Lasst mir meinen letzten Bissen Fleisch!
Sagt unser Autor Chris Vielhaus. Doch Felix Austen hält dagegen: Die Salami bleibt im Kühlregal!
Nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag fahren wir manchmal gemeinsam mit dem Rad nach Hause. Wir, Chris und Felix, wohnen in derselben Richtung. Auf dem Weg legen wir einen Stopp im Supermarkt ein, um ein paar Dinge fürs Abendessen zu besorgen. Obst, Gemüse, dann geht es weiter zu den Molkereiprodukten, ein wenig Käse eingepackt. Und dann kommt sie: die Fleischtheke. Wir bleiben stehen.
Sicher kennen wir die Probleme, die an diesem Ort lauern, kommen sie doch in unserer Redaktion Woche für Woche auf den Tisch: Die industrielle Fleischproduktion belastet die Böden, verursacht Antibiotikaresistenzen und mutet den Tieren einiges zu. Nicht zu vergessen: der Schaden fürs Klima.
Doch es hilft nichts: Felix’ Blick bleibt an der würzigen Salami hängen, Chris’ Augen fixieren die saftig marinierten Chicken Wings. Können wir das machen? Nachdem wir erst heute wieder stundenlang über industrielle Fleischproduktion und ihre schlimmen Folgen diskutiert haben?!
»Klar!«
»Nein!«
Entscheide, welche Antwort du zuerst lesen willst.
Chris: Lasst mir meinen letzten Bissen Fleisch!
Sicher, Felix,
jeder, der Google bedienen kann, kennt die Fakten über Fleisch und Klima. Klar wäre es rational, komplett auf Fleisch oder gleich komplett auf tierische Produkte zu verzichten. Nur tun das die meisten Menschen noch immer nicht – mich eingeschlossen.
Warum?
Wohl in erster Linie, weil ich eben nicht rational handele, wenn ich nach einem langen Tag in der Redaktion abends im Supermarkt stehe. Vielmehr sind es vor allem die Emotionen, die uns Fleischesser trotz besseren Wissens das Kunststück vollbringen lassen, den eigenen Speiseplan von Wohl und Wehe dieser Welt zu trennen.
Für mich duften die Chicken Wings am Feierabend nach purer Nostalgie: Als ich klein war, führte der Weg nach einem langen Tag, an dem ich meinem Vater auf der Baustelle zur Hand gegangen war, stets zu unserem Stammimbiss. Für unsere harte Arbeit belohnten wir uns mit einem halben Hähnchen mit Pommes. Wie tief diese Erinnerungen sitzen, zeigt die Tatsache, dass mir schon beim Schreiben dieser Zeilen das Wasser im Munde zusammenläuft. Gegen den Wunsch, mich mit meiner Lieblingsspeise zu belohnen, kommt meine Vernunft nicht an.
Entsprechend groß ist mein Respekt für die Menschen, die ähnlich aufgewachsen sind wie ich – und es trotzdem schaffen, an einem lauen Sommerabend auf das Steak zu verzichten und stattdessen den Gemüsespieß oder das Sojaschnitzel auf den Grill zu legen. Gegen den Wunsch, mich mit meiner Lieblingsspeise zu belohnen, kommt meine Vernunft nicht an.
So weit zu meiner Anerkennung. Sich nun allerdings vorzumachen, dass sich unsere Gesellschaft durch dieses Opfer und die damit erhoffte Vorbildfunktion nachhaltig in ihren Gewohnheiten ändern wird, halte ich für reichlich blauäugig.
Auch wenn ich dem Bequemlichkeitsargument »Als Einzelner kann ich doch ohnehin nichts erreichen« nicht auf den Leim gehe, glaube ich angesichts der akuten Klimakrise: Dein persönlicher Totalverzicht reißt das Ruder nicht schnell genug herum, genauso wenig wie es meiner tun würde. Also tue ich es auch nicht.
Und zwar deshalb: Der Anteil der Vegetarier an der Bevölkerung hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt – trotzdem sind es bisher unterm Strich nur 4%. Schlimmer noch ist, dass der Fleischkonsum pro Kopf trotz dieses Anstiegs nicht zurückgeht, sondern seit Jahren auf einem hohen Niveau stagniert.
Mein Schluss: Wir müssen das Problem der ungezügelten Fleischeslust grundsätzlich anders angehen.
Es ist vergeudete Energie, einige wenige Menschen mit ohnehin schon moderatem Konsum – wie ich es einer bin – mühsam von einem Totalverzicht überzeugen zu wollen. Der Verbraucher hat die Macht – oder?
Tatsächlich werden die allermeisten Vegetarier, die eigentlich gern Fleisch essen,
Die erreichen wir sicher nicht durch gute Vorbilder. Im Gegenteil: Die wenigen, die sich in Askese üben, dringen kaum durch zu den vielen, die wenig Berührungspunkte haben mit Themen wie Klimaschutz und kritischem Konsum. Mehr Umweltbewusstsein in der Breite wird so, leider, reine Utopie bleiben.
Es sind die Rahmenbedingungen, die wir ändern müssen, wenn wir von den 175 Gramm Fleisch herunterkommen wollen, die jeder Deutsche im Schnitt pro Tag (!) verzehrt. Zum Vergleich: Das sind 4 Cheeseburger vom großen gelben M.
Der Ball der Verantwortung wird bei jedem politischen Vorstoß zurück in das Feld der Konsumenten gespielt; das »Richtige« zu tun wird zu einer individuellen Aufgabe degradiert. Weil man weiß, dass die meisten dieser Verantwortung nicht gerecht werden wollen – oder können. Bestes Beispiel: der Veggie-Day, der den Grünen vor einigen Jahren nur so um die Ohren geflogen ist. Wieder einmal wurden diejenigen aus der Verantwortung gelassen, die von der Flut aus billigem Fleisch industriell »produzierter« Tiere profitieren und um ihren Profit kämpfen.
Was also sollten wir tun, um wirklich Bewegung in die Sache zu bringen?
Uns darauf konzentrieren, den Druck auf die Politik so weit zu erhöhen, dass sie die Agrar- und Fleischindustrie endlich in die Schranken weist.
Also: Mehr Klimaschutz auf dem Teller? Liebend gern! Dafür müssen wir uns aber nicht quälen und am Ende an einer sturen Ganz-oder-gar-nicht-Haltung scheitern. Weniger wäre ja schon mehr. Vor allem, wenn es nicht nur die wenigen machen!
Felix: Die Salami bleibt im Regal!
Ich bin ja froh, dass wir uns zumindest bei den Fakten einig sind: Die große Grillparty, die die Fleischkonzerne gerade austragen, trägt ordentlich zum globalen Flächenbrand des Klimawandels bei. Rund 16% der gesamten Treibhausgasemissionen stammen aktuell aus dem Stall, für jeden Deutschen sind es rund 800 Kilogramm CO2 im Jahr.
Was hat das jetzt mit mir zu tun? Nun ja, wenn ich als durchschnittlicher Deutscher aufs Fleisch verzichte, spare ich eben diese 800 Kilogramm CO2 im Jahr ein. Das ist schon ganz ordentlich, aber das Klima habe ich damit noch nicht gerettet.
Für meine Entscheidung, das Fleisch im Kühlregal liegen zu lassen, ist das aber auch nicht der entscheidende Punkt. Schließlich entscheidet meine eine Stimme auch nicht darüber, wer die nächste Bundeskanzlerin wird – und ich gehe trotzdem wählen.
Mir geht es ums Umdenken.
Und das fängt langsam an: mit kleinen Begegnungen, kleinen Momenten der Verwunderung, der Neugier und der Zweifel. Wie damals zu meiner Schulzeit. Ich hatte diesen Bekannten, der es einfach mal 3 Monate ausprobierte. Weil er eine Wette verloren hatte. Das Wort »Veggie« war damals in der Gesellschaft noch so unbekannt wie mir die Idee, einfach kein Fleisch mehr zu essen. Und so war ich es, der neugierig und etwas skeptisch die Fragen stellte: »Geht das denn? Wie fühlst du dich? Willst du das jetzt für immer machen?«
Viele kleine Momente später wuchs diese neue Idee in mir zu einem vertrauten und alltäglichen Bekannten heran. Die Grillparty der Fleischkonzerne trägt ordentlich zum globalen Flächenbrand des Klimawandels bei.
So war es in meiner Studienzeit ich, der in der Familie das Thema Vegetarismus auf den Tisch brachte – obwohl ich selbst noch längst nicht vegetarisch lebte – und dafür erst mal Skepsis erntete.
Und heute? Fühle ich mich selbst etwas aus der Zeit gefallen, wenn ich vor vegan lebenden Freunden oder Kollegen mein Käsebrötchen esse. Die kleinen Begegnungen haben mich verändert, ich habe sie weitergetragen, und so haben sie wieder andere verändert. Ein schleichender Wandel der Esskultur, wie ihn das Klima auf breiter Front braucht – und wie er übrigens auch uns verdammt guttut.
Ich weiß, ich lebe da in einer Blase. Aber diese Blase ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Damit sie ausstrahlt, darf die Blase natürlich nicht abgeschottet sein. Nein, die Blase muss schön durchlässig sein; aus der Blase heraus muss es so lecker duften, dass sie wie ein Magnet immer mehr Menschen an- und aufsaugt.
Wie das ablaufen kann, dafür bist du doch das beste Beispiel, mein lieber Chris: In der kurzen Zeit, seitdem du hier zu uns in die Veggie-Blase gestoßen bist, hast du sicher mehr vegane Kuchen gemampft und vegetarische Kochabende erlebt als in den vielen Wurstjahren davor. Und dabei hast du gemerkt: Das schmeckt. Und das ergibt Sinn. Und so hast du schlussendlich deine Fleischdosis reduziert. Das zähle ich einfach mal mit auf mein Veggie-CO2-Einsparkonto. Ha!
Also: Sollen wir die Blase immer weiter aufblasen, bis alles in ihr verschwindet? Bis alle Menschen überzeugt sind: Kartoffelgratin funktioniert auch ohne Braten hervorragend?
Wäre schön, so wird das aber nicht funktionieren. Ich stimme dir zu: Wir brauchen Gesetze, die Fleisch teuer machen und die Fleischkonzerne zu höheren Umweltstandards und größerer Transparenz zwingen. Gesetzesinitiativen fallen nicht vom Himmel. Aber sie keimen in der grünen Veggie-Blase und ihrem Umfeld.
Denn zu viele Menschen bleiben so außen vor. Die Sache ist: Gesetzesinitiativen fallen nicht vom Himmel. Aber sie keimen in der grünen Veggie-Blase und ihrem Umfeld.
Von dort geht der Druck auf die Politik aus: Hier entstehen Medienberichte, Dokumentarfilme, Protestaktionen, Unterschriftensammlungen, Kundgebungen und all die kleinen Puzzlestücke, die das Thema immer wieder auf die politische Agenda und ins Bewusstsein der Menschen bringen.
Und richtig fruchten können diese Ideenkeime auch erst, wenn sie bei einer breiten Masse auf fruchtbaren Boden fallen. Wenn es im Discounter Alternativen zu Salami und Steak gibt. Die gibt es heute, und zwar nicht nur dank der Produktentwicklungsabteilung der Rügenwalder Mühle, sondern vor allem dank der Vegetarier, die seit Jahrzehnten an guten Rezepten feilen und mit neuen Zutaten experimentieren. Erst wenn die Menschen beim Wort »Veggie-Day« nicht mehr zusammenschrecken, können wir ernsthaft über die nötigen politischen Maßnahmen sprechen.
Neue Regeln fürs Fleisch
Wer muss nun den ersten Schritt machen, um die Probleme bei der Fleischproduktion zu lösen: Wir? Oder die Politik? Auch wenn wir uns da wohl nicht so bald einig werden, so stimmen wir doch darüber ein, wie wirksame Maßnahmen aussehen könnten. Hier sind 4 Vorschläge:
- Weniger und besseres Fleisch in Kantinen! Die Stadt Bremen macht es vor: Dort wird es ab dem Jahr 2022
- Steuerentlastung für Gemüse statt Fleisch! Aktuell fällt für Fleisch – wie für Gemüse, Obst oder Milchprodukte – der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 7% an. Würde dieser auf den regulären Satz von 19% erhöht, würde der Fleischkonsum in Deutschland um 2–10% zurückgehen,
- Gute Informationen statt schriller Werbung! Mehr als 46 Milliarden Euro geben Supermärkte, Discounter und Fast-Food-Ketten pro Jahr für Werbung aus – allein in Deutschland. Ganz vorn mit dabei:
- Strengere Handelsabkommen! Anstatt den europäischen Markt für »Chlor-Hühnchen« zu öffnen und den Weltmarkt mit Fleisch und Milch aus ökologisch fataler Massentierhaltung aus den USA, der EU, Brasilien, Australien und Argentinien zu fluten,
Felix: Die Salami bleibt im Regal!
Ich bin ja froh, dass wir uns zumindest bei den Fakten einig sind: Die große Grillparty, die die Fleischkonzerne gerade austragen, trägt ordentlich zum globalen Flächenbrand des Klimawandels bei. Rund 16% der gesamten Treibhausgasemissionen stammen aktuell aus dem Stall, für jeden Deutschen sind es rund 800 Kilogramm CO2 im Jahr.
Was hat das jetzt mit mir zu tun? Nun ja, wenn ich als durchschnittlicher Deutscher aufs Fleisch verzichte, spare ich eben diese 800 Kilogramm CO2 im Jahr ein. Das ist schon ganz ordentlich, aber das Klima habe ich damit noch nicht gerettet.
Für meine Entscheidung, das Fleisch im Kühlregal liegen zu lassen, ist das aber auch nicht der entscheidende Punkt. Schließlich entscheidet meine eine Stimme auch nicht darüber, wer die nächste Bundeskanzlerin wird – und ich gehe trotzdem wählen.
Mir geht es ums Umdenken.
Und das fängt langsam an: mit kleinen Begegnungen, kleinen Momenten der Verwunderung, der Neugier und der Zweifel. Wie damals zu meiner Schulzeit. Ich hatte diesen Bekannten, der es einfach mal 3 Monate ausprobierte. Weil er eine Wette verloren hatte. Das Wort »Veggie« war damals in der Gesellschaft noch so unbekannt wie mir die Idee, einfach kein Fleisch mehr zu essen. Und so war ich es, der neugierig und etwas skeptisch die Fragen stellte: »Geht das denn? Wie fühlst du dich? Willst du das jetzt für immer machen?«
Viele kleine Momente später wuchs diese neue Idee in mir zu einem vertrauten und alltäglichen Bekannten heran. Die Grillparty der Fleischkonzerne trägt ordentlich zum globalen Flächenbrand des Klimawandels bei.
So war es in meiner Studienzeit ich, der in der Familie das Thema Vegetarismus auf den Tisch brachte – obwohl ich selbst noch längst nicht vegetarisch lebte – und dafür erst mal Skepsis erntete.
Und heute? Fühle ich mich selbst etwas aus der Zeit gefallen, wenn ich vor vegan lebenden Freunden oder Kollegen mein Käsebrötchen esse. Die kleinen Begegnungen haben mich verändert, ich habe sie weitergetragen, und so haben sie wieder andere verändert. Ein schleichender Wandel der Esskultur, wie ihn das Klima auf breiter Front braucht – und wie er übrigens auch uns verdammt guttut.
Ich weiß, ich lebe da in einer Blase. Aber diese Blase ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Damit sie ausstrahlt, darf die Blase natürlich nicht abgeschottet sein. Nein, die Blase muss schön durchlässig sein; aus der Blase heraus muss es so lecker duften, dass sie wie ein Magnet immer mehr Menschen an- und aufsaugt.
Wie das ablaufen kann, dafür bist du doch das beste Beispiel, mein lieber Chris: In der kurzen Zeit, seitdem du hier zu uns in die Veggie-Blase gestoßen bist, hast du sicher mehr vegane Kuchen gemampft und vegetarische Kochabende erlebt als in den vielen Wurstjahren davor. Und dabei hast du gemerkt: Das schmeckt. Und das ergibt Sinn. Und so hast du schlussendlich deine Fleischdosis reduziert. Das zähle ich einfach mal mit auf mein Veggie-CO2-Einsparkonto. Ha!
Also: Sollen wir die Blase immer weiter aufblasen, bis alles in ihr verschwindet? Bis alle Menschen überzeugt sind: Kartoffelgratin funktioniert auch ohne Braten hervorragend?
Wäre schön, so wird das aber nicht funktionieren. Ich stimme dir zu: Wir brauchen Gesetze, die Fleisch teuer machen und die Fleischkonzerne zu höheren Umweltstandards und größerer Transparenz zwingen. Gesetzesinitiativen fallen nicht vom Himmel. Aber sie keimen in der grünen Veggie-Blase und ihrem Umfeld.
Denn zu viele Menschen bleiben so außen vor. Die Sache ist: Gesetzesinitiativen fallen nicht vom Himmel. Aber sie keimen in der grünen Veggie-Blase und ihrem Umfeld.
Von dort geht der Druck auf die Politik aus: Hier entstehen Medienberichte, Dokumentarfilme, Protestaktionen, Unterschriftensammlungen, Kundgebungen und all die kleinen Puzzlestücke, die das Thema immer wieder auf die politische Agenda und ins Bewusstsein der Menschen bringen.
Und richtig fruchten können diese Ideenkeime auch erst, wenn sie bei einer breiten Masse auf fruchtbaren Boden fallen. Wenn es im Discounter Alternativen zu Salami und Steak gibt. Die gibt es heute, und zwar nicht nur dank der Produktentwicklungsabteilung der Rügenwalder Mühle, sondern vor allem dank der Vegetarier, die seit Jahrzehnten an guten Rezepten feilen und mit neuen Zutaten experimentieren. Erst wenn die Menschen beim Wort »Veggie-Day« nicht mehr zusammenschrecken, können wir ernsthaft über die nötigen politischen Maßnahmen sprechen.
Chris: Lasst mir meinen letzten Bissen Fleisch!
Sicher, Felix,
jeder, der Google bedienen kann, kennt die Fakten über Fleisch und Klima. Klar wäre es rational, komplett auf Fleisch oder gleich komplett auf tierische Produkte zu verzichten. Nur tun das die meisten Menschen noch immer nicht – mich eingeschlossen.
Warum?
Wohl in erster Linie, weil ich eben nicht rational handele, wenn ich nach einem langen Tag in der Redaktion abends im Supermarkt stehe. Vielmehr sind es vor allem die Emotionen, die uns Fleischesser trotz besseren Wissens das Kunststück vollbringen lassen, den eigenen Speiseplan von Wohl und Wehe dieser Welt zu trennen.
Für mich duften die Chicken Wings am Feierabend nach purer Nostalgie: Als ich klein war, führte der Weg nach einem langen Tag, an dem ich meinem Vater auf der Baustelle zur Hand gegangen war, stets zu unserem Stammimbiss. Für unsere harte Arbeit belohnten wir uns mit einem halben Hähnchen mit Pommes. Wie tief diese Erinnerungen sitzen, zeigt die Tatsache, dass mir schon beim Schreiben dieser Zeilen das Wasser im Munde zusammenläuft. Gegen den Wunsch, mich mit meiner Lieblingsspeise zu belohnen, kommt meine Vernunft nicht an.
Entsprechend groß ist mein Respekt für die Menschen, die ähnlich aufgewachsen sind wie ich – und es trotzdem schaffen, an einem lauen Sommerabend auf das Steak zu verzichten und stattdessen den Gemüsespieß oder das Sojaschnitzel auf den Grill zu legen. Gegen den Wunsch, mich mit meiner Lieblingsspeise zu belohnen, kommt meine Vernunft nicht an.
So weit zu meiner Anerkennung. Sich nun allerdings vorzumachen, dass sich unsere Gesellschaft durch dieses Opfer und die damit erhoffte Vorbildfunktion nachhaltig in ihren Gewohnheiten ändern wird, halte ich für reichlich blauäugig.
Auch wenn ich dem Bequemlichkeitsargument »Als Einzelner kann ich doch ohnehin nichts erreichen« nicht auf den Leim gehe, glaube ich angesichts der akuten Klimakrise: Dein persönlicher Totalverzicht reißt das Ruder nicht schnell genug herum, genauso wenig wie es meiner tun würde. Also tue ich es auch nicht.
Und zwar deshalb: Der Anteil der Vegetarier an der Bevölkerung hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt – trotzdem sind es bisher unterm Strich nur 4%. Schlimmer noch ist, dass der Fleischkonsum pro Kopf trotz dieses Anstiegs nicht zurückgeht, sondern seit Jahren auf einem hohen Niveau stagniert.
Mein Schluss: Wir müssen das Problem der ungezügelten Fleischeslust grundsätzlich anders angehen.
Es ist vergeudete Energie, einige wenige Menschen mit ohnehin schon moderatem Konsum – wie ich es einer bin – mühsam von einem Totalverzicht überzeugen zu wollen. Der Verbraucher hat die Macht – oder?
Tatsächlich werden die allermeisten Vegetarier, die eigentlich gern Fleisch essen,
Die erreichen wir sicher nicht durch gute Vorbilder. Im Gegenteil: Die wenigen, die sich in Askese üben, dringen kaum durch zu den vielen, die wenig Berührungspunkte haben mit Themen wie Klimaschutz und kritischem Konsum. Mehr Umweltbewusstsein in der Breite wird so, leider, reine Utopie bleiben.
Es sind die Rahmenbedingungen, die wir ändern müssen, wenn wir von den 175 Gramm Fleisch herunterkommen wollen, die jeder Deutsche im Schnitt pro Tag (!) verzehrt. Zum Vergleich: Das sind 4 Cheeseburger vom großen gelben M.
Der Ball der Verantwortung wird bei jedem politischen Vorstoß zurück in das Feld der Konsumenten gespielt; das »Richtige« zu tun wird zu einer individuellen Aufgabe degradiert. Weil man weiß, dass die meisten dieser Verantwortung nicht gerecht werden wollen – oder können. Bestes Beispiel: der Veggie-Day, der den Grünen vor einigen Jahren nur so um die Ohren geflogen ist. Wieder einmal wurden diejenigen aus der Verantwortung gelassen, die von der Flut aus billigem Fleisch industriell »produzierter« Tiere profitieren und um ihren Profit kämpfen.
Was also sollten wir tun, um wirklich Bewegung in die Sache zu bringen?
Uns darauf konzentrieren, den Druck auf die Politik so weit zu erhöhen, dass sie die Agrar- und Fleischindustrie endlich in die Schranken weist.
Also: Mehr Klimaschutz auf dem Teller? Liebend gern! Dafür müssen wir uns aber nicht quälen und am Ende an einer sturen Ganz-oder-gar-nicht-Haltung scheitern. Weniger wäre ja schon mehr. Vor allem, wenn es nicht nur die wenigen machen!
Neue Regeln fürs Fleisch
Wer muss nun den ersten Schritt machen, um die Probleme bei der Fleischproduktion zu lösen: Wir? Oder die Politik? Auch wenn wir uns da wohl nicht so bald einig werden, so stimmen wir doch darüber ein, wie wirksame Maßnahmen aussehen könnten. Hier sind 4 Vorschläge:
- Weniger und besseres Fleisch in Kantinen! Die Stadt Bremen macht es vor: Dort wird es ab dem Jahr 2022
- Steuerentlastung für Gemüse statt Fleisch! Aktuell fällt für Fleisch – wie für Gemüse, Obst oder Milchprodukte – der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 7% an. Würde dieser auf den regulären Satz von 19% erhöht, würde der Fleischkonsum in Deutschland um 2–10% zurückgehen,
- Gute Informationen statt schriller Werbung! Mehr als 46 Milliarden Euro geben Supermärkte, Discounter und Fast-Food-Ketten pro Jahr für Werbung aus – allein in Deutschland. Ganz vorn mit dabei:
- Strengere Handelsabkommen! Anstatt den europäischen Markt für »Chlor-Hühnchen« zu öffnen und den Weltmarkt mit Fleisch und Milch aus ökologisch fataler Massentierhaltung aus den USA, der EU, Brasilien, Australien und Argentinien zu fluten,
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily