betreuung, um sich vor sich selbst zu schützen – damit sie eben nicht diese Verhaltensweisen dauerhaft antrainieren. Eltern sollten daher früh nach einer Perspektive von außen suchen und von einer Fachperson Hilfe in Anspruch nehmen – Aber auch davon haben wir leider noch viel zu wenig.
Cybermobbing ist kein Kavaliersdelikt.
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Quelle:
freestocks.org
Mit Illustrationen von
Robin Schüttert
für Perspective Daily
Dirk ist ein Internetbewohner der ersten Generation. Ihn faszinieren die Möglichkeiten und die noch junge Kultur der digitalen Welt, mit all ihren Fallstricken. Als Germanist ist er sich sicher: Was wir heute posten und chatten, formt das, was wir morgen sein werden. Die Schnittstellen zu unserer Zukunft sind online.