»Bürokraten und Faschisten sind 2 Seiten derselben Medaille«
Als griechischer Finanzminister legte sich Yanis Varoufakis mit den Mächtigen Europas an. Jetzt will er sich von den Deutschen ins Europäische Parlament wählen lassen.
23. November 2018
– 8 Minuten
dpa
In der Hotellobby auf Kreta, weiße Sessel, Meerblick, herrscht Müßiggang. Die Feriensaison ist vorüber, kein Urlauber weit und breit, gelangweilte Rezeptionisten. Plötzlich kommt Yanis Varoufakis aus einem Zimmer geschossen. »Let’s do the business!« Eben hat er noch einen Zeitungskommentar geschrieben, gleich muss er die Pressekonferenz für sein italienisches Wahlbündnis vorbereiten, dazwischen schnell das Interview. Dieser Mann hat keine Zeit zu verlieren.
Denn der ehemalige griechische Finanzminister, der sich im Jahr 2015 mit seinem Widerstand gegen die europäische Sparpolitik erfolglos an der abarbeitete, startet nun einen zweiten Versuch, die EU vom Kopf auf die Füße zu stellen. Mit seiner europaweiten Bewegung DiEM25 will er im Jahr 2019 ins EU-Parlament einziehen.
Aus 20 vereinbarten Minuten werden 40. Aus einem Wirtschaftsprofessor wird ein Politiker, der es jetzt richtig wissen will und sich dafür
Sie planen ein politisches Comeback. Was ist Ihr Fokus, Griechenland oder Europa?
Yanis Varoufakis:
Falsche Frage. Wie ist es bei Ihnen: Sind Sie mehr Deutscher oder Europäer? Ich glaube nicht, dass es in Europa einen Konflikt zwischen Norden und Süden, zwischen Deutschland und Griechenland gibt. Unsere Bewegung heißt und bildet Wahlflügel in ganz Europa. Die griechische Partei ist Teil von DiEM25. Wir sind eine Kraft des Fortschritts.
DiEM25 soll eine gesamteuropäische Bewegung sein. Bis jetzt ist sie noch weitgehend unbekannt – wie wollen Sie das ändern?
Yanis Varoufakis:
Wir fangen bei null an. Während wir hier miteinander sprechen, gibt es andere griechische Mitglieder der Bewegung, die 4 Monate lang mit dem Auto von einem Ort zum anderen fahren, damit sich herumspricht, dass es uns gibt. Politik ist ein schmutziger Job. Jemand muss es tun. Und wir machen es.
»Establishment und Faschisten brauchen einander«
DiEM25
DiEM25 steht für »Democracy in Europe Movement 2025«. Bis zum Jahr 2025 soll eine europäische Verfassung stehen, die aus der EU »eine voll entwickelte Demokratie mit einem souveränen Parlament macht, das die nationale Selbstbestimmung respektiert und die Macht mit den nationalen Parlamenten, mit Regionalversammlungen und Gemeindeparlamenten teilt«. Ausgerufen wurde die Bewegung 2016 in Berlin.
Yanis Varoufakis:
Wir wollen, dass Politik wieder politisch wird. Die politische Sphäre hat sich der Finanzwelt vollkommen untergeordnet. Vor allem die Sozialdemokraten haben ihre Seelen verkauft und brechen jetzt unter der Last ihrer eigenen Hybris zusammen, weil sie sich von ihren Ursprüngen entfernt und der Gier der Banker freien Lauf gelassen haben. Diese Blindheit hat im Jahr 2008 zum Zusammenbruch geführt. Man hat zugelassen, dass Finanzblasen entstehen. Die sind geplatzt und haben uns in die Krise gestürzt.
Was waren die Folgen des Zusammenbruchs?
Yanis Varoufakis:
Den Politikern an der Macht fehlte zu diesem Zeitpunkt sowohl der Mut als auch die analytische Kraft, den Bankern zu sagen: Jetzt ist es genug. Das Ergebnis ist, dass die politische Mitte zusammengebrochen ist. Und jetzt haben wir einerseits die Bürokraten, die den Interessen der Banker dienen, und andererseits wie Horst Seehofer oder Wir wollen diesen Scheinkonflikt zwischen ihnen auflösen, denn es gibt diesen Konflikt gar nicht. Bürokraten und Faschisten sind 2 Seiten derselben Medaille.
Sie sehen da keinen Konflikt? Die EU-Kommission zum Beispiel ist doch derzeit ständig
Yanis Varoufakis:
Das EU-Establishment und Leute wie Matteo Salvini arbeiten sehr gut zusammen. Sie bekämpfen sich angeblich, aber sie brauchen einander. Sie befinden sich in einem Kreislauf gegenseitiger Verstärkung. Die Junckers, Merkels und Macrons dieser Welt sagen den Wählern: »Ich weiß, dass Sie sehr wütend auf mich sind. Aber wenn ich weg bin, kommen nach mir Leute wie Salvini.« Salvini sichert ihnen das Überleben. Und er wiederum braucht das Establishment. Denn es sind die Sparpolitik und der die die Unzufriedenheit schaffen, die Salvini nährt. Wir müssen also klarmachen: Diese Leute sind Komplizen. Sie sind Partner. Wenn du für einen stimmst, stimmst du auch für den anderen.
Angela Merkel ist von rechts derart unter Druck gesetzt worden, dass sie jetzt ihren Rückzug eingeleitet hat. Wollen Sie ernsthaft sagen, dass sie die AfD braucht?
Yanis Varoufakis:
Die AfD wurde von Angela Merkel erschaffen. So einfach ist es.
Yanis Varoufakis im Interview mit Nico Schmolke auf Kreta
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Quelle:
Nico Schmolke
Angela Merkel hat viele Möglichkeiten verpasst, die sie als sehr mächtige Kanzlerin hatte, um Europa zusammenzubringen und die europäische Finanzkrise zu bewältigen. Sie entschied sich, es nicht zu tun. Sie entschied sich dafür, Deutschland mit einem Fiskalpakt abzugrenzen. Die griechische Krise wurde als griechische Krise behandelt, die italienische Krise als italienische, die irische als irische. Sie war damit einverstanden, dass die Peripherie Europas sparen musste, statt die einzige anständige Alternative anzustreben: ein vereintes und föderales Europa. Ein Europa, das nicht nur eine gemeinsame Währung hat, sondern auch eine gemeinsame Steuer- und Investitionspolitik.
Und jetzt ist sie ein Opfer ihrer eigenen Fehler. Sie hat keine Macht mehr und leitet eine Koalition, die zerbricht. Sie wurde zur Geisel von Herrn Seehofer. Und mächtige Christdemokraten mit Autorität in der Partei haben sie zur toten Frau erklärt. Jetzt kämpfen sie untereinander, wer sie ersetzen wird. Die AfD ist das Ergebnis dieses Prozesses, Angela Merkel und Wolfgang Schäuble sind dafür verantwortlich.
In der Welt sieht man Merkel als liberale Anführerin, nicht als Wegbereiterin dessen, was Sie Faschismus nennen.
Yanis Varoufakis:
Einige Christdemokraten Erinnern Sie sich an den Moment, als Hindenburg entschied, das Kanzleramt an Hitler zu übergeben? Er dachte, er könnte ihn vereinnahmen und so unter Kontrolle behalten. Das hat nicht sehr gut geklappt.
Ein gigantisches grünes Investitionsprogramm
Was für eine alarmierende Zeitdiagnose! Können wir denn wenigstens Hoffnung in eine europäisch denkende Jugend setzen?
Yanis Varoufakis:
Junge Menschen in Griechenland sind echte Europäer, obwohl sie die Härte und Autorität der EU erleben müssen. Aber sie kennen den Unterschied zwischen dem europäischen Establishment und Europa insgesamt. Die griechische Tragödie ist, dass wir unsere Jugend verlieren.
Und die jungen Menschen, die bleiben?
Yanis Varoufakis:
Sie lernen, mit niedrigen Erwartungen zu leben. Das ist das Schlimmste, was man als Jugendlicher tun kann. Deshalb treten wir mit DiEM25 an: Weil wir das angehen müssen. Wir müssen das stoppen – zum Wohle Griechenlands und Europas.
Wie wollen Sie die Wirtschaft Europas wieder in Schwung bringen und der Jugend Mut für die Zukunft machen?
Yanis Varoufakis:
Wir müssen die öffentlichen Investitionen erheblich steigern. Europas Zukunft hängt von der Fähigkeit ab, den angehäuften Wohlstand in Europa zu nutzen Also soll die Europäische Investitionsbank mit einem gewaltigen Programm grüne Technologien fördern, indem wir 500 Milliarden Euro in Form drucken und sie an Deutsche, Italiener, Chinesen, wen auch immer verkaufen. Die Europäische Zentralbank gewährleistet, dass die Preise der Anleihen stabil bleiben und die Zinssätze über einem Minimum liegen. Mehr als der jährliche deutsche Haushalt. Das wäre ein Boost für umweltfreundliche Investitionen in allen Mitgliedstaaten der Eurozone. Und wenn die EU so viel in Infrastruktur und Energie investiert, entlastet das die Mitgliedstaaten – die dann ihre Schulden abbauen können.
In Europa ist noch jede Menge Platz für Windräder wie hier in Cadiz, Spanien.
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Quelle:
Luca Bravo
Ein ambitionierter Plan. Aber selbst wenn Sie ins EU-Parlament einziehen, werden Sie diese Idee kaum umsetzen können. Die Macht in der EU liegt vor allem beim Europäischen Rat der Regierungschefs und bei der EU-Kommission.
Yanis Varoufakis:
Das stimmt. Und die oberste Priorität dieser EU-Institutionen besteht derzeit nicht darin, mehr gemeinsamen grünen Wohlstand zu schaffen. Mit dem Fokus auf der Überwachung von Haushaltsregeln nationaler Regierungen spielt Brüssel eine furchtbare Rolle, denn dafür fehlt jegliche demokratische Legitimität. Die Italiener haben ihre Regierung und damit auch ihren Haushalt gewählt – wie kann Kommissionspräsident Juncker dann kommen und sagen: »Jetzt bestrafen wir euch!«? Die Europäische Kommission wurde ernannt und nicht von den Menschen in Europa gewählt. Deshalb müssen wir sehr schnell auf einen Verfassungsprozess hinarbeiten, um Europa zu demokratisieren. Wir brauchen eine ordentliche demokratische Regierungsführung und ein gemeinsames Parlament, das legitime Regeln in ganz Europa durchsetzen kann.
Griechen kandidieren in Deutschland und Deutsche in Griechenland
Und warum kandidieren Sie dennoch für das EU-Parlament, wenn Sie dort nur wenig bewirken können?
Yanis Varoufakis:
Das Europäische Parlament ist das einzige Parlament in der Geschichte der Menschheit, das kein Recht zur Gesetzgebung hat. Die Wahlen zum Europäischen Parlament haben aber eine große Symbolwirkung. Denn während weniger Tage geben Bürger in ganz Europa ihre Stimme ab, um Vertreter dieses Parlaments zu wählen. Für uns als DiEM25 ist das eine großartige Gelegenheit, unser gemeinsames Programm für Europa vorzustellen.
In wie vielen Ländern tritt DiEM25 zu den Europawahlen an?
Yanis Varoufakis:
In so vielen wie möglich. Im Moment haben wir Vereinbarungen mit Partnern Und wir führen Gespräche in weiteren Ländern. Wir wollen diese nationalen Barrieren aber abbauen. In Deutschland werden auf der Liste auch Griechen antreten. Das ist unsere neue Art, Politik zu machen – transnational und progressiv.
Werden Sie über die transnationale Liste vielleicht sogar in einem anderen Land als Griechenland kandidieren?
Yanis Varoufakis:
Ja. Ich bin für die Aufstellung in verschiedenen Ländern verfügbar. Das werden unsere Mitglieder entscheiden. Wenn ich als Kandidat für das Europäische Parlament antrete, dann, um das Durchbrechen der nationalen Barrieren zu symbolisieren.
Laut und unseren eigenen Recherchen wird Yanis Varoufakis in Deutschland zur Europawahl antreten. Bei der am vergangenen Sonntag zu Ende gegangenen Mitgliederbefragung des deutschen Wahlflügels von DiEM25 schaffte er es auf den ersten Listenplatz. Die offizielle Aufstellungsversammlung findet diesen Sonntag statt, erst dann wollen sich Yanis Varoufakis und DiEM25 öffentlich dazu äußern. Wir gehen davon aus, dass die Spitzenkandidatur von Varoufakis in Deutschland am Sonntag bestätigt wird.
Nico Schmolke suchte 4 Wochen lang nach Europas Idealisten und fand neben Yanis Varoufakis in Griechenland viele andere DiEM25-Aktivisten in Polen, Serbien und Deutschland. Er ist Volontär an der Electronic Media School des rbb in Potsdam.