Du willst die Bundesregierung loswerden? So geht es!
Alles, was du dazu brauchst, sind eine gute Strategie, 3,5% der Bevölkerung und den totalen Verzicht auf Gewalt.
Unerbittlich blickt der »heroische Guerillero« Che Guevara in die Ferne, entschlossen, dem Sozialismus zum Sieg zu verhelfen. Das ikonische Bild stammt vom Fotografen Alberto Corda und findet sich heute auf Flaggen, Taschen und T-Shirts. Dabei war Che Guevara in vielen seiner Unternehmungen alles andere als erfolgreich. Seine Versuche, den bewaffneten Kampf gegen den Imperialismus nach Kongo-Kinshasa und Bolivien zu tragen, scheiterten dramatisch und mündeten schließlich in seine Hinrichtung.
Che Guevaras Märtyrertod im Kugelhagel, seine vollständige Hingabe an den Guerilla-Krieg und sein lässig-martialischer Look in Uniformjacke und Barett haben zu seiner anhaltenden Berühmtheit entscheidend beigetragen. Überhaupt hat gewalttätiger Widerstand einen erstaunlich guten Ruf: In Film und Fernsehen, aber auch in tagesaktuellen politischen Debatten wird mit Rebellen
Falsch!
Dieser Artikel wird dich davon überzeugen, dass
Wer scheitern will, greift zum Gewehr
Was schätzt du, was öfter zum Ziel führte: Protest mit oder ohne Gewalt?
Die meisten Menschen tippen instinktiv darauf, dass Gewalt in politischen Auseinandersetzungen wirksamer ist; besonders in Kampagnen gegen Regierungen. Aber ist da etwas dran? Die Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth hat die politischen Kampagnen der letzten 100 Jahre untersucht,
Doch tatsächlich sind gewaltfreie Kampagnen nach Chenoweths Forschung mehr als doppelt so oft erfolgreich wie solche, die systematisch Gewalt anwenden. Ganzen 75% der gewaltfreien Kampagnen gelingt es, ihre Ziele mindestens teilweise zu erreichen. Bei den gewaltsamen Kampagnen sind das
Wer also seine Regierung stürzen will, wäre dumm, zur Waffe zu greifen, das wissen wir dank der Arbeit von Erica Chenoweth. Wenn es aber nicht gleich um eine Revolution geht, gibt es leider keine so zuverlässigen Zahlen. Indizien für den Erfolg von Gewaltlosigkeit
- Briefaktionen: Zahlen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge sind etwa 33% der als »Urgent Actions« bezeichneten Briefaktionen erfolgreich. Dabei wird versucht, allein durch den massenhaften Versand von Briefen, E-Mails und Faxen sowie durch Telefonanrufe die Freilassung oder gute Behandlung von politischen Gefangenen zu erwirken.
- Öffentlichkeit prägen: Bilder von
Und wie ist die Bilanz der Gruppen, die mit extremen Methoden versuchen, soziale Ziele zu erreichen? Die kurze Antwort: ernüchternd. Das zeigen auch die Beispiele.
Zwischen 1975 und den 1980er-Jahren etwa war es das vorrangige Ziel der zweiten Generation der linksextremistischen Roten Armee Fraktion (RAF), die Haftbedingungen von inhaftierten RAF-Mitgliedern zu verbessern oder sie ganz
Im Gegensatz zur RAF begeht die Umweltschutzorganisation Sea Shepherd keine Mordanschläge. Von einigen Regierungen und anderen Organisationen werden Sea-Shepherd-Aktivisten trotzdem als »Öko-Terroristen« bezeichnet, denn sie beschädigen oft gezielt Boote und Netze von
Zusätzlich zu den schlechten Erfolgsaussichten gibt es noch einen anderen Grund, es gar nicht erst mit Gewalt zu versuchen: Gewalt prägt Gesellschaften auch noch, lange nachdem der ursprüngliche Konflikt beendet ist. Die von Erica Chenoweth untersuchten gewalttätigen Kampagnen sind kollektiv für mehrere Millionen Tote verantwortlich, von der Zerstörung der Infrastruktur ganzer Länder ganz zu schweigen. Ein Bürgerkrieg erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Konflikte und die Chance, dass die Auseinandersetzung zur Errichtung einer Diktatur führt.
Auch gewaltbereite Splittergruppen von eigentlich gewaltfreien Protestbewegungen tun ihrer »Sache« keinen Gefallen: Sie erhöhen nachweislich die Wahrscheinlichkeit, dass auch Sicherheitskräfte Gewalt einsetzen. Und diese staatliche Unterdrückung wird von der breiten Bevölkerung erheblich besser akzeptiert, wenn ihr Gewalt durch Aktivisten vorangeht.
Gewalt ist also immer der falsche Weg. Aber welche Zutaten braucht ein friedlicher Protest, damit er funktioniert?
Gewaltverzicht als politisches Jiu-Jitsu
Alle bisher beschriebenen Kampagnen haben eines gemeinsam: Es geht um den Widerstand einer Gruppe von Menschen ohne Macht gegen
Vertrauen in gewaltsame Methoden zu setzen bedeutet jene Art des Widerstands zu wählen, bei der die Unterdrücker fast immer überlegen sind.
Für einen Diktator, so Sharp, ist eine gewalttätige Auseinandersetzung ein Spiel mit Heimvorteil für den Diktator. Denn er verfügt praktisch immer über überlegene militärische Ausrüstung, Logistik und Sicherheitsdienste. Macht zu haben bedeutet automatisch, einen Vorteil bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zu genießen. Und das gilt grundsätzlich auch für andere Staatsformen und sogar für die Auseinandersetzung zwischen Aktivisten und Unternehmen.
Die Möglichkeit, dieses Machtgefälle auszugleichen, sieht Sharp ganz woanders – denn ohne Unterstützung sind auch Diktatoren machtlos:
Diktatoren benötigen die Unterstützung der Menschen, die sie regieren. […] Alles hängt von der Akzeptanz des Regimes ab, von der Unterwerfung und dem Gehorsam der Bevölkerung und der Kooperation unzähliger Menschen und den Institutionen der Gesellschaft.
Und weil laut Gene Sharp alle Macht von der Kooperation der Bevölkerung ausgeht, muss man für das Gelingen einer Kampagne genug Menschen zu Unterstützern machen und die Basis des politischen Gegners spalten.
Die magische Zahl dabei ist 3,5%. Glaubt man den Daten von Erica Chenoweth, dann war jede Kampagne weltweit, an der sich mehr als 3,5% der Bevölkerung aktiv und dauerhaft beteiligt haben, bei der Durchsetzung ihrer Ziele erfolgreich.
So nahmen an der größten Demonstration der Wendezeit, am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz in Berlin, geschätzte 500.000 Menschen teil. Das sind knapp 3,5% der Gesamtbevölkerung der DDR von 16,43 Millionen Menschen. Der einende Faktor der oppositionellen Gruppen der DDR? Absolute Gewaltlosigkeit.
Gewalt schafft immer nur Gewalt. Gewalt löst keine Probleme. Gewalt ist unmenschlich. Gewalt kann nicht das Zeichen einer neuen, besseren Gesellschaft sein. […] Wir sind ein Volk! Gewalt unter uns hinterläßt ewig blutende Wunden!
20 Jahre später bestätigte Chenoweth die Annahme der damaligen Aktivisten. Ausschließlich gewaltfreien Kampagnen gelang es in den 106 Jahren ihres Datensatzes, mehr als 3,5% der Bevölkerung zur Beteiligung zu bewegen. Der Grund ist einfach: Gewalt spaltet und hindert Menschen daran, sich zu aktivieren. Familien kommen ungern zu Demonstrationen, bei denen sie mit Gewalt rechnen müssen. Viele gläubige Menschen lehnen politische Gewalt aus moralischen Gründen grundsätzlich ab. Und Gewalt macht es der Propaganda des Gegners leicht, die Aktivisten als Gefahr für die Gesellschaft darzustellen.
Und gewaltfreier Widerstand stellt die Mächtigen vor ein Dilemma: Diese können auf Gewalt zur Unterdrückung verzichten, ermöglichen es den Aktivisten dann aber, mehr Unterstützer zu finden. Oder sie wenden Gewalt an, was zwangsläufig zu einem Vertrauensverlust der eigenen Unterstützer führt. So oder so profitiert der Widerstand.
Eine kleine Anleitung zum friedlichen Protest
Das alles bedeutet freilich nicht, dass friedlicher Protest ungefährlich ist. Gewalt gegen politische Aktivisten ist in vielen Ländern immer noch Alltag. Auch in Deutschland gibt es etwa bei friedlichen Demonstrationen regelmäßig Verletzte durch Polizeigewalt, wie etwa bei Protesten gegen das Projekt Stuttgart 21.
Gewaltfreie politische Kampagnen sind auch kein Wundermittel für schnellen gesellschaftlichen Wandel. Abhängig von den anfänglichen Machtbeziehungen und den politischen Rahmenbedingungen kann es Jahre oder sogar Jahrzehnte kontinuierlicher Arbeit brauchen, bis sich der Erfolg einstellt.
In den letzten Jahrzehnten hat sich aber eine robuste Sammlung an Methoden und Vorgehensweisen entwickelt, die auch unter extremen
Bisher wurden etwa 200 spezifische Methoden für gewaltfreie Aktionen identifiziert und es gibt mit Sicherheit etliche mehr. […] Der umfassende Einsatz dieser Methoden – sorgsam ausgesucht, beständig und im großen Rahmen angewandt, im Kontext einer guten Strategie und angemessener Taktik bei ausgebildeten Aktivisten – wird vermutlich jedes illegitime Regime in Schwierigkeiten bringen.
Bevor du aber einen Demo-Aufruf verfasst oder einen Hungerstreik antrittst, solltest du vor allem eines tun: planen. Ohne gute Planung ist praktisch jede Kampagne zum Scheitern verurteilt. Und so geht es:
- Lerne den Konflikt kennen: Ohne ein tiefes Verständnis der Situation geht gar nichts. Wer sind die Akteure und welche Interessen haben sie? In welchem historischen, geografischen, institutionellen und unter Umständen militärischen Kontext spielt sich der Konflikt ab? Welchen Möglichkeiten und Einschränkungen unterliegt das eigene Handeln und wo gibt es mögliche Verbündete?
- Entwickle eigene Ziele: Jede Kampagne braucht ein konkretes Ziel. Das Ziel sollte grundsätzlich realistisch, den Aufwand aber wert sein. Und es reicht nicht, gegen etwas zu sein. Eine Kampagne muss eine Alternative zum Status quo anbieten.
- Wähle deine Mittel aus: Gewaltfreier Protest kann Hunderte verschiedene Formen annehmen. Eine erfolgreiche Kampagne muss unter jenen auswählen, die zum Kontext und zum Ziel passen.
- Entwickle eine langfristige Strategie: Wer sich selbst und seinen Gegner kennt, ein Ziel fest vor Augen und das passende Werkzeug zur Hand hat, dem fehlt eigentlich nur noch eines: eine Strategie, wie man vom Status quo unter Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel zum Ziel kommt.
Dich nervt es, dass es keine Spielplätze in deinem Viertel gibt, und der Stadtrat sieht das Problem nicht? Du willst politischen Gefangenen und der Umwelt helfen? Die Bundesregierung treibt Unsinn? Du weißt jetzt, wie du etwas daran ändern kannst. Worauf wartest du?
Titelbild: Victorua Kure - CC0 1.0