So behältst du online recht
Mit deinen Argumenten im Netz keinen Erfolg? Dann hör auf einen seit über 200 Jahren toten Adligen und eine sehr lebendige Social-Media-Expertin.
Du hast eine Meinung und möchtest sie mit der Welt teilen? Dann bist du nicht allein.
Nein, ernsthaft. Oder wann hattest du zuletzt wirklich eine ernsthafte Diskussion im Internet, an deren Ende du zufrieden warst und dich bereichert gefühlt hast?
Die alte Internetweisheit
»Kommentare enden meist im Streit mit absoluten Fremden und ohne irgendein Ergebnis.« – Youtube-Influencerin
Kein Wunder, dass es schon Browsererweiterungen gibt, die Gespräche im Internet komplett ausblenden. Ihr treffender Name:
Sollen wir die Möglichkeit, uns mit Fremden auszutauschen und dabei wirklich etwas zu gewinnen, wirklich einfach so begraben?
Es muss doch im Jahr 2019 möglich sein,
Meine These: Das geht. Aber nicht von selbst. Denn richtiges Diskutieren ist eine Kunst, die man erlernen muss. Das schaffen wir aber nicht, indem wir wutschäumende Kommentare lesen – sondern zur Abwechslung mal schauen, was ein 230 Jahre toter Freiherr, Dichter und Illuminat zu sagen hat.
Der Herr Freiherr hätte das Internet gerockt
Im Jahr 1780 gab es nicht einmal eine Idee vom Internet. Aber es gab natürlich Gespräche und Debatten. Und dieses Miteinander beobachtete Adolph Freiherr Knigge mit kritischem Blick. Der Aufklärer glaubte an die Macht der Vernunft und verfasste das Buch
Für offline wie online gilt damals wie heute:
Menschen sind komplexer, als man wahrnimmt: Für Knigge waren Menschen mehr als nur Resonanzkörper für die eigenen Worte, sondern komplexe Wesen mit eigenen Geschichten, Sozialisationen, Zielen, Fehlern und Launen. Oder mit dem Freiherrn gesagt: Es steckt »noch mehr in uns, als auf den ersten Blick scheint«.
Bei flüchtigen Gesprächswechseln ist das aber erst mal unsichtbar. Und genau darin liegt eine Gefahr; sein Gegenüber in Vorurteileschubladen zu stecken und mit diesen abzuwerten.
Also: Nicht jeder, der »Merkels Flüchtlinge« statt »Geflüchtete« sagt, ist gleich ein Rechtsextremer. Und nicht jede, die 260 Auswahloptionen für ihr Geschlecht im Personalausweis fordert, ist eine abgedrehte Spinnerin. Knigges Lösung lautet, erst mal nicht das Schlechteste anzunehmen, bis man jemanden besser versteht.
Pass auf, dass du nie die innere Zuversicht zu dir selbst [und] das Vertrauen auf gute Menschen
Jeder Mensch macht Fehler: Na klar. Doch die Konsequenz daraus scheint nicht so klar zu sein. Knigge jedenfalls wusste genau, dass übermäßige Kritik an jedem kleinsten Fehler und verbalen Ausrutscher nur dazu führt, dass sich Menschen trotzig auf ihre Positionen zurückziehen und jeder weitere Dialog unmöglich wird.
Also: Wenn jemand beharrlich behauptet: »Vielleicht wird der Klimawandel doch nicht so schlimm«, und man ihn mit Zahlen und Daten erschlägt, um etwas zu beweisen, dann ist das eigentliche Gespräch schnell vorbei. Knigges Lösung ist »eine gewisse Nachsicht« gegenüber anderen Perspektiven – und ein kritischer Blick für sich selbst.
Auch den Besten widerfährt einmal ein Missgeschick [und] bei manchen überdeckt ein ungeselliger Charakterzug diverse gute Eigenschaften.
Nicht jeder ist ein guter Gesprächspartner: Manche Menschen diskutieren zwar, haben aber gar kein Interesse an einem Austausch. Sie wollen sich damit nur selbst profilieren oder Reaktionen provozieren. Diese »Schaumschläger« von damals sind die Internettrolle von heute.
Also: Wer nicht aufhören kann, persönlich zu werden und zu provozieren, der kostet nur deine Nerven und verschwendet deine Zeit. Knigges Lösung lautet, zu erkennen, mit wem eine Diskussion keinen Erfolg haben kann.
[Man sollte] seine Zeit besser mit gescheiten Menschen verbringen, von denen man etwas lernen kann.
Oder mit einer neueren Internetweisheit gesagt: »Don’t feed the troll.«
Mit diesem zeitlosen Verständnis für das Gegenüber sind erfolgreiche Gespräche im Netz schon wahrscheinlicher. Ein letzter Tipp vom Freiherrn noch mit auf den Weg: Gespräche sind keine Einbahnstraßen. »Wenn du willst, dass sich andere für dich interessieren, musst du dich für andere interessieren.«
Gespräche sind ein Geben und Nehmen. Und um das auch im Internet zu meistern, hilft uns an dieser Stelle eine zeitgenössische Menschenkennerin weiter.
Mit diesen 7 Tipps gelingt dein Gespräch im Netz
Karen Nimrich weiß, warum so viele Gespräche online scheitern und wie es auch anders laufen kann. Sie ist die Social-Media-Managerin von
Streit ist in Ordnung, findet Nimrich, wenn er nur richtig geführt wird. Denn das ist das Konzept von
Gemeinsam haben wir 7 handfeste Tipps für jeden erarbeitet, der im Netz die Diskussion mit Unbekannten aufnimmt:
- Bleib gelassen, nimm dir Zeit: Emotionale Antworten aus dem Bauch heraus bringen ein Gespräch meist wenig weiter. Doch im Netz können zwischen Beiträgen ruhig Minuten bis Stunden vergehen. Nutz das und nimm dir die Zeit, um über deine Reaktion nachzudenken. Steckt das Gespräch in einer Sackgasse, kannst du dir so in Ruhe eine neue Strategie zurechtlegen.
- Frag nach: Eine offene Frage riskiert nichts
- Vermeide Urteile: »Wie unverschämt!« oder »Du hast keine Ahnung« bringen im Gespräch gar nichts, selbst wenn es stimmt. Denn über jemanden zu urteilen, drängt ein Gegenüber nur in eine Abwehrhaltung. Stattdessen kann ein Konzept aus der Gewaltfreien Kommunikation helfen: Nicht bewerten, sondern lieber die eigene Perspektive beschreiben. Also besser: »Wenn du sowas sagst, fühle ich mich unwohl« und »Ich habe das anders erlebt«.
»Wir haben dieselben Bedürfnisse, auch wenn wir sie unterschiedlich auslegen.«
- Such einen gemeinsamen Nenner: Auch wenn es erst mal widersinnig wirkt, überzeugen
- Steh zu deinen Werten: Gemeinsamkeiten zu suchen heißt aber nicht, die eigenen Überzeugungen über Bord zu werfen. Das wirkt nur schwach und verwässert die eigene Position – auch für Mitlesende. »Man darf die eigene Haltung ruhig klar vertreten. Position zu beziehen ist wichtig«, rät Karen Nimrich. Dazu gehört auch klarzumachen: Hierüber verhandele ich nicht. Das hier ist eine Grenze.
- Erhalte den Kern des Gesprächs: Gerade ging es noch um Schülerproteste fürs Klima, jetzt schon um die USA? Dieses Springen von Thema zu Thema nennt sich »Whataboutism« und sorgt dafür, dass Gespräche schnell
»Interessant. Aber das ist jetzt ein anderes Thema. Bleiben wir erst mal bei unserem.«
- Bleib authentisch und souverän: »Man sollte nie so tun, als ob«, rät Karen Nimrich. Denn sich zu verstellen und etwa freundlich zu antworten, während man innerlich eigentlich kocht, kostet nur Nerven. Und es gehört nun mal zu den fiesen Gesprächstricks im Netz, das Gegenüber emotional zu provozieren und genau diese Ressourcen zu verbrauchen.
Wie man dann souverän und empathisch bleibt und sich nicht provozieren lässt, kommt auf die Situation an – und die eigenen Nerven, erklärt Nimrich: »Man muss flexibel bleiben und immer wieder reflektieren: Was passiert hier gerade? Und im Notfall auch einmal ein Gespräch beenden, wenn es emotional etwas mit einem selbst macht. Manchmal muss man sich halt entscheiden: Willst du recht haben oder glücklich sein?«
Aber wenn schon ein Gespräch beenden, dann nicht einfach aufhören – denn das könnten Mitlesende als Zugeständnis werten. Lieber ein starker Abgang wie »Ich bin überzeugt, dass es anders ist. Aber wir kommen hier nicht weiter.« Vielleicht bringt das den anderen sogar doch noch zum Nachdenken.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily