Fish’n’Ketchup
Wie ernähren wir die 9 Milliarden Menschen, die im Jahr 2050 auf der Erde leben? Mit Aquaponik. Der Berliner Zoologe Werner Kloas entwickelt schon heute das Essen von morgen.
Die Luft in dem Gewächshaus am Berliner Müggelsee riecht feucht und etwas modrig, die Innentemperatur beträgt knapp 26 Grad Celsius. Pumpen brummen, Wasser plätschert, Tomatenstauden ringeln sich in luftige Höhen. Dazwischen tummeln sich goldrote Fischschwärme in gewaltigen schwarzen Plastikfässern. Es sind Tilapien aus der Familie der Buntbarsche, zappelige Dinger, die jedem, der seine Nase zu neugierig in ihre Becken steckt, eine Dusche verpassen.
Werner Kloas ist einer der Erschaffer dieses Tomaten-Barsch-Hauses.
Die große Frage: Wie werden wir alle satt?
Rückblende: 2007 diskutieren Kloas und Kollegen an einem Septembernachmittag bei ein paar Tassen Kaffee darüber, wie sich die Boombranche Aquakultur weiterentwickeln ließe. Denn gezüchteter Fisch, das zeigen die Statistiken, wird immer wichtiger in der Ernährung der Menschheit. Bereits jetzt sind die Flossenträger für große Teile der Weltbevölkerung eine unverzichtbare
Allerdings: Die Flotten werden aus den Meeren künftig nicht
Es ist diese Zwickmühle aus guter Theorie aber oft schlechter Praxis, die auch dem Kaffeekränzchen um Werner Kloas Kopfzerbrechen bereitet. Plötzlich schlägt sein Kollege Bernhard Rennert vor: »Wir könnten Aquaponik machen.« Die Zwickmühle aus guter Theorie, aber oft schlechter Praxis.
Dieser Fachbegriff setzt sich zusammen aus den Wörtern Aquakultur und
Damit Exkremente und Futterreste in diesem Kreislauf nicht überhand nehmen, trennen Filter sie mechanisch heraus. Dennoch reichern sich im Wasser nach einer Weile neben
An diesem Punkt kommt die Hydroponik ins Spiel, also die erdlose Gemüsezucht: Anstatt das Haltungswasser aufwendig von den schädlichen Stoffen zu säubern, wird es einfach als Dünger zu den Pflanzen geleitet. Denn deren Wurzeln saugen das Nitrat, die Phosphate und andere Nährstoffe aus dem Wasser auf. Anschließend fließt das gereinigte Wasser in die Fischtanks zurück – und der Kreislauf ist geschlossen. Das Resultat ist eine Quasi-Symbiose, in der sich Aqua- und Gemüsekultur gegenseitig ergänzen und voneinander profitieren. Zudem werden Wasser und Dünger eingespart, aus einer »schmutzigen Brühe« wird eine produktive Ressource.
Schon die alten Chinesen machten sich die Vorteile solcher kombinierten Fisch-Gemüsezucht in Ansätzen zunutze, indem sie Schmerlen und Karpfen in ihren Reisfeldern hielten. Die Aquaponik-Systeme der Neuzeit gehen sogar noch einige Schritte weiter: So wandert in geschlossenen Gewächshäusern das von den Fischen
In Trennung verbunden: 2 Kreisläufe gegen das Säureproblem
Werner Kloas und sein Team reagieren im September 2007 dennoch skeptisch auf die Idee ihres Kollegen. Denn obwohl es ausgehend von den USA seit den 1970er-Jahren
Doch sein Mitstreiter Bernhard Rennert lässt nicht locker. Zu DDR-Zeiten hatte der als Bastler bekannte Biologe am Ostberliner Institut für Binnenfischerei bereits eine Karpfenzucht mit einer Gurkenkultur zusammengeschaltet. Der Haken aus Sicht der Forscher: Das Wasser, in dem die Fische leben, ist dem Gemüse nicht sauer genug.
Das Verbindungsstück: Ein Vorratstank mit einem schlichten Einwegventil. So wurden aus einem Kreislauf 2 eigene, die nur in eine Richtung miteinander verbunden waren. Der Aufbau ermöglichte es zum einen, das basische und mit Nährstoffen angereicherte Fischwasser je nach Bedarf zum Gemüse zu leiten und, wenn nötig, Zusatz-Dünger beizumischen. Zum anderen konnte nun die Wasserqualität separat gesteuert werden, sodass beide Kulturen ihren optimalen pH-Wert behalten konnten.
»Das war ein Aha-Erlebnis«, erinnert sich Kloas an die Ausführungen seines Kollegen. Wenn aber nun beide Kreisläufe nur durch ein Einwegventil miteinander verbunden sind, wie kommt dann das Wasser wieder zu den Fischen zurück? Über die Verdunstung der Pflanzen, so Kloas’ spontane Idee. »Ich meinte damals: Lassen wir das Gewächshaus doch einfach zu, fangen das Wasser über
Damit stand das
Im Vergleich zu den bis dato dokumentierten Ein-Kreislauf-Versuchen lieferte der Testlauf trotz der kleineren Probleme signifikant bessere Werte – und die Pilot-Anlage machte unter dem Namen
Was das Futter futtert
Rein theoretisch ist das Verfahren für eine Vielzahl an Süß- und Salzwasserfischarten geeignet. Anstelle von Tomaten können außerdem verschiedene Gemüsesorten sowie Kräuter, Algen und sogar Schnittblumen heranwachsen. Allerdings: Noch sind in Sachen Aquaponik Die wichtige Frage: Was bekommen die Fische zu fressen?
Und noch wichtiger: Was bekommen die Fische zu fressen? Denn mag ihre Futter-Verwertungsrate auch noch so gut sein: Das Futter muss irgendwoher kommen. Bislang enthalten konventionelle Pellets Fischmehl und -öl, das nicht nur aus Beifang und Abfällen, sondern längst auch aus gezielt abgefischten
Zwar hat sich die Effizienz bei Komposition und Einsatz des Futters in den vergangenen Jahrzehnten stark verbessert. Dennoch muss sich
Im Fall der Aquaponik ließe sich die Situation entschärfen, indem die Betreiber auf allesfressende Süßwasserfische setzen. Räuberische Salzwasser-Spezies wie Lachs, Wolfsbarsch oder Heilbutt benötigten einen Proteinanteil im Futter von 80%, erläutert Werner Kloas. »Tilapien dagegen kommen bereits mit 32% zurecht. Insofern sind sie, aber auch Karpfen oder Afrikanische Welse, die besten Kandidaten für die Aquaponik.«
Vielerorts fahnden Wissenschaftler zudem nach alternativen Proteinquellen. Als besonders vielversprechend haben sich die Maden der
Bislang allerdings ist das Fliegen-Madenmehl in der EU für Nutztiere nicht zugelassen. Und überhaupt muss die Aquaponik-Community ganz Grundsätzliches klären, bevor an einen Massenmarkt zu denken ist: »Uns fehlen noch richtige Definitionen und Klassifikationen«, bemängelt etwa
Zukunftsweisend oder teure Spielerei?
Manfred Klinkhardt sieht derartige Diskussionen skeptisch. Seit Jahrzehnten beobachtet der Fischereibiologe und Fachpublizist die Aquakultur-Branche. »Kreislaufanlagen«, sagt er, »die habe ich kommen und gehen sehen, alle mit Versprechungen.« Der Grundgedanke der Aquaponik sei zwar simpel. Aber die Ausführung: Viel zu verspielt, viel zu komplex. Bau und Betrieb einer Anlage verteuerten sich dadurch enorm, zudem spielten Tilapien und Co. auf dem europäischen Markt derzeit
Trotzdem wagen sich bereits Unternehmen auf das Feld der Aquaponik. Warum soll sich ein Fischwirt auch noch mit der Gemüsezucht herumschlagen?
die australischen
Auch in der Berliner Innenstadt steht seit Ende 2014 eine kommerzielle Aquaponik-Einheit, knapp 2000 Quadratmeter groß und betrieben von der Firma
Liegt hier also die Zukunft der Aquaponik? In einer Nische für »ernährungsbewusste« Großstädter?
Werner Kloas gibt sich mit dem Tomatenbarsch als Trend-Snack dennoch nicht zufrieden. Das IGB und ECF haben früher miteinander kooperiert, die Zusammenarbeit wegen unterschiedlicher Ansätze aber beendet. Als »Modegag« oder »Eventgeschichte« bezeichnet der Zoologe inzwischen bestehende gewerbliche Anlagen, da diese im Verhältnis zu den Personalkosten zu wenig produzierten und ihre bisherigen Preise auf Dauer
Die Tilapie erobert die Welt
Um zu zeigen, dass so etwas funktionieren kann, haben sich Werner Kloas und sein Team vom Leibniz-Institut mit 17 Partnern aus 8 Ländern zusammengetan. 6 Millionen Euro erhielt das Konsortium namens
Bislang läuft offenbar alles nach Plan. In Waren an der Müritz ist die erste Demonstrationseinheit angelaufen und die erste Tomatenernte verkauft. Die erste Tomatenernte ist verkauft.
Außerdem arbeitet das Team an einem Modellierungstool, das Anlagen in beliebiger Größe und je nach Geographie und gewünschten Fisch- und Gemüsearten skalieren und durchrechnen kann.
Denn genau darum geht es Werner Kloas: Die Aquaponik weltweit voranzutreiben. Neben der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen von INAPRO kooperiert das IGB auch mit der ägyptischen al-Azhar-Universität, um die Technik in einem Schwellenland zu erproben – schließlich haben gerade schwächer entwickelte Nationen häufig mit Wassermangel und Nahrungsmittelknappheit zu kämpfen. Zwar seien in diesen Fällen auch kleine, dezentrale Subsistenz-Anlagen denkbar, etwa für Familien oder Dorfgemeinschaften, so Kloas. Trotzdem müsse es dort ebenfalls eine größere Produktion geben, am besten im städtischen Raum. »Denn Urbanisierung und Bevölkerungswachstum, die finden vor allem in den nicht-industrialisierten Regionen der Welt statt.«
Der Wissenschaftler ist guter Dinge, dass Forschungsinitiativen wie INAPRO eine Initialzündung für eine kommerzielle Aquaponik sein können. »Sobald sich zeigt, dass sich diese Anlagen ökonomisch tragen, wird die Privatwirtschaft immer mehr darin investieren.« Das ginge natürlich nicht von heute auf morgen. Im Jahr 2050 jedoch, so Kloas’ Prognose, werde es zumindest in Mitteleuropa kaum noch Gewächshäuser ohne Aquakultur geben.
Titelbild: Josua Piorr - copyright