Gehören unsere Denkmäler auf den Schrottplatz?
Kriegshelden, Kaiser und Kolonialismus – viele Denkmäler in Deutschland sind längst aus der Zeit gefallen. So nutzen wir sie, ohne Nationalismus zu befeuern.
Es ist heute kaum mehr vorstellbar, aber bei der Fußball-WM 2006 hatten wir Deutschen für kurze Zeit eine Art positiven, unverkrampften Patriotismus entwickelt. Schwarz-Rot-Gold, das waren die Farben des Sommermärchens und 8 Jahre später auch die des Weltmeisters, der deutschen Nationalmannschaft, die so vielfältig war wie Deutschland selbst.
Nach dem Rausch kam der Kater.
Ein hässlicher, ausgrenzender Nationalismus übertönt den Zusammenhalt von damals, Nazis zeigen in Chemnitz den Hitlergruß, und von den Hetzjagden auf Ausländer, die dort offenbar stattgefunden haben, bleiben
Und dann ist da noch die AfD, die entscheidend dazu beigetragen hat, dass aus dem Wir-Gefühl des Jahres 2006 längst ein »Wir gegen die«-Gefühl wurde. Ihr Parteichef
Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die 12 Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1.000-jährigen Geschichte. Und die großen Gestalten der Vergangenheit von Karl dem Großen über Karl V. bis zu Bismarck sind der Maßstab, an dem wir unser Handeln ausrichten müssen.
Mal abgesehen davon, dass die
Ziemlich viel, allerdings eher unbemerkt.
Deutschland, deine Denkmäler
Wer schon einmal über die Hohenzollernbrücke in den Kölner Hauptbahnhof eingefahren ist, weiß, wie erhaben der Dom durch die Zugfenster wirkt – so beindruckend, dass einem die Reiterstandbilder links und rechts an beiden Enden der Brücke kaum auffallen.
Noch ein Beispiel gefällig? Etwa 160 Kilometer rheinaufwärts, bei Rüdesheim, steht das Niederwalddenkmal, das gemeinsam mit der völlig überlaufenen und überbewerteten Drosselgasse zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Deutschlands zählt. Wem der Trubel im historischen Stadtkern zu viel wird, der kann in Richtung der Weinberge flüchten. Dort steht, mit großartiger Aussicht auf das Rheintal, das 38 Meter hohe Niederwalddenkmal mit der Statue der Germania.
Zum Andenken an die einmuethige siegreiche Erhebung des Deutschen Volkes und an die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches 1870–71
Auf einem Wandrelief wird dem Kaiser auch noch eine Strophe des Volkslieds »Wacht am Rhein« zugeschrieben, in dem er »schwört mit stolzer Kampfeslust; du Rhein bleibst deutsch wie meine Brust«. Ein Satz, der sich damals vermutlich wunderbar patriotisch anfühlte, heute aber (sehr frei nach Gauland) mehr nach »Vogelschiss« klingt.
Informationstafeln sind sinnvoll, um den Kontext direkt neben den Denkmälern offenzulegen. Allerdings ist ein Erklärtext in einem Besucherzentrum weit weniger sichtbar als das Niederwalddenkmal selbst, das von der gegenüberliegenden Rheinseite aus dem fahrenden Schnellzug immer noch gut mit bloßem Auge zu erkennen ist. Aus der Ferne bleibt das Symbol der siegreichen Germania also unrevidiert.
Nicht jedes Denkmal hält ewig
Monumente sollen – gerade für autoritäre Regime ist das ein wichtiger Anspruch – die emotionale Verbundenheit und Deutungshoheit über Ereignisse und Persönlichkeiten für die Ewigkeit konservieren. So wurde in Prag im Jahr 1955 die weltgrößte Stalin-Statue fertiggestellt. Sie hielt dann allerdings nur 7 Jahre: Stalins Nachfolger Chruschtschow distanzierte sich vom Vorgänger,
In den USA gab es in den vergangenen Jahren große Debatten darüber, ob Denkmäler aus der Vergangenheit, die mit heutigen Werten nicht mehr vereinbar sind, abmontiert werden sollen. Vielerorts wurden Südstaaten-Generäle, die gegen den Norden gewaltsam ihr Recht auf Sklavenhaltung verteidigten,
Und auch mindestens ein Denkmal mit Bezug zur deutschen Geschichte wurde entfernt: Am 27. Januar 1912, dem Geburtstag des Kaisers Wilhelm II., wurde in Windhoek, der Hauptstadt der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein 4,5 Meter hohes Reiterstandbild feierlich enthüllt:
Dabei war der »Aufstand« nur ein willkommener Anlass für ein wesentlich größeres Blutvergießen, den von General Lothar von Trotha befohlenen Völkermord an den Herero und Nama. Deshalb war der überlebensgroße, elegante Südwester Reiter immer auch eine Demütigung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit im heutigen Namibia.
Hol den Vorschlaghammer …?
Sollten auch in Deutschland aus der Zeit gefallene Denkmäler abmontiert werden? Darüber lässt sich sicher streiten. Deutschland erhält viel Anerkennung aus dem Ausland dafür,
Die deutsche Geschichte vor dem Jahr 1933 wird hingegen nur punktuell betrachtet – wohl auch, weil die angesammelte Schuld der Jahre 1933–1945 schwerer wiegt. An der Kaiserzeit war nicht alles gut, aber auch nicht alles schlecht – deshalb wäre es ungerecht, den Blick auf ihre sichtbaren Überbleibsel im öffentlichen Raum auf Unterdrückung und Hegemonie zuzuspitzen, wie es mit Robert E. Lee oder dem Südwester Reiter getan wird.
Einen Mittelweg zwischen stehen und verschwinden lassen hat die ungarische Hauptstadt Budapest gewählt: Im
Nicht zuletzt gibt es einen guten Grund, sich weiter kritisch mit Denkmälern auseinanderzusetzen, anstatt sie einfach einzulagern: Sie sind Bestandteil unserer Kultur, ob man das nun gut findet oder nicht.
Der bessere Umgang
Besser ist die Flucht nach vorn. Wir können uns die steingewordenen nationalen Mythen genauer anschauen, die um uns herum stehen – und Kontroversen offen ansprechen.
Von den rund
Es ist unmöglich, zu bemessen, welchen Einfluss solche Debatten wirklich auf politisches Handeln haben – aber sicher haben sie der Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit nicht geschadet. Vor wenigen Wochen wurden die sterblichen Überreste von 27 Herero und Nama von Deutschland nach Namibia gebracht.
Trotzdem macht das Beispiel Mut, sich weiter mit der deutschen Identität auseinanderzusetzen, wie sie überall im Land präsent ist. Aber nicht im glorifizierenden Sinne eines Alexander Gauland, sondern kritisch, um zeitgemäße Wertvorstellungen daraus abzuleiten. Vielleicht schaffen wir so, bis zur Fußball-Europameisterschaft 2024 wieder ein unverkrampftes Verhältnis zu einem bunten, inklusiven Deutschlandbild zu gewinnen.
Titelbild: onnola - CC BY-NC-ND 2.0