In Deutschland gibt es keine Mindestrente. Dieser Professor will das ändern
Unser Rentensystem ist nicht zukunftssicher. Die »1.000-Euro-Rente« soll die Staatskasse entlasten und gleichzeitig jedem ein auskömmliches Leben im Alter ermöglichen.
Eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Vielleicht verbringen wir einen güldenen Lebensabend mit einem Gläschen Riesling auf dem Balkon. Vielleicht müssen wir aber auch jeden Euro und jeden Kryptocoin 2-mal umdrehen, weil uns Globalisierung und Automatisierung unsere Jobs genommen haben und unsere Rente entsprechend mickrig ist.
Diese Sorge haben immerhin 4 von 10 Deutschen – zumindest bejahten 39% der Teilnehmer der jüngsten »Ängste in Deutschland«-Umfrage Ängste Die Bundesregierung hat gerade versprochen, dass die Renten bis zum Jahr 2025 nicht unter 48% des früheren Durchschnittsgehalts sinken. Ein Mindestlohnempfänger würde so auf rund 500 Euro Rente kommen – das ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig.
Könnte man den Rentnern von morgen nicht eine staatliche Mindestrente garantieren? Könnte man nicht auch das Pferd von hinten aufzäumen und den Rentnern von morgen statt so einer Quote eine staatliche Mindestrente garantieren? Eine Art für Rentner, die lange genug eingezahlt haben? und auch für Deutschland haben Fachleute schon einmal ein Konzept für eine garantierte Mindestrente vorgelegt, die sogar noch den Staatshaushalt entlasten und vom demografischen Wandel unabhängig sein soll. Die »1.000-Euro-Rente« nennt der Berliner Rechtsprofessor Hans-Peter Schwintowski seinen Plan. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, wie das genau funktioniert, und sämtliche Parteien im Bundestag gefragt, wie es mit der politischen Umsetzbarkeit aussieht.
Die Rente von morgen wird schon heute zum Problem
Die Geschichte unseres Rentensystems in seiner heutigen Form beginnt im Jahr 1957 mit Bundeskanzler Konrad Adenauer. Mit dem Versprechen einer üppigen Rente trat er den Wahlkampf zu seiner dritten Amtszeit an und erreichte damit für die Union – heute schafft sie die nicht mal mehr in Bayern. Die Kassen waren aber auch ein Jahrzehnt nach dem Krieg noch ziemlich leer, sodass die Regierung für diese soziale Wohltat nicht sofort Geld zurücklegen konnte. Also beschloss Adenauers Regierung: Das Geld, das die Jüngeren in die Rentenkassen einzahlten, sollte nicht bis zu deren Ruhestand angelegt, sondern sofort an die Älteren ausbezahlt werden. Und wenn sie eines Tages selbst in Rente gehen würden, würde die Generation ihrer Kinder dafür zahlen. Auf diesem Generationenvertrag (Umlagefinanzierung) fußt unser Rentensystem bis heute.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Demografischer Wandel wird zum wachsenden Problem
Über die Jahre wurde das System um einige Ergänzungspakete reicher:
… Sie alle sollten gesellschaftlichen Entwicklungen gegensteuern, von denen sicher der demografische Wandel der wichtigste ist: Als Deutschland unter Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard das »Wirtschaftswunder« erlebte, gab es in den Wohnungen nicht nur einen rasanten Zuwachs an Waschmaschinen, Kühlschränken und Fernsehern, sondern auch einen regelrechten Babyboom. So sehr, dass die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre heute noch als »Babyboomer« bezeichnet werden – und in jeder Statistik auf den ersten Blick zu sehen sind. Diese Generation verschaffte ihren Eltern günstige Renten – weil sie in den nächsten Jahren allmählich aber selbst in Rente gehen und weniger starke Jahrgänge sie mitversorgen müssen, gerät der Generationenvertrag
Auf weniger Beitragszahler kommen künftig mehr Rentner. Bereits jetzt reichen die Beiträge nur noch für 2/3 der Renten. Den Rest, Mit jedem Jahr, in dem mehr Erwerbstätige in Rente gehen als neu dazukommen, wächst die Finanzierungslücke in den Rentenkassen. Der demografische Wandel hat sich schon lange angedeutet – Rentenreformen wie zuletzt in diesem Sommer waren bislang aber eher kleinere Reparaturen, um die größten Unwuchten zu korrigieren.
Um den von Adenauer versprochenen »Wohlstand für alle« für die Rentner von morgen zu sichern, ist unser aktuelles Rentensystem längst nicht mehr ideal – dabei gäbe es Konzepte, die vom demografischen Wandel nicht so leicht aus der Fassung gebracht werden können.
Wie funktioniert die »1.000-Euro-Rente«?
Seinem Konzept liegt ein ähnlicher Gedanke zugrunde wie dem Es soll Menschen eine Absicherung garantieren, damit sich die bisherigen Unsicherheiten der Altersvorsorge in Wohlgefallen auflösen.
500 Euro sollen weiterhin aus einem Umlagemodell wie der jetzigen Rentenversicherung kommen.
Die restlichen 500 Euro sollen aus breit gestreuten Indexfonds kommen. Der Clou, weshalb das System laut den Professoren für alle Beteiligten günstiger wäre als die bisherige Rentenfinanzierung, ist, dass Bürger bereits von Geburt an einzahlen sollen.
Obwohl die Grundrente höher wäre als heute, würde der Staat nach Berechnungen der Professoren enorm viel
Die Hälfte der 1.000-Euro-Rente würde also aus einer Finanzanlage kommen. Viele Menschen beginnen erst nach dem Berufseintritt, – nach Ansicht der Professoren verschenken sie so viel Rendite, die sie mit einem früheren Einstieg leicht und risikoarm erzielen könnten. In ihrem Konzept rechnen sie mit unterschiedlichen Annahmen, wie schnell das Vermögen an den Börsen wachsen könnte. Der optimistischste Wert in der Berechnung ist 5% jährliche Rendite über 65 Jahre, was nach Analysen der Professoren in den vergangenen 100 Jahren trotz Finanzkrisen durchaus realistisch gewesen wäre. Eine auskömmliche Rente mit 220 Euro jährlich Bei 5% Rendite müsste jeder, wenn er bei Geburt damit beginnt, nur noch 220 Euro pro Jahr in einen Fonds einzahlen, um nach Renteneintritt
Damit es von Beginn an Kapital gibt, das sich vermehren kann, schlagen die Professoren eine Einmalzahlung von 4.500 Euro bei Geburt vor. Für junge Eltern ist das eine Stange Geld – deshalb könnte sich Hans-Peter Schwintowski auch verschiedene Zuschussmodelle vorstellen, bei denen der Staat den Sparbetrag vorstreckt. »Irgendeine Art von Zuschuss wird es wohl immer geben müssen. Die Alternative, später zuzuschießen, ist nur ungleich teurer, weil wir als Gesellschaft dann auf 70 Jahre verzichten.« Auch für Geringverdiener, Langzeitarbeitslose und Erwerbsunfähige sollte laut Schwintowski der Staat weiter aufkommen.
Trotzdem würden durch die Anlagefinanzierung die staatlichen Kassen stark entlastet – und im Übrigen auch die Beiträge der Arbeitnehmer stark gesenkt. Schwintowski sagt, dass das Modell langfristig gewaltige Überschüsse hervorbringen dürfte. Ob diese die Renten zusätzlich absichern oder zumindest teilweise an die Rentner ausgeschüttet werden sollten, müsse dann die Politik beantworten.
Damit die Fonds nicht zu empfindlich auf wirtschaftliche Hoch- und Tiefphasen reagieren, müssen sie breit aufgestellt sein, also sowohl Aktien aus verschiedenen Ländern als auch aus verschiedenen Branchen enthalten. Es sollte verschiedene Fonds zur Auswahl geben, damit Sparer eigene Schwerpunkte setzen und zum Beispiel nur in nachhaltige Industriezweige investieren können. »Die Europäische Gemeinschaft würde uns wahrscheinlich sowieso zwingen, Wahlfreiheiten zu lassen«, sagt Schwintowski. Unabhängig davon, für welchen Fonds man sich entscheidet, sollten alle das Gleiche ausgezahlt bekommen. Es ist also ein bisschen so wie bei der Wahl des Stromversorgers, bei der jeder am Ende den gleichen Strom aus der Steckdose bekommt, über seine Wahl aber einen Einfluss darauf hat, welche Energiequellen ausgebaut werden.
Bleibt, wie beim bedingungslosen Grundeinkommen auch, noch die ganz praktische Frage: Wie kann die Umstellung des Rentensystems auf so ein völlig anderes Konzept gelingen?
Schwintowski plädiert für einen Übergang nach Altersklassen. Wer zum Zeitpunkt der Einführung älter als 55 Jahre ist, soll nach dem alten System Rente bekommen – soll sofort vollwertigen Anspruch auf die 1.000-Euro-Rente haben. Den Jahrgängen dazwischen soll schrittweise die alte Rente gekürzt werden – weil dadurch aber auch ihre Lohnnebenkosten sinken, ergeben sich für sie Möglichkeiten, in den Kapitaltopf einzuzahlen und so am Ende ihres Berufslebens auch die 1.000-Euro-Rente zu bekommen.
»Wir basteln hier ein Modell für eine Grundversorgung«, sagt Schwintowski. Das heißt ausdrücklich auch, dass diejenigen, die heute auf höhere Renten zusteuern, auch in diesem System die Gelegenheit hätten, ihre eigenen Sparanteile zu erhöhen oder nebenbei komplett private Altersvorsorge zu betreiben.
Schwintowski und seine Kollegen hatten das Konzept bereits 2013 der damaligen Sozialministerin Ursula von der Leyen vorgestellt. Dann wurde neu gewählt, von der Leyen wechselte ins Verteidigungsressort und bei der Rente blieb alles beim Alten.
Seitdem ist viel passiert: Die Globalisierung und der Klimawandel bringen eine wachsende Zahl von Menschen dazu, Deutschland und Europa reiben sich an der Migrationsfrage auf, Individuelle Ängste vor einem Abstieg sind ein wichtiger Grund geworden, warum Populisten und Rechtsextreme, die einfache Lösungen und Abschottung predigen, beängstigend viel Zulauf haben. Wäre es da nicht an der Zeit, einen neuen Aufbruch für eine auskömmliche Garantierente zu starten, die eine der größten Ängste, nämlich die vor Altersarmut, im Keim ersticken würde?
Zumindest der überwiegende Teil der politischen Landschaft sieht das bislang nicht so. Ich habe die rentenpolitischen Sprecher aller Fraktionen im Bundestag angefragt, was sie von diesem Konzept halten und wie sie anderweitig die Rente zukunftssicher machen wollen.
CDU/CSU: Die größte Bundestagsfraktion hat mir kein exklusives Statement auf die Anfrage gegeben, sondern stattdessen 2 Beiträge des sozialpolitischen Sprechers Peter Weiß weitergeleitet, aus denen die grundsätzliche Haltung der Fraktion klar werden sollte. Zum konkreten Vorschlag der 1.000-Euro-Rente hieß es aus der Pressestelle, die Unionsfraktion sehe »für einen Systemwechsel keinerlei Notwendigkeit.« In einem der Beiträge schrieb Weiß: »Die vollständige Sicherung des Lebensstandards war nie die alleinige Aufgabe der gesetzlichen Rente.« Zusätzlich müssten Bürger privat vorsorgen. In einem Gastbeitrag für die schrieb Weiß, Erwerbsminderungsrente und Mütterrente sollten zur Entschärfung der Altersarmut beitragen. Außerdem schlug er vor, die Betriebsrenten zu stärken – meine Nachfrage, wie das mit immer kürzeren Arbeitsverträgen einhergehen soll, blieb unbeantwortet.
SPD: Ralf Kapschack, rentenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, teilte mir mit, er halte »von dem Vorschlag in dieser Form nichts«: Vorsorge über den Kapitalmarkt solle machen, wer wolle. Allerdings solle die Rente nicht vom Kapitalmarkt abhängig gemacht werden. Nach seiner Ansicht muss die Politik darüber nachdenken, »ob die Finanzierung des Sozialstaates in Zukunft nicht stärker über Steuern geschehen muss.« Versicherungsfremde Leistungen wie die Mütterrente sollten ausschließlich über Steuergelder finanziert werden. Die SPD nähert sich der Idee einer garantierten Rente zumindest zaghaft an: Kapschack kündigt für das Jahr 2019 eine Grundrente an, »die mindestens 10% über der Grundsicherung liegt.«
AfD: Die AfD reagierte als einzige Fraktion überhaupt nicht auf meine Anfragen – Mails blieben unbeantwortet, mehrfach klingelte sogar das Telefon in der Pressestelle vergebens. Vermutlich liegt das daran, dass die größte Oppositionsgruppe im Bundestag selbst kein eigenes Rentenkonzept hat. Im nächsten Jahr soll ein Parteitag darüber Klarheit bringen. Parteichef Jörg Meuthen will den Generationenvertrag komplett abschaffen und Der Thüringer Landeschef Björn Höcke will Arbeitnehmern ohne deutsche Staatsangehörigkeit die Rente komplett streichen.
FDP: Der rentenpolitische Sprecher, Johannes Vogel, fordert eine »echte Modernisierung des Systems« mit flexiblem Eintrittsalter, einem individualisierten Baukastensystem und aktienintensiverer Altersvorsorge. Die 1.000-Euro-Rente sieht er als »Flatrate-Rente« und findet: »Die Grundregel, dass die Auszahlung von der jeweiligen Einzahlung abhängen sollte, hat sich bewährt.« Er sieht für solche Vorhaben nicht die notwendigen Mehrheiten.
Linke: Matthias Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, steht »dem neuen Modell, das auf Renditen von 5% und Zinseszinseffekten, also auf völlig unrealistischen Kapitalmarkterwartungen aufbaut, sehr skeptisch gegenüber«. Für seine Partei führt »kein Weg an einer gestärkten gesetzlichen Rente vorbei«. Die Linke fordert sogar eine »solidarische Mindestrente in Höhe von derzeit 1.050 Euro netto. Diese Mindestrente soll – wie in Österreich – als Zuschlag gezahlt werden, wenn das jeweilige Alterseinkommen 1.050 Euro netto unterschreiten sollte.«
Grüne: Der grüne Sprecher für Rentenpolitik, Markus Kurth, hält einen Ausstieg aus dem Generationenvertrag für »weder politisch durchsetzbar noch sinnvoll«. Im Gegenteil sei die gesetzliche Rente besonders sicher: »Trotz der Finanzkrise stiegen in den letzten Jahren die Renten. Keine private Versicherung kann diese Leistungen in diesem Umfang und zu solchen Konditionen bieten.« Nach Ansicht der Grünen sollen ein höherer Steuerzuschuss und höhere Beiträge die Renten nachhaltig absichern. Außerdem fordert er eine garantierte Mindestrente aus dem gesetzlichen Topf: »Wer 30 Versicherungsjahre hat, erhält nach heutigem Stand eine steuerfinanzierte Garantierente in Höhe von rund 960 Euro.«
Ein Sprecher der Unionsfraktion schickte mir auf meine Fragen zunächst
Auf meine schickte der Sprecher mir diesen Text von Weiß über eine Studie des DIW:
Die Studie des DIW offenbart bemerkenswerte Ergebnisse. Nicht neu ist, dass bei vielen Menschen beim Renteneintritt eine Versorgungslücke zutage treten kann. Wichtig ist aber, dass dies in vielen Fällen auch vermieden werden kann. So zeigt die Studie, dass die Lücke dort größer ist, wo der frühestmögliche Zeitpunkt für den Ruhestand gewählt wird. Beim Verbleib im Erwerbsleben bis zum durchschnittlichen Renteneintrittsalter wird das Risiko einer Lücke deutlich reduziert. Jedes Hinausschieben des Rentenbeginns auch über die Regelaltersgrenze hinaus erhöht die Rente spürbar.
Zudem wird in der Studie deutlich, dass Eigenvorsorge die Lücke schließen kann. Ohne zusätzliche Vorsorge wird es kaum möglich sein, den Lebensstandard zu sichern. Das war auch schon in der Vergangenheit immer so. Die vollständige Sicherung des Lebensstandards war nie die alleinige Aufgabe der gesetzlichen Rente, denn sie hat nie zu 100% das Arbeitseinkommen ersetzt. Das ließ sich immer nur erreichen im Zusammenspiel mit einer Zusatzversorgung, einer Betriebsrente oder einer Privatvorsorge, zu der auch ein abbezahltes Eigenheim gehören kann. Die Studie offenbart, dass oft nicht in ausreichendem Maße zusätzlich vorgesorgt wird.
Schließlich zeigt die Studie auf, wo noch Handlungsbedarf besteht. Viele Menschen werden von dem aktuellen Rentenpaket profitieren, das die Koalition vor kurzem auf den Weg gebracht hat. Damit werden beispielsweise die Renten von vielen Millionen Frauen verbessert. Auch für Erwerbsunfähige gibt es erhebliche Verbesserungen. Mit den Haltelinien garantieren wir Stabilität bis 2025. Auch für die Zeit danach wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion für eine zukunftssichere Alterssicherung sorgen. Wir werden die Ergebnisse der von der Bundesregierung eingesetzten Rentenkommission abwarten und dann politisch bewerten.
Ralf Kapschack, SPD
Inwieweit halten Sie angesichts der sozialen Realitäten in Deutschland die Idee einer staatlich garantierten Mindestrente für zielführend?
Ralf Kapschack:
Eine auskömmliche Rente im Alter ist eines der zentralen Versprechen des Sozialstaates. Daran muss sich staatliche Sozialpolitik messen lassen. Da hat es in den vergangenen Jahren jedoch Fehlentwicklungen gegeben, wie zum Beispiel die Absenkung des Rentenniveaus. Das werden wir jetzt korrigieren. Denn jede und jeder soll sicher sein können: Wer lange gearbeitet hat, muss im Alter eine entsprechende Absicherung oberhalb der Grundsicherung haben. Deshalb wollen wir im kommenden Jahr eine Grundrente einführen, die mindestens 10% über der Grundsicherung liegt.
Der demografische Wandel setzt die Finanzierung über einen Generationenvertrag zunehmend unter Druck. Inwieweit halten Sie einen Ausstieg aus dem derzeitigen Generationenvertrag hin zu einem Ansatz, der robuster gegenüber demografischen Veränderungen ist, für politisch umsetzbar?
Ralf Kapschack:
Die Ausgaben für die gesetzliche Rente haben sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Die Ausgaben, gemessen am Bruttosozialprodukt, haben sich jedoch kaum verändert. Das zeigt, dass die absoluten Zahlen wenig aussagekräftig sind. Die Zahl der Beschäftigten und deren Löhne und Gehälter sind genauso entscheidend wie die Zahl der Rentnerinnen und Rentner. Man wird daher über die Ausweitung der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung nachdenken müssen und darüber, ob die Finanzierung des Sozialstaates in Zukunft nicht stärker über Steuern geschehen muss. Außerdem sollten versicherungsfremde Leistungen – wie zum Beispiel die Mütterrente – ausschließlich über Steuergelder finanziert werden.
Wie bewerten Sie den beschriebenen Vorschlag, die gesetzliche Rente jeweils zur Hälfte aus staatlichen Umlagen und aus zertifizierten Kapitalanlagen zu finanzieren?
Ralf Kapschack:
Jeder, der kann und will, soll Vorsorge auch über den Kapitalmarkt durchführen. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass die Renten vom Kapitalmarkt abhängig gemacht werden sollten. Daher halte ich von dem Vorschlag in dieser Form nichts.
AfD
Die AfD reagierte als einzige Fraktion überhaupt nicht auf meine Anfragen – Mails blieben unbeantwortet, mehrfach klingelte sogar das Telefon in der Pressestelle vergebens. Vermutlich liegt das daran, dass die größte Oppositionsgruppe im Bundestag selbst kein eigenes Rentenkonzept hat. Im nächsten Jahr soll ein Parteitag darüber Klarheit bringen. Parteichef Jörg Meuthen will den Generationenvertrag komplett abschaffen und Der Thüringer Landeschef Björn Höcke will Arbeitnehmern ohne deutsche Staatsangehörigkeit die Rente komplett streichen.
Johannes Vogel, FDP
Johannes Vogel antwortete mit einem zusammenhängenden Text auf meine 3 Fragen:
Für uns ist klar, dass sich bei der Rente etwas grundlegend ändern muss, wir brauchen eine echte Modernisierung des Systems. Und dabei ist es besonders wichtig, dass die Menschen mehr Freiheiten erhalten: Seit Bismarcks Zeiten entscheiden Politiker, wann die Menschen in Rente gehen – das ist nicht mehr zeitgemäß. Moderner und vor dem Hintergrund der großen Anzahl an vielfältigen Lebensläufen wäre es besser, die Menschen selbst entscheiden zu lassen, wann sie in Rente gehen. Ein solches flexibles Renteneintrittsalter machen uns die Schweden und Norweger bereits erfolgreich vor. Wer früher in Rente geht, erhält weniger, und wer später geht, bekommt mehr – das ist fair. Schließlich müssen wir alle Hinzuverdienstgrenzen neben dem Rentenbezug abschaffen, sodass auch gleitende Übergänge und Teilrentenmodelle einfach möglich werden.
Darüber hinaus müssen wir die kapitalgedeckte Altersvorsorge endlich besser machen. Wir müssen mehr Anlageformen ermöglichen, vor allem auch höhere Aktienanteile. Dies sollte jeder individuell nach einem Baukastensystem nutzen können, denn die Lebensformen sind heutzutage so unterschiedlich, dass uns eine Einheitslösung für alle nicht mehr überzeugt. Hierfür müssen wir auch die bereits bestehenden Produkte besser machen, beispielsweise durch eine deutliche Vereinfachung und eine stärkere Vergleichbarkeit der Produkte, durch eine Förderung unabhängig von der Erwerbsform, sodass man diese auch ganz einfach durch Zick-Zack-Lebensläufe mitnehmen kann und insbesondere eben durch breitere Möglichkeiten der Kapitalanlage. Zudem benötigen wir ein Online-Vorsorgekonto, damit jeder ganz einfach digital die Altersvorsorgeansprüche aus all seinen Vorsorgebausteinen auf einen Blick einsehen kann.
Letztlich ist das vorgestellte Modell weniger eine Mindestrente, sondern vielmehr eine Flatrate-Rente im Zusammenhang mit einer Abkehr von der gesetzlichen Rentenversicherung, wie wir sie kennen, und ihrem Äquivalenzprinzip. Ich sehe für solche Vorhaben nicht die notwendigen Mehrheiten, die im Übrigen über Jahrzehnte Bestand haben müssten. Die Grundregel, dass die Auszahlung von der jeweiligen Einzahlung abhängen sollte, hat sich bewährt. Das Ziel einer guten Mindestsicherung kann man auch anders erreichen: Wer sich anstrengt und vorsorgt, muss sicher mehr haben als die Grundsicherung und mehr als der, der das nicht getan hat. Deswegen brauchen wir Freibeträge auf die eigene Altersvorsorge in der Grundsicherung im Alter. Und wir müssen Beantragung und Auszahlung unter dem Dach der gesetzlichen Rentenversicherung zusammenführen. So wäre sichergestellt, dass niemand, der Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat, im Alter aufs Sozialamt gehen muss.
Während das Rentenpaket der Großen Koalition eine echte Enttäuschung ist und viel zu wenig gegen Altersarmut tut, trete ich für eine nachhaltige Modernisierung des Rentensystems mit einem flexiblen Renteneintritt, einer Stärkung der privaten Altersvorsorge und zielgenauen Ausrichtung aller Maßnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Verhinderung die Altersarmut ein.
Matthias Birkwald, Die Linke
Inwieweit halten Sie angesichts der sozialen Realitäten in Deutschland die Idee einer staatlich garantierten Mindestrente für zielführend?
Matthias Birkwald:
»Die Linke« tritt für eine solidarische Mindestrente ein, die die gesetzliche Rente ergänzt und somit stärkt. Konkret fordert »Die Linke« eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente in Höhe von derzeit 1.050 Euro netto. Diese Mindestrente soll – wie in Österreich – als Zuschlag gezahlt werden, wenn das jeweilige Alterseinkommen 1.050 Euro netto unterschreiten sollte. Armutsbekämpfung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deshalb soll dieser Zuschlag aus Steuermitteln finanziert werden. Um Stigmatisierungen zu vermeiden, soll die solidarische Mindestrente von der Deutschen Rentenversicherung verwaltet und ausbezahlt werden. Eine 65-Jährige mit einer Altersrente von 800 Euro und einer Riester-Rente in Höhe von 50 Euro würde dann einen Zuschlag von 200 Euro erhalten. Hohe Mieten würden durch ein reformiertes Wohngeld bezahlt.
Der demografische Wandel setzt die Finanzierung über einen Generationenvertrag zunehmend unter Druck. Inwieweit halten Sie einen Ausstieg aus dem derzeitigen Generationenvertrag hin zu einem Ansatz, der robuster gegenüber demografischen Veränderungen ist, für politisch umsetzbar?
Matthias Birkwald:
»Die Linke« kritisiert eine einseitige Fixierung auf das Argument des demographischen Wandels, der die gesetzliche Rente unter Druck setzen würde und deshalb angeblich um kapitalgedeckte Systeme ergänzt werden müsse. Wir betonen stattdessen, dass nicht nur die Altersstruktur einer Gesellschaft, sondern gerade auch die Erwerbsbeteiligung (zum Beispiel von Älteren, Frauen und Migrant*innen), die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse und die Höhe der Löhne sowie die Produktivität über die zukünftigen Verteilungsspielräume entscheiden!
Wenn die Produktivität je Erwerbstätigem auch weiterhin Jahr für Jahr nur um 1% stiege, wüchse der Kuchen (das Bruttoinlandsprodukt real in Preisen von 2015) von 3 Billionen Euro (2015) auf 3,8 Billionen Euro an. Das hieße: Auch das Kuchenstück (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) wüchse von 37.000 Euro auf 50.242 Euro. Trotz Bevölkerungsrückgang und trotz Alterung!
Auch die Beitragssätze für die Rente sind mit 18,6% auf dem niedrigsten Stand seit 1996. Hätten die Rentenniveaukürzungsparteien SPD, Grüne, CDU, CSU und FDP den Beitragssatz für die von den Arbeitgebenden und den Beschäftigten zu gleichen Teilen zu finanzierende gesetzliche Rente nicht gekürzt und nicht gleichzeitig die Beschäftigten gezwungen, 4% ihres Bruttolohns in unrentable Riesterprodukte zu stecken, dann wäre ein höheres Rentenniveau von 53% auch langfristig gut zu finanzieren.
Wie bewerten Sie den beschriebenen Vorschlag, die gesetzliche Rente jeweils zur Hälfte aus staatlichen Umlagen und aus zertifizierten Kapitalanlagen zu finanzieren?
Matthias Birkwald:
Aufgrund der vorherigen Ausführungen sehen wir keine Notwendigkeit, die umlagefinanzierte gesetzliche Rente stark zu schwächen und das Alterssicherungssystem auf ein komplett neues System umzustellen. Wir stehen dem neuen Modell, das auf Renditen von 5% und Zinseszinseffekten, also auf völlig unrealistischen Kapitalmarkterwartungen aufbaut, sehr skeptisch gegenüber. Arbeitgeber*innen werden aus der Finanzierungsverantwortung komplett entlassen. Denn genau die kapitalgedeckte Riester-Rente, aber auch viele Betriebsrenten, bei denen sich die Arbeitgeber aus der finanziellen Verantwortung zurückgezogen haben, stehen aktuell massiv unter Druck. Die gesamte Lebensversicherungsbranche steckt aktuell in einer Krise. Deshalb führt für »Die Linke« kein Weg an einer gestärkten gesetzlichen Rente vorbei. Den Weg dahin haben wir im ausführlich beschrieben.
Markus Kurth, Grüne
Inwieweit halten Sie angesichts der sozialen Realitäten in Deutschland die Idee einer staatlich garantierten Mindestrente für zielführend?
Markus Kurth:
Das Problem der Altersarmut ist schon jetzt vorhanden und es wird angesichts unsteter Erwerbsbiographien, von Niedriglöhnen und Teilzeitbeschäftigungen weiter zunehmen. Nach Grüner Auffassung sollte die Rentenversicherung deshalb durch eine Garantierente sicherstellen, dass alle Menschen, die den größten Teil ihres Lebens gearbeitet, Kinder erzogen, Menschen gepflegt oder sonstige Anwartschaften in der Rentenversicherung erworben haben, im Alter eine Rente beziehen, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Wer 30 Versicherungsjahre hat, erhält nach heutigem Stand eine steuerfinanzierte Garantierente in Höhe von rund 960 Euro.
Der demografische Wandel setzt die Finanzierung über einen Generationenvertrag zunehmend unter Druck. Inwieweit halten Sie einen Ausstieg aus dem derzeitigen Generationenvertrag hin zu einem Ansatz, der robuster gegenüber demografischen Veränderungen ist, für politisch umsetzbar?
Markus Kurth:
Ein »Ausstieg aus dem Generationenvertrag«, also die faktische Auflösung der heutigen Rentenversicherung, ist weder politisch durchsetzbar noch sinnvoll. Im Gegenteil: Die gesetzliche Rente ist die Grundlage unseres Alterssicherungssystems. Neben der Altersrente umfasst sie die Erwerbsminderungsrente, Reha-Leistungen und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Die Rentenansprüche sind pfändungssicher. Trotz der Finanzkrise stiegen in den letzten Jahren die Renten. Keine private Versicherung kann diese Leistungen in diesem Umfang und zu solchen Konditionen bieten.
Um die Rentenversicherung und das Rentenniveau dauerhaft zu stabilisieren, müssen wir das heutige Alterssicherungssystem aber in der Tat strukturell erneuern. Wir Grünen schlagen einen Maßnahmenmix vor: Ein höherer Steuerzuschuss und moderat höhere Beiträge ab 2030 sind wichtige Elemente einer nachhaltigen Finanzierung, aber längst nicht alle. Insbesondere die Einführung einer Bürgerversicherung in der Rente würde dazu beitragen, über den »demografischen Berg«, die Rentenphase der sogenannten Babyboomer, ein Stück weit hinweg zu kommen. Darüber hinaus müssen wir älteren Beschäftigten ein gesünderes und längeres Arbeiten ermöglichen und die Erwerbsbeteiligung von Frauen ausweiten.
Wie bewerten Sie den beschriebenen Vorschlag, die gesetzliche Rente jeweils zur Hälfte aus staatlichen Umlagen und aus zertifizierten Kapitalanlagen zu finanzieren?
Markus Kurth:
Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine Einkommensversicherung und keine bessere Form der Sozialhilfe. Im Kern schlägt der beschriebene Ansatz aber genau das vor und fordert darüber hinaus eine verpflichtende private Altersvorsorge, um überhaupt eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu erreichen. Das nützt vielleicht den Arbeitgebern, die sich über einen geringen Rentenbeitragssatz freuen, oder der Finanzwirtschaft, die sich Gewinne erhofft. Den Beschäftigten aber ist dieser Vorschlag nicht zu vermitteln, denn sie erwarten zu Recht eine verlässliche Alterssicherung, mit der sie ihren im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard wahren können. Dafür braucht es vor allem eine starke Rentenversicherung. Die Altersvorsorge über den Kapitalmarkt kann diese nicht ersetzen. Sie kann sie bestenfalls ergänzen. Dazu haben wir Grünen mit dem öffentlich verwalteten und damit sicheren, einfachen und transparenten Bürgerfonds bereits ein Konzept vorgelegt.
In diesem Jahr hat die Koalition erst einmal das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 festgeschrieben: So lange soll jeder Rentner, der 45 Jahre lang eingezahlt hat, garantiert Der weitere Sinkflug dieses Niveaus ist um ein paar Jahre verschoben – aber es ist absehbar, dass es langfristig weiter sinken wird.
Kommt danach die größere Reform? Das hängt auch davon ab, wie sich die politischen Kräfte verändern, wie viel Druck die machen. Wenn wir wollen, dass Altersarmut bis zu unserem letzten Arbeitstag ein Fremdwort wird, sollten wir heute anfangen, uns dafür einzusetzen.
Wie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina WiegmannWie du dich aktiv für ein politisches Ziel umsetzen kannst, erklärt der Jura-Professor Alberto Alemanno in diesem Interview von Katharina Wiegmann
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Wenn Zugvögel im Schwarm fliegen, beeinflusst jedes einzelne Tier die Richtung aller – das hat David bei einer Recherche gelernt. Sonst berichtet er eher über Menschen, stellt sich dabei aber eine ganz ähnliche Frage: Welche Rolle spielt der einzelne Wähler und Verbraucher, welchen Einfluss hat jeder von uns auf die Gesellschaft? David recherchiert gern unterwegs, studiert hat er Musikmanagement, Englisch und Journalismus.