Pinkeln kostet 70 Cent. Wenn du wüsstest, wo die hinfließen …
An unseren Autobahnen zeigt sich, was bei der Privatisierung schiefläuft. Die Lösung wird nicht jedem gefallen.
Ein süßes Mädchen von vielleicht 10 Jahren mit lockigem Haar und Flausch-Kuscheltier im Arm. Im Hintergrund plätschert Klaviermusik wie aus einem Disneyfilm. In den nächsten zweieinhalb Minuten hüpft sie über glänzende Fliesen, als entdecke sie ein Paradies voller Magie. Der Schauplatz dieser zauberhaften Erkundungstour: die Klos einer Autobahnraststätte.
Das ist der Inhalt eines bizarren Imagefilms des Unternehmens Sanifair, der im Jahr 2015 für viel Spott im Netz sorgte.
Die Verantwortlichen ließen den Film aus dem Netz löschen, sodass heute nur noch Ausschnitte und Parodien von ihm zu finden sind.
Dabei hätte es so viel Pathos nicht gebraucht, einerseits weil wohl jeder der jährlich
Sanifair ist eine 100%ige Tochterfirma der Tank & Rast GmbH, die wiederum 95% aller Raststätten an deutschen Autobahnen betreibt. Und die bestimmt den Preis für den »Luxus« des Wunderlands aus dem Werbefilm: mindestens 70 Cent für Klein und Groß, Tendenz steigend.
Ist das zu viel?
Das ist die falsche Frage. Denn Toiletten auf Autobahnen waren einmal kostenlos und die Raststätten gehörten dem Bund und damit uns allen. Doch als sie vor 20 Jahren an private Investoren verkauft wurden, die natürlich versprachen, alles besser und günstiger zu machen, begann ein Prozess, der die deutschen Autobahn-Raststätten an den Rand des finanziellen Abgrunds brachte.
Ein Wirtschaftskrimi in 5 Akten mit dem Who is Who der Finanzbranche in den Hauptrollen. Und einer Lösung, die niemand hören will.
Warum Toiletten nicht mehr kostenlos sind und Sprudel teurer als Super bleifrei ist
Keine Frage, eine Autobahn-Raststätte ist etwas anderes als die Kneipe oder der Supermarkt um die Ecke. Sie ist rund um die Uhr geöffnet und für manche Autofahrer spät nachts eine Rettung. Dass dadurch höhere Betriebs- und Personalkosten entstehen – geschenkt. Doch diese Kosten haben normale Tankstellen auch. Wie kommen dann die hohen Preise von Tank & Rast heutzutage zustande?
Die kurze Antwort ist: Es gibt ein großes Geschäft mit dem kleinen Geschäft, Getränken und Benzin. Um das zu verstehen, müssen wir bei dem Moment beginnen, als die Preisspirale in Gang gesetzt wurde:
- Erster Akt – 1998. Unsere Raststätten werden privatisiert: Der Bund unter der Regie des damaligen Verkehrsministers
- Zweiter Akt – 2003/04. Sanifair startet: Sanifair wird deutschlandweit eingeführt und erhebt erstmals Kosten aufs Wasserlassen. Ein Jahr später wechselt der Besitzer von Tank & Rast erneut: zum Briten Guy Hands mit seiner Investment-Gesellschaft Terra Firma. Der Preis ist nach gerade einmal 6 Jahren mit 1,1 Milliarden Euro bereits fast doppelt so hoch. Wirtschaftsexperten rätseln, warum dieser Kauf getätigt wird, da er nicht zu dem Investor passt und
- Dritter Akt – 2006. Finanztricks: Guy Hands macht Kasse, indem er Tank & Rast die eigenen Schulden aufbürdet, die Terra Firma für den Kauf gemacht hat. Gleichzeitig erhalten die Geldgeber eine Sonderzahlung von 400 Millionen Euro. Eine solche Rekapitalisierung ist nichts Ungewöhnliches und die gängige Vorgehensweise von
- Vierter Akt – 2007. Weiterverkauf:
Ein weiterer Investor betritt die Bühne: Die Deutsche Bank sichert sich für 1,2 Milliarden Euro 50% der Anteile an Tank & Rast. Der Handelswert des stark überschuldeten Raststätten-Unternehmens beträgt damit bereits 2,4 Milliarden Euro. Das neue Konsortium zieht im Jahr 2011 unter anderem die Preise fürs Austreten an: Ein Ausflug ins Sanifair-Wunderland kostet 0,70 Euro, an Bahnhöfen sogar bis zu 1 Euro. Die entstehenden 20 Millionen Euro Mehreinnahmen fließen nicht an die Pächter,
- Fünfter Akt – 2009. Zwischenbilanz: Nach 11 Jahren sind die Finanzinvestoren satt und der Terra-Firma-Chef Guy Hands mehr als zufrieden. Er verkauft Tank & Rast erneut an die Allianz samt Partner-Investoren: dem Münchner Versicherungskonzern Munich Re, dem kanadischen Pensionsfonds und dem Emirat Abu Dhabi. Der Verkaufspreis: 3,5 Milliarden Euro, also das 6-Fache, was der Staat zu Anfang erhalten hat. Und das für ein Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt schon auf einem
Heute stehen die Zeichen bei Tank & Rast auf Expansion. Künftig plant das Unternehmen nach eigener Aussage, verstärkt Autohöfe aufzukaufen, die abseits der Autobahn
»Warum lässt sich das Verkehrsministerium das gefallen?«
In Zukunft könnte also Schluss sein mit den günstigen Alternativen für Autofahrer, wenn sie von der Autobahn abfahren. Doch genau das Vorhandensein von Alternativen war bisher das Argument des Bundeskartellamts, auch bei 95% Marktanteil von Tank & Rast nicht einzugreifen. Herbert Quabach, Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Autohöfe e. V., warnt vor den Folgen:
Man hat uns beschieden, dass ein ausreichender regionaler Wettbewerb auf und neben der Autobahn herrsche und damit kein Handlungsbedarf bestehe. Das sehen wir nicht so.
Am Beispiel Gütersloh zeigt sich, wie das enden kann. Hier betreibt Tank & Rast bereits einen Autohof abseits der Autobahn. Und so gibt es innerhalb von 90 Kilometern bloß noch Betriebe von Tank & Rast. Nicht nur die Autofahrer, auch Herbert Quabach ärgert das: »Man muss doch für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen! Die Betrogenen sind die Urlauber und Seltenfahrer.« Auch der
Aber nicht nur die Verbraucher seien Leidtragende dieses Systems, sondern auch die Autobahn-Raststätten selbst, wie Tim Lubecki von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) kommentierte: »Die Privatisierung ist eine Katastrophe für Pächter und Beschäftigte.
Tank & Rast bewertet die Situation anders. Auf Anfrage teilte ein Unternehmenssprecher mit, dass der Betrieb der Autohöfe eine reine Ergänzung zum eigenen Kerngeschäft sei. Und weiter: »Marktrelevant ist unser Engagement abseits der Autobahn nicht, da Autohöfe erhebliche strukturelle Unterschiede zu Raststätten auf der Autobahn aufweisen. Die Kundengruppen unterscheiden sich signifikant. Die Raststätten von Tank & Rast bieten ein hochwertiges, umfangreiches Angebot für ein breites Kundenspektrum. Sie ziehen vor allem Schnellstopp-Gäste an sowie Familien, Geschäftsreisende und Stammkunden. […]«
»Der Kauf von Tank & Rast 2004 hat schon das 5-Fache des ursprünglichen Betrags eingebracht, und der Verkauf jetzt kommt noch hinzu.« – Guy Hands, Geschäftsführer des Finanzinvestors Terra Firma
Zu »Inhalten von Franchiseverträgen sowie zu deren finanziellen Details« und den »Inhalten der Kooperationsverträge mit Markenpartnern« wie zum Beispiel McDonald’s oder Burger King äußere man sich aus Wettbewerbsgründen grundsätzlich nicht.
Das zuständige Verkehrsministerium ist scheinbar mit dem Status quo zufrieden. Verkehrsminister Scheuer (CSU) reagierte bereits in der Vergangenheit bei kritischen Nachfragen von Journalisten zur Situation an den Raststätten offen ungehalten. So sieht sein Ministerium weiter untätig zu und vertraut auf die Spielregeln, die im ersten Akt, bei der Privatisierung von Tank & Rast, festgelegt wurden. Sie sind im ursprünglichen Verkaufsvertrag als
- Erhalt des bewährten Systems »Fahren, Tanken und Rasten auf der Autobahn« für die Verkehrsteilnehmer
- Erhalt der mittelständischen Pächterstruktur und deren unternehmerischer Freiheit
- Erhalt der Angebotsvielfalt bei Tankstellen und Berücksichtigung der Interessen der mittelständischen Tankstellenbetreiber
- Vermeidung von Monopolen
- Eine ganzjährige,
Und obwohl die Investoren und Betreiber diese Regeln ignorieren, finanziert der Bund sie sogar mit. Denn für den Unterhalt der Parkplätze und der Zu- und Abfahrtswege kommen weiterhin Steuermittel auf – laut Verkehrsministerium 100 Millionen Euro im Jahr 2017. Auch die modernen Schnellladesäulen für E-Autos finanzierte der Bund mit 4 Millionen Euro mit, um die Energiewende anzukurbeln. Die Gewinne aus der Nutzung
Da drängt sich die Frage auf: Warum lässt sich das Verkehrsministerium das gefallen?
Eine Antwort könnten die guten Kontakte von Tank & Rast in der Politik sein. So war eine ehemalige
Fehlt es also am Ende an politischem Willen, dem Treiben der Investoren ein Ende zu setzen?
Es gibt Regeln – sie müssen nur durchgesetzt werden
Leider ist gerade das Verkehrsministerium ziemlich verrufen dafür, dass hier die Trennlinien zwischen öffentlichen und Konzerninteressen ziemlich verwischt werden – nicht nur im Bereich Autobahn-Raststätten.
Victor Perli kennt sich mit Raststätten auf Autobahnen aus. Er war es, der als Mitglied des Bundestags und Haushaltsexperte für Die Linke
Selbst wenn Verhandlungsbereitschaft signalisiert werden würde, sind weitere Schwierigkeiten denkbar: »Es ist anzunehmen, dass die letzten Käufer mindestens den Kaufpreis sehen wollen würden, den sie zuletzt gezahlt haben.« Also nicht 640 Millionen Euro wie im Jahr 1998, sondern mindestens 3,5 Milliarden wie im Jahr 2009.
Doch genau in einem solchen Fall könnten die vernachlässigten Pflichten und die 70 Cent für einen Toilettenbesuch eine entscheidende Rolle spielen. »Wir sollten nicht vergessen, dass sie beim Kauf spekulativ gehandelt haben, wohl wissend, dass die ursprünglich im Kaufvertrag festgehaltenen Pflichten nicht eingehalten werden«, gibt Perli zu bedenken. »Der Staat darf solche Spekulationen natürlich dann nicht auch noch honorieren, indem er denselben oder gar einen höheren Preis zahlt – und deswegen müsste man dann auch hart verhandeln.«
Und in einem solchen Fall besitzt der Staat die schwereren Geschütze: »Wenn man Finanzinvestoren gegenübersitzt, bei denen wirklich nur die Zahlen zählen, dann muss man auch deutlich sagen: ›Liebe Leute, wenn ihr uns jetzt hier in einem letzten Akt noch mal abzocken wollt, dann haben wir auch andere Möglichkeiten, gegen euch vorzugehen. Wir vertreten als Staat die Bürgerinnen und Bürger – und wir spielen dieses Spiel nicht länger mit.‹« In letzter Instanz würde dies bedeuten, Artikel 14 des Grundgesetzes zu bemühen. Dort ist unter Absatz 3 festgehalten, dass zum Wohle der Allgemeinheit auch Enteignungen zulässig sind – das Schreckgespenst der Finanzwelt.
Dass diese Option nicht zu weit hergeholt ist, zeigt die Geschichte des Lkw-Mautsystems Toll Collect. Dieses ist erst im September 2018 verstaatlicht worden, nachdem die Betreiber den Staat jahrelang um
Fürs Pinkeln zu bezahlen ist Kapitalismus im Endstadium
Doch solange der öffentliche Druck fehlt und wir alle bereitwillig bis zu einem Euro im Sanifair-Wunderland an internationale Spekulanten zahlen, nur »weil es so schön sauber ist«, hat die Bundesregierung auch keinen Grund, ihren »Weiter so«-Kurs zu ändern.
Titelbild: Autobahn Tank & Rast Gruppe GmbH & Co. KG - gemeinfrei