Die 5 besten Ideen, wie es ohne Wachstum weitergehen kann
Unsere 3 Gastautorinnen sind in der Postwachstumsbewegung aktiv – und verraten hier die wichtigsten Überlegungen, die uns beim Entwurf einer neuen Wirtschaft helfen können.
Von Monika Austaller, Ruth Fulterer und Leonie Sontheimer
Das ist der zweite Teil eines Doppelpacks über die Postwachstumsbewegung und ihre Ideen. Der erste Teil, der die Gründe gegen ein »Weiter so« beim Wachstum aufzählt, erschien gestern, du kannst ihn hier lesen.
Degrowth, auf Deutsch oft Postwachstum genannt, bedeutet nicht einfach, weniger zu wachsen. Es bedeutet vielmehr, Wirtschaft völlig neu zu denken und die Frage, ob die Wirtschaft dabei im klassischen Sinne wächst, einfach mal außen vor zu lassen.
Entstanden ist die Postwachstumsbewegung hier, im globalen Norden. 30 Jahre nachdem der Club of Rome im Jahr 1972 seinen Bericht über die Grenzen des Wachstums veröffentlicht hatte, fand der Degrowth-Gedanke nahrhaften Boden und breitete sich aus: In Frankreich, Italien und Spanien bildete sich Anfang der 2000er-Jahre eine kleine Bewegung wachstumskritischer Forscher und Aktivistinnen, die sich im Jahr 2008 zum ersten Mal in Paris zu einer Konferenz trafen.
Die Kernfrage der Bewegung: Wie muss Wirtschaft aussehen, damit sie allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht, ohne den Planeten zu zerstören?
Sie wird inzwischen alle 2 Jahre auf der internationalen
Wie muss Wirtschaft aussehen, damit sie allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht?
Die Veranstalter legten in Leipzig vor allem großen Wert auf die Integration verschiedener Bewegungen – Umweltschutz, Anti-Rassismus, Feminismus. So stellte die deutsche Ausgabe der Degrowth-Konferenz den Startschuss für ein breites deutsches Bündnis dar, das seitdem besteht. Die Anti-Kohle-Bewegung, Befürworter von Open-Source-Software,
Zur Frage, wie eine Wirtschaft jenseits des Wachstumszwangs aussehen kann, geben sie keine fertige Antwort – aber es gibt eine Menge Ideen, in welche Richtung es gehen kann. Hier sind die 5 wichtigsten:
1. Die Erde und die Menschen zuerst
»Planet and people first« – Planet und Menschen zuerst! So lautet der simple Vorschlag von
Unsere heutigen Volkswirtschaften benötigen Wachstum, unabhängig davon, ob es den Menschen nutzt. Wir brauchen aber eine Wirtschaft, die den Menschen nutzt, unabhängig davon, ob sie wächst oder nicht.
Das langfristige Ziel müsse sein, die Bedürfnisse aller Menschen mit den Mitteln des Planeten zu befriedigen. Symbol dieses Ziels wurde der Donut. Im weichen, süßen Bereich des Teigs können sich die Gesellschaften aufhalten. An der inneren Grenze unterschreiten sie ihre eigenen Bedürfnisse, an der äußeren Grenze überlasten sie die Umwelt. Mit dieser Einstellung ist noch keine neue Wirtschaft erfunden. Aber sie gibt Orientierung für den nächsten Entwurf.
2. Reichtum umverteilen
Die gute Nachricht: Es ist genug für alle da. Prinzipiell gibt es die Ressourcen, um allen Menschen ein akzeptables Leben zu ermöglichen. Nur sind die im Moment sehr
Wir wissen, dass Gesellschaften in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Kriminalität besser abschneiden, je gleicher – und nicht je reicher – sie sind. Als Gesellschaft könnten wir beschließen: Wir wollen nicht, dass es Billionäre gibt, solange Menschen verhungern.
Auf globaler Ebene wäre ein noch drastischerer Umbau nötig. Denn wir leben in einer Welt mit kolonialem Erbe. Hier im globalen Norden werden die Spielregeln für den gesamten Globus gemacht. Umweltverschmutzung und Ausbeutung wurden Stück für Stück dahin ausgelagert, wo wir sie nicht mehr sehen können. Um einen fairen Neustart zu ermöglichen, müssten die Länder des globalen Südens aus ihren Abhängigkeitsverhältnissen befreit werden – zum Beispiel durch Schuldenschnitte und Technologietransfers.
3. Alternativen zum BIP erforschen
Möchten Ökonomen herausfinden, wie es den Menschen in Deutschland geht, blicken sie auf das Bruttoinlandsprodukt. Das zeigt allerdings nicht an, wie zufrieden die Menschen mit ihrem Leben und ihrer neuen Regierung sind und ob sie gute, sichere Produkte gekauft haben, sondern nur, wie viel Geld sie insgesamt für Produkte und Dienstleistungen ausgegeben haben. Deshalb fordert die Degrowth-Bewegung Alternativen, von denen eine der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) sein könnte.
Als Ausgangsgröße dient die Konsumausgabe der privaten Haushalte in Euro. Ähnlich wie das BIP geht der NWI also davon aus, dass es den Menschen etwas nützt, wenn sie Dinge oder Dienstleistungen kaufen. Auch der dritte Porsche, den sich eine Familie kauft, wird erst mal positiv gewertet.
Doch dann kommt ein Trick: Alle negativen Auswirkungen, die ein Porsche im Durchschnitt auf Umwelt und Menschen hat, werden gegen die Konsumausgabe aufgewogen. Abgase, die der Umwelt schaden, Autounfälle, die Kosten verursachen – aus vielen verschiedenen Faktoren entsteht eine Summe, die von der Konsumausgabe abgezogen wird. Ein zusätzlicher Euro nützt einem ärmeren Menschen mehr als einem reicheren.
Ein Faktor ist auch die Einkommensungleichheit. Dorothee Rodenhäuser, eine der Expertinnen hinter dem NWI, begründet das so: »Es macht für die Gesellschaft einen Unterschied, ob alle gleich viel ausgeben können oder nicht. Denn ein zusätzlicher Euro nützt einem ärmeren Menschen mehr als einem reicheren«, erklärt Dorothee Rodenhäuser. Wenn die Einkommen der Gesellschaft stark auseinanderklaffen, wirkt sich das daher negativ auf den NWI aus.
Schaut man sich die Entwicklung der Lebenszufriedenheit in den letzten 30 Jahren an und legt die Kurven des BIP sowie des NWI darüber, erkennt man: Der NWI korreliert stärker mit der Lebenszufriedenheit als das BIP. Doch der NWI ist ein »work in progress«, wie Dorothee Rodenhäuser sagt. Sie und 3 Kollegen sind seit fast 10 Jahren damit beschäftigt, den NWI zu optimieren. Einen ersten Erfolg gibt es schon: Im Jahr 2017 wurde der Index in das regelmäßig vom Umweltbundesamt publizierte
4. Wo ein Wille, da ein Weg
Sprecher der Degrowth-Bewegung betonen immer wieder, dass die Transformation, die sie anstreben, nicht nur die Art und Weise des Wirtschaftens betrifft. Wir müssten auch unsere Art zu denken verändern, sagen sie. Nach dem Motto: »Wer etwas anders machen will, muss erst mal anders denken.« Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht: mentale Infrastrukturen. Gemeint sind Muster, in denen wir tagtäglich denken. Sie ziehen sich wie Autobahnen durch unseren Kopf – und führen auf ein Ziel zu: Wachstum.
Wie kann man diese in Asphalt gegossenen Muster durchschauen und Abzweigungen, Brücken oder Unterführungen anlegen, um ihnen zu entkommen?
Harald
Die Herausforderung ist, herkömmliche Logiken systematisch zu hinterfragen und auf den Kopf zu stellen. Dieselautos mit Elektroautos auszutauschen liegt nahe, geht aber ökologisch nicht weit genug. Die Kunst liegt darin, sich eine autofreie Stadt vorzustellen. Wie viel Platz wäre für Fahrräder, Bäume, Liegewiesen, Cafés und Fußballplätze!
5. Postwachstum auf der politischen Agenda
Ein wichtiger Hebel für Veränderung liegt jenseits der Zivilgesellschaft – in den Händen der Politik. Doch was sagen Politiker aktuell zu den Alternativen?
Wir haben die Parteiprogramme der Bundestagswahl 2017 durchsucht:
- Die CDU
- Die SPD
- Die AfD äußert sich in ihrem Programm nicht zum Wirtschaftswachstum.
- Die FDP
- Die Linke
- Die Grünen
- Zuletzt hat das Thema Postwachstum auch das Europäische Parlament erreicht. Im September luden Vertreterinnen von 5 Parteien zu einer Post-Growth-Konferenz nach Brüssel ein.
Wir haben uns in den letzten 50 Jahren an ein stetiges Wirtschaftswachstum gewöhnt. Dass das nicht ewig so weitergehen kann, ist gewiss. Was also tun? Auf dem Weg in die wachstumsfreie Gesellschaft gibt es noch viele Fragen zu beantworten. Das kann verunsichern. Es kann aber auch eine Chance sein, noch einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was wir für ein gutes Leben brauchen, worauf wir verzichten können und wovon wir uns befreien möchten.
Das ist der zweite Teil eines Doppelpacks über die Postwachstumsbewegung und ihre Ideen. Der erste Teil, der die Gründe gegen ein »Weiter so« beim Wachstum aufzählt, erschien gestern, du kannst ihn hier lesen.
Mit Illustrationen von Tobias Kaiser für Perspective Daily