Die Revolution, von der keiner etwas mitbekommt
30 Jahre Diktatur stehen im Sudan vor dem Aus. Wie die Mitte der Gesellschaft das Regime ins Schwanken bringt.
Die meisten Europäer, die nicht im Sudan geboren sind, den Sudan nie besucht haben und nicht mit Sudanesen befreundet sind, wissen von dem Land wenig. Dass es hier entlang des Nils mehr Pyramiden gibt als in Ägypten, ist genauso wenig allgemein bekannt wie die unglaubliche Dimension des Landes: Selbst nachdem sich im Jahr 2011 der südliche Teil des Sudan als Republik Südsudan unabhängig gemacht hat, ist der Sudan noch etwa so groß wie Frankreich, Spanien, Schweden und Deutschland zusammen.
Auch die seit Mitte Dezember fast täglich stattfindenden Proteste in der Hauptstadt Khartum und an vielen anderen Orten des Landes werden in Europa kaum wahrgenommen.

Doch wer jetzt nicht auf den Sudan schaut, der verpasst etwas. Denn zwischen Bürgerkriegen und Staatsstreichen, zwischen Militärdiktatur und Staatsislamismus reift hier eine Protestbewegung heran, deren Erfolg das Leben von Hunderttausenden Menschen retten und die Politik einer ganzen Weltregion umkrempeln könnte.
Ein Kriegsverbrecher als Präsident
Jede wirklich gute Geschichte hat einen überzeugenden Schurken – und man kann sich kaum einen größeren Schurken vorstellen als den Präsidenten des Sudans, Omar al-Baschir. Zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte Omar al-Baschir im Jahr 2009, als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehl gegen ihn – und damit zum ersten und bisher einzigen Mal gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt – erließ. Die Vorwürfe:

Das ist nachvollziehbar, denn der 75-jährige Omar al-Baschir würde in diesem Fall vermutlich den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Der Feldmarschall, der sich vor fast genau 30 Jahren an die Macht putschte, ist wie viele seiner Gefolgsleute mit dem eng gewobenen Muster aus Gewalt und Unterdrückung verbunden, das die sudanesische Gesellschaft seit Jahrzehnten dominiert.
Die Geschichte der staatlichen Gewalt, Bürgerkriege und Unterdrückung im Sudan ist lang, aber lehrreich. Du willst sie ausführlich kennenlernen? Dann klicke hier.
Die Strukturen systematischer Gewalt reichen im Sudan bis mindestens ins Mittelalter zurück, als entlang der transsaharischen Handelsrouten, die das Rote Meer mit dem Atlantik verbanden, im heutigen Sudan eine Reihe feudal organisierter und islamisch geprägter Königreiche entstanden. Diese Reiche organisierten regelmäßig Sklavenjagden in die an ihr Herrschaftsgebiet angrenzenden Gebiete. Die dort versklavten Menschen wurden meist über das Rote Meer hinweg auf die arabische Halbinsel
Omar al-Baschir und viele seiner Unterstützer empfinden sich als Teil einer
Die Kolonialisierung durch Großbritannien befriedete das Staatsgebiet des heutigen Sudans nur kurzzeitig. Die auf Rassismus gründenden gesellschaftlichen Spannungen wurden durch die Kolonialherren nur unterdrückt und durch die Eingliederung des christlich geprägten Südsudans unter sudanesische Verwaltung sogar noch verschlimmert.
Mit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 mündeten diese Spannungen in einen Bürgerkrieg zwischen dem christlichen Süden und der arabisch-muslimischen Regierung. Auch wegen dem Fund großer Erdölvorkommen, die dem Konflikt eine neue wirtschaftliche Dimension gaben, dauerte der Krieg bis zu einem Friedensabkommen im Jahr 2005 an. Nach einem Referendum erklärte sich der Südsudan mit der Zustimmung des Nordens im Jahr 2011 zu einem unabhängigen Staat.
Auch das Regime von Omar al-Baschir hat seinen Ursprung in diesem Konflikt. Der damalige Brigadegeneral putschte im Jahr 1989 gegen die sudanesische Regierung, um den Bürgerkrieg ungehindert von Politikern führen zu können. Unter Omar al-Baschirs Leitung dauerte der Krieg mit dem Süden noch weitere 16 Jahre. Gleichzeitig sorgte der nationalistisch-rassistische Charakter seines Regimes dafür, dass sich auch in anderen Landesteilen Rebellengruppen bildeten, deren Kampf teilweise bis heute andauert. Am bekanntesten ist wohl der
Gleichzeitig hat Omar al-Baschir im Zentrum seines Landes immer wieder politische Gegner eliminiert. Im Jahr 2000 ließ der Staatspräsident die Armee sogar gegen das eigene Parlament aufmarschieren. Der damalige Anführer der islamistischen Regierungspartei und Parlamentspräsident Hassan al-Turabi, dessen politische und ideologische Rückendeckung Omar al-Baschir anfangs die Macht garantiert hatte, wurde auf den Befehl des Präsidenten eingesperrt.
Das Staatsverständnis von Omar al-Baschir und seinen Getreuen ist bis heute im Kern ein mittelalterliches: Der Staat, sein Land und seine Ressourcen dienen ausschließlich dem eigenen Machterhalt. Die Legitimation entsteht nicht etwa aus dem Volk heraus, sondern ist gottgegeben oder das Recht des Stärkeren, je nachdem was rhetorisch gerade besser passt. Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt sind damit nicht nur akzeptabel: Sie werden zum Kern staatlichen Handelns.
Aufstand aus der Mitte der Gesellschaft
Die aktuellen Proteste entzündeten sich an steigenden Preisen für Brot und einer allgemeinen, permanenten Wirtschaftskrise. Diese Dynamik ist im Sudan keine Seltenheit, alle paar Jahre entlädt sich die Wut über die schwierigen Lebensbedingungen auf den Straßen. Jetzt haben sie aber eine neue Qualität erreicht.
Sie sind organisiert, koordiniert und getragen von einer jungen Generation, die gleichzeitig desillusioniert und hoffnungsvoll ist. Desillusioniert sind die Menschen von einem Herrschaftssystem, das zwar vorgibt, durch Nationalismus, Frömmigkeit und Dominanz der Bevölkerungsgruppen an den Rändern des Staates die Interessen der arabischstämmigen Bevölkerung im Zentrum des Landes zu vertreten, tatsächlich aber nur auf Machterhalt und die Bereicherung einiger weniger Menschen ausgerichtet ist. Desillusioniert sind die Protestierenden auch von Jahrzehnten des bewaffneten Widerstands gegen ein Regime,
Titelbild: picture alliance / AA / Stringer - copyright