Wie sehen Menschen mit Downsyndrom die Welt?
Und wie wollen sie von der Welt gesehen werden? Das sagen sie dir in diesem Text selbst.
Journalisten recherchieren, schreiben und denken über die Welt nach. Manchmal gehen sie auch vor die Tür, um zu sehen, was dort eigentlich passiert. Beim
Die in Bonn beheimatete Redaktion mit 14 festen und mehr als 50 freien Autoren veröffentlicht 2 Hefte im Jahr, jeweils zu einem Themenschwerpunkt. Die Geburtsstunde des Magazins liegt inzwischen über 20 Jahre zurück. Zu einer der ersten Redaktionssitzungen im Jahr 1998 hat sich das Team in einer Eisdiele getroffen.
Die Sonne schien, das Team hatte eine gute Zeit zusammen und einen großen Eisbecher vor sich stehen. Grund genug, um vor lauter Glück Chefredakteurin Katja de Bragança aufs Ohr zu küssen. Alle riefen sofort: ›Ohrenkuss, Ohrenkuss!‹ – und der Name war geboren.
Die Erklärung zum Namen liefert das Team dann noch hinterher:
Man hört und sieht ganz vieles. Das meiste davon geht zum einen Ohr hinein und sofort zum anderen Ohr wieder hinaus. Aber manches ist auch wichtig und bleibt im Kopf – das ist dann ein Ohrenkuss.
Der »Ohrenkuss« zeigt, dass Trisomie 21 nicht für Einschränkung, Leid und Probleme steht, sondern für Vielfalt, Kreativität und Lebensbejahung. Wie viele andere Betroffene, Eltern und Aktivisten setzen auch sie sich am heutigen Welt-Down-Syndrom-Tag dafür ein, dass die Gesellschaft ein positiveres und damit zugleich realistischeres Bild davon bekommt, was es bedeutet, Mensch mit Downsyndrom zu sein.
»Unsere Redaktionsmitglieder äußern sich gar nicht so gerne zu dem Thema. Sie sprechen lieber über die Dinge, die sie in ihrem Leben beschäftigen«, sagt Chefredakteurin Katja de Bragança. Heute machen sie für Perspective Daily aber eine Ausnahme und schreiben einmal über das, was sie einzigartig macht und was die Welt unbedingt über sie erfahren sollte.
»Ich will, dass alle das wissen«
Die folgenden Texte der »Ohrenkuss«-Redaktion (kursiv gesetzt) sind von den Autoren selbst verfasst und
»Ich bin cool. Ich mag mich. Mein Leben fühlt sich gut an. Wir Menschen mit Downsyndrom sind cool drauf.«
Natalie Dedreux ist 20 Jahre alt und lebt in Köln. Auf
»Ich bin sehr glücklich, auch wenn ich Downsyndrom habe. Und ich leide nicht darunter. Es tut mir gut, dass ein Tag des Downsyndrom ist. Ja – wir leben auch! Wir haben schlitzende Augen und ich schäme mich nicht dafür. Am liebsten möchte ich meine Brille abnehmen und mein Gesicht zeigen. Hurra – wir sind alle da.«
Verena Elisabeth Turin ist 39 Jahre alt und lebt in Italien. Sie schreibt als Fernkorrespondentin für den »Ohrenkuss« und ist Autorin des Buchs
»Menschen mit Downsyndrom – die sind Besonderes.«
Martin Weser ist 34 Jahre alt und lebt im Westerwald. Er strickt, am liebsten Mützen und Schals, und ist Fan von Astrid Lindgren.
»Mich macht wütend, die Menschen denken, ich habe Downsyndrom und bin krank. Ich bin aber gesund!! Und auch nicht dumm. Die Menschen sind dumm, die nicht den Unterschied zwischen Krankheit und Behinderung kennen. Kranksein bedeutet Schmerzen haben oder Husten. Und dann bekommt man Medizin und geht zum Arzt.«
Robert Petkewitz ist 22 Jahre alt und lebt in Daaden. Sein Traum ist es, irgendwann beim BVB Fußball zu spielen, und sein Lieblingstier ist der Wolf.
»Ich habe keine Behinderung. Ich habe das Downsyndrom.«
Paul Spitzeck ist 24 Jahre alt. Er lebt und arbeitet in Köln. Er arbeitet im Café eines Kunsthauses, und nebenberuflich hält er Vorträge und moderiert.
»Ich habe Downsyndrom, aber ich stehe dazu. Ich bin kein Alien, denn ich bin so wie ich bin. Jeder soll es verstehen und mich respektieren.«
Svenja Giesler ist 38 Jahre alt und lebt in Bonn. Sie liest gerne Liebesromane, schreibt am liebsten mit der Hand und spielt gerne Jojo.
»Ich bin klug. Denken kann ich ja sehr gut. Ich will, dass alle das wissen.«
Anna-Lisa Plettenberg ist 24 Jahre alt und lebt in Troisdorf. Sie spielt Klavier und arbeitet in der Hauswirtschaft eines Kinderhauses in der Wäschepflege. Außerdem macht sie als Kunstvermittlerin in Klarer Sprache Tandemführungen in der Bundeskunsthalle Bonn.
Angela Fritzen hat ein Gedicht darüber verfasst, wie es sich anfühlt, ständig angestarrt zu werden. Es heißt »Wenn man mich anstarrt sieht man nicht…«
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, was in mir ist.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht meine Organe.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich kochen kann.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich Englisch lerne.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich schon jahrelang Saxophon und Blockflöte spiele.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich seit 10 Jahren im Altenheim arbeite.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich seit 13 Jahren im Ohrenkuss-Team bin.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich Basketball spiele.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich am Computer und mit der Hand schreiben kann.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich lesen und rechnen kann.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich moderieren kann.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich eine Ausbildung schon längst hinter mir habe.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich reiten kann.
Wenn man mich anstarrt sieht man nicht, dass ich mit meinem Freund zusammen bin, mit dem ich verloben will.
Das sieht man nicht!
Angela Fritzen ist »Ohrenkuss«-Gründungsmitglied. Sie schreibt seit 20 Jahren für das Magazin. Sie ist 44 Jahre alt und lebt in Bonn. Sie spielt Saxophon und hätte gerne eine Imbiss-Bude, die sie dann »Fritten Fritzen« nennen würde.
Selbstbewusst, nicht hilflos
Der »Ohrenkuss« zeigt ein anderes Bild von Menschen mit Downsyndrom als das des pflegebedürftigen, sprachlosen, unmündigen Behinderten. Hier sind Autoren, die selbstbewusst, reflektiert und mit einer beneidenswerten, sprühenden Originalität über die Welt sprechen.
Geleitet wird der »Ohrenkuss« von Chefredakteurin Katja de Bragança und Anne Leichtfuß. Gemeinsam haben sie daneben das partizipative Forschungsinstitut
Ihre Arbeit zeigt: Menschen mit Downsyndrom sind Menschen, die aufgrund einer Laune der Natur ein Chromosom zu viel abbekommen.
Anne Leichtfuß kritisiert, dass in der Gesellschaft häufig ein vorgefertigtes Bild von Menschen mit Downsyndrom besteht, das der heutigen Lebensrealität nicht mehr entspricht.
Jahrzehntelang waren die Biografien der meisten Menschen mit Downsyndrom klar: Förderschule, Werkstatt, Wohnheim. Diese institutionellen Lösungen sind für viele junge Menschen mit Downsyndrom längst nicht mehr die einzig denkbare Option. Sie wachsen anders auf, werden anders gefördert und erobern sich Entscheidungsspielräume und neue Möglichkeiten. Diesen Schritt haben viele Menschen noch nicht mitbekommen.
Für Eltern, die erfahren, dass ihr Kind Trisomie 21 hat, ist das häufig zunächst ein großer Schock. Auch wenn sie die Tragweite dieser Diagnose nicht gleich ermessen können, ist klar, dass nun einiges anders wird als erwartet. Dann kommen die Fragen: Wird mein Kind lebenslang ein Pflegefall sein? Hat es einen
Häufig sind diese Ängste unbegründet: Kinder mit Downsyndrom entwickeln sich zwar langsamer, können aber wie andere Kinder in die Kita und zur Schule gehen und später einen Beruf ausüben. Menschen mit Downsyndrom haben zwar Beeinträchtigungen bei der sprachlichen, kognitiven und motorischen Entwicklung. Wie stark diese Einschränkungen ausgeprägt sind, ist aber individuell völlig unterschiedlich. Manche Betroffene haben große Schwierigkeiten, sich verständlich auszudrücken, andere wiederum können sich in komplexen Sätzen verständigen.
Dass die individuellen Fähigkeiten der Menschen häufig stark unterschätzt werden, erschwert wiederum die
Eine politische Entscheidung könnte die Stigmatisierung von Menschen mit Downsyndrom und deren Angehörigen nun noch weiter fördern. Der vorgeburtliche Bluttest auf Trisomie 21
Die »Ohrenkuss«-Autorin Carina Kühne hat dazu eine klare Meinung:
»Nachdem der neue Bluttest so ausführlich diskutiert wird, wäre es schön, wenn es viele positive Berichte über Menschen mit Downsyndrom gäbe. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Medien deshalb nicht so positiv berichten, weil sie damit die bisherige Meinung infrage stellen würden. Wenn Menschen mit Downsyndrom fit sind und gut in die Gesellschaft integriert werden können, kann man sich nicht mehr darauf berufen, dass es für Mütter unzumutbar ist, so ein Kind auszutragen, und auch dieser Bluttest müsste mehr infrage gestellt werden.«
Carina Kühne ist 33 Jahre alt. Sie ist Schauspielerin und Aktivistin. Auch sie schreibt ihren eigenen
Nach Schätzungen entscheiden sich
Sie haben zudem das Glück, dass die therapeutischen und medizinischen Hilfsangebote nie besser waren als heute. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Probleme von Physiotherapeuten, Logopäden, Pädagogen, Erziehern, Lehrern, Kinderärzten und Chirurgen
Sie wünscht sich mehr Möglichkeiten für Menschen mit Downsyndrom, sich einzumischen,
Titelbild: Mathias Bothor - copyright