Stell dir vor, du bist in Not und kein Arzt kann dir helfen
Immer weniger Ärzte führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Sind Papayas die Lösung?
3 junge Frauen sitzen an einem mit Frischhaltefolie umwickelten Tisch und schauen konzentriert auf eine Papaya. Mit einem Metallstift bohren sie ein Loch in die Schale, anschließend saugen sie mit einer Art durchsichtiger Fahrradpumpe das orangefarbene Fruchtfleisch heraus. Eine seltsame Szenerie. Sie zu erklären wirft eher noch mehr Fragen auf: Die Anwesenden sind Medizinstudentinnen, die sich mit den nötigen Handgriffen für einen Schwangerschaftsabbruch vertraut machen. Warum brauchen sie dafür exotische Früchte?
Einen Abend zuvor steht Paula Kurz in einem Hörsaal in Marburg. Sie trägt einen Pullover, auf dem ein Eierstock abgebildet ist, der linke Eileiter reckt sich dem Betrachter wie ein Mittelfinger entgegen. Paula Kurz spricht heute hier für die Organisation







Danach erläutert die Studentin mit den regenbogenfarbenen Zöpfen die praktischen Aspekte des Eingriffs, erzählt von selbsternannten
In der zweiten Reihe des Hörsaals sitzt, entspannt strickend, ein unfreiwillig prominent gewordener Gast: die Ärztin Kristina Hänel.
Immerhin eines könnte die neue Gesetzesregelung bewirken: Es soll endlich ein zentrales Ärzteregister geben, nach Bundesländern und Methoden geordnet und monatlich aktualisiert. Bisher gab es einen halbwegs vollständigen Überblick
Aber reicht dieser Kompromiss zum Informationsrecht der Betroffenen, um sicherzustellen, dass jede Frau, die sich für einen Abbruch entscheidet, auch die Möglichkeit dazu hat?
Die Versorgungslage verschlechtert sich – warum?
Ich selbst bin 62, […] andere sind über 70 und arbeiten weiter, weil sie nicht aufhören können, weil sie die Frauen nicht alleinlassen wollen.
Viele von Kristina Hänels Kolleginnen und Kollegen stehen kurz vor dem Ruhestand. Seit dem Jahr 2003 ist die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen,
Kristina Hänel: Kampf um Informationsfreiheit

Kristina Hänel ist Ärztin mit den Schwerpunkten Frauengesundheit, Schwangerschaft, Geburt und Schwangerschaftsabbruch. Seit Jahren wird sie von Abtreibungsgegnern angezeigt, im Jahr 2017 verurteilte sie das Landgericht Gießen zu einer Geldstrafe. Seitdem wird über den § 219a debattiert. Hänel ist entschlossen, ihren Kampf um das Informationsrecht für Frauen vor das BVerfG zu tragen.
Bildquelle: dpa/ Boris RoesslerBesonders gravierend ist die Situation in ländlichen Regionen. Manche Betroffene müssen Wege von über 100 Kilometern in Kauf nehmen und sich dann in einer fremden Stadt einem Arzt anvertrauen, den sie zum ersten Mal treffen. So gibt es zwischen München und der österreichischen Grenze keine einzige Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch.
Was steht hinter dieser Entwicklung?
Zum einen sind es die Aktionen radikaler Abtreibungsgegner.
Der umstrittene § 219a spielt einigen dieser selbsternannten Lebensschützer in die Hände. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Ärztinnen und Ärzte zu verklagen, die Abbrüche vornehmen. Kristina Hänel schätzt, dass sich in den letzten 10 Jahren 500-600 Praxen mit Anzeigen, Polizei und Anfeindungen herumschlagen mussten. Durch die geltende Gesetzeslage fühlen sich die Aktivisten bestätigt, denn neben § 219a macht § 218 StGB deutlich: Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei, aber grundsätzlich rechtswidrig. So schaffen Abtreibungsgegner, ob auf der Straße oder im Parlament, ein feindliches Klima für Ärzte, die Frauen in Notsituationen einen Abbruch ermöglichen wollen.
Gleichzeitig steht das Thema in der Ausbildung von angehenden Medizinerinnen im Abseits.
Ärztemangel – und die Unis stellen sich quer
Junge Mediziner müssen sich selbst um die Weiterbildung zum Abbruch kümmern – kein Wunder, dass es kaum Nachwuchs gibt.
Kristina Hänel erzählt am Rande der Veranstaltung in Marburg, dass ihr der Mangel an Ärzten vor Ort schon in den 1990er-Jahren Sorgen bereitete und sie schließlich dazu bewegte, aktiv zu werden. »Ich habe gemerkt, dass die Frauen zwar nicht mehr nach Holland fahren mussten, aber immer noch nach Wiesbaden und Köln. Für eine Frau, die sich das leisten kann, ist das kein Problem. Aber für Frauen mit 4, 5 Kindern und ohne Auto war es irre schwierig, für den Abbruch in so eine Stadt zu kommen.«
Wenn der gegenwärtige Trend anhalte und es immer weniger Angebote für Betroffene gebe, könnten wieder mehr Frauen versuchen, ihre Schwangerschaft selbst zu beenden, befürchtet Kristina Hänel.
Doch sie weigert sich, schwarz zu sehen. Sie glaubt, dass die Trendwende nicht in Gerichten oder Parlamenten, sondern auf der Straße beginnt – oder eben mit ein paar Medizinstudierenden und Papayas.

»Wir nehmen die Ausbildung selbst in die Hand«
Die Idee zu den Papaya-Workshops stammt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten, seit Anfang des Jahrtausends bieten US-amerikanische Universitäten den Kurs an. Die tropische Frucht eignet sich gut als Modell für gynäkologische Eingriffe – in Form, Größe und Struktur ähnelt sie einem Uterus.
Studien belegen inzwischen den
Die Medical Students for Choice haben den Papaya-Workshop nach Deutschland geholt. Seit dem Jahr 2015 organisieren sie den Kurs in Zusammenarbeit mit Berliner Gynäkologinnen. Seit die Debatte um Abtreibungen wieder heiß läuft, schlägt den Organisatoren massive Kritik entgegen. Ihnen wird vorgeworfen, Schwangerschaftsabbrüche zu verharmlosen, ein Gynäkologe der Charité forderte gar ein Raumverbot, doch die Fakultätsleitung solidarisierte sich schließlich mit den Medizinstudentinnen.
Die Medical Students for Choice haben inzwischen Nachahmerprojekte in vielen anderen Uni-Städten gefunden, darunter die Studierenden von
18 Studentinnen und Studenten demonstriert er die Feinheiten des Eingriffs. Auf den mit Folie abgedeckten Tischen liegen die Papayas schon bereit – aus ökologischem Anbau, das war den Veranstaltern wichtig. Nach der theoretischen Einführung dürfen die Studierenden ihr neu erworbenes Wissen auch selbst anwenden.
In 2er- und 3er-Grüppchen nehmen sie sich die Früchte vor. Sie üben das Öffnen des Gebärmutterhalses mit sogenannten Hegar-Stiften und setzen schließlich die Handpumpe an.





Es folgt der Moment der Wahrheit: Waren die Studierenden sorgfältig und geschickt, können sie mit ihrer Handpumpe ein Vakuum in der Gebärmutter erzeugen. Fruchtfleisch und Kerne der Papaya, die dem Gewebe im Uterus entsprechen sollen, werden über einen wenige Millimeter dünnen Schlauch abgesaugt. Wenn alles gut geht, dauert der vollständige Eingriff gerade einmal 2–8 Minuten. Bei einer echten Patientin erfolgt anschließend eine Ultraschalluntersuchung zur Kontrolle.
»Es ist ja oft so, dass Studierende Dinge vorantreiben, die die Gesellschaft noch nicht schafft. Dass sie sich dieses Wissen jetzt selbst aneignen, das ist für mich bewegend.« – Kristina Hänel
Nach dem Workshop haben die Studierenden viele Fragen. Von Nathan Klee und Kristina Hänel wollen sie wissen, wann welche Methode angebracht ist, welche Risiken für die Patientinnen bestehen, ob sie Schmerzen haben. Auf die leichte Schulter nehmen sie das Thema nicht. Kristina Hänel freut sich über das Interesse und darüber, dass die Studierenden ihre Ausbildung nun auch selbst in die Hand nehmen.
Die Workshop-Teilnehmer packen jetzt ihre Taschen. Eine der Marburger Studentinnen hofft, dass das Thema bald in die reguläre Lehre integriert wird: »Ich fände es schon gut, wenn das Thema Einzug in unseren Fachbereich hält.« In den letzten Jahren habe es zwar Veranstaltungen dazu gegeben, aber es sei in einer Vorlesung hauptsächlich um Spätabbrüche und Pränataldiagnostik gegangen – nicht um den Abbruch bis zur zwölften Woche. In Diskussionen habe der Fokus eher auf den ethischen Aspekten gelegen.
Ich glaube, für viele Frauen ist es kein ethisches Dilemma. Für die ist klar, dass es für sie jetzt nicht infrage kommt, schwanger zu sein. Und dass das eine Situation ist, in der sie angemessen medizinisch versorgt werden müssen.
Ein anderer Student hat zwar nicht vor, Gynäkologe zu werden, sagt aber: »Wenn die Versorgungslage in der Region, in der ich arbeite, so schlecht wäre, dass ich mich dazu verpflichtet fühlen würde, das zu machen – dann würde ich es auch machen.«
Die KritMeds Marburg sind zufrieden mit dem Verlauf der 2-tägigen Veranstaltung. Und sie sehen Potenzial für weitere Papaya-Workshops in der Zukunft: Über 100 Personen hätten noch auf der Warteliste gestanden.
Titelbild: Deon Black - CC0 1.0