Grübeln wird deine Probleme nicht lösen
Grübeln ist nichts als ein raffinierter Trick deines Gehirns, um dich abzulenken. Wenn das nächste Mal deine Gedanken endlos kreisen, denke an diesen Text.
Unsere Gedanken sind der Soundtrack unseres Lebens. Wir sind permanent im Gespräch mit uns selbst, nicht laut, sondern in der Privatsphäre unseres Kopfes. Dieses Gespräch gleicht allerdings für gewöhnlich keiner gesitteten Unterhaltung oder gar einem besonnenen Austausch logischer Argumente. Stattdessen geht es in unserem Kopf meist drunter und drüber, wir unterbrechen uns selbst, kommen vom Hölzchen aufs Stöckchen, reisen in die Vergangenheit, springen zwischen unterschiedlichen Zukunftsversionen hin und her.
Zwischendurch lenken wir unser inneres Gespräch bewusst auf konkrete Fragen
Doch passiert es manchmal, dass die Gedanken mit uns durchzugehen scheinen. Dann, wenn wir immer und immer wieder dasselbe denken. Dann, wenn dieser eine Gedanke unkontrollierbar scheint, weil er alle Aufmerksamkeit an sich reißt. Dann, wenn wir zu keinem Ende kommen, zu keiner Lösung.
Dann sind wir sind mittendrin
Und warum? Weil wir glauben, durchs Grübeln die beste Lösung zu finden. Doch das ist ein Irrglaube, weil wir fälschlicherweise annehmen, mit Nachdenken alles lösen zu können.
Viel Denken hilft nicht immer viel
»Menschen grübeln und sind der Überzeugung, damit eine Lösung zu finden. Dabei passiert genau das nicht«, erklärt mir Andreas Knuf, Psychotherapeut und
Grübeln gleicht einem Dauerlauf im Hamsterrad, in der irrigen Hoffnung, so an einen anderen Ort zu kommen.
Auf Dauer belastet Grübeln mehr, als dass es entlastet – wobei Letzteres das eigentliche Ziel der Grübelei war. Wenn sich die Gedanken verselbstständigen und
Unangenehme Gefühle wie Traurigkeit und Angst lösen Grübelschleifen nicht nur aus – sie sind auch
»Das kostet unglaublich viel Energie und Lebensfreude« – Andreas Knuf, Psychotherapeut und Autor
Die Hoffnung hinter dem Gedanken-Kreisen ist meistens, endlich eine Lösung zu finden, etwas – oder uns selbst – besser zu verstehen. Noch eine Runde, dann bin ich beruhigt, noch einmal drüber nachdenken, dann liegt die Lösung endlich ganz klar auf der Hand …
Andreas Knuf hat den Eindruck, dass die intensive Grübelei in den letzten 10–20 Jahren zugenommen hat. Das erlebt er nicht nur in seiner Praxis bei psychisch kranken Menschen, sondern auch in Achtsamkeitsseminaren und bei sich selbst. Er sieht darin einen Anpassungsversuch in einer beschleunigten Zeit, in der unser inneres Gespräch versucht, Schritt zu halten. »Ich bin mit Serien wie Bonanza aufgewachsen. Neulich habe ich mir sowas wieder auf Youtube angeguckt, und ich habe mich zu Tode gelangweilt. Da passiert nichts! Für das damalige Empfinden passierte da aber sehr viel, Zeit wurde anders gelebt«, erzählt er lachend.
So bleibt die Frage, warum wir nicht aufhören, wenn wir merken, dass uns die Grübelei nirgendwohin führt?
»Grübeln ist ein Ablenkungsmanöver«
»Die Flucht in die Gedanken ist einer der verbreitetsten, raffiniertesten Tricks, die wir Menschen anwenden, um uns vor der Wahrnehmung von Gefühlen zu schützen. Grübeln ist ein Ablenkungsmanöver.« Andreas Knuf nennt als Beispiel Angst vor der Zukunft. »Dann grübele ich zum Beispiel ganz viel über meine finanzielle Situation, über meine Rente oder ob ich jetzt die richtige Rentenversicherung abgeschlossen habe.« Irgendwann kann der Grübler vielleicht erkennen, dass es gar nicht mehr so sehr um die Entscheidung für die richtige Absicherung geht, sondern vielmehr um die Angst vor dem Älterwerden, darum, bestimmte Fähigkeiten zu verlieren.
Und hier liegt der Kern der Antwort auf die Frage, warum die Grübelei nicht zu einer Entscheidung führen wird: »Auf der kognitiven Ebene kann ich ein emotionales Thema nicht verarbeiten.«
Andreas Knuf erklärt weiter: »Wenn jemand nur auf der kognitiven Ebene arbeitet, kommen Handlungen raus, hinter denen kein Saft ist. Die verpuffen, die erlahmen schnell, die werden kraftlos. Denn unsere eigentliche Motivation kommt aus den Gefühlen.«
Was meint er damit? Dass wir nur eine Entscheidung treffen können, weil wir bestimmten Dingen Werte zuordnen – also ihnen eine
Die Grübelei soll also unangenehme Gefühle im Zaum halten.
Raus aus dem Hamsterrad
Nein, denn Nicht-Denken funktioniert nicht, das lehren uns das mittlerweile in den Westen schwappende Wissen aus jahrtausendealter Meditationspraxis und die moderne Achtsamkeitsforschung.
Deshalb ergänzen und erweitern neue Therapieformen gegen Grübelei das Repertoire der klassischen Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). So stellen Patienten in der »kognitiven Verhaltenstherapie des Grübelns« der
Wie einige andere Psychotherapeuten ist auch Andreas Knuf der Überzeugung, dass die Emotionsebene bei der KVT zu kurz kommt: »In großen Teilen der Psychotherapie hat man lange versucht, das meiste auf der rein kognitiven Ebene abzuhandeln. Die klassische KVT ist das Paradebeispiel dafür, da versucht man sich mit Grübeln zu beschäftigen, ohne die emotionale Ebene zu berühren. Das funktioniert nicht.«
Hier setzt die
Der Psychotherapeut betont, dass Achtsamkeit kein Wohlfühl-Quick-Fix ist. Den eigenen Gedanken wertungsfrei zu lauschen und Gefühle zuzulassen ist zunächst meist unangenehm und anstrengend, oft sogar schmerzhaft. »Sobald ich die Augen zumache, merke ich, was da oben eigentlich los ist. Viele Menschen haben diese Vorstellung von Achtsamkeit: ›Oh, der gegenwärtige Augenblick, das Hier und Jetzt, das ist toll.‹ Dann spüren sie hin und da ist nichts mit toll, sondern fast Panik und der Impuls, die Augen wieder aufzumachen.«
Achtsamkeit zu kultivieren ist ein langwieriger Prozess, der aber
2 Wege aus der Grübelschleife
Maßnahmen gegen die Grübelei gibt es viele, und wie so oft gilt: Nicht jede funktioniert für jeden. Aber diese 2 Kniffe können ein guter Anfang sein, meint auch Andreas Knuf.
»Was?« statt »Warum?« fragen:
»Klienten kommen ganz oft mit der Warum-Frage: Warum verhalte ich mich so, warum habe ich diesen Konflikt mit meinem Partner? Ich entgegne dann, dass ihnen die Antwort auf diese Frage höchstwahrscheinlich überhaupt nicht weiterhilft«, berichtet Andreas Knuf. Hinter der Warum-Frage stehe oft die These, dass es endlich anders wird, wenn wir den Zusammenhang verstehen. Dabei gebe es sehr viele Menschen, die nach mehreren Jahren Psychoanalyse alles über sich wissen, alle Hintergründe und Zusammenhänge durchdrungen haben, um dann zu einem anderen Therapeuten zu kommen und zu sagen: »Ich schaffe die Umsetzung im Alltag nicht!«
Andreas Knuf betont, dass natürlich auch die Frage nach den Ursachen und Hintergründen wichtig sind. Doch er sieht in seiner Praxis, dass sich Menschen beim Warum verhaken und die Was-Frage oft zu kurz kommt. Bei »Was fühle ich gerade? Was habe ich bei dem Streit gefühlt? Was möchte ich?
Gedanken aufschreiben:
Das Tagebuch war und ist vielen Menschen ein Begleiter, der ihre Gedanken gleichmütig aufnimmt. Mittlerweile boomt diese Form der Selbsterkundung und reicht vom Dankbarkeitsjournal bis zu den sogenannten »Morning Pages«. Die therapeutische Wirkung dieses sogenannten expressiven Schreibens ist bereits gut untersucht. Die positiven gesundheitlichen Effekte reichen von einem gesteigerten Wohlbefinden über einen niedrigeren Blutdruck bis hin
Die Idee dahinter ist, dass wir belastende Gedanken einerseits abladen und andererseits aus einer neuen Perspektive betrachten können. Andreas Knuf nutzt den Schreibprozess bei manchen seiner Patienten. Dadurch, dass sie ihre Gedanken verschriftlichen, fällt es ihnen leichter, Abstand zu ihren teils quälenden Gedanken zu bekommen. Aufgeschrieben können sie im wahrsten Sinne des Wortes einen Punkt
Mit Illustrationen von Tobias Kaiser für Perspective Daily