Fast alle wollen ins Homeoffice! Mit diesen 5 Regeln klappt es wirklich
Es gehört mehr dazu, als klare Grenzen zu ziehen, erklären mir diese 3 Profis.
Mein erster Tag im Homeoffice war eine Verheißung. Ich saß um 8:30 Uhr auf dem Balkon, war ausgeschlafen, die Sonne schien. Gelegentlich richtete ich meinen Blick von der Zeitung, die ich in Ruhe lesen konnte, auf die Straße. Dann sah ich in die ausdruckslosen Gesichter meiner Nachbarn, die sich auf den Weg zur Arbeit machten, und fragte mich: Freuen die sich auf ihren Tag?
Ich freute mich auf meinen. Denn ich musste mich nicht durch den morgendlichen Verkehr quälen, musste nicht über die immer gleiche Türschwelle das Büro betreten, nicht mindestens 8 Stunden die immer gleichen Kollegen erleben (und mitunter erleiden). Ab sofort bestimmte ich an meinen Homeoffice-Tagen selbst, wann ich meinen Arbeitstag begann, wann ich Pause machte und wann ich ihn beendete.
Mit dem Wunsch, von zu Hause zu arbeiten, Mit dem Wunsch, von zu Hause zu arbeiten, bin ich nicht allein.
bin ich nicht allein. Nach einer aktuellen
Warum auch nicht? Schließlich gelten Heimarbeiter als fokussierter, produktiver und
Doch so verlockend die Vorzüge des Homeoffice auf den ersten Blick scheinen – auch ich habe nach der ersten Euphorie gemerkt: Die Sache mit der Heimarbeit ist kein Selbstläufer. Ohne feste Strukturen geht es nicht. Deshalb habe ich mich bei Wissenschaftlern, Unternehmen und Coaches umgehört und die 5 wichtigsten Regeln für ein erfolgreiches Homeoffice aufgestellt:
1. Setze Grenzen, wo eigentlich keine sind!
Schnell musste ich feststellen, dass die neu gewonnene Freiheit auch neue Probleme schafft. Ich kann nicht einfach die Bürotür schließen, wenn meine Tochter sich im Wohnzimmer neue Fantasiewörter zusammenreimt oder unter größter körperlicher Anstrengung versucht, sich auf die Seite zu rollen.
Natürlich ist die Nähe zur eigenen Familie etwas Wunderbares, das Energie spendet. 5 Tage im Büro zu sitzen und meiner Tochter nur »Guten Morgen« und »Gute Nacht« sagen zu können, ist für mich Die Nähe zur eigenen Familie ist etwas Wunderbares, das Energie spendet.
Ich finde es sehr erleichternd und befreiend, niemanden um Erlaubnis bitten zu müssen, wenn ich mein Kind zum Arzt begleiten muss. Ist der eigene Haushalt gleichzeitig auch Büro, verwischen aber auch die Grenzen von Beruf und Privatleben schneller.
Für 64% der
Untersucht hat diesen Zusammenhang die Sozialwissenschaftlerin Yvonne Lott. Sie arbeitet bei der Hans-Böckler-Stiftung und sagt: »Die Arbeit im Homeoffice erfordert ein gutes Grenzmanagement.« Damit meint sie Regeln, die dabei helfen, die Trennung von Arbeit und Privatleben sinnvoll selbst zu organisieren.
Weil die räumlichen und zeitlichen Grenzen im Homeoffice fließend sind, ist es wichtig, Störungen zu vermeiden. Natürlich will ich mein brabbelndes und prustendes Kind nicht als Störung bezeichnen, doch wenn ich langfristig im Homeoffice produktiv sein will, muss auch ich lernen, Ablenkungen solcher Natur zu »widerstehen«. Und damit sind nicht nur Kinder gemeint: Von Mitbewohnern bis zur piependen Waschmaschine gibt es viele Störenfriede, sodass die Arbeit in den eigenen 4 Wänden nicht zwangsläufig ungestörter verläuft.
So muss jeder seine eigenen Strategien finden, um die Durchmischung von Arbeit und Freizeit zu bewältigen. Und das beginnt beim scheinbar Banalen: Wer bis 10 Uhr schläft, sich dann direkt im Schlafanzug an den Schreibtisch setzt und die Arbeit aufnimmt, wird es schwer haben, die Grenze zwischen Privatleben und Berufstätigkeit zu ziehen.
Besser sind Übergangsrituale, die den Start und das Ende des Arbeitstages symbolisieren. Zum Beispiel die Kleidung zu wechseln
2. Vereinbare Regeln für Arbeitszeit und Erreichbarkeit!
Wer Feierabend haben möchte, braucht nicht nur eine Jogginghose, sondern auch eine Vorstellung davon, wie lange ein Arbeitstag dauert. Mein Arbeitstag im Homeoffice beginnt meistens gegen 9.30 Uhr und endet gegen 18 Uhr – je nach Lust und Laune auch mal später. Meine lange Mittagspause erlebe ich als große Bereicherung. Eben weil ich im Homeoffice nicht mehr zwischen dem hastig eingenommenen Fastfood und dem teuren Mittagstisch wählen muss. Ich kann mein Mittagessen selbst oder zusammen mit meiner Partnerin zubereiten. Meine Tochter schaut in ihrer Wippe vom Küchenboden aus zu.
Wer Feierabend haben möchte, braucht nicht nur eine Jogginghose.
Manchmal gehen wir danach spazieren, schauen ein wenig fern oder ich lese. Das alles funktioniert aber nur dann, wenn ich eine klare Vorstellung davon habe, wann ich die Arbeit wieder aufnehme. Tatsächlich ist die Regelung von Arbeitszeiten, Pausenzeiten und Erreichbarkeit für die Sozialwissenschaftlerin Yvonne Lott die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen der Homeoffice-Tätigkeit. Sonst kann die fehlende räumliche Trennung der Lebensbereiche dazu führen, dass die Arbeit auf der Strecke bleibt oder – im anderen Extremfall – nie endet.
Die Zeiten, die im Büro gelten, sollten daher auch zu Hause gelten. »Damit besteht Verlässlichkeit sowohl auf Seiten des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers«, sagt die Wissenschaftlerin. Es gehe dabei nicht um allgemeingültige Regeln, sondern um individuelle Lösungen für die jeweiligen Belange.
Schnell gewöhnte ich mir daher geregelte Arbeitszeiten an – inklusive einer gewissen Flexibilität. Um dem Problem der Entgrenzung zu entgehen, muss aber auch »die andere Seite« Bescheid wissen: Denn was nützt eine geregelte Arbeitszeit, wenn meine beruflichen Kontakte davon nichts wissen? Was nützt eine geregelte Arbeitszeit, wenn meine beruflichen Kontakte davon nichts wissen?
So erhalte ich auch in der Mittagspause, nach Feierabend oder an arbeitsfreien Tagen Anrufe und Nachrichten. Zwar schalte ich das Handy abends aus, bin aber während der üblichen Arbeitszeiten immer erreichbar. Ist das klug? Yvonne Lott kennt einen einfachen Trick: Wer statt des privaten Handys ein zusätzliches Diensthandy nutzt, kann das in der Mittagspause und nach Feierabend einfach abschalten.
Die Arbeitszeit zu regeln bedeutet also auch, die Erreichbarkeit zu regeln. Gemeinsam mit dem Arbeitgeber sollte jeder im Homeoffice festlegen, wie oft und wie schnell er seine E-Mails während der regulären Arbeitszeit beantworten soll und andere Aufgaben erledigt, die sonst im Flur geklärt werden. »Wenn klar geregelt ist, dass Beschäftigte auch mal für ein paar Stunden offline sein können, ist der Druck nicht da, durch schnelles E-Mail-Beantworten signalisieren zu müssen: Ich bin da, ich arbeite«, weiß Yvonne Lott.
Dazu gehören Fragen wie:
- Wie hoch ist das
- Was passiert, wenn ein Kollege krank wird?
- Gibt es verlässliche Schichtpläne?
3. Mach es dir schön!
Homeoffice bedeutet für mich nicht, 8 Stunden im Arbeitszimmer eingesperrt zu sein, unterbrochen von einigen Pausen. Egal ob Küche, Balkon oder auch Sofa – jeder Ort kann zum Arbeitsplatz werden. Wer den ganzen Tag am
»Trau keinem Gedanken, der im Sitzen kommt.« – Friedrich Nietzsche
Mit der Frage, wie Menschen ihren mobilen Arbeitsplatz gestalten, beschäftigt sich
- Wie geht es mir am besten?
- Wie kann ich am besten produktiv arbeiten?
- Was macht es mir schwieriger?
»Darin geübte und für sich und ihre Bedürfnisse sorgende Akteure versetzen sich auf diese Weise selbst dazu in die Lage, produktiv arbeiten zu können«, sagt Désirée Bender. Was Menschen dafür benötigen, sei sehr individuell. Das könne eine Duftkerze sein, Musik, die zur Konzentration beiträgt, oder die Tasse Kaffee, die zur Unterbrechung oder Belohnung eines Arbeitsprozesses diene.
Für ihre Forschung hat Désirée Bender viele Interviews mit mobil und zu Hause arbeitenden Menschen geführt. Eine der spannendsten Erkenntnisse dabei: Häufig kommen Menschen gute Einfälle gerade in den Phasen der Unterbrechung, in denen sie den Laptop verlassen, das Badezimmer aufsuchen oder eine Waschmaschine ausräumen.
So kann ich die Tatsache, dass ich Arbeit und Privates im Homeoffice räumlich nicht trennen kann, also bewusst nutzen. Auch hier spielen die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen des Jobs eine Rolle: Gerade in Berufen, in denen es auf Kreativität und Kopfarbeit ankommt, sei die Gestaltung des Arbeitsplatzes wichtig, sagt die Soziologin.
4. Verlasse das Homeoffice!
Für mich als Journalist gilt Regel Nummer 4 ganz besonders: Will ich jemanden von Angesicht zu Angesicht interviewen oder live bei einem Geschehen dabei sein, muss ich vor die Tür. Abgesehen von wenigen bekannten Stubenhockern wie dem
Welches Maß an Homeoffice und Office ist also besonders gut?
So könne die Arbeit von zu Hause für konzentriertes Arbeiten genutzt werden, die Zeit im Unternehmen wiederum dafür, an Meetings teilzunehmen und mit den Kollegen mittags essen zu gehen, sagt auch Yvonne Lott.
Die wichtigste Regel: Selbsterkenntnis
Ich habe das Gefühl, dass es mir nach einigen Monaten als Homeoffice-Arbeiter gelungen ist, Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen, Ablenkungen fernzuhalten und verlässliche Absprachen mit meinen Vorgesetzten zu treffen. Trotzdem muss das Homeoffice nicht immer der perfekte Arbeitsplatz sein – diese Frage muss sich jeder selbst beantworten.
Bist du eher ein
»Das ist sehr individuell», sagt eine, die es wissen muss. Jenny Meyer berät seit 8 Jahren als Digital Workplace Consultant Großunternehmen und internationale Konzerne. Viele Beschäftigte hätten heute eine andere Anspruchshaltung und würden gezielt nach Arbeitgebern mit flexiblen Arbeitsmodellen suchen, sagt auch sie. Aus zahlreichen Gesprächen mit Arbeitnehmern weiß sie aber, dass viele Mitarbeiter weiterhin froh über feste Strukturen sind, über Routinen und darüber, morgens um 9 Uhr in ihr Büro gehen zu können. Aber: »Unternehmen müssen erkennen, dass sie sich diverser und flexibler aufstellen müssen.«
Ob das Homeoffice zu einem passt, ist also (auch) Typsache. Während manche Menschen ein ruhiges und reizarmes Arbeitsumfeld nicht schätzen, benötigen es andere vielleicht sogar dringend, um überhaupt produktiv zu sein. Gerade für letztere kann die Arbeit von zu Hause ein großer Vorteil sein. Andere brauchen den ständigen Austausch und kommen mit der Zurückgezogenheit im Homeoffice schlecht klar. Ihnen helfen vermutlich weder Duftkerzen oder die »richtige Musik«, um sich daheim wohlzufühlen und produktiv zu arbeiten. Genau darum ist die ehrliche Einschätzung der eigenen Bedürfnisse und Präferenzen vielleicht sogar der wichtigste Schritt auf dem Weg zur Entscheidung: Homeoffice – ja oder nein?
Mein Fazit nach 6 Monaten Homeoffice
Nach mehreren Jahren in kleinen sowie Großraumbüros und nach einem halben Jahr im Homeoffice beantworte ich die Frage, ob zu Hause der perfekte Arbeitsort ist, für mich so: Mit tollen Kollegen in mehreren kleinen, benachbarten Büros zu arbeiten kann eine große Bereicherung sein, die das Homeoffice nicht zu bieten hat. Großraumbüros stellen meistens eine unzumutbare Arbeitssituation dar. Ich würde mich jedenfalls nicht auf eine Stelle bewerben, die vorsieht, dass ich 5 Tage pro Woche in einem Großraumbüro verbringe.
Ich würde mich nicht auf eine Stelle bewerben, die vorsieht, dass ich 5 Tage pro Woche in einem Großraumbüro verbringe.
Das Homeoffice kann der perfekte Arbeitsplatz sein, weil er Freiheit bringt, einen eigenen Arbeitsrhythmus sowie eigene Routinen fördert und manche Dinge des Alltags einfacher macht. Es fühlt sich weniger nach Arbeit an, weil ich keine Tasche packen muss und die typischen Büroabläufe ohne mich stattfinden. Es fühlt sich anders an, wenn ich schlafen gehe, und anders, wenn ich aufwache. Jeder muss für sich selbst herausfinden, ob dieses »anders« besser oder schlechter für ihn funktioniert. Denn wer keine Alternative zur Heimarbeit hat, keine Eingebundenheit in ein Team oder in ein berufliches Netzwerk erfährt, dem er auch außerhalb der eigenen 4 Wände von Angesicht zu Angesicht begegnet, den wird das Homeoffice irgendwann unzufrieden machen. Und das wäre schade.
Denn das Arbeiten von zu Hause ist gerade angesichts gesteigerter Digitalisierung der Arbeit, steigender Pendlerdistanzen und den Wünschen von Beschäftigten nach mehr Flexibilität eine echte Chance für die Arbeitswelt.
Titelbild: Parker Gibbons - CC0 1.0