Haben Frauen im Sozialismus den besseren Sex?
Wenn Frauen gleichberechtigt sind, ist mehr los in den Betten. Ob Kapitalismus Frauen einschränkt, diskutiere ich mit einer, die beide Systeme erlebt hat.
Hatten Frauen im Sozialismus den besseren Sex? Kristen Ghodsee meint: Ja. Im letzten Jahr hat sie in den USA ein Buch mit dieser provokanten These veröffentlicht, der
Nun plädiert die Professorin für Russische und Osteuropäische Studien an der University of Pennsylvania in ihrem Buch zwar nicht für eine Rückkehr zum Staatssozialismus. Vielmehr greift sie Ideen auf, die in den europäischen Wohlfahrtsstaaten längst Common Sense sind: Mutterschutz, Kinderbetreuung, soziale Absicherung bei Krankheit und im Alter. Aber sie macht etwas, das mit Blick auf die DDR auch im wiedervereinigten Deutschland ein Tabu bleibt. Sie überlegt, ob im Kapitalismus etwas grundsätzlich schiefläuft im Verhältnis von Männern und Frauen – und ob es in den Gesellschaften hinter dem Eisernen Vorhang Ansätze zur Gleichstellung gab, die man sich noch heute gewinnbringend abschauen könnte.
Ich bin Mitte der 1980er-Jahre in Westdeutschland geboren. Die einzige Gesellschaftsordnung, die ich kenne, ist die soziale Marktwirtschaft, ein durch den Wohlfahrtsstaat gezügelter Kapitalismus. Wie Frauen im staatlich verordneten Sozialismus gefühlt haben, kann ich mir nur durch Literatur und Erzählungen erschließen – und durch Gespräche mit Frauen, die die DDR noch erlebt haben.
Mich interessiert, was sie über Kristen Ghodsees Buch, über Frauen und ihre Stellung im Sozialismus und Kapitalismus denken. Über eine Freundin lerne ich
These 1: Kinderkriegen ist für Frauen im Kapitalismus eine Strafe
Unregulierte Märkte benachteiligen immer diejenigen, die für Kindererziehung und die Pflege von alten oder kranken Angehörigen verantwortlich sind, schreibt Kristen Ghodsee.
Die unbezahlte Care-Arbeit, die diese zu Hause leisten, hält oder bringt sie in abhängige Beziehungen – vor allem mit Männern. Familie und Karriere zu vereinen, ist für Frauen ungleich schwerer; denn viele Arbeitgeber wollen sich auch im 21. Jahrhundert nicht darauf einstellen,
Dabei wird in Frauen ja ohnehin weniger investiert. Der
Aber wie war es denn nun »damals«, im Sozialismus?
Was in Bezug auf Kinder ganz entscheidend ist: Man darf das nicht mit heute vergleichen. Frag mal deine Mutter, wie sie das erlebt hat. Kinder waren einfach da. Man hatte einfach Kinder und hat das auch nicht so viel hinterfragt. Zu DDR-Zeiten war es so, dass die Frauen von Anfang an arbeiten gingen. Es gab Kinderkrippen und Kindergärten und es war auch nicht selbstverständlich, dass man mehrere Jahre zu Hause bleiben konnte.
Sonja hat ihren Sohn 1977 zur Welt gebracht als sie selbst noch Teenager war. Sie hatte damals gerade ihre Ausbildung zum Handelskaufmann (sic!) abgeschlossen und noch keine richtige Idee davon, wie ihr Leben weitergehen würde. Von Anfang an war ihr aber klar, dass sie ihren Sohn allein bekommen und großziehen würde. Es klingt nicht nach einem unbeschwerten Spaziergang, wenn sie davon erzählt, aber sie meint auch: »Es war kein Problem, wenn man ledig mit Kind war. Es gab keine Ächtung.«
Als ein Freund aus dem Westen hörte, dass sie schwanger war, habe er ihr dringend davon abgeraten, das Kind zu bekommen. Seine Mutter hatte ihn allein großgezogen, für sie sei das schlimm gewesen. »Ich wusste gar nicht, was der meint«, sagt Sonja. Sie glaubt: Die Tatsache, dass die DDR ein industriell geprägter, sehr kleinbürgerlicher Staat war, trug wesentlich dazu bei, dass Vorstellungen bürgerlicher Moral in solchen Situationen keine Rolle spielten.
Zu ihrer materiellen Situation sagt sie, man sei ausgekommen. Klar, eine »ordentliche Hose aus einem Klamottenladen« habe sie sich damals nur in Ausnahmefällen leisten können, Kinderkleidung wurde weitergegeben, Baumwollwindeln ausgekocht. Grundnahrungsmittel seien extrem billig gewesen.
»Es gab keine existenzielle Bedrohung.« Sonja hat sich ohne Mann um ihren Sohn gekümmert, doch auch in Familien mit 2 Elternteilen habe es keine 50:50-Teilung der Kindererziehung gegeben. »Das lag schon viel bei den Frauen.«
»Bei den Elternabenden saßen immer die Frauen auf diesen schrecklichen kleinen Kinderhöckerchen, ich habe das gehasst!«
Tagsüber emanzipierte Genossin im Betrieb, am Abend dann Hausfrau – die Wissenschaftlerin Kristen Ghodsee möchte in ihrem Buch die inneren Widersprüche des Systems nicht vertuschen. In den letzten Jahrzehnten wurde hinlänglich, auch in Deutschland, darüber diskutiert,
Abgesehen davon stimmt natürlich: Obwohl Frauen in der DDR ebenso wie die Männer ein Recht auf Arbeit hatten und ihnen verfassungsmäßig dieselben Rechte zustanden, änderte das nicht von heute auf morgen die Bilder in den Köpfen davon, was Frauen- und was Männersache sei. In vielen Fällen nahmen Frauen zwar nun am öffentlichen Leben teil, oft auch in Berufen, die für sie bis dahin tabu waren – die
These 2: Ökonomische Unabhängigkeit macht frei – auch im Bett
Aber etwas änderte sich doch. Frauen mussten sich nicht aus ökonomischen Gründen in Beziehungen stürzen
Wenn Frauen ihr eigenes Einkommen haben und der Staat ihre soziale Absicherung im Alter, bei Krankheit oder Behinderung gewährleistet, dann haben sie keine ökonomischen Gründe, in missbräuchlichen, unerfüllten oder auf sonstige Art ungesunden Beziehungen zu bleiben.
Auf diese Befreiung aus der Abhängigkeit stützt sich Ghodsees sexy These: Frauen hatten im Sozialismus den besseren Sex, weil er schlicht selbstbestimmter war. Sie zitiert soziologische Studien aus den 1990er-Jahren, denen zufolge ostdeutsche Frauen doppelt so oft zum Orgasmus kamen wie westdeutsche. In einem
»Klar, manches war schlecht damals, aber mein Leben war voller Romanzen«, erzählt sie Ghodsee. Nach ihrer Scheidung hatte sie ihren Job, ihr Gehalt, sie brauchte niemanden, der sie unterstützte. Sie konnte machen, was sie wollte. Allein zog die Frau eine Tochter groß und meint, dass diese es heute, im Kapitalismus, wesentlich schwerer hätte: Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit. »Wenn sie spät abends nach Hause kommt, ist sie zu müde, um mit ihrem Mann etwas anzufangen. Macht aber nichts, denn ihm geht es genauso. Als ich in ihrem Alter war, hatten wir viel mehr Spaß!«
Die Gefahr eines Bore-outs war im Staatssozialismus jedenfalls größer als die eines Burn-outs. So blieb schlichtweg mehr Zeit für die Liebe. Voll bezahlter Schwangerschaftsurlaub, ein dichtes Netz an Kindergärten und -krippen sowie der garantierte Wiedereinstieg in den Job verschafften Frauen Luft, egal, ob sie mit einem Partner oder allein Kinder großzogen.
Sonja würde das so nicht unterschreiben, sie jonglierte zeitweise ihre Arbeit im Museum, ein Fernstudium und die Kindererziehung. Ihr Sohn war oft bei ihrer Schwester untergebracht, andere Frauen in ihrer Situation gaben die Kinder die ganze Woche über in staatliche Obhut. Sonja sieht es im Nachhinein kritisch, dass es in der DDR Einrichtungen wie die Wochenkrippen gab. »Es ist schlecht, wenn man zu wenig Zeit für die Kinder hat.«
Trotzdem glaubt sie daran, dass das Recht auf Arbeit die Frauen selbstbewusst gemacht habe. »Du hattest ein eigenes soziales Umfeld, Kollegen und Kolleginnen, das ist natürlich etwas anderes, als immer auf Herd und Heim zurückgeworfen zu sein.«
War es also so, Sonja? Hatten Frauen im Sozialismus – und dank des Sozialismus – den besseren Sex?
Es war sexuell freier, vor allem dadurch, dass es dieses bürgerliche Leben nicht so gab. Und was man auch nicht vergessen darf, das spielt ja auch eine Rolle: Ich kannte in der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, vielleicht 4 bekennende Christen. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen zu sagen, bevor du heiratest, hast du aber keinen Freund! In dem Freundeskreis meiner Jugend war es schon gang und gäbe, dass man gut miteinander zu tun hatte.
These 3: Der Heiratsmarkt bezahlt Frauen besser als der Arbeitsmarkt
Wenn Kristen Ghodsee über einen Schulfreund schreibt, der seine Frauen in erster Linie schön mag und gerade »klug genug, um nicht dumm zu sein«, klingt das ein bisschen nach den Protagonisten der Serie Mad Men: aus der Zeit gefallen und sehr amerikanisch. Am Beispiel von
Je mehr Frauen auf diese Ressourcen angewiesen seien, desto mehr verknappen sie ihr Angebot, so weit die Theorie. Und tatsächlich gibt es
Den osteuropäischen Frauen hat der Zusammenbruch des Staatssozialismus in dieser Hinsicht besonders übel mitgespielt. Zwar waren sie in den Spitzen von Politik und Gesellschaft auch damals nur selten vertreten, dafür genossen sie aber, wie gesagt, die gleiche Absicherung wie Männer. Sie konnten und sollten alles werden: Traktorfahrerinnen, Pilotinnen, Ingenieurinnen. Heute sind sie ein Synonym für Käuflichkeit. Wem das zu hart klingt, der möge die Wörterkombination »Frauen« und »Osteuropa« einfach einmal in die Suchmaschine eingeben.
So krass erging es den DDR-Frauen nicht. Trotzdem bedeutete die Wende einen Einschnitt; vieles, was für sie selbstverständlich geworden war, wurde von der bürgerlichen Gesellschaft der BRD auf einmal wieder infrage gestellt.
Klar, in den letzten Jahrzehnten hat sich viel bewegt. In Deutschland ist es für die meisten Frauen selbstverständlich, eine eigene Arbeit, ein eigenes Umfeld, ein eigenes gesellschaftliches Standing zu haben. Dass Deutschland in der EU
Ich bin in einem Alter, in dem ich mir über das Kinderkriegen Gedanken mache. Als Single-Frau Kind und Karriere unter einen Hut zu bekommen – ganz ehrlich, das kann ich mir gerade wirklich nicht vorstellen.
»Die westdeutschen Feministinnen sind mir damals auf den Geist gegangen«
Ein Klassiker der DDR-Frauenliteratur heißt
Sonja kennt das Buch natürlich. Sie meint, über ihre Stellung als Frau habe sie in der Wendezeit nicht viel nachgedacht. Sie wundere sich aber schon oft, wenn heute davon die Rede sei, dass Frauen mehr arbeiten gehen sollten und es genug Kita-Plätze brauche, weil es ohne nicht geht. Genauso bei der Diskussion um
Die westdeutschen
Das Vorwort zu »Guten Morgen, du Schöne!«, das übrigens auch in Westdeutschland ein Bestseller wurde, schrieb die bekannte Schriftstellerin Christa Wolf. Darin macht sie sich Gedanken über den Feminismus der Frauen im kapitalistischen Westen, denen man(n) damals wie heute oft Männerhass vorwarf. Mit großem Verständnis fragt sie:
Wie aber sollen sie gelassen, überlegen, möglichst noch humorvoll sein, wenn sie der primitivsten Grundlagen für eine unabhängige Existenz entbehren?
Titelbild: Thorpe Mayes - CC0 1.0